E-Book, Deutsch, 224 Seiten
Winkler Rosa
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-7407-2306-4
Verlag: TWENTYSIX
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 224 Seiten
ISBN: 978-3-7407-2306-4
Verlag: TWENTYSIX
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Beate Winkler, 1973 in Hamburg geboren, studierte Medizin in Lübeck. Ihre Weiterbildung zur Kinderonkologin und Palliativmedizinerin absolvierte sie in Tübingen und Würzburg. Seit 2015 lebt sie mit ihren zwei Söhnen in ihrer Heimatstadt. Sie arbeitet weiterhin als Ärztin und schreibt in ihrer Freizeit. 2016 erschien die Trilogie »Viersamkeit, Flucht in die Zweisamkeit, Aus der Einsamkeit«. 2020 veröffentlichte sie die Romane »Der eigene Weg« und »Das Implantat«.
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Er ließ das Handy sinken. An den Türrahmen gelehnt betrachtete er seine Frau. Sie saß auf dem Sofa, etwas vornübergebeugt, die Hände umfassten ihre Oberschenkel, ihr Brustkorb mit dem enganliegenden blau-weiß gestreiften Oberteil hob und senkte sich mühevoll. Er blieb außerhalb ihres Radars, über die Jahre hatte gelernt, ab welcher Distanz sie ihn wahrnehmen konnte. Langsam hob er sein Handy und filmte seine nach Luft ringende Frau für einige Sekunden. Er tippte auf den roten Kreis und verharrte noch für einen Moment, bevor er mit einem lautlosen Seufzer den Film ohne ein weiteres Wort an seine Schwester sandte. Es vergingen nur die wenigen Sekunden, die sie benötigte, um die Sequenz zu sehen, dann ihre rasche Antwort auf seinem Display.
Seine Hand krallte sich um das Handy, als er ihre Worte las, die bestätigten, was er längst wusste. Seine Hand zitterte, als er seine Antwort eingab.
Er ließ sein Handy schon in die Jeanstasche gleiten, als es nochmal summte.
Er rang mit ihren Worten, immer noch hatte er diese Schwierigkeiten und er war aufgeregt. Er versuchte sich zu konzentrieren. Rosa allein ins Krankenhaus?
Mit einem Ruck löste er sich von dem Türrahmen und ging langsam die wenigen Schritte, die ihn von seiner Frau trennten. Mit einer sachten Bewegung ließ er sich auf das Sofa neben sie nieder und legte sanft den Arm um ihre Schultern, die sich mit jedem Atemzug schwer hoben und senkten.
Rosa ließ sich in die Umarmung sinken. Ihr war heiß und schwindelig und die Luft. Ihr ganzer Körper schmerzte, ihr Kopf dröhnte, bei jedem Einatmen stach es in ihrer Brust. Sie konzentrierte sich auf ihre Atmung, ein, aus, eine Pause vor dem nächsten Atemzug, ihre Angst vor dem erneuten Schmerz. Dankbar lehnte sie sich an ihren Mann.
Er ließ ihr ein paar Sekunden der Ruhe, des Schweigens. Er spürte dem leichten Zittern in ihrem Fieberanstieg nach, ihr hochroter Kopf, er spürte das Rasseln ihrer Atmung an seinem Arm. Ihre Erschöpfung, sie schien Schmerzen zu haben. Um ihre Aufmerksamkeit bittend strich er vorsichtig über ihren Rücken. Sie hob den Kopf ein wenig und griff nach seiner Hand. Ihre Hand gewölbt über seiner, wartend auf seine Worte. Er buchstabierte nur ein Wort. Sie war seine Kürze so gewohnt, dass ihr Kopf daraus automatisch den ganzen Satz formte.
du musst ins Krankenhaus, Rosa…
Sie zog ihre Hand weg, knetete die eine in der anderen. Er hatte das fast erwartet. Sanft zog er sie erneut zu sich heran und gab ihr Zeit. Erschöpft lehnte sie ihren Kopf an seine Schulter, bis in das sanfte Zittern ihres fiebernden Körpers, der brodelnden Brust eine Unregelmäßigkeit kam. Sie schluchzte, die Tränen tropften auf seine Hand, die ihre Hände umfasst hatte. Ihre Hände lösten sich und sie buchstabierte zitternd.
dann rückte sie, plötzlich entschlossen, von ihm ab, sie griff nach seinem Kinn, er sollte sie angucken, »Gregor, ich muss sprechen. Es ist schneller, leichter. Ich gehe ins Krankenhaus. Ich komme schon klar. Du kümmerst dich um die Kinder. Ich bin bestimmt bald zurück.«
Er folgte ihren Worten mit seinen Augen, sie waren verzerrt, weil sie zwischendurch nach Luft ringen musste. Langsam suchte er ihre Hand.
Sie riss sich zusammen, versuchte das Fieber in ihrem Kopf und die Schmerzen bei der Atmung zur Seite zu schieben und sich ganz auf ihn zu konzentrieren. Wie sie allein zurechtkommen würde… Nochmal seine Finger buchstabierend in ihrer Hand:
Sie straffte sich: »Gregor, ich weiß. Das kann nicht erlaubt sein. Das Ansteckungsrisiko. Ich… es wird schon gehen. Ich kann sprechen, mich bemerkbar machen. Ich kriege es schon hin. Ich… möchte doch… wieder gesund werden und bei euch sein.«
Sie spürte, wie er verschreckt von ihr abrückte. Ihre Worte taten ihr leid. Ihre Hand suchte sein Gesicht. Nass. Er weinte. Sanft streichelte sie seine Wange, bevor sie sein abgewandtes Gesicht wieder zu sich drehte. Er schüttelte den Kopf in ihrer Hand. Er hatte einmal erzählt, dass er ihr durch einen Vorhang aus Tränen nicht zusehen konnte. Sie hatte es nie ganz verstanden. Sie wartete einen Moment, bis sie das Gefühl hatte, dass er sich etwas beruhigt hatte, dann suchte sie seine Hand.
die Geschwindigkeit ihres Buchstabierens war so atemberaubend, wie er es von ihr kannte. Sie saß aufrecht und machte schon weiter, in ihren ganzen langen Sätzen, die das Buchstabieren so mühsam machten. Sie buchstabierte, wie sie sprach. Es war so sehr Rosa, so vertraut, dass er den Blick senkte und sich auf all die Buchstaben konzentrierte,
Kommentarlos stand er auf, seine Hand kurz auf ihrer Schulter, bevor er sie verließ. Sie sank in sich zusammen, stemmte die Hände auf die Oberschenkel und dachte wieder nur an ihr Atmen. Sie musste Luft holen, ein, aus… Gregor ging zu seinem Schreibtisch. Für einen Augenblick glitten seine Augen nicht sehend darüber, bis ihm der DinA3 Block, einer seiner Zeichenblöcke, einfiel. Er zog die unterste Schublade auf, nahm einen der dicken Filzstifte, die Mia über seinen Tisch verstreut hatte und begab sich zurück zu Rosa. Sie suchte seine Hand und begann zu diktieren, langsam, deutlich:
Seine rechte Hand nahm ihr Buchstabieren auf, den großen Block auf dem Knie balancierend schrieb er mit der linken exakt auf, was sie ihm auftrug. Die Buchstaben so groß, dass sie auch auf die Entfernung lesbar sein würden. Als die Worte endeten, konnte er es nicht lassen, um die schnöden Buchstaben einen Rahmen aus Mustern zu ziehen. Er benötigte nur eine halbe Minute, musterte sein Werk und legte es schließlich zur Seite. Er rückte zu Rosa und schloss sie fest in seine Arme. Seine Frau, so tapfer sie jetzt wirkte, sie würde es schwer haben. Niemand würde verstehen. Sie würde so allein sein. Würde sich jemand die Mühe machen zu versuchen zu ihr durchzudringen? Im Krankenhaus war es immer hektisch, sie hatten zu wenig Personal. Niemand hatte Zeit. Gregor wusste es aus den Erzählungen seiner Familie, eine Familie aus Ärzten, seine Eltern, sein Zwillingsbruder, seine Schwester… Er sog noch für einen Moment den so vertrauten Geruch ein, hielt sich an ihr fest, ihr, die ihm so wichtig war, so schwierig manchmal alles war, so unbeholfen, wie sie da draußen oft auf die Menschen wirkte, für ihn war sie der Mensch, der ihm Halt gab, der eine solche Zuversicht und Stärke ausstrahlte, der Mensch, den er über alles liebte.
Er blieb neben ihr sitzen, sein Bein warm an ihrem, während er Vera schrieb. Schließlich drückte er sie kurz an sich:
Er spürte ihr Nicken an seiner Schulter, eigentlich erwartete er ihr Diktat, was er einpacken solle, aber sie schien keine Kraft dafür zu haben. Mit einem Streichen über den Rücken ließ er sie mit einem unguten Gefühl allein auf dem Sofa zurück. Er müsste sich beeilen. Es ging ihr so schlecht. Auf dem Weg ins Schlafzimmer öffnete er die Tür des Kinderzimmers einen Spalt, so dass das Licht des Flurs das Dunkel dämmrig machte. Leise trat er ein....




