E-Book, Deutsch, 290 Seiten
Winkler Warum wir gerade jetzt Humanistische Psychotherapie brauchen!
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-608-12433-0
Verlag: Klett-Cotta
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Das etwas andere Praxisbuch für Therapie und Beratung
E-Book, Deutsch, 290 Seiten
ISBN: 978-3-608-12433-0
Verlag: Klett-Cotta
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Jens Winkler , Psychologischer Psychotherapeut (TP, Zusatzqualifikation Gruppentherapie und EMDR), Psychologe (M. Sc.), Ausbildung an der ZIST-Akademie für Psychotherapie (Institut mit langer humanistischer Tradition), Dozententätigkeit (u. a. im Jung-Institut Zürich), Niederlassung in eigener Praxis in Konstanz, Psychotherapeutische Arbeit im Einzel- und Gruppensetting, diverse Veröffentlichungen. Er lebt mit seiner Familie am Bodensee.
Autoren/Hrsg.
Fachgebiete
- Sozialwissenschaften Psychologie Psychologie / Allgemeines & Theorie Psychologische Theorie, Psychoanalyse Humanistische Psychologie
- Geisteswissenschaften Religionswissenschaft Alternative Glaubensformen Agnostizismus, Atheismus, Säkularer Humanismus
- Sozialwissenschaften Psychologie Psychologie / Allgemeines & Theorie Psychologie: Allgemeines
Weitere Infos & Material
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Im Folgenden werde ich einen kurzen Überblick über die philosophischen Einflüsse auf die heutige humanistische Psychologie geben und den gesellschaftlichen Kontext skizzieren, in dem sie entstanden ist. Wir sollten die Wurzeln kennen, wenn wir die Früchte der humanistischen Perspektive ernten. Ich versuche, die recht trockenen Inhalte praxisnah und gut verständlich aufzubereiten.
Vergangene humanistische Strömungen hatten stets folgendes Anliegen: Bedingungen für ein gutes Leben zu formulieren, in dem der Mensch im Mittelpunkt steht. Dazu gehören die Bedingungen seiner Existenz, die Bewahrung seiner Würde, die Erfüllung seiner Grundbedürfnisse und die Verbesserung seines sozialen Umfeldes mit seinen Beziehungen. Fast immer waren humanistische Strömungen eine Bewegung gegen eine zunehmende Entfremdung des Menschen von sich selbst und seinen Mitmenschen. Verursacht wurde dies durch autoritäre gesellschaftliche Strukturen und schlechte Arbeits- und Lebensbedingungen. Die humanistischen Strömungen führten zu neuen Freiheiten, stärkten die Rechte und erweiterten die Handlungsoptionen der Menschen in der westlichen Welt.
Die Geburt der Humanistischen Psychologie
Die Humanistische Psychologie ist in den 1950er-Jahren in den USA entstanden. Der Zweite Weltkrieg mit seinen schrecklichen Folgen für Mensch und Natur war noch nicht lange vorbei. Ein weiterer Kalter Krieg stand bevor. Die Gesellschaft war bestimmt von patriarchalen und autoritären Strukturen. Rassismus war allgegenwärtig, die Sexualmoral rigide und unfrei.
Die Menschenbilder in der bis dahin gelehrten Psychologie wurden anhand des Studiums von erkrankten Menschen oder Tieren entwickelt. Sie waren zutiefst deterministisch oder biologistisch wie bei den psychoanalytischen Triebtheorien oder stark reduktionistisch, mechanisch und auf reine Lernprozesse beschränkt wie bei den Behavioristen. Dies prägte auch die Vorstellung von therapeutischer Veränderung: Symptome wurden als erlernte Verhaltensmuster betrachtet, welche durch Anleitung eines Experten schlicht umgelernt werden mussten. Oder sie mussten von einem allwissenden und durchanalysierten Therapeuten treffend gedeutet werden, um sich aufzulösen. Dementsprechend waren die Beziehungen zwischen Therapeut und Patient asymmetrisch und einseitig: Auf der einen Seite war das objektive Wissen. Der Therapeut saß am Hebel der Veränderung. Auf der anderen Seite war der unbewusste Patient mit seinem psychischen Leid und Nichtwissen.
Nach dem Zweiten Weltkrieg entstand eine Aufbruchsstimmung im Land, die zahlreiche politische und gesellschaftliche Veränderungen herbeiführte. Menschen wollten mehr aus ihrem Leben machen, sie wollten autonomer werden, ihrem Tun einen Sinn verleihen und sich selbst verwirklichen. Mit wachsendem Wohlstand richtete sich die junge Generation gegen autoritäre Strukturen und Kriege wie den Vietnamkrieg. Die 68er-Bewegung bildet den politischen Höhepunkt dieser Entwicklung. Die Flower-Power- oder Hippie-Bewegung folgte als soziale Freiheits- und Friedensbewegung.
Die Humanistische Psychologie bildete sich schließlich in einer Arbeitsgruppe um den Psychologen Abraham H. Maslow als dritte Kraft und Gegenbewegung zur Psychoanalyse und zum Behaviorismus heraus. Sie wollten ihre Theorie über die psychische Entwicklung des Menschen nicht ausschließlich anhand des Studiums von Tieren oder psychisch erkrankter Menschen entwickeln. Die Theorie sollte sich weder aus den mechanischen Grundlagen des Verhaltens ableiten, noch sollte sie von den Defiziten des Menschen ausgehen.
Die humanistischen Forscher interessierten sich insbesondere für die Bedingungen eines guten und psychisch gesunden Lebens. Daraus leiteten sie ihre Entwicklungs- und Persönlichkeitstheorie ab. Sie sahen den Menschen nicht als ihren Trieben, inneren Konflikten oder Reiz-Reaktions-Mustern ausgeliefert. Sie sahen ihn als potenziell freien Menschen, der wachsen und sich mit seinen Begabungen entfalten möchte und das Potenzial zur Selbstheilung in sich trägt: Der Mensch steht als aktives und verantwortliches Wesen im Leben. Er hat eine freie Zukunft vor sich. Sein Handeln ist nicht ausschließlich durch seine Biologie und Vergangenheit vorbestimmt. Er kann aktiv und intentional auf Ziele hinarbeiten, die seinen Werten und seinem Wesen entsprechen. Damit war der Klient nicht länger lediglich Empfänger von Interventionen. Die Fähigkeiten zur inneren Veränderung waren in ihm angelegt.
Therapie wurde zu einem gemeinsamen Prozess, in dem die Therapeutin der Klientin hilft, diese Fähigkeiten in sich zu entdecken. Der psychisch erkrankte Mensch bekam damit eine gleichberechtigte Rolle im therapeutischen Prozess. Therapeut und Klient waren nun Sender und Empfänger zugleich. Der Klient durfte und musste mitgestalten. Damit trafen sie ganz den Zeitgeist. Das humanistische Narrativ befreite den Menschen zumindest potenziell aus den Fesseln seiner Herkunft, seines gesellschaftlichen Standes oder den Anweisungen einer Autorität.
Auf gesellschaftlicher Ebene hinterfragte man nun die Entscheidungen politischer Autoritäten. Möchte ich als Soldat in einem Krieg kämpfen, dessen Sinn ich nicht sehen kann? Möchte ich als Frau auf die Verwirklichung meiner beruflichen Ziele verzichten, um ausschließlich im Haushalt zu arbeiten? In den Therapien wurde die Klientin dazu ermächtigt, die Antworten selbst zu finden.
Der Therapeut wurde nicht weiter als objektiver, unantastbarer Experte gesehen, welcher undurchsichtig interveniert und von außen auf den Patienten schaut. Er war nun Teil des therapeutischen Prozesses: als Mensch, mit Unzulänglichkeiten und Fehlern. In der Therapie begegneten sich nun zwei Menschen. Diese Veränderung in der Psychotherapie wird von Balint (Balint 2002, S. 197) als Übergang von der Ein-Personen- zur Zwei-Personen-Psychologie bezeichnet.
Im Zentrum stand nicht mehr das objektive Wissen der Therapeutin, mit dem sie den psychisch kranken Menschen formte, sondern die innere Erfahrung des Klienten, sein innerer Bezugsrahmen und die in ihm angelegten Entwicklungsfähigkeiten. Mit dieser Brille auf die therapeutische Beziehung wurde der Klient aus der Abhängigkeit vom Wissen des Therapeuten befreit. Die Deutungshoheit lag nicht mehr ausschließlich beim Behandelnden. Die vorhandenen Kompetenzen, die Fähigkeiten der Selbstheilung und Problembewältigung des Klienten wurden genutzt, was seine Selbstachtung stärkte. Der Mensch wurde nicht länger ausschließlich als durch seine Vergangenheit, Triebe oder Konditionierungen vorbestimmt betrachtet, sondern als autonomer und selbstverantwortlicher Gestalter seiner Gegenwart und Zukunft gesehen. Therapie löste sich von autoritären Strukturen und wurde als intersubjektiver Prozess verstanden, der darauf abzielt, das bereits vorhandene Wissen und Potenzial zu wecken.
Diese Sicht auf den Menschen stellte eine enorme Ermächtigung sowohl für den Menschen in der Gesellschaft und insbesondere für den vulnerablen Klienten in der Psychotherapie dar. Zusammen mit Charlotte Bühler und Carl Rogers gründete Abraham Maslow 1962 in den USA die »Gesellschaft für Humanistische Psychologie«. Weitere zentrale Vertreter waren Fritz und Laura Perls, Paul Goodman, Alfried Längle, Rollo May, Viktor Frankl und später Irvin Yalom. Die daraus resultierende humanistische Strömung hatte bis in die 1980er-Jahre eine enorme Bedeutung nicht nur für die Psychotherapie, sondern auch für die Selbstwahrnehmung des Menschen in der Gesellschaft und sein Wirken in der Welt.
Aus dem Menschenbild der Humanistischen Psychologie heraus entwickelten sich zahlreiche humanistische Methoden, die dann jeweils einen unterschiedlichen Ansatzpunkt für die therapeutische Arbeit wählen:
Methode | Fokus | Zentrale Ebene | Bedeutende Vertreter |
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Die Personenzentrierte Therapie | Gestaltung einer Ich-du-Beziehung mit dem Ziel, die Entfaltung der Persönlichkeit zu fördern | Beziehung | Carl Rogers Anne-Marie und Reinhard Tausch (in Deutschland) |
Gestalttherapie | Experimentierfreudige Arbeit am sichtbaren Kontaktgeschehen im Hier und Jetzt mit dem Ziel der Rücknahme von Projektion und der Integration abgespaltener Selbstanteile | Kontakt | Fritz und Laura Perls Paul Goodman |
Emotionsfokussierte Therapie (EFT) | Emotionale Konflikte und Blockaden erkennen und überwinden/Emotionen regulieren lernen | Emotionen (und ihre Rolle in der Paarbeziehung) | Leslie Greenberg Sue Johnson |
Psychodrama | Spielerisches Erleben und Reflexion der eigenen Rolle in der Gemeinschaft | Gemeinschaft | Jacob Levy Moreno |
Logotherapie & Existenzanalyse | Frage nach dem Sinn der Existenz und des eigenen Lebens | Sinn und Existenz | Viktor Frankl Alfried Längle |
Transaktionsanalyse | Analyse und Verständnis eigener Ich-Anteile und deren Rolle in Kommunikationsmustern | Kommunikation | Eric Berne Thomas Anthony Harris |
Körpertherapie... |