E-Book, Deutsch, 424 Seiten
Wolf Der Junge vom Dorf
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-7568-9928-9
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ein kulturhistorisches Exeriment
E-Book, Deutsch, 424 Seiten
            ISBN: 978-3-7568-9928-9 
            Verlag: BoD - Books on Demand
            
 Format: EPUB
    Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Offen und ehrlich, schonungslos und liebenswürdig stellt der Autor in einer sehr persönlichen Sichtweise seine Kindheit in seinem Herkunftsort während des ersten Jahrzehnts nach dem Zweiten Weltkrieg vor. Es sind Geschichten, die konsequent aus der Sicht des Kindes erzählt werden. Sie lassen Geschichte transparent werden, nachvollziehbar und authentisch. Durcchgehend hat der Autor nur eine einzige Quelle benutzt: seine Erinnerungen. Und damit ensteht ein neues Heimatbuch, in dem nicht nostalgisch verklärt oder distanziert Dokumente präsentiert werden, sondern es nimmt die vom Autor in seinem Grundlagenwerk "HeimatNeuDenken" entwickelte Sicht ernst. Dort und in diesem Buch ist Heimat der soziale Raum aus Territorium, Beziehungen und Emotionen, gefährdet und gefährdend, sinnstiftend und Zugehörigkeit verweigernd. Dazu werden vor allem die vielfältigen Beziehungen und die begleitenden Emotionen, wie sie das Kind erlebt hat, als Grundlage für das dargestellt, was der Autor war, und was immer noch in seine Seele scheint: Der Junge vom Dorf.
Walter Wolf, Jahrgang 1951, Studium der Pädagogik, Soziologie, Psychologie und Katholischen Theologie; bis zum Ruhestand Bildungsarbeiter und Leiter von Bildungshäusern; 50 Jahre ehrenamtlich im sozialen, verbandlichen und kirchlichen Bereich, zuletzt als Geschäftsführer und Referent im Heimatverein für das Drolshagener Land.  Veröffentlichungen vor allem zu innovativen konzeptionellen Themen, u.a. bei der Bundeszentrale Politische Bildung und Arbeitskreis deutscher Bildungsstätten; Diverse Fachartikel zu regionalen, politischen und historischen Themen.   In den letzten Jahren verstärkt Auseinandersetzungen und neue Positionierungen zum Thema Heimat u.a. mit "Heimat Neu Denken" (BoD), "Höëwingen  Frühe Geschichte eines Dorfes" (BoD), "Das Wendsche Platt  Eine Ermittlungsreis" (BoD)  "Wie der Wald mir in die Seele scheint  Der Wald als Symbol" (in: Südsauerland Heimatstimmen aus dem Kreis Olpe 02 und 03 2022).
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
       Kind sein
Früh in Verantwortung
Kind sein im Dorf hieß auch, zwischen dem Kind, das spielen, lernen oder einfach mit anderen Kindern zusammen sein wollte, und den Aufgaben, die der Arbeit und dem Zusammenleben der Erwachsenen zugeordnet wurden, zu oszillieren. Wählen war nicht möglich, denn im Vordergrund standen immer die Pflichten und Aufgaben. Dabei waren diese durchaus leistbar, überforderten in den meisten Fällen nicht, aber sie waren immer in dieser Zuordnung auf die Tätigkeiten des Erwachsenen, und das hieß meistens der Arbeit in Haus, Garten und Feld, ausgerichtet. Kinderarbeit war also ganz normal, ja es gehörte schon zum Image, dass ein Kind bestimmte Aufgaben, und die in der Regel allein, erledigen konnte. Kühe hüten oder sie in den Weidekamp treiben, die Kuh beim Pflügen führen, Unkraut jäten im Garten und auf dem Acker, das Heu in den hintersten Winkel auf dem Dachboden stopfen, bansen, wie man sagte, aber auch die Einkäufe erledigen, im Lebensmittelladen im Dorf oder in der Apotheke und beim Schuster im Nachbarort. Auch das Schlachten der Hühner gehörte dazu, für mich wie auch für andere Jungen bereits mit 10 Jahren, beginnend beim Fangen der Tiere, über das Köpfen, Rupfen, Flämmen, Ausnehmen bis sie fertig für den Topf waren. Manche der Arbeiten waren durchaus auch gefährlich, wie z.B. das Streichen des Blechdachs mit einer Teerlösung, in großer Höhe auf wackeligen Leitern und scharfen Dämpfen ausgesetzt, die ich mit 11 Jahren übernehmen musste. Aber es waren auch die Botengänge, die wir als Kinder zu erledigen hatten. Neben dem bereits erwähnten Einkauf gehörten dazu auch das Bierholen für die Onkel oder sie vom Frühschoppen abzuholen, bevor sie „ganz versackten“. Um ein wenig Zeit für ein weiteres Bier zu schinden, gaben sie mir manchmal einen Groschen und ich konnte mir ein paar der sonst nicht erreichbaren Leckereien aus dem Erdnussautomaten ergattern, einer mit Nüssen gefüllten Glaskugel, etwa in der Größe eines Fußballs, die auf einem metallenen Sockel mit einem Drehmechanismus saß. Dort konnte der Groschen eingeworfen werden, ein Knebel wurde gedreht und eine kleine Kinderhand voll Erdnüsse kamen bei einer Klappe heraus. Nicht selten, wenn meine Onkel absolut nicht nach Hause wollten, schimpfte meine Oma mich aus, ich hätte sie mitbringen sollen. Für meine Oma holte ich auch jährlich die kleinen Beträge ab, die der Jagdpächter an die Besitzer der Ländereien zahlte, um sie damit für deren Nutzung bei der Jagd zu entschädigen. Es waren immer Beträge unter 10 DM, die aber für meine Oma wie jeder Geldbetrag bei ihrer kleinen Rente, zählten. Wie sehr die Pflichterfüllung und die Arbeit im Vordergrund standen, habe ich einmal sehr deutlich und schmerzhaft erfahren. Mein Onkel Hans aus Frankfurt, Bruder meines Vaters, war Zugführer bei der Bundesbahn und hatte einen längeren Aufenthalt in Siegen. Irgendwie hatte er meinen Vater kurzfristig eingeladen, ihn doch in Siegen zu besuchen. Als ich das hörte, war ich – wie man so sagt – Feuer und Flamme, einmal ganz nah an eine D-Zug-Lok zu kommen, auf dem Führerstand in die Brennkammer zu schauen und ein ganz wenig „Große Reise“ zu spielen. Ich war wohl 10 Jahre alt, und mein Vater beschloss, mit seinem Moped nach Kreuztal zu fahren und seinen Bruder nach Jahren wieder einmal zu treffen. Meine Enttäuschung kann man wohl nachempfinden, als ich eindeutig, sowohl von meiner Oma als auch meiner Mutter die Anordnung bekam, an diesem Nachmittag wieder die Kühe zu hüten. Alle Vorschläge, wie das auch anders organisiert werden könnte, wie z.B., dass es ausnahmsweise mein Vetter einmal übernehmen könnte oder die Kühe auf die nahegelegene Weide „Am Stücke“ getrieben werden könnten, wurden abgeschmettert. Mein zorniges Weinen und alle Verhandlungsversuche änderten nichts an der Entscheidung. Ich musste die Kühe auf unsere Wiesen „Hinterm Kreuz“ treiben und sie dort hüten. Mein Vater nahm dafür meinen kleinen fünf Jahre alten Bruder mit, den er vor sich auf den Tank setzte und der mir abends von dem großen Zug erzählte. Als ich die Kühe aus dem Stall trieb, rief mir meine Oma noch hinterher: „Aber komm ja nicht zu früh wieder!“ Ambivalenz von Geborgenheit und Forderung
Sicher waren wir Kinder, und ich spreche weiter für mich, oft hin und her gerissen, wenn Bedürfnisse aufgeschoben wurden oder nie zur Erfüllung kamen. Wenn im Frühjahr die Arbeit im Hauberg losging, sammelte ich das Reisig, dass meine Mutter zu Schanzen band. Dann gab es keine Gelegenheit zum Spielen. Wenn das Heu noch schnell wegen eines drohenden Gewitters nach Hause gebracht und in der Hitze und dem Staub unter dem Blechdach des Balkens verstaut werden musste, konnten andere zum Baden oder Planschen an die Flut oder den Weiher gehen. Wenn die Wagen mit den Garben aus Roggen, Gerste oder Hafer vom Feld zur Dreschmaschine gefahren wurden, und der mehrere hundert Meter lange Konvoi immer Stück für Stück weiterbewegt werden musste, und das bis spät in die Nacht, bis wir an der Reihe waren und wir Kinder die von der Dreschmaschine ausgespuckten Strohballen stapelten, schliefen andere schon lange. Wenn am Abend vor Christi Himmelfahrt noch „mal eben“ die Kartoffelfurchen neu geritzt werden mussten, konnten sich andere schon auf den Feiertag vorbereiten. Immer wieder standen Forderungen den eigenen Wünschen und Bedürfnissen entgegen. Gleichzeitig schaffte aber auch die Eindeutigkeit der Forderung und das unmittelbar zu beobachtende Ergebnis, das gemeinsame Tun eine Sicherheit des Handelns, und damit auch Geborgenheit. Immer dann, wenn an uns Kinder keine Forderung gestellt wurde, waren wir Kinder, die spielen konnten, albern sein durften oder einfach auch nichts tun konnten. Im selben Augenblick aber, wenn es etwas zu tun gab, vor allem, wenn etwas nicht vorhersehbar war, stand sofort die Forderung im Vordergrund und es war bis auf Weiters aus mit unbeschwertem Kindsein. Beide Seiten jedoch waren Teil des Systems, sie gehörten weitgehend ungefragt dazu. Wanderungen
Eine sehr prägende Erfahrung sammelte ich bei einer Wanderung mit meinem Vater, als ich 9 Jahre alt war. Wir brachen auf, um den Kindelsberg zu besteigen, einen gut 600 m hohen Berg im Siegerland, der zu den Rothaarhöhen gehört. Für diesen Tag hatte ich meinen Vater ganz für mich allein, während meine Mutter und meine beiden Geschwister zu Hause blieben. Meine Eltern waren, als ich noch sehr jung war, bereits dorthin gewandert, allerdings ohne mich. Das muss auch für sie eine sehr schöne Erfahrung gewesen sein, denn mein Vater sprach immer wieder auf dem Weg diese frühere Wanderung an. Wir brachen irgendwann am Morgen auf und machten uns auf den 12 km langen Weg zu dem alten Aussichtsturm, über das Kölsche Heck an Eichen und Krombach vorbei, um dann den steilen Weg hinauf zum Gipfel und dem Turm zu steigen. Bis Schönau kannte ich den Weg noch von sonntäglichen Spaziergängen und durch eigene Exkursionen mit Freunden auf unseren Rollern und Fahrrädern. Aber hinter dem Ort begann für mich Neuland. Mein Vater führte mich aber zielsicher weiter, vorbei an der Weggabelung, die links zum Forsthaus und dem verlassenen Ort Buchlerhof führte, rechts in Richtung Bockenbach ging. Als wir auf der Höhe waren, also der Grenze zwischen Siegerland und unserer Region, marschierten wir unter einer Hochspannungsleitung durch. Erstmals nahm ich das tiefe Summen in den dicken Drähten wahr und mir war schummrig zumute im Wissen, dass dort Strom in einer sehr hohen Spannung durchlief. Was ein Stromschlag bedeutete, wusste ich, denn ich hatte öfter mal einen an der Nachttischlampe meines Vaters bekommen. Er hatte diese seinerzeit in der Firma Müller in Olpe selbst aus Kupfer hergestellt, aber offensichtlich nicht alles ganz sicher isoliert. Ich bin sehr schnell unter den summenden Drähten durchgelaufen und war froh, dann in den Ort Bockenbach abzusteigen. Von da an führte uns der Weg an der für meine damaligen Vorstellungen schon sehr befahrenen Straße weiter bis zum Einstieg in den Wanderweg zum Turm. Wir kamen an der Brauerei vorbei, und mein Vater erzählte mir vor dem Bierbrunnen, dass dort beim alljährlichen Brunnenfest statt Wasser Bier laufen würde, er wies auf einen kleinen Laden in einem älteren, bunten, seltsam auf die Straßenecke gebauten Haus hin und dass er dort bei Körtings sein, unser erstes Radio gekauft habe. Und dann sollte es etwas Besonderes geben: Fleischwurst und Brötchen. Als wir in die Metzgerei kamen, entschuldigte sich die etwas füllige Dame hinter der Theke, dass sie leider keine Wurst vorrätig hätten. Aber, wenn wir ein wenig Zeit mitbrächten, könnten wir sie in einer halben Stunde direkt und frisch aus dem Kessel bekommen. Für mich war es etwas Neues und ich habe es erst nicht verstanden, um was es ging. Aber mein Vater war sofort begeistert, Fleischwurst, heiß und frisch aus dem Kessel! Wann gab es so etwas schon bei uns? Wir trödelten danach die Zeit durch Krombach, bis wir die Wurst und zwei frische Brötchen bekamen. Nun zogen... 




