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E-Book, Deutsch, 398 Seiten

Wolf Neuigkeiten aus Paris

Friedrich Melchior Grimm und seine Zeit
10. Auflage 2022
ISBN: 978-3-7565-4690-9
Verlag: epubli
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection

Friedrich Melchior Grimm und seine Zeit

E-Book, Deutsch, 398 Seiten

ISBN: 978-3-7565-4690-9
Verlag: epubli
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Als Friedrich Melchior Grimm 1748/49 nach Paris kam, war sein 'Rucksack' schon halb gepackt oder besser gesagt: sein Kopf hatte noch viel Platz für Neues. Grimm war der Sohn eines Predigers aus Regensburg, er hatte in Leipzig bei Gottsched und Ernesti studiert, stand nach dem Studium als Hofmeister in Diensten des kursächsischen Gesandten beim Immerwährende Reichstag in Regensburg und hatte sich nichts weniger vorgenommen, als in der Weltkulturhauptstadt Euroas Karriere zu machen. Friedrich Melchior Grimm wusste die vorhandene geistige Gemengelage zu nutzen. Er verstand es, in einem ihm völlig fremden Umfeld in kurzer Zeit auf sich aufmerksam zu machen. Er ergriff Partei für die Gruppe der Aufklärer um Denis Diderot, nahm Stellung zu strittigen Fragen im kulturellen Umfeld seiner Zeit und seine Stimme wurde gehört. Doch Grimm zeigte sich nur kurz auf der für alle einsehbaren Bühne, bald zog er sich hinter den Vorhang zurück und wirkte dort im Stillen für die Sache der Aufklärung. Mit seiner Correspondance littéraire wurde er, ohne dass dies eine größere Öffentlichkeit zur Kenntnis nahm, bald zu einem Kulturvermittler ersten Ranges.

Pensionierter Schulleiter, Diplompädagoge, Arbeiten zur Veränderung von Verhaltensstandards im Bereich der Erziehung im Kontext der Zivilisationstheorie von Norbert Elias, die Zeit der Aufklärung, Friedrich Melchior Grimm und seine Freunde, Kriminalromane um einen ehemaligen Geheimagenten der DDR,
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Die Strahlkraft Frankreichs und seiner
Denker


Grimm schrieb in einem seiner letzten Briefe an Gottsched, dass er mit Maupertius auf vertrautem Fuß stehe: „Maupertius ist seit einem Monat hier, ich habe ihn beim Spaziergang gesehen, und ich werde mit ihm eines Tages bei einem meiner Freunde zu Abend essen.“

Eine solche Mitteilung könnte bei Gottsched unangenehme Gefühle hervorgerufen haben. Friedrich der Große hatte Pierre Louis Moreau de Maupertius 1740 auf Empfehlung Voltaires nach Berlin eingeladen, um ihm die Leitung der Preußischen Akademie der Wissenschaften zu übertragen. Maupertius, der sowohl Mathematiker als auch Naturforscher und Philosoph war, sollte die Akademie leiten, nicht etwa Christian Wolff, der in Deutschland damals als der führende Philosoph angesehen wurde.

Gottsched war Wolffianer und als solcher hatte er sich ebenso wie sein Geistesbruder Ernst Christoph Graf von Manteuffel Hoffnungen auf künftigen Einfluss seiner und Wolffs Lehren gemacht, als 1740 Kronprinz Friedrich die Nachfolge seines Vaters Friedrich Wilhelm I. antrat. Zunächst schien nach der Zurückberufung Wolffs38 für ihn und seine Anhänger das Spiel gewonnen. Was aber folgte, war eine bittere Enttäuschung. Dabei hatte schon ein Jahr vor der Thronbesteigung der ehemalige kursächsische Kabinettsminister und Mäzen des Aufklärers Wolff, Ernst Christoph von Manteuffel, an den Meister geschrieben, der Kronprinz gebe sich mehr und mehr dem Skeptizismus und den französischen Einflüssen hin. Das musste ausreichen, um den Stifter der „neuern Philosophie“ zu belehren, dass seine Wiederberufung nur eine Maßregel zur Hebung der Wissenschaft war. Wolff sollte nicht in seinen alten Wirkungskreis zurückkehren, sondern Mitglied der Akademie werden und damit der Zwecksetzung durch den König unterworfen sein. Auch sollte er einem Institut angehören, von dem Maupertius und Algarotti eine geringe Meinung hatten.Dieses Missgeschick konnte jedoch abgewendet werden: Wolff kehrte mit Zuwachs an Titeln und Würden auf seinen Lehrstuhl in Halle zurück. Nichtsdestotrotz trat seine Philosophie im Denken des Königs in den Hintergrund. Wolffs Urteil über Friedrichs wissenschaftliches Personal in Berlin fiel vernichtend aus: Euler habe „in der Philosophie nicht das A, B, C gelernet“; Maupertius beherrsche nur die Geometrie und besitze ansonsten allenfalls Vorzeigewert für die Akademie; Algoretti vertrete die „abgeschmackte Freydenkerei der Engeländer“ und werde mehr schaden als nutzen. Kurz: „Die mit der Newtonschen Philosophie schwanger gehen, die ich vor non ens (Nichtseiendes) halte, sind überhaupt hoch intoniret, weil sie der große Name Newtons aufgeblasen macht, und die Freydencker meinen auch den höchsten Gipfel der Vernunft erreicht zu haben, da sie die Vernunft und Missgeburten der Einbildungs-Krafft nicht unterscheiden können.“

Die Akademie, der Liebling des Königs in seiner ersten Regierungszeit, wurde vornehmlich mit Franzosen besetzt. Am 12. Mai 1746 wurde Maupertius offiziell zum Präsidenten der Berliner Akademie ernannt. Maupertius hatte gemeinsam mit Voltaire den französischen Newtonismus erfunden. Mit der Berufung von Maupertius wollte Friedrich II. seine Akademie so in Schwung bringen, dass Preußen sich in Europa sehen lassen konnte und tatsächlich gelang es Maupertius in kurzer Zeit, die Berliner Akademie zu einem zentralen Ort der internationalen Forschung zu machen.

Als La Mettrie 1745 seine Abhandlung „Naturgeschichte der Seele“ veröffentlichte, war sein Landsmann Helvétius gerade 30 Jahre alt geworden. Ihm kamen die materialistischen Argumente von La Mettrie gerade recht, um in die philosophischen Überlegungen des damals noch als Steuerpächter tätigen jungen Mannes eingebaut zu werden. Neben dem Skeptizismus und Universalismus eines Fontenelle, dem Sensualismus eines Locke und dem Materialismus eines La Mettrie gehörten auch noch manche Gedanken von Montesquieu zu den Helvétius` prägenden Einflüssen.

Als Grimm Maupertius im Sommer 1753 in Paris sah, hatte dieser jedoch bereits seinen Abschied als Akademiepräsident genommen und war nach Paris zurückgekehrt. Sein Nachfolger in Berlin wurde der Marquis d’Argens. Der Rückkehr von Maupertius nach Paris war ein heftiger Streit mit Voltaire vorausgegangen, der ihn mit dem anonym veröffentlichten Pamphlet Diatribe du Docteur Akakia attackiert hatte. Das Ergebnis dieser Rivalität war, dass Voltaire dem König im Januar 1753 den Kammerherrenschlüssel und seine Orden übergeben ließ und Ende März nach Sachsen abreiste. Maupertius hatte sich zweifellos einige Ungeschicklichkeiten zuschulden kommen lassen. So wurde ihm etwa vorgeworfen, das 1750 formulierte „Prinzip der kleinsten Wirkung“ von Leibnitz abgeschrieben zu haben. Seine Verdienste um die Wissenschaft überstrahlen jedoch gewisse Ungereimtheiten. Maupertius war nicht nur Mathematiker und guter Kenner der Theorien Newtons und Leibnitz, er ging über deren Ansätze hinaus und erkannte, dass Newtons Theorien nicht ausreichten, um etwa biologische Phänomene zu erklären. Er sprach sich gegen den Präformismus39 und den Newtonschen Determinismus aus und bezog auch Position gegen den Kreationismus40. Dies war auch ein Grund, warum er die Ideen von Leibnitz mit in sein Gedankenkonstrukt aufnahm. Ihm und vor allem auch Voltaires Freundin Émilie du Chatelet ist es zu verdanken, dass nun auch der französische Naturforscher Georges-Louis Leclerc de Buffon von den Leibnizschen Ideen inspiriert wurde.

Als Friedrich Melchior Grimm Anfang der 50er Jahre in Paris Bekanntschaft mit Männern wie Rousseau, Diderot, Holbach, D’Alembert, Maupertius u. a. schloss, war Frankreich nicht nur eine politische, sondern auch eine intellektuelle Großmacht in Europa. „Die französischen Schriftsteller, Philosophen und Politiker empfingen zwar wichtige Anregungen aus England, aber sie bildeten diese in eigenständiger Weise weiter und ergänzten sie durch kühne geistige Entwürfe, die dem modernen Denken seine Grundzüge gaben.“41

In Deutschland blieben bis in die 50er Jahre hinein in der Philosophie Leibnitz und Wolff wichtige Orientierungspunkte und in Berlin blockierte trotz der Franzosen immer noch eine stabile Leibnitz-Wolffsche Front den Vormarsch des Newtonismus. Weder Locke noch Newton übernahmen im Handstreich die geistige Regie in Europa. Newtons Thesen wurden noch lange bezweifelt und Locke galt mehrere Jahrzehnte nach seinem Tod im Jahr 1704 keineswegs überall als Leitstern am Philosophenhimmel. Zudem verstand sich durchaus nicht von selbst, was gemeint war, wenn die Namen der beiden Engländer fielen. Dies galt besonders für Newton: Er bediente ebenso die konservativen Bedürfnisse von Theologen nach einem göttlichen Herrscher und Lenker wie er – gewollt oder nicht – einer materialistischen Weltdeutung Vorschub leistete.

Für Grimm öffnete sich der geistige Himmel über Paris, nachdem er Denis Diderot kennenglernt hatte. Der 10 Jahre ältere Diderot hatte 1746 seine „Pensées philosophiques“42 veröffentlicht. Anschließend begann er mit der Arbeit an der Encyclopédie. Um eine Familie unterhalten zu können, hatte sich der stets klamme Diderot dazu entschlossen, englische Werke zu übersetzen. So wurde er etwa beauftragt, den Essay „An Inquiry Concernig Virtue or Merit“ (Eine Untersuchung über Tugend und Verdienst) des englischen Earl of Shaftesbury zu übersetzen. Das prägte nachhaltig sein Verständnis von Philosophie und regte ihn an, sein erstes eigenständiges Werk, die „Pensées philosophiques“ zu verfassen.

Schon im „Essai sur le mérite et la vertu“, der mehr als eine kritische Auseinandersetzung mit Shaftesburys „Inquiry Concerning Virtue or Merit“, denn als reine Übersetzung angesehen werden kann, stellt Diderot an seinen Bruder Didier-Pierre gewandt klar: „Ja, mein Bruder, die Religion, die richtig verstanden und mit aufgeklärtem Eifer praktiziert wird, kann nicht umhin, die moralischen Tugenden zu erhöhen. Sie verbündet sich sogar mit den natürlichen Erkenntnissen; und wenn sie fest ist, wird sie durch den Fortschritt dieser Erkenntnisse nicht in ihren Rechten beschnitten. Wie schwierig es auch sein mag, die Grenzen zu erkennen, die das Reich des Glaubens von dem der Vernunft trennen; der Philosoph verwechselt die Gegenstände nicht; ohne die chimärische Ehre anzustreben, sie zu vereinen; als guter Bürger hat er für sie Anhänglichkeit und Respekt. Der Weg von der Philosophie zur Gottlosigkeit ist so weit wie von der Religion zum Fanatismus; aber vom Fanatismus zur Barbarei ist es nur ein Schritt. Unter Barbarei verstehe ich, wie Sie, jene finstere Veranlagung, die einen Menschen für die Reize der Natur und der Kunst sowie für die Süßigkeiten der Gesellschaft unempfänglich macht. Denn wie sollte man diejenigen, die die Statuen verstümmelten, die sich aus den Ruinen des alten Roms gerettet hatten, anders als Barbaren bezeichnen? [...]. Ich würde gerne sagen, dass die einen und die anderen von der Religion nur ein Gespenst kennengelernt haben. Was wahr ist, ist, dass sie panische Schrecken hatten, die ihrer unwürdig waren; Schrecken, die einst für die Literatur verhängnisvoll waren und die es für die Religion selbst werden konnten. Es ist sicher, dass in diesen ersten Zeiten", sagt Montaigne, "als unsere Religion begann, durch die Gesetze Autorität zu erlangen, der Eifer viele gegen alle Arten von Büchern bewaffnete, wodurch die Gens de Lettres einen wunderbaren Verlust erlitten. Ich glaube, dass diese Unordnung den Büchern mehr Schaden zugefügt hat als alle Feuer der Barbaren. Cornelius Tacitus ist ein...



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