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E-Book

E-Book, Deutsch, Band 2004, 128 Seiten

Reihe: Beck'sche Reihe

Wolfram Die Germanen

E-Book, Deutsch, Band 2004, 128 Seiten

Reihe: Beck'sche Reihe

ISBN: 978-3-406-76457-8
Verlag: C.H.Beck
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Dieses Buch entführt den Leser auf eine kleine Reise in die Welt der Germanen. Herwig Wolfram erläutert darin Herkunft und Mythen, Leben und Wirken der Germanen, porträtiert ihre Stämme und erzählt die Geschichte der 'Völkerwanderung'. Was man über die Geschichte der Germanen wissen sollte – hier ist es einprägsam zusammengefasst.
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I. Die Germanen
Vergleiche, Stehsätze, Gemeinplätze, und was sich daraus machen lässt
Ganz anders als die Gallier sind die Germanen. Das ist die Quintessenz des ethnographischen Exkurses, den Caesar seinem Kommentar über das sechste gallische Kriegsjahr (53 v. Chr.) einfügte. Wie jede Kunde vom Menschen, die wissenschaftliche wie die vorwissenschaftliche, so leben Ethnologie und Ethnographie vom Vergleich; vom Vergleich zwischen dem zivilisierten Subjekt und seinen Objekten, den «primitiven Naturvölkern», wie zwischen den Objekten untereinander. Man verherrlicht die Tugend der Germanen, behauptet, ihre Sitten seien besser als anderswo die Gesetze (Tac. Germ. 19,3), und erinnert damit an die verklärten Ursprünge Roms. Die Germanen seien größer, wilder und kulturloser als die Gallier, und damit ist die Nutzlosigkeit ihrer Unterwerfung erklärt. Die afrikanischen Vandalen gäben sich zuchtloser und verweichlichter als die sittenstrengen und bedürfnislosen Berber, und das wird bis heute als Grund für ihren Untergang angegeben. Ethnologie als Feldforschung und ihre darstellende Schwester, die Ethnographie, sind stets auf der Suche nach dem «Edlen Wilden» gewesen, der einmal moralisch, dann – unseligen Angedenkens – rassisch besser war, neuerdings jedoch ohne jede sexuellen Zwänge sich von unveredeltem Getreide und Kräutern ernährt und auf ungebahnten natürlichen Pfaden rüstig eine gesunde Umwelt durchschreitet. Beide, Ethnologie und Ethnographie, zählen zu den Kulturwissenschaften der zivilisierten Welt, die sie auch für die Beobachtung des Fremden und ganz Anderen niemals völlig verlassen können. Bei der Objektivation, bei der für jede wissenschaftliche Forschung notwendigen Trennung von erkennendem Subjekt und erkanntem Objekt, gelingt es nur schwer, sich von den eigenen Kategorien zu trennen und die des Objekts anzunehmen. Um nicht missverstanden zu werden, die Ethnologie ist eine ernstzunehmende Wissenschaft, und es wäre töricht und im besonderen Falle undankbar, ihre unbestreitbaren Erfolge abzuwerten. Aber die traditionellen ethnographischen Fehler reichen weit bis in die griechisch-römische Antike zurück und bieten heute noch der Satire Stoff und Stil. Dementsprechend heißt es in einer jüngst erschienenen «Völkerkunde Bayerns»: «Ethnology is the study of everybody shorter and darker than you.» Im Falle der antiken Autoren müsste es freilich heißen «größer und heller als Du» (siehe Strabo VII 1,2: Vergleich zwischen Germanen und Kelten). Dass man als Historiker nach den germanomanischen Exzessen des vorvergangenen und der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts heute wieder über die Germanen sprechen und schreiben kann, ist freilich nur den Anleihen bei der Ethnographie und der Übernahme ethnologischer Methoden zu verdanken, wie dies Reinhard Wenskus 1961 in seinem bahnbrechenden Werk «Stammesbildung und Verfassung» so eindrucksvoll getan hat. Sein grundlegender methodischer Fortschritt bestand einmal in der Überwindung jeglicher etatistischer Betrachtungsweise, zum anderen in der Unterscheidung zwischen der Wortwahl der Überlieferung und ihrer Bedeutung: Wenskus schloss an Alfred Doves fast vergessene Überlegungen aus dem Jahre 1916 an. Dabei erkannte er, dass Ausdrücke wie gens, genus-genos, genealogia, natio(n), aber auch der Begriff «Stamm» die Vorstellung einer biologischen Abstammungsgemeinschaft wiedergeben. Diese Gemeinschaft wird von gemeinsamen Ursprüngen und Urvätern hergeleitet, erhebt den Anspruch auf «unvermischte» Bodenständigkeit und kann unbesehen als Vorstufe des modernen Nationalismus dienen. Allerdings besteht die Schwierigkeit, dass man sich als Historiker der gehobenen Alltagssprache bedienen muss und seine Aussagen nicht ständig zwischen Anführungszeichen setzen darf. So wird weiterhin von Stamm und Volk zu sprechen sein, wobei freilich zu erwarten ist, dass der Leser die historische und nicht die aktuelle Bedeutung der Begriffe assoziiert. Die Wirklichkeit sah nämlich ganz anders aus: Wann immer in den Quellen ein antikes oder frühmittelalterliches Volk auftritt, so besteht es aus vielen Völkern, die in einem Heer zusammengefasst sind. Die erfolgreichsten Führungsgruppen dieser Völker verkörpern, ja monopolisieren die Tradition und verstehen sich gleichsam als Abstammungsgemeinschaft aus Überlieferung. Solange diese Traditionsträger erfolgreich sind, geben sie den Anstoß zur Bildung, Abspaltung und Umbildung von Völkern. Die gentile Überlieferung ist die Kunde von den «Taten tapferer Männer». «Die verschiedenen Völker unterscheiden sich nach Herkunft, Sitten, Sprache und Gesetzen» (Regino von Prüm), so oder ähnlich heißt es seit Caesar und Tacitus immer wieder und nicht bloß von den Germanen; dennoch muss der moderne Betrachter aus dieser Vierergruppe zumindest auf die Sprache als stets verbindliche Kategorie verzichten, weil die gentilen Heere Krieger der verschiedensten indogermanischen wie nicht-indogermanischen Sprachgemeinschaften umfassen können. Zahlreich sind die Stehsätze der antiken Ethnographien, die bis heute das Bild von den Germanen im guten wie im schlechten bestimmen. Dabei sind es zumeist die gleichen Eigenschaften, die einmal positiv bis zur Identifikation angenommen oder negativ bis zur Verneinung der Menschlichkeit abgelehnt werden. Diese Betrachtungsweise macht jedoch die antiken Berichte nicht von vornherein wertlos, sofern man das Interesse des Beobachters berücksichtigt. Wenn etwa Tacitus (Germ. 8) das besondere Ansehen germanischer Frauen untersucht, denen er sogar «etwas Heiliges und Prophetisches» zubilligt, erwähnt er zugleich, dass deren Verehrung nicht so weit in Schmeichelei ausartet, dass man aus ihnen Göttinnen macht. Selbstverständlich kritisierte der Autor mit dieser Anmerkung den Kaiserkult seiner Zeit, der auch die Frauen des kaiserlichen Hauses einbezog. Aber Tacitus darf die numinose Bedeutung einer Veleda (= Seherin), die «als Stellvertreterin einer Gottheit» galt, nicht erfinden, soll deren Gegenüberstellung mit der römischen Wirklichkeit Sinn haben. Das Gleiche gilt auch von der allgemeinen Gegenüberstellung der zivilisierten (dekadenten) Welt und der angeblich gesunden unverdorbenen Barbaren. Germanen sind nämlich Barbaren und damit der Bedeutungsvielfalt des Begriffs unterworfen. Vielerlei ist darunter zu verstehen: Zunächst der Nichtgrieche, der lallt, nicht wie ein Mensch sprechen kann und sich dementsprechend wild aufführt; dann der Nichtrömer, für den weiterhin das griechische Barbaren-Bild gilt, das aber durch die Vorstellung der Vernunftlosigkeit erweitert ist. Daraus folgt die barbarische Unfähigkeit, ein auf Recht und Gesetz beruhendes Staatswesen zu errichten, Willkür und Gewalt zu unterdrücken – die «Germanische Freiheit» ist Gegensatz und Bedrohung des «Römischen Friedens» (pax Romana) –, den Wert von Verträgen zu begreifen und sie zu halten. Von hier ist der Weg nur kurz zur Überzeugung von der barbarischen, insbesondere germanischen Treulosigkeit, ein Wort, das zu dem bis heute wirksamen moralischen Barbarenbegriff überleitet. In der Vorstellung von der «Teutonischen Raserei» (Lucanus, Pharsalia I 255f.: furor Teutonicus) sind all diese nicht zuletzt der stoischen Philosophie verpflichteten Wertungen für alle Zeiten aufgehoben worden. Der Germane ist der «zornige Mensch» schlechthin; wie ein wildes Tier erschreckt er andere und wird durch Fremdes leicht in Schrecken versetzt. Er ist zwar einfach und geradlinig, aber ebenso faul wie freiheitsliebend. Zorn, Faulheit und das Verlangen nach Freiheit hängen freilich von der Natur und dem Klima seines Lebensraumes ab. Sein großer Körper ist voller Flüssigkeit, die aber wegen der niederen Temperaturen seiner Umgebung nicht verdampfen kann. Dabei ist der Germane voll innerer Wärme, die leicht zur Erregung führt, weswegen er den Weingenuss besser meiden sollte. Die Germanen greifen schnell zu den Waffen, sind jedoch wenig ausdauernd und zielbewusst. Deshalb können sie auch nicht ihre Felder bestellen; die Kulturstifter Ceres und Bacchus haben ihren Weg nicht zu ihnen gefunden. Wie für Barbaren üblich, tragen die Germanen die Häute wilder Tiere, während der zivilisierte Mensch sich der Wollkleidung bedient. Der Freiheitsdrang ist aber eine so typisch germanische Eigenheit, dass sie dem antiken Ethnographen als Kategorie ethnischer Zuordnung oder Ausschließung dienen kann. Alle germanischen Eigenschaften sind umso stärker ausgeprägt und wilder, je mehr man sich von der Reichsgrenze weg ins Landesinnere Germaniens begibt. Der bekannteste und zugleich umstrittenste Gemeinplatz betrifft die Herkunft vieler germanischer Völker aus...


Herwig Wolfram ist Professor em. für mittelalterliche Geschichte an der Universität Wien.


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