E-Book, Deutsch, 210 Seiten
Woolrich DIE BRAUT TRUG SCHWARZ
1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-7487-0017-3
Verlag: BookRix
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Thriller
E-Book, Deutsch, 210 Seiten
ISBN: 978-3-7487-0017-3
Verlag: BookRix
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Vier Männer sterben. Vier Männer, die nichts miteinander verbindet, außer, dass sie auf eigenartige Weise den Tod fanden - und zuvor eine junge, hübsche Frau kennengelernt haben.... Der Thriller-Klassiker Die Braut trug Schwarz von Cornell Woolrich - erstmals im Jahr 1940 veröffentlicht - ist ein düsteres Noir-Lesevergnügen von einem Meister der Suspense. Der Roman wurde 1968 von François Truffaut unter dem Titel La Mariée était en noir verfilmt - in den Hauptrollen: Jeanne Moreau, Michel Bouquet, Jean-Claude Brialy und Charles Denner.
Autoren/Hrsg.
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Zweiter Teil: MITCHELL
1. Die Frau Miriam - ihren Nachnamen hatte man im Helena Hotel längst vergessen - war eine gedrungene, leicht erregbare Frau mit einer Haut, die wie altes Leder aussah. Es gab nur drei Dinge in ihrem Leben, die ihr wirklich etwas bedeuteten: ihre britische Staatsangehörigkeit, die nicht ihr Verdienst war, sondern die sie einfach durch die Tatsache erworben hatte, dass sie auf Jamaica das Licht der Welt erblickt hatte, ein Paar Ohrringe aus goldenen Münzen und ihr System, die Zimmer sauberzumachen. Kein Mensch hatte je etwas gegen die ersten beiden Dinge einzuwenden gehabt, und die schwachen Versuche seitens der Hotelleitung, ihr in ihr System beim Saubermachen reinzureden, waren bald an ihrem energischen Widerstand gescheitert. Nun war ihr System in der Tat etwas eigenwillig. Die Reihenfolge, in der sie die Zimmer säuberte, hatte weder etwas mit der laufenden Nummerierung noch mit der Lage der einzelnen Räume an den düsteren, knarrenden, unebenen Korridoren zu tun. Sie wischte und putzte nach einem geheimnisvollen Schema, von dem sie keiner abbringen konnte. Ihr System schien irgendwelchen Zauberformeln, die nur ihr bekannt waren, unterworfen zu sein - und wehe dem, der sie aus dem Tritt bringen wollte! Dann hallten ihr Gezeter und ihre Tiraden noch Stunden später durch die muffigen Gänge. »Zimmer vierzehn kommt nach Zimmer siebzehn an die Reihe! Erst muss ich mit siebzehn fertig sein! Ich habe vierzehn noch nie vorher gemacht!« Die Reihenfolge war auch nicht durch irgendwelche Trinkgelder umzustoßen. Abgesehen davon, dass Trinkgelder im Helena Hotel ohnehin höchst selten waren. Wenn man von Miriam verlangt hätte, sie sollte ihr System erklären, hätte sie wahrscheinlich nur mit den Achseln gezuckt und bestenfalls gebrummt: »Is' eben so.« Miriam hatte wieder einmal vierzehn saubergemacht, und es war so sicher wie das Amen in der Kirche, dass nunmehr Zimmer neunzehn an die Reihe kommen würde. Sie schlurfte - in der einen Hand den leicht verrosteten Blecheimer, in der anderen den ausgefransten Schrubber, der noch Schmutzreste von vierzehn aufwies - zum anderen Ende des muffigen Flurs. Sie blieb vor neunzehn stehen, drehte den Schlüssel im Schloss herum und klopfte dann zweimal an die Holztür. Das war eine reine Formsache, denn sie wäre außer sich gewesen, wenn sich der von neunzehn noch in seinem Zimmer aufgehalten hätte. Ihr ganzes System wäre durcheinander gewesen. Der von neunzehn hatte um diese Zeit einfach nichts in seinem Zimmer zu suchen. Sie stieß die Tür von neunzehn resolut auf und trat in das hässliche kleine Einzelzimmer. Die Farbe des Teppichs war im Laufe der Jahre so verschossen, dass jetzt nur noch ein schwammiges graugrünes Etwas den Boden bedeckte. Das einzige Fenster ging in einen Schacht. Hin und wieder verirrte sich ein Sonnenstrahl in den Schacht, durch den das Zimmer aber absolut nicht freundlicher wirkte, denn man sah dann nur deutlicher den Ruß, der vor dem Fenster in der Luft wirbelte. Über dem Bett hing eine Galerie Mädchenbilder. Es waren Fotografien in den verschiedensten Größen alle eingerahmt. Miriam schaute überhaupt nicht mehr zu den Fotos hin, denn die meisten hingen schon seit einigen Jahren da. Und das Bild von dem Mädchen, mit dem der von neunzehn jetzt ging, würde kaum dazukommen. Einfach deshalb, weil es sich das Mädchen nicht leisten konnte, zum Fotografen zu gehen, und weil er das Geld für einen Bilderrahmen nicht aufbrachte. Außerdem war an der Wand über dem Bett sowieso kaum mehr Platz für ein weiteres Bild. Und um an einer anderen Wand neu anzufangen, dazu war er schon zu alt. Zumindest hätte er sich darüber klarwerden sollen, dass er schon zu alt dafür war. Nachdem Miriam das Bett gemacht hatte, wobei sie beachtliche Staubwolken aufwirbelte, ging sie zur Tür und lehnte sie an. Sie tat das keineswegs verstohlen, ihre Bewegung glich eher einer Herausforderung. Sie machte ihrem Ärger auch Luft und brummte vor sich hin: »Dieses blöde Versteckspiel. Immer muss er es verstecken. Was glaubt er denn, wer es ihm wegnimmt? Wer sollte sich denn schon dafür interessieren?« Sie wischte sich mit dem Handrücken über den Mund und öffnete die Tür des Kleiderschranks. Sie bückte sich, fuhr in das Durcheinander aus schmutzigen Hemden auf dem Schrankboden und zog eine Flasche Gin hervor. Sie tat es wie jemand, der ein Kaninchen am Genick fasst und aus einem Loch zieht. Der Anblick der Flasche erfreute sie durchaus nicht, sondern verstärkte eher ihre moralische Entrüstung. »Was glaubt er denn, wer hier außer mir ins Zimmer kommt? Er weiß doch, dass außer mir keiner herein kann. Es ist was Schreckliches mit misstrauischen Menschen.« Sie hob die Flasche an den Mund und nahm einen kräftigen Schluck. Danach schlurfte sie zum Waschbecken und drehte den Kaltwasserhahn auf. Mit traumwandlerischer Sicherheit, die auf langjährige Erfahrung schließen ließ, hielt sie die Ginflasche einen kurzen Augenblick unter den Wasserstrahl und zog sie dann wieder zurück. Mit diesem einen Griff hatte sie in etwa die fehlende Flüssigkeitsmenge wieder aufgefüllt. Das war auch nicht so schwierig, wie man meinen sollte, denn der Misstrauische von neunzehn pflegte bei seinen Flaschen immer deutlich sichtbar die Höhe des Alkoholspiegels mit einem Bleistiftstrich zu markieren. Nach einem prüfenden Blick stellte sie fest, dass sie es zu gut gemeint hatte. Sie korrigierte den Fehler, indem sie noch einen Schluck trank. Dabei redete sie sich langsam in Wut. »Dieser alte Stinkstiefel! Dieser alte Geizkragen!« Ihre Kulleraugen funkelten vor Zorn, und die goldenen Münzen wippten erregt an ihren Ohren. »Eins kann ich ums Verrecken nicht ausstehen. Und das sind Leute, die mir misstrauen!« Sie versenkte die Flasche wieder zwischen den schmutzigen Hemden, schloss den Kleiderschrank und stieß die angelehnte Zimmertür auf. Dann widmete sie sich dem zweiten Teil ihrer Pflichten, der darin bestand, mit dem Schrubber, um den sie einen alten Lappen gewunden hatte, aufs Geratewohl in ein paar Ecken zu fahren. Mitten in dieser spannenden Tätigkeit spürte sie plötzlich, dass jemand sie beobachtete. Als sie den Kopf umwandte, gewahrte sie eine Dame, die auf dem Flur stand und ins Zimmer schaute. Miriam erkannte sofort, dass die Frau nicht im Hotel wohnte, womit sie automatisch in ihrer Achtung stieg. So geringschätzig ihre Meinung über die Hotelgäste und demzufolge ihr Verhalten ihnen gegenüber war, so viel hielt sie von Menschen, die nicht in dem Hotel wohnten. Sie waren ihrer Zuneigung sicher. »Ja, gnä' Frau?«, fragte sie mit höflichem Interesse. »Wollen Sie zu Mr. Mitchell?« »Nein«, antwortete die Dame und schüttelte lächelnd den Kopf. »Ich bin zufällig hier vorbeigekommen und wollte eine Freundin besuchen. Aber sie ist nicht da. Ich wollte gerade wieder zum Fahrstuhl - aber, ich bin wohl versehentlich in die falsche Richtung gegangen...« Miriam stützte sich auf den Schrubberstiel wie ein venezianischer Gondoliere, der sich auszuruhen gedenkt. Sie wünschte, die Dame möge nicht gleich weitergehen. Das tat diese auch nicht. Sie machte einen fast unmerklichen Schritt auf die Türschwelle zu; blieb aber korrekterweise außerhalb des Zimmers. Es sah so aus, als habe sie ein geradezu überwältigendes Interesse an Miriam und einer Unterhaltung mit ihr. Miriam schwoll vor Behagen sichtlich der Kamm. »Wissen Sie«, begann die Dame, die so bezaubernd lächeln konnte und sich mit Miriam offenbar in ein Von-Frau-zu-Frau- Gespräch einlassen wollte, »ich finde immer, dass man sich nur das Zimmer, in dem ein Mensch lebt, anzusehen braucht, um zu sagen, was das für ein Mensch ist.« »Das stimmt! Da haben Sie völlig recht!«, pflichtete ihr Miriam aus vollem Herzen bei. »Nehmen Sie nur einmal das Zimmer hier - das Sie gerade saubermachen und an dem ich zufällig vorbeigekommen bin. Ich weiß nichts über den Menschen, der hier wohnt...« »Über Mr. Mitchell?«, fragte Miriam beflissen. Sie fühlte sich inzwischen von der Dame fast magnetisch angezogen. Ihr Kinn ruhte bewegungslos auf der Kuppe des Schrubberstiels. Die Dame machte eine gleichgültige Handbewegung. »Mitchell, oder wie immer er heißen mag - ich kenne ihn nicht, und ich habe ihn nie gesehen. Aber ich werde Ihnen sagen, was mir dieses Zimmer über ihn sagt - verbessern Sie mich, wenn ich mich irre.« Miriam wand sich förmlich vor Vorfreude. »Fangen Sie nur an«, sagte sie. »Er ist nicht sehr ordentlich. Die Krawatte da, die er um den Bettpfosten geschlungen hat...« »Er ist ein Liederjan«, bestätigte Miriam grimmig. »Er hat nicht viel Geld - aber das würde mir schon das Hotel als solches sagen; es kann nicht teuer sein.« »Er ist seit genau acht Jahren immer eineinhalb Monate mit der Miete im Rückstand«, pflichtete Miriam trübe bei. Die Dame machte eine kurze Pause, jedoch nicht wie jemand, der versucht, einem etwas weiszumachen, sondern wie jemand, der seine Worte erst sorgfältig abwägt, ehe er sie ausspricht. »Er arbeitet nicht«, sagte sie schließlich. »Im Papierkorb liegt die heutige Morgenzeitung. Ich kann es von hier aus sehen. Wahrscheinlich steht er spät auf und liest erst eine Weile, ehe er für den Rest des Tages das Haus verlässt.« Miriam nickte hingerissen. Sie konnte ihren Blick nicht von diesem allwissenden Wunderwesen lassen. Wenn jemand den Schrubberstiel umgestoßen hätte, wäre sie wahrscheinlich, ohne es zu merken, in der halbvorgebeugten Stellung stehengeblieben. »Er ist stinkfaul und tut überhaupt nichts. Er lebt von...