E-Book, Deutsch, 336 Seiten
Reihe: wbg Paperback
Bremm 70/71
2. durchgesehene Auflage 2023
ISBN: 978-3-534-74733-7
Verlag: wbg Edition
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Bismarcks Sieg über Frankreich
E-Book, Deutsch, 336 Seiten
Reihe: wbg Paperback
ISBN: 978-3-534-74733-7
Verlag: wbg Edition
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Das Spezialgebiet des Historikers und Publizisten Klaus-Jürgen Bremm ist die Technik- und Militärgeschichte. Von ihm stammt die erste Darstellung zum Deutsch-Österreichischen Krieg »1866. Bismarcks Krieg gegen Habsburg«. Daneben veröffentlichte Bremm zahlreiche sehr erfolgreiche Sachbücher wie »70/71. Preußens Triumph über Frankreich und die Folgen« und »Die Türken vor Wien« oder »Normandie 1944. Die Entscheidungsschlacht um Europa«. Vor »1864« erschienen von ihm bereits Bücher zu den beiden späteren Einigungskriegen: »1866. Bismarcks deutscher Krieg« und »70/71. Bismarcks Sieg über Frankreich«.
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Inhalt
Einleitung – Das Ende der Grande Nation und der Siegeszug der allgemeinen Wehrpflicht 7
Bis zum ersten Schuss 15
Paris 1867 – Das Zweite Kaiserreich noch einmal als Mittelpunkt Europas 15
Preußisches Prävenire – Erzherzog Albrechts geheime Reise nach Paris und die spanische Thronkandidatur 27
Zwei Nationen und ein überraschender Krieg 46
Der Weg nach Sedan – Das Preußische Heer und das Militär des Norddeutschen Bundes im Zeitalter von Heeresreorganisation und Einigungskriegen 56
Der Krieg gegen das Kaiserreich 67
Frankreich 'wurstelt sich durch' – Marschall Edmond Leboeufs großes Aufmarschfiasko 67
Die Franzosen kommen nicht – Der Aufmarsch der verbündeten deutschen Armeen im Juli 1870 77
Die ersten Siege – Weißenburg, Wörth und Spichern 85
Drei Schlachten um Metz – Bazaine in der Falle 100
Sedan – Der Marsch der Armee von Chalons in den Untergang 115
Hungrig, frierend, ahnungslos – Die Soldaten im Feld 133
Finanzmisere, Frauenvereine und Friedenssehnsucht – Die Heimatfront 149
Der Kampf gegen die Republik 161
Chaos und Karneval – Paris am 4. September 1870 161
Paris im Herbst 1870 – Eine Weltmetropole von der Welt abgeschnitten 172
Exempel an einer alten Reichsstadt – Die Beschießung und Kapitulation von Straßburg 181
Die letzte Bastion des Kaiserreiches – Die Belagerung von Metz bis zur Übergabe nach 70 Tagen 187
Drei Schlachten um Orléans – Artenay, Coulmiers und Loigny-Poupry 198
Auch Faidherbe kann Paris nicht retten – Der Krieg an der Somme 211
'Man muss mehr Rauch von brennenden Häusern sehen' – Der Krieg gegen Franctireurs und Zivilisten 217
Das Kaiserreich und die Dritte Republik – Geburt zweier Staaten 225
'Die deutsche Einheit ist gemacht, und der Kaiser auch' – Bismarcks Reichsgründung in Versailles 225
Hunger, Kälte und Bombenterror – Paris zwischen Siegesfantasien und Verzweiflung 235
Der Untergang der Armee Bourbakis – Frankreichs zweites 'Sedan' 243
Waffenstillstand und Wahlen – Frankreich stimmt für das Ende des Krieges 253
Ersatzrevanche einer geschlagenen Armee – Die Vernichtung der Pariser Kommune 259
'Nur Faust, kein Kopf, und dennoch siegen wir' 272
Bismarcks Reichsgründung – Ein europäischer Glücksfall 277
Anhang 289
Anmerkungen 290
Literatur 319
Personenregister 329
Einleitung –
Das Ende der Grande Nation und der Siegeszug der allgemeinen Wehrpflicht
»Die Franzosen haben bis jetzt die erste Rolle in der Welt gespielt. Seit dem vorigen Jahre drohen wir, diese Rolle ihnen abzunehmen. Sie empfinden eine verzeihliche Empfindlichkeit über diese Zumutung. Eitel wie sie sind, gehen sie so weit, ihren Ehrenplatz nicht im Guten zu zedieren. Deswegen suchen sie Händel mit uns, um uns darüber zu belehren, dass wir nur die dummen Österreicher geschlagen haben, und dass sie nach wie vor die große Nation sind.«
Rittmeister Alfred Graf von Schlieffen am 6. Mai 1867 aus Paris an seine Verlobte1
Der Feind habe uns nur äußerlich besiegt, schrieb im Januar 1871 ein verzweifelter Jules Michelet in seinem Florentiner Exil, aber, so fügte der große Historiker der Französischen Revolution mit trotzigem Stolz hinzu, den moralischen Sieg habe der barbarische Gegner dennoch nicht errungen. Obwohl vergewaltigt und geplündert sei Frankreich nicht zu Boden geworfen. Es bleibe Frankreich, stark, Furcht einflößend und groß!2
Der Krieg zwischen Frankreich und Deutschland, der am 19. Juli 1870 als Krieg zwischen dem Zweiten Kaiserreich und der preußischen Monarchie begonnen hatte, lag, als Michelet seinen pathetischen Appell an ein scheinbar gleichgültig zuschauendes Europa verfasste, in den letzten Zügen. Am 18. Januar 1871 hatten die deutschen Fürsten im Spiegelsaal des Versailler Schlosses Wilhelm I. von Preußen zum Kaiser ausgerufen. Das hungernde Paris stand unmittelbar vor der Kapitulation und von den drei Hauptarmeen der Republik waren zwei bereits bei Le Mans und St. Quentin zerschlagen, die dritte Streitmacht unter General Charles Bourbaki im Juragebirge blockiert, sodass sie sich zehn Tage später im Schweizerischen Grenzort Les Verrières entwaffnen und internieren lassen musste. Mehr als ein halbes Jahr war der Krieg mit aller Härte und zuletzt unter extremer winterlicher Kälte ausgefochten worden. Erst dann sah Frankreichs »Regierung der Nationalen Verteidigung« ein, dass die Niederlage sowie der Verlust von Metz und Straßburg nicht mehr abzuwenden waren, und willigte in einen Waffenstillstand ein, der vier Wochen später zum Abschluss eines Vorfriedens führte.
Seit dem Krieg sind fast anderthalb Jahrhunderte verstrichen. Kaiserreich und Dritte Republik, die beide aus dem Konflikt von 1870/71 hervorgingen, sind längst wieder aus der Geschichte verschwunden. Angesichts zweier Weltkriege und einer inzwischen fortschreitenden europäischen Integration scheint es, dass eine neuerliche Betrachtung der dramatischen Geschehnisse zwischen Emser Depesche und Frankfurter Frieden nur noch antiquarischen Bedürfnissen dienen kann. Von beiden Generalstäben sind die militärischen Operationen bereits vor mehr als einem Jahrhundert mit detailfreudiger Akribie dargestellt worden. Zuletzt hat sie der Brite Michael Howard in seinem Standardwerk ausgewogen und pointiert beschrieben.3 Die Untersuchung der politisch-diplomatischen Vorgeschichte des Krieges brachte allerdings auch nach Freigabe aller Quellen kein eindeutiges Resultat. Bismarcks Verhalten in der Frage der spanischen Kandidatur bleibt bis heute rätselhaft, doch es spricht viel für die Vermutung, dass der Kanzler des Norddeutschen Bundes im Frühjahr 1870 den Krieg mit Frankreich provozieren wollte, um eine scheinbar schon Gestalt annehmende Koalition der Besiegten von 1866 zu verhindern.4
Obwohl dieser letzte für Deutschland siegreiche Krieg sich schon lange dem allgemeinen Gedenken entzogen hat, sind zwei der aus ihm hervorgegangenen Resultate noch bis heute gültig. 1870 war das Jahr, in dem die Grande Nation, die den europäischen Kontinent seit dem Ende des Dreißigjährigen Krieges mit ihrer verfeinerten Kultur befruchtet und zuletzt mit ihren revolutionären Ideen terrorisiert hat, unwiderruflich in die zweite Reihe der Mächte Europas treten musste. Mit seiner für ganz Europa überraschenden und totalen Niederlage gab Frankreich endgültig seinen privilegierten Platz unter den Nationen an die bis dahin gönnerhaft belächelten Deutschen ab.5 Jules Michelet hatte geirrt, wenn auch in großartiger Rhetorik. Nach 1871 war Frankreich nie mehr wirklich groß und Furcht einflößend. Die einst verhockten Deutschen mit ihren wunderlichen Narrheiten, ihrem Mangel an Gewandtheit und ihrer Vorliebe für ein zurückgezogenes Dasein, wie sie während der Herrschaft Napoleons Germaine de Staël-Holstein, eine Tochter des letzten Finanzministers unter Ludwig XVI., Jacques Necker, nicht ohne Sympathie den Franzosen so eingängig beschrieben hatte,6 waren plötzlich zu berechnenden Technokraten mutiert. In allen Dingen, die er studiert habe, sei ihm immer die Überlegenheit des deutschen Verstandes und der deutschen Arbeit aufgefallen, befand der Historiker Ernest Renan nach dem Bekanntwerden der Kapitulation von Sedan im vertrauten Pariser Kreis. Ihre Überlegenheit liege nicht nur in der Kriegskunst, die zwar nur eine untergeordnete, aber doch komplizierte Kunst sei. Die Deutschen seien sogar, so behauptete der Sorbonneprofessor nach dem Zeugnis Edmond de Goncourts, »eine überlegene Rasse«.7
Mit atemberaubender Schnelligkeit hatten seit August 1870 die deutschen Armeen das Kartenhaus französischer Selbstüberschätzung und Realitätsverleugnung zum Einsturz gebracht. Der Botschafter Napoleons in Washington, Lucien Anatol Prévost-Paradol, hatte weitaus mehr Wirklichkeitssinn als der Republikaner Jules Michelet bewiesen und seinen Landsleuten eine empfindliche Niederlage im bevorstehenden Krieg prophezeit. Dem jungen Grafen Maurice de Hérisson versicherte er, dass die Franzosen im eigenen Lande zerschmettert würden, ehe er sich in der Nacht zum 20. Juli 1870 aus Verzweiflung eine Kugel in den Kopf schoss.8 Schon zwei Jahre vor Kriegsausbruch hatte der liberale Publizist in seiner Schrift La France nouvelle, gewarnt, dass ein Waffengang mit den Deutschen die Grande Nation auf den Status einer Mittelmacht reduzieren würde, die nur noch »einfluss- und ehrlos in ihren Ruinen dahinvegetieren« könne.9 Tatsächlich wurde Frankreich bei stagnierender Bevölkerung in Wissenschaft, Technik und Wirtschaftskraft von den seit 1871 vereinigten Deutschen in wenigen Dekaden weit hinter sich gelassen. Der forcierte Ausbau seines afrikanischen Kolonialreiches konnte den politischen Bedeutungsverlust nicht aufhalten und zu Beginn des 20. Jahrhunderts galt das von der Dreyfus-Affäre sowie von ständigen Unruhen und Streiks gespaltene Land bereits als gescheiterter Staat. Frankreich siegte noch einmal im Ersten Weltkrieg, dem Grande Guerre, über Deutschland, aber nur mithilfe der halben Welt. Im nächsten Krieg siegte es dann gar nicht mehr. Seine Aufnahme in den Kreis der Siegermächte von 1945 war bereits eine politische Farce. Kein Beschwören hoher Prinzipien von Zivilisation und universaler Humanität, keine pompösen militärischen Inszenierungen auf den Champs-Élysées, kein geschenkter Platz im Weltsicherheitsrat, und nicht einmal seine Nuklearbewaffnung haben an der seit 1871 besiegelten Zweitrangigkeit Frankreichs etwas zu ändern vermocht. Dagegen haben selbst zwei verlorene Weltkriege, vier Dekaden der Teilung und zuletzt sogar François Mitterrands fatale Initiative zur Abschaffung der Deutschen Mark den ersten Rang Berlins in Europa bis heute nicht dauerhaft infrage stellen können.
Die historische Forschung in Deutschland hat den Krieg von 1870/71 seit der Weimarer Republik aus nachvollziehbaren Gründen lange vernachlässigt. Das »Zeitalter der Weltkriege« hatte sich zwischen den heutigen Betrachter und ein fernes Ereignis geschoben, von dem gelegentlich noch verwitterte Kriegerdenkmäler und etliche Straßennamen einer gewöhnlich ignoranten Anwohnerschaft Kunde zu geben versuchen. Wer aber noch im Groben oder gar im Detail Kenntnis der Ereignisse von 1870/71 hat, dürfte eher von dem damaligen deutschen Triumphgeheul peinlich berührt sein und die Reichsgründung als Vorstufe zu den Katastrophen des 20. Jahrhunderts deuten. Allenfalls als Vorform einer sich im 20. Jahrhundert entgrenzenden totalen Kriegführung erschien der Krieg Preußens und seiner Verbündeten gegen Frankreich für Historiker noch interessant.10 Hervorgegangen aus einem diplomatischen Tauziehen hinter den Kulissen war er nach dem raschen Sturz des Kaiserreiches vollends zu einer Auseinandersetzung zweier Nationen eskaliert. Die in allen Anfangsschlachten klar geschlagenen Franzosen versuchten verzweifelt mit einer neuen Levée en masse den längst verblassten Geist ihrer ersten Revolution wiederzubeleben. Es reichte immerhin, die Deutschen anfänglich in Verlegenheit zu bringen. Um dem Krieg eine Wende zu geben, fehlten Frankreichs neuen Armeen freilich Disziplin, militärisches Können und vor allem die Zeit.
Gleichwohl sprach Helmuth Graf von Moltke, Chef des Generalstabs der Preußischen Armee und siegreicher Heerführer, im Rückblick von einem »Volkskrieg« als neuer mörderischer Form militärischer Konflikte und warnte 1890 im Reichstag nur wenige Monate vor seinem Tod vor einem neuen Siebenjährigen oder gar Dreißigjährigen...