E-Book, Deutsch, Band 1, 380 Seiten
Reihe: Catching Magic
Caspar Catching Magic 1: Berührt von der Dunkelheit
20001. Auflage 2020
ISBN: 978-3-646-60627-0
Verlag: Carlsen
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Magische Urban Fantasy zum Verlieben
E-Book, Deutsch, Band 1, 380 Seiten
Reihe: Catching Magic
ISBN: 978-3-646-60627-0
Verlag: Carlsen
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Anna-Sophie Caspar, geb. 1986, hat sich schon als Kind kleinere Geschichten ausgedacht. Wenn sie nicht gerade schreibt oder durch die Welt reist, analysiert sie die Sterne und die Wirkung des rückläufigen Merkurs in ihrem Geburtshoroskop. Man munkelt, dass ihre magische Fähigkeit darin besteht, Notizbücher vollzukritzeln.
Autoren/Hrsg.
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Kapitel 2
Blake
Es war ein verregneter Vormittag und wir lungerten zu dritt – Lucy etwas verkatert von der Party am Vorabend und ich nur müde – zusammen mit Nell im Wohnzimmer herum. Dicke Regentropfen prasselten gegen die Fenster und perlten langsam herunter. Ihr Schatten zeichnete ein Muster auf Nells Gesicht, die davor auf dem Boden hockte, was ihre kastanienbraunen Augen dunkler wirken ließ, als sie eigentlich waren. Mit den Fingerspitzen strich sie sich ihre langen rotgefärbten Haare hinter die Ohren und betrachtete die aufgerissenen Briefe und Ordner, die um sie herum lagen.
An ihren Händen, ihrer Schläfe und an einigen Strähnen ihrer Haare klebten getrocknete Farbreste. Die Leinwand auf der Staffelei stand in der Ecke unseres Wohnzimmers und das Bild, das sie gemalt hatte, war wirklich schön geworden. Es war ein Wirrwarr aus harmonischen Farben, aus denen schemenhaft zwei Silhouetten hervortraten, die sich voneinander abwandten.
»Keine Ahnung, wie wir die Rechnungen bezahlen sollen!«, holte Nell meine Aufmerksamkeit zu unserem eigentlichen Vorhaben zurück. Sie warf drei Briefe übereinander und kräuselte ihre spitze Nase wie immer, wenn sie nachdachte. »Das sind fast zwei Monatsmieten. Und wir sind mit der letzten Monatsmiete schon in den Dispo gegangen.«
»In zwei Wochen bekomme ich das Gehalt von meiner letzten Promotion-Aktion«, sagte ich.
»Und ich von meinem Aushilfsjob im Hotel«, fügte Lucy hinzu.
Resigniert schüttelte Nell den Kopf. »Das reicht gerade mal für die Hälfte.«
Unwillkürlich dachte ich an die Visitenkarte von diesem Senior, verwarf den Gedanken aber schnell wieder. Was auch immer er uns für einen Job anzubieten hatte, wir würden auch was anderes finden. Ich schnappte mir die Tageszeitung und mein Smartphone, legte mich bäuchlings auf den Teppich und überflog die Stellenanzeigen.
Das Klingeln an der Tür ließ mich kurz aufhorchen, aber Lucy sprang bereits auf. »Das ist Gregory.« Sie betastete ihre leicht angeschwollenen Augen. »Sehe ich sehr verheult aus?«
»Kaum«, flunkerte ich, weil ich genau wusste, wie nervös sie die Wahrheit machen würde. Nell schwieg. So wie Lucy aussah, musste sie die ganze Nacht durchgeweint haben. Wenn ich gewusst hätte, wie sehr ihr das Ganze zu schaffen machte, hätte ich fünfmal überlegt sie zu überreden, bei MYSTERY X mitzumachen. Nell und ich hatten im Gegensatz zu Lucy keinen besonderen Ruf zu verlieren.
Mit dem Kugelschreiber kreiste ich eine Stellenanzeige ein, in der sie Geschenke-Einpackerinnen in einem Einkaufszentrum suchten und googelte dann den Namen der Firma. Ich prüfte immer, wie sie zahlten, was andere in Foren schrieben, ob es ein guter Arbeitgeber oder ein Halsabschneider war. Wenn ich mehr positive als negative Beiträge fand, dann bewarb ich mich. Meistens bekam ich den Job, schließlich legten sie es auf Studenten und Schüler an, die sich für so einen geringen Lohn die Füße in den Bauch standen. Oft konnte man sich den Stundenlohn durch die Trinkgelder etwas aufbessern, wenn man dickes Make-up auftrug und immer freundlich lächelte.
Als Lucy wieder ins Zimmer kam und ich kurz aufblickte, um Greg zu begrüßen, klappte mir der Mund auf. Es war nicht Greg, den Lucy mit ins Wohnzimmer brachte, sondern ein Mann Ende zwanzig, in einem maßgeschneiderten Designeranzug, mit am Hals auslaufenden Tattoos, die seinem hübschen Gesicht eine geheimnisvolle und zugleich bedrohliche Ausstrahlung verliehen. Mit einer flüchtigen Handbewegung wischte er sich die regennassen Haare aus dem Gesicht. Seine dunklen Augen begutachteten erst Nell, dann richtete er sie auf mich. Unwillkürlich erhöhte sich mein Puls und ich hoffte, dass man mir meine plötzliche Anspannung nicht anmerkte.
»Ich hatte gehofft, dass du mich anrufst«, sagte er, ohne zu grüßen.
Im Augenwinkel merkte ich, wie Nell und Lucy vielsagende Blicke austauschten und setzte mich hastig auf. »Woher weißt du, wo ich wohne?«, fragte ich. Warum war meine Stimme so kratzig?
»Aus dem Telefonbuch«, sagte er und sein Mund deutete ein Lächeln an. Aus dem Telefonbuch? Warum glaubte ich ihm das nicht?
»Verfolgst du …«, begann ich und ignorierte die Hitze, die meinen Hals hochstieg. Seine Anwesenheit machte mich nervös und ich versuchte den Ärger darüber zu verdrängen.
»Wer bist du überhaupt?«, fragte Nell, bevor ich weitersprechen konnte.
Seine Augen blitzten in ihre Richtung und musterten sie kurz bevor er antwortete. »Ich bin Skylar Morrell.«
»Und was willst du von Blake?«, fragte Lucy. Sie verschränkte ihre Arme und lehnte sich in den Türrahmen.
»Was möchte ich von euch?«, korrigierte er sie mit seiner rauen Stimme.
»Von uns?« Jetzt wurde auch Nell hellhörig.
»Ich bin hier, weil ich euch im Fernsehen gesehen habe«, sagte Skylar und lächelte schief. »Stimmt es, dass ihr jeden Fall lösen könnt?«
Es war, als hätte jemand Lucy und Nell gleichzeitig geohrfeigt, so plötzlich wichen die erwartungsvollen Blicke aus ihren Gesichtern.
»Ja«, sagte Nell gedehnt, stand auf und setzte sich in den einzigen Sessel im Raum. »So wie Chip und Chap.«
»Wie oft soll ich mich denn noch entschuldigen?«, fragte ich genervt und funkelte Skylar böse an, der nur amüsiert grinste.
Ja, ich hatte Chip und Chap zitiert, aber zu meiner Verteidigung: Ich war so aufgeregt gewesen, dass es mir gar nicht aufgefallen war. Außerdem hatte ich nur gesagt: Wir lösen jeden Fall, das Böse hat nie Zeit, sich auszuruhen. Hinterher, bei der Ausstrahlung, hatten sie meine Worte dann mit dem Titelsong der Kinderserie unterlegt, die in Erdhörnchenstimmen Chip, Chip, Chip, Chip und Chap, den Bösen geht es schlecht, sie lösen jeden Fall … sangen.
Offenbar erwartete er keine Antwort, denn er redete sofort weiter. »Wir wurden gestern Abend leider unterbrochen. Ich habe dir meine Nummer zugesteckt, weil ich ein Jobangebot für euch habe.«
Nell musterte ihn interessiert. Sie straffte die Schultern und hob ihr Kinn, während Lucy misstrauisch ihre Stupsnase rümpfte.
»Darf ich?« Er deutete auf einen der Esstischstühle und zog ihn vor, während Nell zustimmend nickte und ihn Platz nehmen ließ.
»Ich weiß, wer du bist«, sagte Lucy.
»Tatsächlich?« Fragend runzelte er die Stirn und ich war mir nicht sicher, ob ein Funken Sarkasmus in seiner Stimme mitschwang.
»Du bist ein Senior aus der Loge meines Freundes«, antwortete sie.
Er lächelte träge, beugte sich vor und stützte seine Arme auf seinen Beinen ab. »Ich hasse das Wort Senior und der Zirkel, dem ich angehöre, ist unabhängig. Er ist viel älter als jede Loge dieser Welt.« Seine Stimme klang so hart wie seine Worte, als würde er seine ganze Abneigung gegen die elitäre Verbindung hineinlegen. »Wir haben Kontakt zu sämtlichen Logen und Bruderschaften und wir rekrutieren lediglich die besten Mitglieder. Aber mal unter uns, die Auswahl hält sich in Grenzen. Die meisten sind versoffene, faule Müttersöhnchen, die das ganze Studium über Partys, Opern oder andere kulturelle Veranstaltungen besuchen in der Hoffnung auf Vitamin B, um nach dem Studium sofort einen hohen Posten in einer lukrativen Branche zu bekommen. Solche Leute suchen wir nicht. Noch weniger können wir sie gebrauchen.«
Lucy schnappte nach Luft, als holte sie zu einem Gegenangriff aus, aber Skylar ließ ihr keine Möglichkeit etwas zu sagen.
»Aber deshalb bin ich nicht hier«, sagte er und setzte sich wieder auf. »Sondern weil ich einen Job für euch habe und ihr genau die richtigen Voraussetzungen dafür mitbringt.«
»Und die wären?«, fragte Nell.
»Ihr könnt arbeiten, ihr erfüllt eure Aufträge und vor allem schreckt ihr nicht vor übernatürlichen Phänomenen zurück.«
»Soll das ein schlechter Scherz sein?«, bellte Lucy. Hektische Flecken erschienen auf ihrem Dekolleté und an ihrem Hals. »Es reicht schon, dass ich mir diesen Quatsch den ganzen Tag in der Uni anhören muss. Wir glauben nicht an übernatürliche Phänomene, das war nur eine blöde Fernsehsendung!« Mit ausgestrecktem Arm deutete sie auf die Haustür. »Bitte verlass unsere Wohnung.«
»Das ist kein Scherz«, entgegnete er, ohne die Miene zu verziehen. »Ich meine es ernst.«
Er musterte sie eindringlich, sah dann zu Nell und mir. Ich funkelte ihn böse an. Durch seine blöden Kommentare zu dem ganzen übernatürlichen Quatsch machte er die Situation schlimmer, als sie schon war. Ich hatte gehofft, dass der Fernsehauftritt endlich in Vergessenheit geriet, dass Gras über die Sache wuchs, aber stattdessen tauchte Skylar hier auf und stach immerzu mit seinem Finger in die offene Wunde, als würde es seiner sadistischen Persönlichkeit Spaß machen. Ich schaffte es nicht, seinem Blick standzuhalten und starrte auf einen Papierschnipsel am Boden. Etwas an ihm machte mich nervös und ich verstand es nicht. Sein Charme konnte es jedenfalls nicht sein. Vielleicht war es ein Angstreflex, der mir signalisierte, dass ich bei ihm besonders vorsichtig sein musste. Eine verschlüsselte Botschaft meines Unterbewusstseins, das mich auf diese Weise warnen wollte.
»Vielleicht überzeugt euch das.« Langsam erhob er sich, zog aus der Innentasche seines Jacketts ein dickes Briefkuvert, hielt einen Augenblick inne und reichte es Nell. »Das ist die Anzahlung«, sagte er. »Die andere Hälfte bekommt ihr, wenn der Auftrag erledigt ist.«
Nell öffnete das Kuvert und zog einen Stapel Hundertpfundscheine heraus. Sie fächerte ihn durch und sah dann mit großen Augen in meine Richtung. Es fehlte nur noch, dass Dollar-Zeichen darin aufblinkten. »Das sind mindestens dreitausend...