E-Book, Deutsch, 322 Seiten
Dammann Resonanzpädagogik in der schulischen Praxis
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-7799-9111-3
Verlag: Beltz Verlagsgruppe
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Demokratiebildung aus resonanztheoretischer Perspektive
E-Book, Deutsch, 322 Seiten
ISBN: 978-3-7799-9111-3
Verlag: Beltz Verlagsgruppe
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Barbara Dammann, Jahrgang 1978, Dr., ist Oberstudienrätin am Walddörfer Gymnasium in Hamburg und Lehrbeauftragte der Fakultät für Erziehungswissenschaft an der Universität Hamburg. Ihr Arbeitsschwerpunkt ist die Verzahnung von universitärer Forschung und schulischer Praxis mit Fokus auf Resonanzpädagogik und Projektdidaktik.
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2Methodologie Projektdokumentation
2.1Die Dokumentation eines Langzeitprojektes: Forschungsstand und Methodik
Die Projektdokumentation soll den Spagat zwischen der notwendigen Reduktion des Geschehenen und einer nachvollziehbaren, die verschiedenen Stimmen der Projektbeteiligten berücksichtigenden Darstellung des Langzeitprojektes leisten. Bei der Sichtung ähnlicher Projekte fällt auf, dass es kein etabliertes Vorgehen der pädagogischen Langzeitdokumentation gibt.8 Es ist eine Forschungslücke zu konstatieren, die die Frage nach einem zielführenden Vorgehen aufwirft.
2.1.1Wie soll die Dokumentation aussehen?
Im Journalismus werden Bericht, Feature und Reportage als verschiedene Möglichkeiten unterschieden, mit Worten zu filmen, ein „Kino im Kopf“ entstehen zu lassen (Bleher und Linden 2015, S. 11). Während der klassische Bericht sachliche Distanz herstellt und informiert, versuchen sich Feature und Reportage an unterschiedlichen Schattierungen der Nahaufnahme. Dabei scheint die Reportage für die Dokumentation, Verständigung und Auswertung von Unterricht didaktisch besonders sinnvoll, geht es in dieser Darstellungsform doch explizit darum, die Leserinnen und Leser das Geschehen miterleben zu lassen, also besondere Erlebnisnähe zu erzeugen, indem handlungsbetont und szenisch erzählt wird. Die Reportage veranschaulicht einen Sachverhalt anhand von konkreten Beispielen und Personen, sie geht ausschnitthaft vor und verdichtet dadurch.
Sucht man nach der auf spezifisch schulische Kontexte zugeschnittenen Textsorte der Unterrichtsreportage wird man jedoch nur spärlich fündig; im Fachportal Pädagogik wird sie explizit zweimal als Stichwort auf der Titelebene ausgegeben (Schmidt-Walther 1982, Grammes 2017). Erst Grammes untersucht das Potenzial dieser Darstellungsform systematisch und beschreibt sie als gewinnbringenden journalistischen Zugang, um Unterricht abzubilden, da sie eine „mittlere journalistische Ebene zwischen komplexen interpretativen Forschungsprotokollen und normativen fachdidaktischen Theorien über Unterricht“ darstelle (Grammes 2017, S. 233). Weiter benennt er die oben konstatierte Forschungslücke einer etablierten Teildisziplin der narrativen Unterrichtsdokumentation und verweist auf die Unterrichtsreportage als „eine Art Zwischenstockwerk“, das dazu beitragen könne „die verbreitete Sprachlosigkeit im Erzählen und Berichten von Politikunterricht zu bearbeiten“ (Grammes 2017, S. 233). Was für den Politikunterricht konstatiert wird, gilt analog für andere Unterrichtsbeobachtungen. Die Reportage, wie Grammes sie am Beispiel der Gesellschaftslehrestunde „Im Schwimmbad“ illustriert, scheint deswegen so geeignet, Unterricht erzählbar zu machen, da sie zum einen Handlungen fokussiert, sich entsprechend darauf beschränkt, was zu sehen ist, wörtliche Äußerungen aufnimmt sowie eigene Interpretationen und Erklärungen weitgehend vermeidet. Durch die vorwissenschaftliche, beschreibende Alltagssprache fokussiere sie den Blick auf die Praxislogik, in der Fachunterricht „als Zug-um-Zug-Geschehen“ wahrnehmbar werde. Dies sei deswegen (hochschul-)didaktisch günstig, da es „der Intention einer phänomenologischen und ethnographischen fachdidaktischen Forschungshaltung“ entspräche (Grammes 2017, 232?f.).
Nun ist es ein anderes Vorhaben, ein einzelnes Unterrichtsgespräch oder eine wenige Minuten umfassende Unterrichtssituation in Form einer solchen Unterrichtsreportage wiederzugeben, als über ein knapp zweijähriges Schulprojekt in all seiner Fülle, mit allen zugehörigen Seitensträngen und Nebenschauplätzen zu berichten. Die Form der Unterrichtsreportage eignet sich in meiner Projektdokumentation entsprechend immer dann, wenn der Fokus auf bestimmten, sehr konkreten (Unterrichts-)Szenen liegt, die in dieser Darstellungsform eingefangen und kommunizierbar gemacht werden können.
Auf der Suche nach einem übergeordneten Dokumentationsformat werde ich im Folgenden exemplarische Modelle von unterrichtlichen Langzeitdokumentationen auf Sprache und Stil, auf ihre Struktur und Erzähllogik hin untersuchen, um daraus Folgerungen für die eigene Vorgehensweisen der Narration zu treffen. Dabei fokussiere ich auf die Verschriftlichung von Langzeitprojekten, da die AutorInnen vor ähnlichen Herausforderungen, etwa der des notwendigen Reduktionprozesses, der Suche nach einer geeigneten Erzählperspektive und dem Umgang mit der Vielzahl an ProtagonistInnen standen.9 Dafür eignet sich zum einen das Typhusprojekt des amerikanischen Lehrers Ellsworth Collings von 1923, da dieses als Prototyp eines Langzeitprojektes überhaupt gilt und entsprechend häufig und umfangreich rezipiert wird. Zum anderen eignet sich die differenzierte Betrachtung der Dokumentation des 1995 in Weimar durchgeführten „Projekt Kastanie“, das sich ebenfalls von einem Widerfahrnis, dass die SchülerInnen affiziert hat, zu einem nicht vorhersehbaren Politikum entwickelt hat, das in seiner Wirkung über Schule hinaus in Gesellschaft eingreift.
2.1.2Exemplarischer Blick auf zwei Projektdokumentationen
2.1.2.1Das Typhus Projekt von Collings (1923)
Das Typhusprojekt von 1923, wie es der Schulrat Ellsworth Collings mit einer Gruppe neun- bis elfjähriger Schülerinnen und Schüler einer ländlichen Gemeinschaftsschule aus Missouri durchgeführt und dokumentiert hat, zählt zu den Klassikern der Projektmethode; es gilt als Urbild des Projektes überhaupt. An diesem Beispiel wird Kilpatricks und Deweys Projektkonzept des sozialen Experimentalismus, wie es der schulischen Projektidee zugrunde liegt, veranschaulicht.
Zusammenfassung
Das Typhusprojekt
Das Typhusprojekt nimmt von einem realen Problem, das die Schüler bewegt, seinen Ausgang, nämlich von der Frage, warum Angehörige der Familie Smith, der zwei ihrer Klassenkameraden angehören, regelmäßig im Herbst an Typhus erkranken. Die Schüler versuchen zunächst eine gedankliche Analyse des Problems, indem sie Hypothesen über mögliche Ursachen anstellen (Brunnenwasser, verdorbene Milch, Fliegen). Die Schüler erkunden dann die realen Lebensbedingungen der Familie Smith, indem sie ihr einen Besuch abstatten. Sie identifizieren nach diesem Besuch die Fliegen als mögliche Ursache des Typhus und versuchen, eine reale Problemlösung zu erarbeiten. Diese Problemlösung, die unter Verwendung von Literatur und durch Befragung eines Experten erfolgt, mündet u.?a. im Bau einer Fliegenfalle und eines Müllkübels mit Deckel, die Herrn Smith mit einem Bericht übermittelt werden. Herr Smith wendet diese Lösung in der Praxis an und hat damit Erfolg. Sein Haus bleibt künftig von Fliegen und damit von Typhus verschont.
Zusammenfassung Grammes (Studienbrief 2021) nach John Dewey/William?H.?Kilpatrick: Der Projekt-Plan. Grundlegung und Praxis, Weimar: Böhlau 1935, S. 180–189.
So liest sich eine Kurzfassung. Die Langfassung von 1923 umfasst knapp 30 Seiten und ist Teil der Dissertationsschrift von Collings mit dem Titel „An Experiment with a project curriculum“ (Collings 1923). Die...




