Dettling Die Zukunft der Bürgergesellschaft
1. Auflage 2009
ISBN: 978-3-531-91151-9
Verlag: VS Verlag für Sozialwissenschaften
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark
Herausforderungen und Perspektiven für Staat, Wirtschaft und Gesellschaft. Festschrift für Warnfried Dettling
E-Book, Deutsch, 236 Seiten, eBook
ISBN: 978-3-531-91151-9
Verlag: VS Verlag für Sozialwissenschaften
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark
Bürgergesellschaft und bürgerschaftliches Engagement haben in den letzen zehn Jahren Karriere gemacht - als Idee und als Konzept für ein neues Verhältnis zwischen Staat, Wirtschaft und Gesellschaft. Was bisher fehlt, ist die Verankerung der Bürgergesellschaft als Leitidee in der Politik sowie im Regierungshandeln. Was sind die Ursachen? Wie können Regierungs- und kommunales Handeln mit Hilfe von bürgerschaftlichem Engagement ihre Ziele besser erreichen? Welchen Herausforderungen müssen sich Staat, Wirtschaft und Gesellschaft stellen? Die Autorinnen und Autoren dieses Buches diskutieren diese und weitere Fragen und zeigen Perspektiven für die Zukunft der Bürgergesellschaft auf.
Dr. Daniel Dettling ist Jurist und Politikwissenschaftler und leitet den Think Tank berlinpolis e.V.
Zielgruppe
Professional/practitioner
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
1;Inhalt;5
2;Zu dieser Festschrift;7
3;Grußwort der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Ursula von der Leyen;8
4;Beratung zwischen Expertise und Interesse;17
5;Kapitel 1 Der Staat der Bürgergesellschaft;22
5.1;Freiheit oder Staatswirtschaft. Von den Herausforderungen der Globalisierung an die Soziale Marktwirtschaft;23
5.1.1;I. Die notwendige internationale Fortentwicklung der Sozialen Marktwirtschaft;24
5.1.2;II. Mut zu weiteren nationalen Reformanstrengungen – Flexibilität als Chance;31
5.2;Der Beitrag der Bürgergesellschaft zu Zusammenleben und Zusammenhalt in multikulturellen Gesellschaften;37
5.2.1;1 Die Fragestellung;37
5.2.2;2 Die aktive Bürgergesellschaft – Fundament unserer Demokratie;37
5.2.3;3 Der Beitrag der Bürgergesellschaft zu Zusammenleben und Zusammenhalt;41
5.2.4;4 Die Überwindung der „Identitätsfalle“;45
5.2.5;Literaturverzeichnis;46
5.3;Demokratie reformieren;47
5.3.1;1 Abschied vom allmächtigen Staat;48
5.3.2;2 Gesellschaft ohne Kompass;53
5.3.3;3 Allheilmittel direkte Demokratie?;56
5.3.4;4 Herausforderung Demokratiekompetenz;59
5.4;Die Bürgergesellschaft zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Nur ein starker Staat garantiert eine starke Bürgergesellschaft;62
5.5;Teilhabe und Verantwortung in der Aktiven Bürgergesellschaft;79
5.5.1;Anti-Bürgerlichkeit und ihre Auswirkungen;80
5.5.2;Der politische Irrweg des Versorgungsstaates;81
5.5.3;Der „schlanke Staat“ – ein Ausweg?;83
5.5.4;Zivilgesellschaft – Bürgergesellschaft – Aktive Bürgergesellschaft;83
5.5.5;Die Kernaufgaben des Staates;85
5.5.6;Bürgerliche Verantwortungskultur;86
5.5.7;4. Jeder muss bereit sein, für unsere Zukunft und das Leben unserer Nachkommen Verantwortung zu übernehmen und seine Entscheidungen und sein Handeln am Prinzip der Nachhaltigkeit auszurichten.;87
5.5.8;Leistungsbereitschaft und Solidarität: Solidarische Leistungsgesellschaft;88
5.5.9;Konsequente Umsetzung des Subsidiaritätsprinzips;90
5.5.10;Keine Alternative zur Parteiendemokratie;91
5.5.11;Teilhabe und Mitwirkung durch den freiwillig engagierten Bürger: Bedeutung des Ehrenamtes;92
6;Kapitel 2 Die neue Wachstumsgesellschaft: Wirtschaft in der Bürgergesellschaft;95
6.1;Die Wirtschaftsverfassung der Bundesrepublik;96
6.1.1;Die Wirtschaftsverfassung auf dem Prüfstand heterogener Einflüsse;96
6.1.2;Die Geburt der Sozialen Marktwirtschaft und ihre zentralen Elemente;98
6.1.3;Keine Experimente – die wahre deutsche Mentalität?;101
6.1.4;Verwässerung der Marktwirtschaft;102
6.1.5;Die Siebziger: Grundstein für die Probleme der Gegenwart;104
6.1.6;Deutsche Einigung: Die marktwirtschaftliche Erneuerung verpasst;105
6.1.7;Der bundesstaatliche Finanzausgleich;106
6.1.8;Länderfusionen;107
6.1.9;Föderalismusreform – Weichenstellung für die Zukunft?;108
6.1.10;Zunehmender Einfluss aus Brüssel;109
6.1.11;Wirtschaftsordnung für Deutschland im 21. Jahrhundert;109
6.2;Bürgergesellschaft – Noch eine Utopie?;112
6.3;Das Soziale neu bestimmen;116
6.3.1;Die Sozialpolitik am Scheidepunkt;117
6.3.2;Die Krise der Sozialpolitik ist eine Krise der Institutionen – nicht des Rechtsstaats;118
6.3.3;Eine weitere Expansion der Sozialaufgaben ist nicht möglich;119
6.3.4;Ein neues Anspruchsgefüge dominiert unser Verständnis von „sozial“;122
6.3.5;Zwei Arten von Kosten bestimmen den Sozialstaat;123
6.3.6;Der Staat als Vormund;124
6.3.7;Eine Neuordnung der staatlichen und privaten Verantwortungsbereiche ist unumwindbar;126
6.3.8;Die Reform der Sozialpolitik ist nicht nur eine soziale, sondern auch eine Machtfrage.;127
6.3.9;Sozialpolitik durch Nächstbeteiligung als freiheitliche Alternative;128
6.3.10;Zentralistische Gestaltung versus Legitimationserneuerung;129
6.3.11;Eine neue Sozialordnung als Garant für Nachhaltigkeit;131
6.4;Die Bürgergesellschaft – Eine Utopie?;133
6.4.1;1.;133
6.4.2;2.;134
6.4.3;3.;136
6.4.4;4.;138
6.4.5;5.;140
6.4.6;6.;141
6.4.7;7.;142
6.4.8;8.;143
6.4.9;9.;144
6.4.10;10.;146
7;Kapitel 3 Starke Bürger;147
7.1;Die Abschottung der Republik: Integration statt Zuwanderung,;148
7.1.1;1 Zuwanderung statt Einwanderung;148
7.1.2;2 Statt Zuwanderung Integration bisheriger Zuwanderung;154
7.1.3;3 Was bedeutet Integration?;157
7.1.4;4 Kulturelle Integration;161
7.1.5;5 Bilanz und Erfolgschancen der Integration;164
7.1.6;6 Bürgergesellschaft und Einwanderung;167
7.2;Zukunftspolitik?;169
7.2.1;Eine kleine Geschichte des Politischen – mit einigen Vermutungen über ihre Perspektive, zum Geburtstag serviert;169
7.2.2;Vom Comeback des Vorgestern;170
7.2.3;Der Vierte Weg;172
7.2.4;Pragmatismus und Poesie: Die Politik der Zukunft;175
7.3;„Lebendige Demokratie“ als Ziel der Bürgergesellschaft – Was trennt uns hiervon? Wie kommen wir hin?;178
7.3.1;Das Ziel und die Wirklichkeit – ein Soll-Ist-Vergleich;178
7.3.2;Ursachen des Demokratie-Defizits;179
7.3.3;Einsprüche von Seiten der Wissenschaft;180
7.3.4;Wie können wir weiterkommen?;181
7.3.5;Entwicklungsperspektiven der Bürgergesellschaft;183
7.3.6;Schluss: „Leidenschaft und Augenmaß zugleich“ als Leitgesichtspunkte;187
7.4;Community Organizing und die gestaltende Bürgergesellschaft. Warum Gutes-tun allein nicht ausreicht;189
7.4.1;Die Bürgergesellschaft braucht demokratische Gestaltung;189
7.4.2;Politische Teilhabe einer breiten gesellschaftlichen Mitte – auf Augenhöhe;191
7.4.3;Kreativ, tatkräftig und machtvoll;192
7.4.4;Staat und Markt ein eigenes Gesicht zeigen;192
7.4.5;Community Organizing bildet das nötige Sozialkapital;194
7.4.6;Gesellschaftliche Webarbeit;195
7.4.7;Gesellschaftliche Institutionen auf das Gemeinwohl verpflichten;196
7.5;Anmerkungen zur Partizipation des Bürgers in der bundesdeutschen Demokratie;197
7.6;Politische Konsequenzen aus der Debatte um die Bürgergesellschaft;212
7.6.1;Leitbild für eine gute Gesellschaft.;212
7.6.2;Die sozialen Räume jenseits von Markt und Staat erweitern!;213
7.6.3;Bürgergesellschaft: Eine Idee ohne Theorie?;214
7.6.4;Staat, Wirtschaft und Gesellschaft: Eine neue Balance und Synergie?;214
7.6.5;Das Menschenbild der Bürgergesellschaft.;215
7.6.6;Bürgergesellschaft: Kritik, Alternativen, Konsequenzen;216
7.6.7;Was die Bürgergesellschaft nicht leisten kann.;218
7.6.8;Was die Bürgergesellschaft leisten kann.;219
7.6.9;Eine Bürgergesellschaft ohne Bürger?;223
8;Kurzbiographien;224
Der Staat der Bürgergesellschaft.- Freiheit oder Staatswirtschaft. Von den Herausforderungen der Globalisierung an die Soziale Marktwirtschaft.- Der Beitrag der Bürgergesellschaft zu Zusammenleben und Zusammenhalt in multikulturellen Gesellschaften.- Demokratie reformieren.- Die Bürgergesellschaft zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Nur ein starker Staat garantiert eine starke Bürgergesellschaft.- Teilhabe und Verantwortung in der Aktiven Bürgergesellschaft.- Die neue Wachstumsgesellschaft: Wirtschaft in der Bürgergesellschaft.- Die Wirtschaftsverfassung der Bundesrepublik.- Bürgergesellschaft — Noch eine Utopie?.- Das Soziale neu bestimmen.- Die Bürgergesellschaft — Eine Utopie?.- Starke Bürger.- Die Abschottung der Republik: Integration statt Zuwanderung,.- Zukunftspolitik?.- „Lebendige Demokratie“ als Ziel der Bürgergesellschaft — Was trennt uns hiervon? Wie kommen wir hin?.- Community Organizing und die gestaltende Bürgergesellschaft. Warum Gutes-tun allein nicht ausreicht.- Anmerkungen zur Partizipation des Bürgers in der bundesdeutschen Demokratie.- Politische Konsequenzen aus der Debatte um die Bürgergesellschaft.
Norbert Walter (S. 98-99)
Die Wirtschaftsverfassung der Bundesrepublik
Die Wirtschaftsverfassung auf dem Prüfstand heterogener Einflüsse
Die Vielfalt von Institutionen und Denkrichtungen in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft, die die Gebilde Wirtschaft und Wirtschaftspolitik ausmachen, hat in Deutschland zum Teil alte und tiefe Wurzeln. Vieles davon ist nicht typisch deutsch, manches abendländisch, manches kontinentaleuropäisch. Zu den prägenden Elementen zählt der Einfluss religiöser Bewegungen. Nicht nur die Verbindung von Staat und Kirche über viele Jahrhunderte bestimmte diesen Einfluss, er wirkte tief und unmittelbar über einzelne gesellschaftliche Gruppen.
Die Einstellung zum Zweck und Ziel des Lebens, die Beurteilung von Leistung und Eigentum sind zwar weithin christlich orientiert, innerhalb dieser Grundorientierung haben sich aber deutliche Differenzierungen entwickelt: von der katholischen Soziallehre, dominiert von der Hintanstellung individueller, irdischer Wünsche, über protestantische Ethik mit der Betonung individueller Verantwortung bis hin zu diesseits gemessener Erfolgsorientierung im Calvinismus. Wie außerordentlich bedeutend solche Einflüsse sind, zeigt sich im Grundgesetz, wenn etwa von der Sozialbindung des Eigentums die Rede ist.
Das Attribut sozial für die deutsche Form der Marktwirtschaft reflektiert den ausgeprägt christlich bestimmten Gestaltungswillen. Dass der Wirtschaftsstil über die rein wirtschaftlichen, rein funktionalen Zwecke hinausreichen sollte, war ausdrückliche Absicht jener Männer, die als Väter der Sozialen Marktwirtschaft zu betrachten sind. Einige von ihnen, so Alfred Müller-Armack, rieten eindeutig von einer offenen Austragung sachlich unvermeidbarer Konflikte ab. In idealisierender Weise wird im Konfliktfall das Kollektiv in die Verantwortung gebracht. Dieses Harmoniebedürfnis scheint den Deutschen besonders eigen zu sein.
Die Konsequenz, dass damit Probleme möglicherweise verschleiert oder verschoben werden, ziehen die Deutschen vor zu verdrängen. Wenn die Wirtschaftskultur in Deutschland charakterisiert werden soll, kommt man nicht umhin, sie als außerordentlich heterogen und im historischen Ablauf als außerordentlich anpassungsfähig zu bezeichnen. Es ist freilich leichter zu sagen, was die deutsche Wirtschaftskultur nicht ausmacht, als sie positiv zu beschreiben. Es fehlt ihr die Ausrichtung auf ein politisches, auf ein geistiges Zentrum. Weder ist sie durch einen dominanten Zentralstaat noch durch eine dominante Wirtschaftsphilosophie – Merkantilismus, Freihandel, Zentralverwaltungswirtschaft – bestimmt. Seinen Grund hat dies in der Art der staatlichen (Un-)Ordnung in der deutschen Geschichte.
Die Vielfalt und der ständige Wechsel der Regime, nicht nur nach Zahl, sondern auch nach Bedeutung und Charakter, haben – in historischer Perspektive – prägend gewirkt. Der heutige Föderalismus ist eine konsequente Fortsetzung dieser Tradition. Anders als etwa in Frankreich oder England, wo die staatliche Einheit eine lange und feste Tradition hat, bestand Deutschland (fast) immer aus mehreren, recht unterschiedlichen und meist weitgehend autonomen Einzelteilen. Anhand der Geschichte ist auch zu erklären, warum es keine wirklich vorherrschende Wirtschaftsphilosophie gibt.
Das Fehlen einer dauerhaften politischen Führungsmacht – statt dessen kämpften Fürstenhäuser ständig gegeneinander –, der Mangel an Wirtschaftsdynastien, anders als etwa in England oder Japan – im historischen Kontext blieben die Fugger, Krupps oder Grundigs Episoden – und die Nichtexistenz dominanter wissenschaftlicher Zentren – anders als in Frankreich – gaben der Vielfalt wirtschaftlicher Ideen Raum, zogen ihrer Durchsetzung jedoch immer enge Grenzen. So war Deutschland mehr ein Ort für die Entwicklung von Ideen als ein Ort ihrer konsequenten Verwirklichung. Die Wirtschaftsverfassung der Bundesrepublik Deutschland besitzt unverkennbar Merkmale, die mit den geschichtlichen Erfahrungen der Deutschen in den ersten viereinhalb Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts, zu erklären sind. Es sind die deutschen Traumata zweier großer Inflationen.