Dettling / Schüle Minima Moralia der nächsten Gesellschaft
1. Auflage 2009
ISBN: 978-3-531-91635-4
Verlag: VS Verlag für Sozialwissenschaften
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark
Standpunkte eines neuen Generationenvertrags
E-Book, Deutsch, 169 Seiten, eBook
ISBN: 978-3-531-91635-4
Verlag: VS Verlag für Sozialwissenschaften
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark
Auf der Suche nach neuen kulturellen und gesellschaftspolitischen Ordnungsfiguren und Ideen eines künftigen Selbstverständnisses diskutieren in diesem Band Entscheider aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft über Grundsatzthesen eines neuen Generationenvertrages. Ziel ist die Analyse und mögliche Neubegründung der res publica - der Sache, die uns alle angeht - in Hinblick auf den 60. Jahrestag der deutschen Verfassung im Mai 2009. Stehen wir nach 1949, 1969 und 1989 abermals vor einem grundlegenden Einschnitt? Inwieweit können die heute Dreißigjährigen durch ihre Sozialisation ab Mitte der 1980er Jahre die intellektuelle Basis der nächsten Gesellschaft schöpferisch prägen und die Republik in den Griff nehmen?
Dr. Daniel Dettling ist Jurist und Politikwissenschaftler und leitet den Think Tank berlinpolis e.V.
Christian Schüle ist Essayist, literarischer Autor und Publizist.
Zielgruppe
Professional/practitioner
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
1;Inhalt;5
2;Mehr Gemeinwohl wagen!;8
3;Einleitung;10
4;Minima Moralia der nächsten Gesellschaft;15
5;These I: Öffentlicher Geist und res publica;20
5.1;Berliner Republik 2.0;21
5.2;„Vom Osten lernen heißt Siegen lernen“;29
5.3;Die Politik macht Deutschland unter sich aus;35
5.4;Superstar Deutschland – Oder: res publica und Marke D;41
6;These II: Die Neue Soziale Frage;46
6.1;Erste Reihe;47
6.2;Viel Ratlosigkeit und ein Quantum Trost;53
6.3;Weniger Moral wagen!;60
6.4;Competitive Social Design - Die Soziale Frage der nächsten Gesellschaft;70
6.5;Sozialstatik und Schnittstellengestaltung;77
7;These III: Das ethische Fundament;85
7.1;Minimum Morale: Achtung vor dem Leben;86
7.2;Im Zweifel für die Freiheit;93
7.3;Gesellschaftlicher Zusammenhalt;98
7.4;Geist, Geselligkeit und Genom;104
7.5;Ethik in prekären Zeiten;110
8;These IV: Der neue Begriff des Politischen;118
8.1;Politik zwischen Provinz und Weltbürgergesellschaft;119
8.2;Macht Gestaltung;126
8.3;Mut zur politischen Führung;133
8.4;Zwischen Entpolitisierung und Projekt;139
8.5;Für eine neue Kultur der Verantwortung und des Miteinanders;146
8.6;Europa jetzt erst recht;153
9;Die Autorinnen und Autoren;160
0.- Minima Moralia der nächsten Gesellschaft.- Öffentlicher Geist und res publica.- Berliner Republik 2.0.- „Vom Osten lernen heißt Siegen lernen“.- Die Politik macht Deutschland unter sich aus.- Superstar Deutschland – Oder: res publica und Marke D.- Die Neue Soziale Frage.- Erste Reihe.- Viel Ratlosigkeit und ein Quantum Trost.- Weniger Moral wagen!.- Competitive Social Design - Die Soziale Frage der nächsten Gesellschaft.- Sozialstatik und Schnittstellengestaltung.- Das ethische Fundament.- Minimum Morale: Achtung vor dem Leben.- Im Zweifel für die Freiheit.- Gesellschaftlicher Zusammenhalt.- Geist, Geselligkeit und Genom.- Ethik in prekären Zeiten.- Der neue Begriff des Politischen.- Politik zwischen Provinz und Weltbürgergesellschaft.- Macht Gestaltung.- Mut zur politischen Führung.- Zwischen Entpolitisierung und Projekt.- Für eine neue Kultur der Verantwortung und des Miteinanders.- Europa jetzt erst recht.
These III: Das ethische Fundament (S. 91-92)
Franz Joseph Baur
Minimum Morale: Achtung vor dem Leben Wir kannten ihn als den Papst der Weltjugendtage. Wir verstanden uns mit ihm wie mit einem Großvater. Er vertraute uns, den Jugendlichen. Er vertraute uns die Zukunft an mit dem Wort: „Seid Baumeister einer Zivilisation der Liebe!“ Und als er starb, wussten wir: Er hat es richtig gemacht im Leben. Und mit dem Sterben. Johannes Paul II. Auch ich war dann dabei, in Rom, als es galt, ihm die letzte Ehre zu erweisen. Warum diese Szene, das Sterben Johannes Pauls II. als Tympanon über dem Tor, durch das die Generation der 30-Jährigen sich anschickt, die politische Arena zu betreten?
Die Szene erschließt zwei Gesichtspunkte, mit denen künftig zu rechnen ist. Erstens glauben wir Nachkommenden nicht mehr an den Mythos von der unendlichen Steigerung der Verhältnisse, der Optimierung des Fortschritts, der Machbarkeit des Wohlstands für alle. Unter dem Primat einer solchen Mentalität hätte ein todkranker Mann abtreten und seinen Platz frei machen müssen für einen, der die Steuerung des kirchlichen Apparats zu leisten imstande wäre.
Wie richtig, dass Johannes Paul II. das nicht getan hat! Er hat sich als Individuum gegen die Zwänge von Funktionsprozessen und Systemoptimierungsstrategien behauptet. Und zweitens steht auf der Agenda des neuen Generationenvertrags ganz obenan die Achtung vor dem Leben, gerade auch vor der Würde des bedrohten und sterbenden Lebens, die Zivilisation der Liebe. Papst Johannes Paul II. ist in seinen letzten Jahren und Tagen dafür zur Ikone geworden.
Der Mythos von der unendlichen Steigerung der Verhältnisse hat abgedankt. Was heißt das? Die Älteren konnten noch an die moderne Erfolgsgeschichte glauben, dass sich durch den Fortschritt alles bessern und letztlich zum Guten fügen wird. Sie haben die Euphorie der deutschen Einheit miterlebt. Das westliche System hat mit dem Versprechen, in Freiheit den Wohlstand für alle herbeizuführen, triumphiert. Diese historische Bestätigung hat sich tief in ihre Mentalität eingegraben. Alles, was danach an Schwierigkei ten kam, glaubten sie durch Reformen bewältigen zu können. Weiteres oder neues Wachstum würde alles wieder ins Lot bringen.
Die Vision, Wohlstand in Freiheit für alle sei machbar, blieb gültig. Dazu kommt, dass die Älteren auch persönlich inzwischen etabliert und arriviert sind. Die nachkommende Generation glaubt jedoch nicht mehr an die lineare, allenfalls durch Krisen zwischenzeitlich mit Wachstumsdellen versehene Steigerungskurve. Sie kann die aktuellen Krisen nicht mehr als Komplikationen im unendlichen Prozess des Fortschritts deuten, sondern sieht darin Anzeichen einer echten Fragilität der Verhältnisse, einer Prekarität der Situation insgesamt. Denn nicht nur das Prekariat droht den Anschluss zu verlieren. Fraglich ist, ob der Zug überhaupt sein Ziel erreicht.