E-Book, Deutsch, 272 Seiten
Forbes Der Wetiko-Wahn
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-89060-494-7
Verlag: Neue Erde
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ausbeutung, Imperialismus und die Zerstörung der Lebenswelt – Eine indigene Geschichte der Zivilisation
E-Book, Deutsch, 272 Seiten
ISBN: 978-3-89060-494-7
Verlag: Neue Erde
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Jack D. Forbes (1934-2011) war ein indigener amerikanischer Historiker, Schriftsteller, Wissenschaftler und politischer Aktivist. Er war Mitbegründer des American Indian Movement, zudem Doktor der Geschichte und Anthropologie und lehrte mehr als 25 Jahre an der von ihm mitbegründeten indigenen Deganawidah-Quetzalcoatl University. Das vorliegende Buch erschien erstmals 1979 unter dem Titel A World Ruled by Cannibals. Es wurde 1992 und 2008 von Forbes aktualisiert und erweitert.
Weitere Infos & Material
Vorwort von Derrick Jensen
Danksagungen
Einführung ·
Das zentrale Problem des menschlichen Lebens heute
eins ·
Die Entstehung des Weltenalls und die Schöpfung der Liebe
zwei ·
Das Leben eines anderen auffressen: Die Wétiko-Kannibalen-Psychose
drei ·
Kolumbus: Kannibale und Held des Völkermords
vier ·
Täuschung, Brutalität und Gier: Die Ausbreitung der Seuche
fünf ·
Die Struktur des Wahnsinns des Kannibalen: Arroganz, Lust und Materialismus
sechs ·
Ein Raubtier werden: Der Prozess der Korruption
sieben ·
Das Mátchi-Syndrom: Die Faszination des Bösen
acht ·
Kolonialismus, Europäisierung und die Zerstörung
der einheimischen (authentischen) Kulturen
neun ·
»Wilde«, freie Menschen und der Verlust der Freiheit
zehn ·
Terrorismus: Ein häufiger Aspekt des Wétiko-Verhaltens
elf ·
Männliche Gewalt, weibliche Unterordnung und
die Aufrechterhaltung von aggressiver Gewalt
zwölf ·
Organisierte Kriminalität: Geplante Aggression, geplanter Raubbau
dreizehn ·
Wenn Jesus wiederkommen würde
vierzehn ·
Auf der Suche nach Vernunft:
Den Prozess der Brutalisierung umkehren
fünfzehn ·
Einen guten Weg finden, einen Weg mit Herz
Das Weltenall ist unser heiliges Buch ·
Anmerkungen ·
Literaturverzeichnis ·
Nachweise und Genehmigungen ·
Über den Autor ·
Stichwortregister
eins
Die Entstehung des Weltenalls und die Schöpfung der Liebe
In den 1940er und 1950er Jahren konnte Leon Cadogan mehrere Überlieferungen von der Erschaffung der Welt veröffentlichen, die von den Mbyá, einer Guaraní sprechenden Gruppe von amerikanischen Ureinwohnern, die im Gebiet von Paraguay lebten, sorgfältig erhalten wurden. Die Mbyá hatten sich der spanischen Aggression hartnäckig widersetzt und sich in unzugängliche Gebiete zurückgezogen, um die Reinheit ihrer Traditionen zu bewahren.
Es ist bezeichnend, dass in diesen alten mündlichen Überlieferungen der Schöpfer aus dem ursprünglichen Nichts (der Dunkelheit) hervorgeht, und zwar im wesentlichen als Weisheit. Diese göttliche Weisheit entfaltet sich dann als ein geistiger Prozess, der die Dinge durch schöpferische Weisheit erschafft. Bezeichnenderweise überliefern auch viele andere amerikanische Ureinwohner diese Tradition der mentalen Natur der Schöpfung. Der Prozess der Schöpfung ist zugleich evolutionär, eine allmähliche Entfaltung von Schöpfungsstufen.
Den alten Mexikanern zufolge entstand der ursprüngliche Schöpfer Ometeotl (Zwei-Geist), der sowohl männliche als auch weibliche Kräfte in sich vereinte, auf ähnliche Weise wie Nande Ru bei den Mbyá. Ometeotl ist auch bekannt als Yohualli-ehecatl (Unsichtbarer Nacht-Luftwind), Ipalnemohuani (Derjenige, durch den man lebt), Moyocoyani (Derjenige, der die Existenz von sich selbst erfindet oder gibt) und Moyucoyatzin ayac oquiyocux, ayac oquipic (Derjenige, der von niemand anderem als sich selbst erschaffen wird, aber der selbst, durch seine Autorität und seinen Willen, alles tut). Das Verb yucoya bedeutet »erfinden« oder »geistig erschaffen«. Dies ist ein sehr bedeutsames Konzept, denn es besagt, dass das Weltenall durch einen mentalen oder gedanklichen Prozess geschaffen wird. Wie Miguel León-Portilla feststellte, » … besitzt er das gesamte Weltenall, das in den Augen des Menschen ›wie ein wunderbarer Traum‹ ist«.1
Das Volk der Uitoto im heutigen Kolumbien ist der Ansicht, dass »am Anfang das Wort den Vater hervorgebracht hat«. Sie sagen weiter:
Eine Einbildung, nichts anderes hat am Anfang existiert;
der Vater hat eine Illusion berührt;
er erfasste etwas Geheimnisvolles. Nichts existierte.
Durch die Vermittlung eines Traums behielt unser Vater
Naimuena die Einbildung in seinem Körper.
Und er grübelte lange und dachte tief nach…
Dann ergriff er den Fata Morgana-Boden und stampfte wiederholt
auf
und kam endlich auf seiner erträumten Erde zu sitzen.2
Die Mbyá berichten, dass das Absolute, Nande Ru, sich selbst inmitten der ursprünglichen Dunkelheit verwirklichte. Später schuf er die menschliche Sprache, die Liebe zur Menschheit und eine heilige Hymne. Vier männliche Kräfte und ihre weiblichen Gegenstücke wurden dann die ersten Gefährten des Schöpfers, und die Welt entfaltete sich allmählich. Namandu, der Sonnengeist, erschien ebenfalls sehr früh und wurde zu einer der vier Mächte. Namandu scheint zusammen mit el Colibri (Kolibri) als direkte Entfaltung des Absoluten zu erscheinen, da das Absolute sich selbst erhält.
Die von Nande Ru geschaffene menschliche Sprache (lenguaje) stellt das zukünftige Wesen der den Menschen gegebenen Seelen dar, ein Wesen, das an der Göttlichkeit des Schöpfers teilhat. Die Liebe zu den Mitmenschen und ein heiliger Gesang (Hymne) sind weitere grundlegende Voraussetzungen für die Entfaltung der Welt.3
Nun möchte ich einige kurze Abschnitte aus dem ersten Teil der Entstehungsgeschichte, wie sie von den Mbyá erzählt wird, wiedergeben:
Unser Erster Vater, der Absolute,
erhob sich inmitten der uranfänglichen Dunkelheit.
Die göttlichen Fußsohlen,
den kleinen runden Sitz, inmitten der uranfänglichen
Dunkelheit,
er hat sie geschaffen,
im Laufe seiner Entwicklung.
Der Widerschein der göttlichen sehenden Weisheit,
das göttliche Hören aller Dinge,
die göttlichen Handflächen mit
dem Stab und dem Zeichen,
die göttlichen Handflächen mit
den blühenden Zweigen,
Namandu schuf sie im Laufe
seiner Entwicklung
inmitten der uranfänglichen Dunkelheit.
Von der göttlichen kleinen erhabenen Krone waren
die Blüten des Federschmucks Tropfen
von Tau.
Denn inmitten der Blüten des göttlichen
Federschmucks flatterte der uranfängliche Vogel,
der Kolibri, umher.
In der Zwischenzeit schuf unser Urvater
im Laufe seiner Entwicklung,
seinen göttlichen Körper,
der inmitten der uranfänglichen Winde war,
bevor er sein künftiges Firmament,
sein künftiges Gebiet, das ursprünglich entstand, erdacht hatte,
der Kolibri pflegte den Mund zu erfrischen;
er, der Namandu mit paradiesischen Gaben versorgte,
war der Kolibri.
[Der Kolibri war der Schöpfer selbst, der sich im Akt der Selbstzeugung als erster Vogel erschuf.]
Unser Vater Namandu, der Erste, bevor
er sein künftiges Paradies geschaffen hat
Im Laufe seiner Entwicklung
hat er keine Dunkelheit gesehen:
obwohl die Sonne noch nicht schien,
Er war da erleuchtet vom Widerschein
seines Herzens
so, dass sie als Sonne diente, die
Weisheit enthielt
in seiner Göttlichkeit…
Er hat den Ursprung der künftigen menschlichen Sprache erdacht, aus der Weisheit seiner Göttlichkeit
und aufgrund seines schöpferischen Wissens schuf er die Grundlage für die Liebe zu seinen Mitmenschen,
Bevor es die Erde gab,
inmitten der ursprünglichen Dunkelheit, bevor er um die Dinge wusste, und kraft seines schöpferischen Wissens, ersann er den Ursprung der Liebe…
In seinem Alleinsein schuf er die Grundlage der menschlichen Sprache;
in seinem Alleinsein schuf er einen kleinen Teil der Liebe;
in seinem Alleinsein schuf er eine kurze heilige Hymne,
Er dachte tief darüber nach, wer sich an der Schaffung
der menschlichen Sprache beteiligen sollte;
wen er an dem kleinen Teil der Liebe teilhaben ließe;
wen er an den Wörtern beteiligen sollte, die
die heilige Hymne bildeten.
Als er so tiefgründig nachgedacht hatte,
mit der Weisheit seiner Göttlichkeit und kraft seines schöpferischen Wissens,
entschied er, wer die Gefährten seiner Göttlichkeit sein würden…
Indem sie sich die göttliche Weisheit ihres Urvaters aneignen;
nachdem sie sich die menschliche Sprache angeeignet hatten;
nachdem sie angeregt wurden, ihre Mitmenschen zu lieben;
nachdem sie die Worte der heiligen Hymne verinnerlicht hatten;
nachdem sie in die Grundlagen des schöpferischen Wissens eingeführt wurden,
nennen wir sie die erhabenen wahren Väter der Wortseelen;
die erhabenen wahren Mütter der Wortseelen.4
Die »Norm« für die Menschheit ist die Liebe.
Grausamkeit ist eine Abweichung.
Wir sind nicht von Natur aus Sünder.
Wir lernen, böse zu sein.
Man lehrt uns, von unserem guten Weg abzuweichen.
Mehrere Dinge sind an der Mbyá-Tradition sehr bedeutsam, abgesehen von ihrer außerordentlichen Schönheit und ihrer lebenswichtigen Bedeutung für »wissenschaftliche« Ansichten über die Evolution. Erstens muss die Heiligkeit der menschlichen Sprache und ihre Bedeutung in heiligen Liedern als Mittel der direkten Kommunikation mit dem Schöpfer und der Geistigen Welt erwähnt werden. Zweitens, dass die menschliche Sprache einen Teil des Wesens unserer Seele darstellt (mit großen Auswirkungen auf die heilige Natur von Ideen und Sprache als Kernbestandteil unseres Menschseins und die Bedeutung, Worte nicht missbräuchlich oder für böse Zwecke zu verwenden). Am bedeutsamsten für unseren heutigen Zweck ist die frühe Erschaffung des Prinzips der Liebe für die menschlichen Wesen. Kurz gesagt, die Liebe ist nicht zufällig in einem späten Stadium der Evolution entstanden, sondern wurde als wesentliches Attribut des Weltenalls vor der Existenz der Menschen geschaffen. Der Schöpfer ließ die geistigen Kräfte und die Menschen entstehen, zum Teil, um die Idee der Liebe zu verwirklichen, die bereits als grundlegendes Prinzip geschaffen wurde. Das Weltenall wurde in Liebe geboren. Wie kommt es dann, dass wir heute so viel Hass erleben? Sind wir alle einfach für immer »Sünder«, weil ein früher Vorfahre ein Gebot Gottes missachtet hat?
Ich werde darlegen, dass gesunde, geistig gesunde Menschen weiterhin dem Prinzip der Nächstenliebe folgen, während Ausbeuter geisteskrank sind.
Kurz gesagt, der Schöpfer hat uns allen gute Wege gewiesen, denen wir folgen sollen, die auf guter Rede, Liebe und heiligen Liedern beruhen. Ein geistig gesunder Mensch ist jemand, der sich noch auf einem solchen Weg befindet.
Die »Norm« für die Menschheit ist die Liebe.
Grausamkeit ist eine Abweichung.
Wir sind nicht von Natur aus Sünder.
Wir lernen, böse zu sein.
Man lehrt uns, von unserem guten Weg abzuweichen.
Wir werden von anderen Menschen, die ebenfalls verrückt sind, dazu gebracht, verrückt zu sein, und die für uns ein Bild der Welt malen, das hässlich, negativ, angstvoll und verrückt ist.
Wir müssen keine Kannibalen sein, die einander auffressen! Der Schöpfer und unsere...