E-Book, Deutsch, 320 Seiten
Hodgson Zwei Bräute zu viel
1. Auflage 2013
ISBN: 978-3-96122-077-9
Verlag: Gerth Medien
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman.
E-Book, Deutsch, 320 Seiten
ISBN: 978-3-96122-077-9
Verlag: Gerth Medien
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Mona Hodgson ist Autorin zahlreicher Kinderbücher, Gedichte, Artikel und Kurzgeschichten. Sie hält Vorträge auf Frauenfreizeiten, in Schulen und auf Konferenzen und hat die christliche Autorenkonferenz 'Glorieta' ins Leben gerufen. Sie ist seit fast vierzig Jahren verheiratet und hat mit ihrem Mann zwei erwachsene Töchter und vier Enkelkinder.
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1
Portland, Maine, 1895
Jetzt hab ich dich!«
Kat sah von ihrem Tagebuch auf und schaute zum Tisch hinüber, wo Nell mit einem breiten Grinsen dasaß. Nell und Ida hatten an diesem Sonntagnachmittag besonders angeregt gespielt. Beide waren sehr ehrgeizig, und Kat verspürte nicht das Verlangen, eine der beiden zu einer Partie Dame oder einem anderen Spiel aufzufordern.
Ida saß angespannt auf der Kante eines gepolsterten Stuhls. Die älteste der vier Sinclair-Schwestern war es nicht gewohnt zu verlieren, wie an ihrer gerunzelten Stirn unschwer zu erkennen war. Sie starrte auf das Spielbrett, aber die Anordnung der roten und schwarzen Steine wollte sich einfach nicht ändern. Als sie schließlich einen Stein rückte, schnappte sich Nell den roten Spielstein, und ihre blauen Augen blitzten auf.
»Jetzt steht es fünf zu zwei, Ida.« Vivian, die mit sechzehn die jüngste der vier war, verkündete den Spielstand vom Sofa aus, wo sie mit Sassy, ihrer Siamkatze, saß.
»Damit hat sie dich vom Thron gestoßen, liebe Schwester.« Kat schlug ihr Tagebuch zu. »Die Sinclairs haben eine neue Dame-Königin.«
Während Ida so tat, als nehme sie sich eine Krone vom Kopf, stand Nell auf und strich ihr Kleid glatt. Dann setzte Ida die unsichtbare Krone auf Nells blonden Haarschopf. »Hiermit präsentiere ich euch die neue Dame-Königin.« Ida knickste ehrerbietig. Alle vier kicherten.
Kat nahm ihr Tagebuch und ging zum Fenster. Die karierten Vorhänge waren mit Stoffbändern zurückgebunden und bildeten den Rahmen für einen idyllischen Ausblick. Die Ahornbäume und die Eiche im Garten waren mit tiefroten und goldgelben Blättern geschmückt, und ein paar Eichhörnchen tobten herum, während eine Handvoll Blätter wild durch die Luft wirbelten wie herbstliche Akrobaten.
Akrobaten in Herbsttönen.
Wild herumwirbeln …
Kat eilte zum Sekretär zurück und hielt die Worte in ihrem Tagebuch fest. Ihr Bleistift flog regelrecht über die Seite. Der Sonntag war der inspirierendste Tag der Woche. Sie hatte an diesem Ruhetag Zeit zum Nachdenken, was sie immer erfrischend fand und auf neue Gedanken brachte.
Nell räusperte sich. »Ich nehme nicht an, dass du gerade einen Beitrag für den ›Portland Press Herold‹ verfasst und darin von meinem Sieg berichtest?«
»So großartig dein Sieg auch war – ein Bericht über unsere klägliche Schlacht ist nicht so sehr Kats Fall.« Vivian lachte. Ihre freche kleine Katze passte sehr gut zu ihr.
»Wenn Nell die Schriftstellerin in unserer Familie wäre, würden wir alle eine hochromantische Liebesgeschichte zu lesen bekommen«, wandte Ida ein, als sie das Spielbrett ins Regal zurückstellte.
»Ich glaube eben an die große Liebe«, hielt Nell ihr achselzuckend entgegen. »Ist das so schlimm?«
»An die Liebe zu glauben ist ganz und gar nicht schlimm, mein Schatz.« Als sie die herzliche Stimme ihres Vaters hörten, blickten die vier zur Tür. Mit vor der Brust verschränkten Armen lehnte er am Türrahmen. Er trug einen Anzug mit Fischgrätenmuster und hatte seinen rotbraunen Bart ordentlich gestutzt.
»Wir haben eine neue Dame-Königin, Vater.« Nell deutete mit erhobenen Händen eine Krone auf ihrem Kopf an. »Mich.«
»Welch eine bescheidene Siegerin.« Auf seinem Gesicht zeigte sich ein schwaches Lächeln, und Kat bekam ein ungutes Gefühl in der Magengegend. Irgendetwas stimmte nicht.
Während Vater sich zu den vier Mädchen an den Tisch setzte, kam Tilda schlurfend herein und stellte das Teetablett auf den Mahagonitisch. Sie arbeitete schon seit zehn Jahren als Hausangestellte bei den Sinclairs, und Kat würde niemals vergessen, wie liebevoll sie bis zum Tod für ihre Mutter gesorgt hatte, damals, vor acht Jahren. Tilda goss heißen Apfelsaft in die Tassen und richtete sich langsam auf.
Kat hob ihre Tasse an, sog den aromatischen Duft tief ein, nahm ein Stück Zitronengebäck vom Teller und reichte diesen dann Ida.
»Ihre Herrschaft wird nicht von Dauer sein«, wahrsagte Ida und setzte sich aufrecht hin. »Nächsten Sonntag werde ich mir meine Krone zurückholen.«
»Meine Mädchen – eigenwillig und doch zugleich zarte Pflänzchen.« Vater hob seine Tasse hoch. »Das hat mich durchgetragen, als eure Mutter starb.« Nachdem er einen Schluck von dem Apfelsaft genommen hatte, stellte er seine Tasse wieder ab. »Ich habe Neuigkeiten für euch, und ich zähle dabei auf eure Eigenständigkeit.«
Während Kat darüber nachdachte, was für Neuigkeiten das wohl sein mochten, bei denen Vater auf ihre Eigenständigkeit hoffte, schluckte sie den letzten Bissen ihres Gebäckstücks hinunter.
»Was für Neuigkeiten sind das, Vater?« Nell hatte die Frage gestellt, bevor Kat sie aussprechen konnte.
»Meine Arbeit hier wird nächstes Jahr im Mai beendet sein.«
»Das ist ja schrecklich.« Vivians leere Tasse stieß klirrend gegen ihre Untertasse. »Das können sie doch nicht machen!«
Nell runzelte angesichts von Vivians pessimistischer Einstellung die Stirn. Das war etwas, über das sich die beiden häufig uneins waren. »Du wirst bald etwas Neues finden, Vater«, wandte sie daher ein. »Da bin ich mir ganz sicher.«
»Nell hat recht.« Kat konnte nicht glauben, was sie soeben gesagt hatte. Seit sie denken konnte, hatte ihr Vater für Wyatt Locomotive gearbeitet, und hier in Portland gab es sonst nicht viele Möglichkeiten. »Bis Mai sind es noch acht Monate. Bis dahin hast du wahrscheinlich sogar etwas Besseres gefunden.« Dabei hoffte sie, dass ihre Stimme zuversichtlicher klang, als ihr zumute war.
Vivian schob ihren Stuhl zurück und verschränkte beleidigt die Arme. »Ganz egal, wie viel Zeit sie dir noch einräumen, du hast ihnen viel mehr gegeben.«
»Nun ja, sie haben mir ja nicht ganz gekündigt«, entgegnete er seufzend. »Sie haben mir eine Stelle als leitender Eisenbahningenieur angeboten. In Paris.«
Nell schnappte nach Luft, und Vivian stieß einen Schrei aus. Erschrocken sprang Sassy von Vivians Schoß und versteckte sich unter dem Sofa. Kat saß regungslos und entgeistert da.
Ihr Vater würde eine Stelle in Frankreich annehmen.
Während für die meisten Schriftsteller eine Stadt wie Paris exotisch und verlockend gewesen wäre, empfand Kat nicht so. Sie liebte das Leben in Maine und hatte ihr gesamtes Leben in Portland zugebracht. Hier hatte ihre Mutter gelebt, und hier war sie auch gestorben.
Ida rieb sich den Nasenrücken, was ein sicheres Zeichen dafür war, dass sie wieder einmal Kopfschmerzen bekam. »Ich kann nicht aus Portland weggehen, Vater. Ich stecke mitten in meiner Ausbildung zur Sekretärin.«
»Ja«, erwiderte er, »darüber habe ich mir ebenfalls Gedanken gemacht.« In diesem Augenblick kündigte die Wanduhr die volle Stunde an, und Vater wartete alle vier Schläge ab, bevor er fortfuhr. »Dieses Haus gehört der Firma«, erklärte er und legte die Handflächen auf die Stuhllehne, »und in Paris werden sie mir nur ein Ein-Zimmer-Apartment zur Verfügung stellen.«
Das flaue Gefühl in Kats Magen verwandelte sich rasch in Übelkeit. Sie konnte es nicht fassen, dass Vater sie hier zurücklassen wollte. Sie war zwar schon fast neunzehn und hätte darauf vorbereitet sein sollen, aber nachdem ihre Mutter bereits gestorben war, war er alles, was ihnen geblieben war.
»Du willst uns hier zurücklassen?«, fragte Nell mit dünner Stimme.
»Ich darf nicht mit nach Paris?«, flüsterte Vivian.
Vater erhob sich und ging langsam zum Kamin. Er nahm das Bild ihrer Mutter vom Kaminsims und starrte es an, als könne es ihm Kraft geben. »Ich muss es tun«, erklärte er. »Ich sehe keine andere Möglichkeit.«
Ihr Vater wirkte so verlassen, dass Kat beinahe aufgestanden wäre und ihn in den Arm genommen hätte. Auch wenn es ihr nicht gefiel, so wusste sie doch, dass die Entscheidung, die Stelle in Paris anzunehmen, für ihn genauso hart sein musste wie für sie. »Wir kommen schon klar, Vater.«
»Das weiß ich, Kat. Ich vertraue auf jede Einzelne von euch. Eure Mutter hat euch zu außergewöhnlichen jungen Frauen erzogen.« Vater stellte das Bild wieder auf das Kaminsims zurück. »Ich muss sicher sein, dass für euch vier gut gesorgt ist, bis ich wieder zurückkomme. Deshalb werden Vivian und Ida hier in Portland bei Tante Alma bleiben, bis sie mit ihrer Ausbildung fertig sind. Dann werden sie zu dir und Nell nach Colorado gehen.«
»Colorado?«, fragte Nell mit zitternder Stimme.
»Ja. Ich denke, Colorado wäre der beste Ort für euch«, meinte er und betrachtete sie traurig. »Die Städte dort wachsen schnell, die Berge sind von einmaliger Schönheit, und ich war oft geschäftlich dort.« Vater griff wieder nach seiner Tasse und nahm einen großen Schluck. »Dort gibt es gute, zuverlässige Männer, und so sehr es mich auch schmerzt, euch gehen zu lassen: Colorado bietet euch viele Möglichkeiten. Und das wünsche ich mir für meine Mädchen.«
Fragen über Fragen stiegen in Kat auf, und ihr wurde etwas mulmig. Wovon sprach Vater da? Welche Möglichkeiten? Und was hatten die Männer in Colorado mit ihr und Nell zu tun? Kat warf Ida einen fragenden Blick zu, aber ihre große Schwester erwiderte ihren Blick genauso entgeistert.
»Nach dem Krieg sind viele Männer hier aus dem Osten nach Westen gezogen, wo sie in den Minen, bei der Eisenbahn und in den Geschäften gut verdienen. Manche sind sogar regelrecht reich geworden. Vivian ist noch nicht im heiratsfähigen Alter....




