Hoffmann Occupy Economics
1. Auflage 2012
ISBN: 978-3-86248-301-3
Verlag: FinanzBuch Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Ideen für Revolutionen (und Piraten)
E-Book, Deutsch, 120 Seiten, Format (B × H): 125 mm x 187 mm
ISBN: 978-3-86248-301-3
Verlag: FinanzBuch Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
FLORIAN JOSEF HOFFMANN, Düsseldorfer Jurist und Ökonom, gilt als einer der härtesten Kritiker des deutschen und europäischen Kartellrechts. Er gründete und leitet seit dem Jahr 2008 den Think Tank European Trust Institute.
Autoren/Hrsg.
Fachgebiete
- Sozialwissenschaften Politikwissenschaft Politische Kultur Interessengruppen, Lobbyismus und Protestbewegungen
- Wirtschaftswissenschaften Volkswirtschaftslehre Volkswirtschaftslehre Allgemein Wirtschaftstheorie, Wirtschaftsphilosophie
- Sozialwissenschaften Politikwissenschaft Politische Kultur Politische Propaganda & Kampagnen, Politik & Medien
- Wirtschaftswissenschaften Volkswirtschaftslehre Wirtschaftssysteme, Wirtschaftsstrukturen
Weitere Infos & Material
Einleitung:
Warum »Occupy Economics«?
»occupy Wall Street« ist die Bewegung, die den eleganten Begriff »occupy« zum Schlagwort gemacht hat. Die Wall Street ist der Ort, wohin sich die protestierenden Amerikaner aufgemacht haben, weil sie – nicht ohne Grund – glauben, dort eine himmelschreiende Ungerechtigkeit entdeckt zu haben. Die Wall Street ist das Sinnbild der Finanzwirtschaft, der Bankenwelt, der Hedgefonds und der Spekulation. Wall Street steht für Geld, das aus Geld gemacht wird, das Milliarden-Einkommen erzeugt, ohne dass sich real mehr bewegt als sekündlich ein paar Trilliarden Elektronen in weltweiten Netzwerken. »Occupy!« ist der Schrei nach Gerechtigkeit, ohne die ein friedliches Zusammenleben auf Dauer nicht möglich ist. Der deutsche Journalist Detlev Gürtler stellte in seinem Kommentar1 treffend den Zusammenhang zwischen der »occupy«-Bewegung und dem Aufkommen der Piraten her, indem er schrieb:
»Eine erste Rebellion hat diese ›Generation der Verlierer‹ 2011 versucht. Es begann im Mai mit den Platzbesetzungen der ›Indignados‹ in Spanien und setzte sich nach einem kurzen Abstecher über den Atlantik als Occupy-Bewegung auf dem ganzen Kontinent fort. Die Anhänger dieser Bewegung einte ein irgendwie gemeinsames Dagegen-Gefühl, aus dem allerdings kein wie auch immer geartetes Ziel entstanden ist. Ohne Möglichkeit, sich in den politischen Prozess zu integrieren, wird sich dieses Gefühl verstärken, sich schließlich in destruktiven Aktionen entladen. Um diese Bewegung konstruktiv in das politische System einzubinden, müsste man so etwas wie die Piratenpartei erfinden. Wenn es sie nicht schon gäbe.«
Wie treffend! Also geht es darum, ein Gefühl zu kanalisieren, ihm einen Weg aufzuzeigen, ihm ein Ziel vorzugeben, um aus der »Generation der Verlierer« eine Generation der Gewinner zu machen.
Der Schlüssel zur Lösung liegt in den ökonomischen Theorien. Denn am Anfang der Entwicklung in unserer zivilisierten Welt stehen immer Ideen. Ideen regieren die Welt. Ideen sind für Prosperität verantwortlich, aber auch für Schieflagen. Vor allem in Krisensituationen kommen die Politiker zu den Theoretikern und fragen nach Lösungen und neuen Ideen. Heraus kommt dabei der »New Deal« der 1930er-Jahre in den USA oder Wirtschaftsminister Karl Schillers »Konzertierte Aktion« der 1970er-Jahre in Deutschland. Letztere war die Antwort der Wissenschaft auf die nachlassende Dynamik der Sozialen Marktwirtschaft in Deutschland. Heute gibt es keine lauten Antworten der Volkswirtschaftslehre auf die aktuellen Probleme der Staaten mehr, nur noch differenzierte Speziallösungen kleinerer Problemstellungen. Große neue theoretische Ansätze werden angekündigt (Nobelpreisträger Joseph Stiglitz im Sommer 2011) und verlaufen als Ankündigung im Sande. Die ganze Wirtschaftstheorie hat sich vergaloppiert. Man feiert den Sieg über den Sozialismus, hat aber keine Antwort auf andere große Fragen.
»Ökonomie neu denken« schlägt der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft deshalb vor und organisiert im Frühjahr 2012 eine zweitägige Konferenz. Eine andere wirtschaftliche Denkrichtung geben die »Post-Autisten« vor, die sich weltweit organisieren, um dem autistischen Denken in der Ökonomik ein Ende zu bereiten. Das Problem steckt jedoch in der bereits geäußerten Feststellung:
»Woher soll ein studierter oder lehrender Ökonom etwas anderes wissen als das, was in den Büchern steht, die er im Rahmen seines Studiums vorgeschrieben bekommt? Die Ökonomie als Wissenschaft bleibt zwangsläufig bei den Theorien ihrer Lehrer und Schulen hängen«,
… denn auch diese Initiativen beziehungsweise Veranstaltungen werden ausschließlich von gelernten Ökonomen besucht. Sie sind vom Lehrbetrieb abhängig. Ihnen fehlt durchweg die betriebliche Praxis, die sie durch Erfahrung klüger werden ließe.
Zu Beginn meiner Studienzeit, Ende der 1960er-Jahre, gab es an den Universitäten heftige ideologische Auseinandersetzungen, die immer wieder in der Forderung mündeten, man solle nicht nur einseitig die traditionelle Wirtschaftstheorie lehren, sondern doch bitteschön auch alternative Wirtschaftsmodelle, wie beispielsweise die Marx’schen Theorien. Rechte und Linke prallten heftig aufeinander, und das in einem wirtschaftlichen Umfeld, das man fast noch Wirtschaftswunder nennen konnte, hätte es nicht schon das erste Konjunkturprogramm von einer (!) Milliarde Mark gegeben – der Anfang der Verschwendung. Die politische Rechte, das war das wissenschaftliche Establishment, der konservative Lehrkörper, der – von ein paar Abweichlern abgesehen – traditionelle Wirtschaftstheorien lehrte, insbesondere die liberal orientierten neoklassischen. Graduelle Abweichungen gab es, wenn der Schwerpunkt auf makroökonomische Betrachtungen gelegt wurde. Erwähnt wurden gelegentlich die Theorien populärer Einzelerscheinungen wie Friedrich von Hayek und Josef Schumpeter oder Milton Friedman.
Die Vergangenheit war noch bunt und variantenreich gegenüber dem, was heute an Theorien angeboten wird. Die Neoklassik ist der Standardlehrstoff an den Universitäten, angereichert mit spieltheoretischen Ansätzen und Institutionen-ökonomischen Untersuchungen. Bewegt hat sich in einem halben Jahrhundert im Grunde fast nichts, außer dass man sich in den Theorien festgefressen hat, im Kreise dreht und das Theoriengebäude in luftige Höhen geschraubt hat, wo der Bezug von Theorie und Realität oft schon nicht mehr verständlich dargestellt werden kann. Gab es vor fünfzig Jahren noch einen Ausreißversuch, indem man die Aufnahme sozialistischer Theorien in den Lehrplan forderte (aber nicht bekam), hat sich diese Forderung heute durch den »Sieg« des Kapitalismus und den Untergang der kommunistischen Länder erledigt.
Und das ist auch gut so. Nicht gut ist jedoch, dass sich die Theorie nicht weiterentwickelt hat, dass sie von der Realität überholt wurde, dass sie auf die drängenden Fragen der Neuzeit keine Antworten mehr hat, dass Menschen wie Politiker heute vor einer Blackbox stehen, die ihnen keinen Durchblick und damit keine Entscheidungshilfe mehr liefert. Und gleichzeitig befindet sich die Welt immer mehr in einer Schieflage, nein, nicht in einer Schieflage, in vielen Schieflagen. Die Theorien haben an vielen Stellen fundamental versagt.
Die wahrscheinlich bedeutendste Schieflage ist die ökologische Schieflage, eine Schieflage, deren Neigung vermutlich schon so ist, dass das gesamte Ökosystem der Erde dabei ist, abzurutschen. Das Schmelzen der Gletscher, der Polkappen und des Grönlandschildes ist wohl schon nicht mehr aufzuhalten.
Nicht minder bedeutend ist die humanitäre Schieflage, die schon deshalb schwer zu beschreiben ist, weil sie so viele Gesichter hat: Da ist die wachsende Zahl der Armenküchen bei uns und der Sozialmarken-Empfänger in den USA, da gibt es das Wachstum der Slums und ihrer unsäglichen Bedingungen in mehreren Teilen der Welt (Indien, Südamerika et cetera), eine Entwicklung, die sogar Mutter Theresa an Gott zweifeln ließ. Da gibt es die globale Entwurzelung von Milliarden von Menschen, getrieben vom Wachstumszwang einer Industriegesellschaft (China), die die Worte Ruhe, Muße und Gleichgewicht nicht mehr kennt.
Und da ist die ökonomische Schieflage, die zwei Gesichter hat, die Ungerechtigkeit der Einkommensverteilung und die Ungerechtigkeit der Vermögensverteilung. »Wir sind die 99 Prozent« ist der Aufschrei der »occupy-Habenichtse«, die 99 Prozent der Bevölkerung ausmachen, die aber nur einen minimalen Anteil des Vermögens besitzen.
Der Erfolg der Piraten-Partei wird aus einer ähnlichen Begründung gespeist. Die Piraten sind die jungen, überdurchschnittlich gebildeten, politischen Protestierer. Sie sind eine Protestorganisation der »Generation der Verlierer«, Kinder einer Generation, die sich die Förderung der Kreativität in den Kinderzimmern und Kindergärten auf die Fahne geschrieben hatte. Auf dem Arbeitsmarkt angekommen, macht die so geförderte Generation die Erfahrung, dass sich mit den erlernten Fähigkeiten kein Geld verdienen lässt. Während ihre Vorfahren ihre Zukunft in traditionellen, bodenständigen Berufen sah – Arzt, Jurist, Handwerker – stellt die junge Generation fest, dass die Positionen besetzt sind, dass der Wettbewerb unerträglich geworden ist, dass sie als hoch qualifizierte Praktikanten jahrelang kostenlos arbeiten müssen, um Zugang zu ihrer Branche zu finden. Sie stellen fest, dass manche intellektuell orientierten oder kreativen Berufe durch technologische Neuerungen (Blogs, Handy-Kameras) so extreme Überkapazitäten aufweisen, dass sich für ihre Leistung kein Preis mehr erzielen lässt. Die Folge ist ihre gefährliche Kostenlos-Ideologie. Die Piraten setzen das Urheberrecht aufs Spiel, den Schutz der intellektuellen und kreativen Leistung, weil die Ökonomik ihnen den Wert der Wertschöpfung nicht vermittelt hat. Sie graben mit Intensität an ihrem eigenen Grab.
Auf all diese Entwicklungen und Fragen antwortet die Ökonomik, die Lehre von der Ökonomie, mit Beschwörungsformeln von Wachstum und Wettbewerb, obwohl die Realität sie widerlegt. Die Realität hat deshalb Bewegungen hervorgebracht, die anprangern, aber nicht wirklich sagen, wohin die Reise gehen soll. Denn sie wissen es nicht. Die Piraten vermuten es nicht einmal: »Wir haben auf viele Fragen keine Antwort.«
Die occupy-Wall-Street-Bewegung beruht auf der Vermutung, dass im Finanzsektor die Ursache des Übels steckt, weshalb sie den Marsch auf die Wall Street begonnen hat. Wenn man die Milliarden(!)-Gewinne der Finanzspekulanten betrachtet, kann an der Vermutung nicht sehr viel falsch sein. Die Bewegung ist...