Knoll | Die Treuhandanstalt in Brandenburg | E-Book | www.sack.de
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E-Book, Deutsch, Band 4, 704 Seiten

Reihe: Studien zur Geschichte der Treuhandanstalt

Knoll Die Treuhandanstalt in Brandenburg

Regionale Privatisierungspraxis 1990-2000
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-8412-3238-0
Verlag: Aufbau Verlage GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Regionale Privatisierungspraxis 1990-2000

E-Book, Deutsch, Band 4, 704 Seiten

Reihe: Studien zur Geschichte der Treuhandanstalt

ISBN: 978-3-8412-3238-0
Verlag: Aufbau Verlage GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Zwischen Abbruch und Aufbruch

Die Treuhandanstalt spielte eine Sonderrolle im wiedervereinigten Deutschland. Privatisierungen und Abwicklungen von Betrieben hatten erhebliche ökonomische und soziale Konsequenzen in den betroffenen Regionen. Welche Handlungsspielräume hatten die Akteure vor Ort, und wie versuchten sie, auf die Arbeit der Treuhand Einfluss zu nehmen? Wolf-Rüdiger Knoll schildert am Beispiel Brandenburgs erstmals umfassend die Bedeutung der Treuhandanstalt für die Entwicklung der jungen ostdeutschen Bundesländer. Anhand der Privatisierungsverläufe wichtiger Betriebe wie EKO Stahl in Eisenhüttenstadt oder der Braunkohleindustrie in der Lausitz analysiert er das Spannungsfeld unterschiedlicher Interessen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Stärker als bislang bekannt beeinflussten sich Treuhandanstalt und Landesregierung gegenseitig in ihren Entscheidungen.



Wolf-Rüdiger Knoll, geboren in Schwerin, studierte Geschichte und Volkswirtschaftslehre in Berlin und Budapest. Zwischen 2015 und 2017 war er als wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Gedenkstätte Point Alpha tätig. Seit 2017 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Zeitgeschichte München-Berlin. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören die deutsche Wirtschaftsgeschichte nach 1945 sowie die postsozialistische Transformationsgeschichte Ostmitteleuropas.

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I. Ausgangsbedingungen der Transformation: Brandenburgs industrielle Prägung bis 1989


Die Transformationsprozesse der Brandenburger Industrie nach 1989 lassen sich ohne eine Analyse der Ausgangsbedingungen nicht hinreichend nachvollziehen. Dabei geht es im Kern um die Frage, wann die für Brandenburg wichtigen Industriestandorte entstanden sind und welche Bedeutung diese für das Wirtschaftsgefüge in der Region hatten.

Eine wirtschaftshistorische Darstellung dieser Vorgänge in Brandenburg bis zum Ende der DDR ist ohne einen vergleichenden Blick nach und die wiederholte Bezugnahme auf Berlin nicht vorstellbar.1 Berlin war Ausgangspunkt der Industrialisierung Brandenburgs und bildete mit der Provinz einen sozioökonomischen Verflechtungsraum.2 Die Stadt entwickelte sich ab Mitte des 19. Jahrhunderts zu einem Verkehrsknotenpunkt. Zahlreiche Lehranstalten und naturwissenschaftlich-technische Einrichtungen brachten Techniker und Ingenieure hervor, deren Erfindungen und Patente den Grundstein für die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Industrie legten. Von dieser Entwicklung profitierte Brandenburg nicht nur, es ermöglichte auch erst die Expansion der gewerblichen Unternehmen, indem das Berliner Umland ausreichend Grund und Boden sowie die benötigten Arbeitskräfte für die Ausweitung der Produktionskapazitäten bereitstellen konnte.3

1. Industrielle Entwicklung Brandenburgs bis 1945


Für gewöhnlich prägten regionale Gegebenheiten die jeweiligen industriellen Entwicklungsprozesse in Deutschland und Europa. Hierzu zählten die geografische Lage, das Klima, die Bodenfruchtbarkeit und insbesondere die Rohstoffvorkommen.4 Die »märkische Streusandbüchse« – eine scherzhafte Bezeichnung für Brandenburg, welche sich auf die nährstoffarmen Bodenverhältnisse bezog – war mit ihren wenigen Bodenschätzen nicht gerade eine bevorzugte Wirtschaftsregion.5 In der Region des Finowtals sowie bei Storkow konnte immerhin Torf für die brenntechnische Versorgung der frühen Metallverarbeitung um Eberswalde sowie der Kalköfen in Rüdersdorf gestochen werden.6 Durch die Erweiterung der gewerblichen Produktion, die vor allem auf das rasante Wachstum Berlins zurückzuführen war, wurden für den zunehmenden Einsatz von Dampfmaschinen ertragreichere Brennstoffe benötigt. Hier konnte die ergiebigere, in weiten Teilen der Mark praktisch unbegrenzt vorhandene Braunkohle Abhilfe schaffen. Die Erfindung der Brikettpresse 1856 verbesserte die Transportfähigkeit der Braunkohle erheblich und deren Abbau expandierte in der Region um Senftenberg innerhalb der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts rasch. Damit errang die Braunkohle eine überregionale ökonomische Bedeutung für die Lausitz. Die Fördermengen von Braunkohle schnellten von 1,4 Millionen Tonnen im Jahr 1878 auf 24 Millionen Tonnen im Jahr 1912 hoch.7 Anfang des 20. Jahrhunderts arbeiteten bereits 15.000 Menschen in den Lausitzer Tagebauen und Braunkohlewerken.8 Die Braunkohle hatte sich zur »industriellen Destination der Lausitz entwickelt«.9

Mit dem Aufstieg Preußens zur dominierenden deutschen Großmacht und der Bedeutungszunahme Berlins als politischem Zentrum vollzog sich in der preußischen bzw. deutschen Hauptstadt ein rasanter Prozess des demografischen und wirtschaftlichen Wachstums. Zwischen 1849 und 1910 vervierfachte sich die Bevölkerungszahl Berlins auf 2.070.000 Einwohner. Dieser rasante Zuwachs basierte vor allem auf Wanderungsgewinnen, die sich in erster Linie aus dem näheren Umfeld der entstehenden Metropole – und damit aus Brandenburg – speisten.10 Die Sogwirkung Berlins verhinderte aber nicht, dass auch die beiden Brandenburger Regierungsbezirke Potsdam und Frankfurt (Oder) im gleichen Zeitraum eine Verdopplung der Einwohnerzahlen von 2.035.000 auf 4.090.000 verzeichneten.11 Die Zunahme ließ sich maßgeblich auf die Entwicklung der hauptstadtnahen Gemeinden und Städte zurückführen. Im Regierungsbezirk Potsdam etwa stiegen die Einwohnerzahlen allein in den Gebieten mit bis zu 15 Kilometern Entfernung von Berlin zwischen 1871 und 1905 von 103.000 auf 1.162.000 an.12

Während die zu dieser Zeit größten Städte Brandenburgs wie Charlottenburg, Steglitz und Schöneberg oder die Kreise Niederbarnim und Teltow von dieser Entwicklung profitierten, zeigte sich in den von Berlin entfernter gelegenen Regionen der Provinz ein anderes Bild: Sofern dort eine Anbindung an das moderne und von der Hauptstadt ausgehende Verkehrssystem fehlte, führte die Konzentration von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft in der Hauptstadt zu einem schleichenden Bedeutungsverlust der entfernteren Regionen.13 In der Uckermark, der Ostprignitz oder dem Spreewald stagnierte die Bevölkerungszahl daher oder ging sogar leicht zurück. Diese landwirtschaftlich geprägten Kreise litten besonders unter den Abwanderungsprozessen Richtung Berlin und Umgebung.14

Die Entwicklung der Brandenburger Industrie bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs


Als Wiege der brandenburgischen Industrie galt das etwa 70 Kilometer nordöstlich von Berlin gelegene Gebiet des Finowtals rund um das heutige Eberswalde. Dieses erste, etwa seit Anfang des 17. Jahrhunderts entstandene industriell-gewerbliche Zentrum der Mark Brandenburg erwarb sich einen Ruf als »Märkisches Wuppertal«, nachdem dort die industrielle Metallverarbeitung Brandenburgs mit der Gründung einer Eisenspalterei, eines Kupferhammers und eines Messingwerks ihren Ausgang nahm.15 Neben Eberswalde bildete Brandenburg an der Havel einen Schwerpunkt der Metallverarbeitung.16 Dennoch blieb die Brandenburger Eisen- und Metallverarbeitung im Vergleich zu den übrigen preußischen Provinzen, insbesondere dem Rheinland und Schlesien, lange Zeit völlig unterentwickelt.17

Als Schrittmacher der industriellen Entwicklung erwies sich schließlich wie in anderen Teilen Deutschlands das Textilgewerbe.18 Hier zeigte sich erstmals eine Form der Abwanderung aus dem Produktionszentrum Berlin in die umliegenden Gebiete. Zwischen 1849 und 1875 sank die Zahl der im Textilgewerbe Beschäftigten in Berlin. Im gleichen Zeitraum stieg die Zahl der Textilarbeiter in Brandenburg von 34.000 auf 46.300.19 Da die technologische Weiterentwicklung durch den Einsatz von Spinnmaschinen, mechanischen Webstühlen und dampfgetriebenen Arbeitsmaschinen billige Massenproduktionen ermöglichte, entwickelte sich ein starker Wettbewerb zwischen Berliner Textilbetrieben und günstigen englischen Konkurrenzunternehmen. In der Konsequenz führte dies zu einer Abwanderung der beschäftigungsintensiven Betriebe der Textilverarbeitung aus dem Zentrum in die Peripherie.20 Die im ländlichen Raum Brandenburgs vorhandenen zahlreichen und billigen Arbeitskräfte sowie niedrigere Lebenshaltungskosten führten zu einer starken Ausweitung der Textilwirtschaft in Orten wie Luckenwalde, das als Tuchmacherstadt eine überregional wichtige Industriestadt wurde, Brandenburg an der Havel und in der Prignitz nordwestlich von Berlin.21 Dort begründete die Familie Quandt mit dem Aufbau einer Textilfabrik in Pritzwalk in den Achtzigerjahren des 19. Jahrhunderts ihren Aufstieg zu einer der führenden Unternehmerfamilien Deutschlands.22 Darüber hinaus siedelten sich insbesondere in der Niederlausitz zahlreiche Betriebe an. Orte wie Guben, Spremberg und Forst, das aufgrund der ausgeprägten Industriestruktur auch als »deutsches Manchester« bezeichnet wurde, sowie Cottbus wurden zu Zentren der Textilwirtschaft.23 1907 arbeiteten 70.000 Menschen in der Brandenburger Textilindustrie.24

Früher als die brandenburgische Textilindustrie, aber lokal begrenzt, bildete Rathenow das erste Zentrum der optischen Industrie in Deutschland.25 1801 begann Johann August Heinrich Duncker mit der deutschlandweit erstmaligen fabrikmäßigen Produktion von geschliffenen Brillengläsern und -fassungen auf der Basis der von ihm entwickelten Vielschleifmaschine. Die von Duncker begründete »Königlich privilegierte optische Industrie-Anstalt« begann zu Beginn des 19. Jahrhunderts mit dem Verkauf von Brillen. 1843 wurden in Rathenow bereits 40.000 Brillenfassungen und mehr als 250.000 Brillengläser hergestellt.26 Die Nachfolger Dunckers bauten nicht nur eine über die ganze Stadt in vielen Klein- und Kleinstbetrieben verteilte optische Industrie auf, sondern errangen damit auch eine führende Rolle in der Herstellung von Brillengläsern und -fassungen. 1896 existierten in Rathenow bereits 163 optische Betriebe.27 Rathenow entwickelte sich mit der Produktion von Brillen, Ferngläsern und Mikroskopen zur »Stadt der Optik« und damit zu einem Vorreiter der industriellen Produktion auf diesem Gebiet.

Der chemischen Industrie kam hingegen nur eine geringe Bedeutung zu. Deren Beschäftigtenanteil am Gesamtgewerbe lag 1875 bei gerade 1,7 Prozent, während die Textil- und Bekleidungsindustrie (36 Prozent), die Herstellung von Nahrungs- und Genussmitteln (11 Prozent) sowie die Bauindustrie (10 Prozent) die gewerbliche Struktur der Provinz prägten. Als sichtbares Zeichen der industriellen Revolution folgte dahinter bereits der Produktionszweig, der Maschinen, Werkzeuge, Feinmechanik und Optik (9,5 Prozent)...



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