Krauthausen / Schwarz | Wie kann ich was bewegen? | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 312 Seiten

Krauthausen / Schwarz Wie kann ich was bewegen?

Die Kraft des konstruktiven Aktivismus
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-89684-594-8
Verlag: Edition Einwurf GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Die Kraft des konstruktiven Aktivismus

E-Book, Deutsch, 312 Seiten

ISBN: 978-3-89684-594-8
Verlag: Edition Einwurf GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Immer mehr Menschen wollen sich für gesellschaftliche, soziale oder ökologische Ziele einsetzen. Aber wie schafft man es, wirklich etwas zu bewegen? Welches Engagement kann tatsächlich Veränderungen herbeiführen? Dafür gibt es viele ermutigende Beispiele, die in den Gesprächen der Autoren mit Deutschlands bekanntesten Aktivist*innen deutlich werden. Luisa Neubauer (Fridays for Future), Carola Rackete (Seenotretterin und Naturschützerin), Philipp Ruch (Zentrum für Politische Schönheit) u.v.a. berichten von ihrer Arbeit, ihren Erfahrungen, auch ihren Ängsten und Nieder lagen, vor allem aber darüber, warum Aktivismus eine Bereicherung ist - für die Gesellschaft und für das eigene Leben. Inklusionsaktivist Raúl Krauthausen und Politikwissenschaftler Benjamin Schwarz inspirieren und ermutigen uns, einfach anzufangen und nicht aufzugeben. Aktivismus hat nichts mit schwarzen Blöcken oder krawalligem Protest zu tun, er bedeutet ernsthafte politische Arbeit: Der konstruktive Aktivismus ist ein leidenschaftliches politisches Instrument, das radikal und konsequent für die konkrete Veränderung aktueller Umstände kämpft.

Raúl Aguayo-Krauthausen ist Inklusionsaktivist, Gründer der »Sozialhelden e.V.« und studierter Kommunikationswirt. Seit über 15 Jahren arbeitet er in der Internet- und Medienwelt. Seit 2011 ist Krauthausen Ashoka Fellow. 2013 wurde er mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande ausgezeichnet, und 2014 erschien seine Autobiografie »Dachdecker wollte ich eh nicht werden«. Benjamin Schwarz ist Politikwissenschaftler, Journalist und Autor. Er arbeitet als Geschäftsführender Gesellschafter der part GmbH für digitales Handeln. Das Projektbüro mit Schwerpunkt auf digitaler Kommunikation und gesellschaftlicher Teilhabe engagiert sich vor allem in den Bereichen Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit.
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2. Aktion

»So können wir die Welt nicht mehr retten, indem wir nach den Regeln spielen. Weil die Regeln geändert werden müssen.«1

Greta Thunberg

Seit dem 20.August sitzt Greta Thunberg jeden Tag vor dem schwedischen Parlament. Seit dem zweiten Tag nicht mehr allein. Immer wieder setzen sich Unterstützer*innen dazu. Greta ist nicht gerade gesprächig. Ihr Autismus schützt sie vor Small Talk. Das bedeutet nicht, dass diese Unterstützung Greta nichts bedeutet. Ganz im Gegenteil: Ursprünglich wollte die schwedische Schülerin bis zur Parlamentswahl am 9.September 2018 streiken. Einen Tag zuvor entschließt sie sich, ab sofort jeden Freitag zu streiken. Für ihren Tweet an diesem 8.September hat sie sich einen neuen Hashtag überlegt: #FridaysForFuture.

Die Bewegung wird Tag für Tag größer, stärker, bekannter. Greta wird eingeladen, an der 24. UN-Klimakonferenz Anfang Dezember in Kattowitz teilzunehmen und dort zu sprechen. Der Kofferraum des Elektroautos ist voller Dosen Baked Beans.2 Vater Svante und Greta fahren nach Polen. Ein Waffeleisen haben sie auch dabei. Greta ist in der 21. Woche ihres Schulstreiks und mittlerweile weltweit bekannt. Nicht nur in Schweden, sondern bis nach Australien hat sie Schüler*innen zum Klimastreik bewegen können.

In der Stadt Kattowitz tragen viele Menschen bereits zwei Jahre vor der Coronapandemie Atemschutzmasken. Sie schützen sich vor dem Feinstaub der Kohlekraftwerke. Etwa 5000 Menschen sterben in Polen jedes Jahr an den Folgen der durch Feinstaub verursachten Krankheiten. Am 2. Dezember 2018 steht die damals 22-jährige Luisa Neubauer in einem ehemaligen Bergwerk im polnischen Kattowitz. Luisa ist als junge Beobachterin der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen hier. Es ist die 24. UN-Klimakonferenz – mit rund 30000 Teilnehmer*innen aus fast 200Ländern. Regierungschef*innen, Minister*innen, Diplomat*innen, Nichtregierungsorganisationen, UN-Delegierte. Hier in Kattowitz wird zwei Wochen lang in vielen einzelnen Sitzungen und Veranstaltungen über das Klima gesprochen. Nicht alles kann die Jugenddelegierte Luisa beobachten, viele Türen bleiben verschlossen. Ihr Ausweis ist gelb, damit kommt sie nicht in die Räume, in denen verhandelt wird. Polizist*innen und freiwillige Helfer*innen bewachen die Türen. Luisa und eine weitere Jugenddelegierte probieren es an mehreren Stellen. Keine Chance.3

Es ist der 9.Dezember 2018, Tag acht der Konferenz. In Deutschland hat vor zwei Tagen in Bad Segeberg der erste Fridays-for-Future-Streik stattgefunden. In Kattowitz sprechen Greta und Svante Thunberg auf einer Podiumsveranstaltung der Organisation Scientists Warning. Luisa Neubauer sitzt im Publikum. Sie meldet sich für eine Frage, möchte wissen, was wir über individuelles Verhalten hinaus noch tun können, um die Klimakrise aufzuhalten. Nach der Veranstaltung geht Luisa auf das schwedische Mädchen zu. Vater Svante steht der Schweiß auf der Stirn. Medienvertreter*innen aus der ganzen Welt wollen einen Augenblick mit seiner Tochter. Das ist nicht völlig neu für Svante und Greta, nach den Entwicklungen der vergangenen Monate. Aber in Kattowitz sind alle auf einmal da. Luisa Neubauer bietet ihre Hilfe an. Fortan organisiert sie Gretas Presseanfragen und begleitet sie und Svante auf der Konferenz. Am 12.Dezember 2018 hält Greta eine Rede auf dem Klimagipfel in Kattowitz, die sich sehr schnell über klassische, aber vor allem über die sozialen Medien verbreitet:

»Als im August dieses Jahres die Schule begann, setzte ich mich vor dem schwedischen Parlament auf den Boden. Ich habe für das Klima gestreikt. Einige Leute sagen, ich sollte stattdessen in der Schule sein. Einige Leute sagen, ich sollte studieren, um Klimawissenschaftler zu werden, damit ich ›die Klimakrise lösen kann‹. Die Klimakrise ist jedoch bereits gelöst. Wir haben bereits alle Fakten und Lösungen. Und warum sollte ich für eine Zukunft studieren, die bald nicht mehr möglich ist, wenn niemand etwas unternimmt, um diese Zukunft zu retten? Und was bringt es, Fakten zu lernen, wenn die wichtigsten Fakten für unsere Gesellschaft eindeutig nichts bedeuten? Heute verbrauchen wir jeden Tag 100 Millionen Barrel Öl. Es gibt keine Politik, um das zu ändern. Es gibt keine Regeln, um dieses Öl im Boden zu halten. So können wir die Welt nicht mehr retten, indem wir nach den Regeln spielen. Weil die Regeln geändert werden müssen.«4

Wir wollen hier nicht denselben Fehler begehen wie viele Medien, die sich oft auf die Form, die Umstände und das Persönliche konzentrieren – also auf alles bis auf den Inhalt. Dies ist kein Buch über die Klimakrise. Und doch: Wie könnte es kein Buch über die Klimakrise sein, wenn wir über Aktivismus sprechen? Wenn wir fragen: Wie kann ich was bewegen?

Bereits vor Kattowitz mobilisiert Luisa Neubauer junge Menschen in Deutschland. Sie postet Beiträge zur Klimakrise. Unter #youth4climate. An diesem 12.Dezember 2018 benutzt sie erstmals den Hashtag #FridaysForFuture. Zwei Tage später streiken wieder Schüler*innen fürs Klima. Diesmal schon in mehreren deutschen Städten. In den kommenden Wochen entstehen die ersten regionalen Gruppen von Fridays for Future in Deutschland.

Greta Thunberg beschreibt sich mittlerweile auf Twitter als »15-jährige Klimaaktivistin mit Asperger«. Zwei Jahre später sprechen wir mit Philipp Ruch vom Zentrum für Politische Schönheit über Greta: »Für mich ist damit nichts begriffen, sie allein politische Aktivistin zu nennen. Am Ende ihres Lebens wird da noch so viel mehr sein als eine Aktivistin. Ich spüre einen derart emotionalen Mangel bei diesem Begriff. Es gibt eine Art von politischen Triebkräften, die einem das Label anheften, um nicht mehr groß mit einem zu tun haben zu müssen. Ich erlebe diesen Begriff des Aktivismus oder auch des politischen Aktivismus in erster Linie als etwas, das im Grunde abwerten soll. […] Aber die Künstler, die dürfen ein wenig verrückt sein, und die Aktivisten, die dürfen ein bisschen kämpfen, in einem gesellschaftlichen Becken, mit dem man noch so halbwegs klarkommt.«5

Aktionskunst

Philipp Ruch möchte nicht Aktivist genannt werden. Er ist politischer Aktionskünstler und »von Hause aus politischer Philosoph«, wie er sagt.6 Mit dem Kollektiv »Zentrum für Politische Schönheit« führt er seit 2009 Aktionen durch, die große mediale Aufmerksamkeit hervorrufen: mit »künstlerischen Interventionen« für »humanitäre Themen«. Philipp Ruch ist ihr Gründer und künstlerischer Leiter.

Ihre erste Aktion heißt »Die Re-Formation der Geschichte«. Sie ist angelehnt an Martin Luther, der seine Thesen zur Reformation an die Wittenberger Schlosskirche genagelt haben soll. Das Zentrum für Politische Schönheit verkündet nun in einem »Thesen-Anschlag auf den Deutschen Bundestag« seine grundsätzlichen Vorhaben. Die erste der zehn Thesen lautet: »In jedem Menschen steckt eine tiefreichende Sehnsucht nach dem Schönen.«7 Außerdem wollen die Aktionskünstler*innen Angela Merkel und Frank-Walter Steinmeier auf eBay verkaufen.

2015 präsentiert Philipp Ruch seine politischen Ideen in einem Manifest. Dort fordert er einen »hartnäckigen Humanismus«. OnlinePetitionen kritisiert er als »platonisch«. Aber was bedeutet »politische Schönheit«? »Ich behaupte, dass der Mensch ein Wesen mit einem angeborenen Instinkt für Schönheit ist. Und das bedeutet, dass er eigentlich zu jeder Zeit und in jeder Minute ein Bewusstsein davon in sich trägt, ob das, was er tut, schön ist oder hässlich.«8

Philipp Ruch geht es um das richtige Handeln: »Das Zentrum für Politische Schönheit ist der radikale Flügel des Humanismus«, heißt es wortgewaltig auf dessen Homepage, »eine Sturmtruppe zur Errichtung moralischer Schönheit, politischer Poesie und menschlicher Großgesinntheit. Wir verschränken die Macht der Phantasie mit der Macht der Geschichte.«9

Wir kennen es schon länger, das hässliche Gesicht oder die Fratze als Sinnbild des Rechtsextremismus, Terrorismus, Populismus: Im Holocaust hat Deutschland sein hässlichstes Gesicht gezeigt. Es ist die Grundüberzeugung des Zentrums, dass wir nicht nur aus der Geschichte lernen, sondern vor allem auch handeln müssen: Politische Schönheit stellt sich einer hässlichen Politik entgegen.

So befasst sich das Zentrum für Politische Schönheit meist nicht mit politischer Schönheit, sondern mit dem Gegenteil. Mit den »Säulen der Schande« erinnert es an das Massaker von Srebrenica, auch an die Mitschuld der westlichen Welt und der UN, die den Völkermord tatenlos geschehen ließen. Die acht Meter hohen und 16Meter breiten Buchstaben, die mit 16744 Schuhen gefüllt wurden, auch mit Schuhen der 8372 Opfer, ergeben die Buchstaben UN.

2014 bewirbt das Zentrum für Politische Schönheit die »Kindertransporthilfe des Bundes«: Um 55000 Kinder aus Syrien vor dem Krieg zu retten, werden Pflegefamilien in Deutschland gesucht. Ein vollständiges Konzept steht hinter der Großkampagne. Als Absenderin ist das Bundesfamilienministerium angegeben. Es gibt sogar eine Hotline, wo sich bereits innerhalb der ersten beiden Tage über 1000 Familien melden, um ein syrisches Kind aufzunehmen.

Zum 25.Jahrestag des Falls der Berliner Mauer greifen die politischen Aktionskünstler erneut das Thema Flucht auf. Die Kreuze zum Gedenken an die Berliner Maueropfer am Ufer der Spree neben dem...


Raúl Aguayo-Krauthausen ist Inklusionsaktivist, Gründer der »Sozialhelden e.V.« und studierter Kommunikationswirt. Seit über 15 Jahren arbeitet er in der Internet- und Medienwelt. Seit 2011 ist Krauthausen Ashoka Fellow. 2013 wurde er mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande ausgezeichnet, und 2014 erschien seine Autobiografie »Dachdecker wollte ich eh nicht werden«.
Benjamin Schwarz ist Politikwissenschaftler, Journalist und Autor. Er arbeitet als Geschäftsführender Gesellschafter der part GmbH für digitales Handeln. Das Projektbüro mit Schwerpunkt auf digitaler Kommunikation und gesellschaftlicher Teilhabe engagiert sich vor allem in den Bereichen Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit.



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