E-Book, Deutsch, 262 Seiten
Leuze Like Storms We Collide - Der Geschmack von Sommerregen
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-98690-931-4
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Roman | Ein aufwühlendes Familiengeheimnis und eine Liebe, die unmöglich scheint - für Fans von Nikola Hotel
E-Book, Deutsch, 262 Seiten
ISBN: 978-3-98690-931-4
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Julie Leuze, geboren 1974, studierte Politikwissenschaften und Neuere Geschichte in Konstanz und Tübingen, bevor sie sich dem Journalismus zuwandte. Mittlerweile widmet sie sich ganz dem Schreiben von Romanen für Erwachsene, Young Adults und Kinder. Ihr Roman »Der Geschmack von Sommerregen« wurde 2014 als bester deutschsprachiger Liebesroman durch den Delia-Preis ausgezeichnet. Julie Leuze lebt mit ihrer Familie in Stuttgart. Mehr zur Autorin: www.julie-leuze.com Bei dotbooks veröffentlichte Julie Leuze ihren historischen Liebesroman »Regency Dance - Einladung zum Ball« sowie ihre Young-Romance-Romane »Dreams like the Ocean - Herzmuschelsommer«, »Only the Stars between Us - Das Glück an meinen Fingerspitzen«, »Like Storms We Collide - Der Geschmack von Sommerregen« und »Like Waves We Dance - Sternschnuppenträume«.
Autoren/Hrsg.
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Kapitel 5
Ausgerüstet mit Pinzette, einer kleinen Tube Spezialgel, einem Augenbrauenstift und einer Tasse mit Eiswürfeln sitzen wir in Lenas Zimmer.
»Ich habe mich im Internet informiert«, sagt Lena mit Kennermiene. »Brauen wie deine sollten gar nicht groß verändert, sondern nur an den richtigen Stellen in Form gezupft werden.«
»Aha«, gebe ich zweifelnd zurück, während ich mich frage, ob das Zupfen wohl sehr wehtut. »Und welche sind die richtigen Stellen?«
Lena greift nach dem Augenbrauenstift und hält ihn mir senkrecht an die Nasenflügel, erst rechts, dann links.
»Alle Härchen zwischen Stift und Nasenwurzel müssen weg«, sagt sie bestimmt.
Ich nicke unbehaglich. Lena befiehlt mir, die Augen zu schließen, und spannt meine Haut mit zwei Fingern. Zack, rupft sie das erste Härchen aus. Ich zucke zusammen, ein fieses Senfgelb blitzt auf meinem inneren Monitor auf.
»Weh tut es nur am Anfang«, tröstet Lena mich. »Wenn du das regelmäßig machst, gewöhnt sich deine Haut daran. Hab ich jedenfalls gelesen.«
Zack. Zack. Zack. Zack. Lena wirkt nicht so, als sei sie bald fertig, doch ich habe bereits mehr als genug. Die Farbe potenziert den Schmerz, macht unerträglich, was ansonsten ganz gut auszuhalten wäre. Glaube ich zumindest, denn Emotionen ohne Farben kenne ich ja nicht.
»Stopp, Lena.« Ich öffne die Augen, hebe abwehrend die Hände. »Den Rest bändigen wir meinetwegen mit diesem komischen Gel. Anmalen darfst du mich auch. Aber hör auf, mich zu quälen, das ist …« – so widerlich gelb, will ich sagen, schlucke es aber im letzten Moment herunter – »… total unangenehm.«
Lena lässt brav die Pinzette sinken, und ich schäme mich, weil sie mich für schrecklich wehleidig halten muss. Ich greife nach dem Handspiegel und betrachte das Ergebnis der Quälerei. Die Lücke zwischen meinen Augenbrauen ist ein bisschen größer geworden, dafür aber knallrot.
»Du musst es mit Eis kühlen, steht auf gofeminin«, sagt Lena und reicht mir die Tasse. »Dann ist die Rötung in ein paar Stunden weg.«
Ich verziehe das Gesicht. »Und was sag ich meinen Eltern beim Abendessen, warum ich mir das angetan habe?«
Noch nie habe ich mich etwas Schmerzhaftem unterzogen, um besser auszusehen. Meine Mutter wird sofort vermuten, dass ein Junge dahinter steckt, und auf ihre neugierigen Fragen habe ich so wenig Lust wie auf Eiterpickel.
»Sag ihnen doch, du wolltest deine Tapferkeit trainieren.« Lena kichert. »Damit du bei dem XXL-Tattoo, das du dir nächste Woche stechen lassen wirst, nicht in Tränen ausbrichst.«
Ich muss lachen. Zwar habe ich keineswegs vor, mir ein Tattoo stechen zu lassen, weder ein großes noch ein kleines. Aber die Vorstellung, wie meinem konservativen Vater am Abendbrottisch vor Schreck die Gabel aus der Hand fällt, ist so komisch, dass es das fast wert wäre.
Während ich mir den Eiswürfel auf die Haut drücke und Lena sich mit Bürstchen, Gel und Brauenstift an mir zu schaffen macht, fragt sie neugierig: »Und? Wie lange bist du schon in Mattis verknallt?«
Der abrupte Themenwechsel überrumpelt mich, und ich antworte nicht sofort. Verknallt, das trifft es überhaupt nicht.
Aber welches Wort trifft es dann?
Wie soll ich Lena klarmachen, dass ich mich bei Mattis so verwirrend anders fühle? Dass ich ihn nur anschauen muss, nur in seiner Nähe stehen, nur an seinen Mund denken, um von Farben und Empfindungen überrollt zu werden? Die Wellen, das Glitzern, diese blaugoldene Überflutung mit dem sanften Hauch von neugierigem Schwarz – das alles darf ich schließlich nicht erwähnen.
Also beschränke ich mich auf ein verlegenes: »Hab’s dir doch in der Schule geschrieben.«
»Das mit der Liebe auf den ersten Blick.« Lena lächelt. »Das ist so süß, Sophie. Aber ehrlich gesagt, ich kann es gar nicht nachvollziehen. Bei mir kommt die Verliebtheit immer so nach und nach, wie bei Leon. Jetzt ist sie da, aber es hat ganz schön lange gedauert, das weißt du ja. Ich dachte immer, den berühmten Blitzschlag der Liebe gibt’s nur im Film.«
Tja, das dachte ich bis vor Kurzem auch. Seufzend sage ich: »Im Film kriegen sie sich aber zum Schluss, und das ist der Unterschied zur Realität. Ich werde Mattis niemals kriegen, egal was du mit meinen Augenbrauen anstellst.«
»Schau dich doch erst mal an, du Unke!« Lena lässt von mir ab und nimmt mir den tropfenden Eiswürfel aus der Hand.
Ich gehorche, blicke in den Spiegel – und bin tatsächlich überrascht. Ein zartes Zitronengelb breitet sich in mir aus, und ich wage es zögernd, mich zu freuen. Okay, von Sophie Kirschner bis zu Emma Watson ist es immer noch ein sehr, sehr weiter Weg. Aber für meine Verhältnisse, das muss ich zugeben, sehe ich gar nicht schlecht aus.
Wie durch ein Wunder ist die Rötung bereits verschwunden. Meine Augenbrauen sind so dicht wie zuvor – ich habe Lena das Zupfen ja verboten -, doch jetzt wirken sie gleichmäßig und gerade. Dunkler als sonst, verleihen sie meinen weichen Gesichtszügen einen ungewohnten Ausdruck von Stärke.
Und das gefällt mir.
Im Spiegel trifft sich Lenas Blick mit meinem. »Zufrieden?«, fragt sie hoffnungsvoll.
Ich lächele sie an. »Danke, Lena. Du hast was gut bei mir.«
Lena strahlt. »Prima. Dann müssen wir dich nur noch von deiner Grundschulfrisur befreien!«
Mit einem raschen Griff zieht sie mir das Gummi aus dem Haar, das ich wie üblich zu einem praktischen Pferdeschwanz zusammengebunden habe. Mausbraune, stumpfe Strähnen fallen mir störrisch auf die Schultern.
Lenas Enthusiasmus erhält einen deutlichen Dämpfer. »Sag mal, nimmst du eigentlich nie eine Glanz-Spülung oder so?«
Ich schüttele den Kopf. »Ob meine Haare glänzen oder nicht, sieht man bei einem Pferdeschwanz doch eh nicht.«
Wenn ich ehrlich bin, ist das aber keineswegs der Grund. Die Wahrheit ist, dass ich auf meinem inneren Monitor so viele leuchtende, glitzernde, schimmernde, flauschige und pastellene Farben sehe, dass mir das genügt. Die Wirklichkeit ist sowieso blass dagegen. Warum also sollte ich mich um glänzendes Haar oder schöne Stoffe kümmern?
Mein Blick im Handspiegel fliegt zum Ansatz des Spaghettiträger-Kleides, das ich anhabe – und das sogar hübsch sein könnte, wenn es nicht so verwaschen wäre. Vielleicht, denke ich, wäre es an der Zeit, etwas mehr im Außen zu leben statt im Innen. Vielleicht sollte ich den Monitor entschlossen ignorieren, so wie meine Eltern es mir ständig predigen.
Doch sofort zieht sich bei dieser Vorstellung alles in mir zusammen, in einer schmutzigen, panischen Mischung aus Braun, Oliv und Staubgrau. Und mir wird klar, dass man mir ebenso gut vorschlagen könnte, ich solle mir ein Ohr abschneiden.
Lenas Stimme reißt mich aus meinen Gedanken. »Lass uns ins Bad gehen, Sophie. Meine Mutter hat tausend Spülungen und Kuren rumstehen, da bedienen wir uns jetzt. Und einen schönen Lippenstift finden wir bestimmt auch noch für dich. Wäre doch gelacht, wenn wir’s nicht schaffen würden, dass Mattis bei deinem Anblick die Augen aus dem Kopf fallen!«
»Die Hoffnung stirbt zuletzt, was?«, witzele ich, um zu verbergen, dass ich ihren Optimismus ganz und gar nicht teile. Aus einem Mauerblümchen ist nun mal kein Schwan zu machen, nicht mal mit den Segnungen der chemischen Industrie. Trotzdem folge ich Lena ins Bad, wo ich wieder einmal staune, wie anders es dort aussieht als bei uns.
Zum Beispiel in der Dusche. In unserer Dusche stehen: ein Shampoo für empfindliches Haar, ein Unisex-Duschgel, eine Waschcreme fürs Gesicht und – als Zugeständnis an meine unreine jugendliche Haut – ein Peeling.
In der Dusche der Landeggers stehen: bonbonfarbene und männlich sportive Tuben, Flaschen und Spender der verschiedensten Marken, Sorten und Duftrichtungen, unüberschaubar an der Zahl, jeden Zentimeter der diversen Ablagen bedeckend. Uff.
»Ich weiß ja, dass deine Mutter Geschäftsführerin im Drogeriemarkt ist«, sage ich kopfschüttelnd, »aber euer Bad haut mich jedes Mal wieder um. Hey, für Vivian und Bernice wäre das hier das reinste Paradies!«
Lena lacht. »Für so ziemlich jede aus unserer Klasse, oder? Aber heute geht es nur um dich. Also, womit fangen wir an?«
Zwei Stunden später bin ich wieder zu Hause, stehe in meinem Zimmer vor dem großen Spiegel und frage mich, ob Mattis wohl auffallen wird, dass ich mich verändert habe.
Denn das habe ich.
Meine Haare schimmern – sattbraun und seidig umschmeicheln sie mein Gesicht. Das Rot auf meinen Lippen führt mir vor Augen, dass sie erstaunlich voll sind. Mein Mund bildet nun einen schönen, weiblichen Gegensatz zu den dunklen Brauen. Das Beste aber ist dieser Ausdruck von Stärke und Charakter in meinem Gesicht, der sich auch nach zwanzig Minuten In-den-Spiegel-Starrens nicht verflüchtigt hat.
Unwillkürlich frage ich mich, ob dieser Ausdruck nur Fassade ist, wie die Röte meines Mundes oder die in Form gegelten Brauen. Bin ich stark, irgendwo da drinnen, an einem Ort, den ich nur noch nicht entdeckt habe?
Oder mache ich mir etwas vor, wenn ich das glaube, genau wie ich mir etwas vormache, wenn ich mir Chancen bei Mattis Bending ausrechne? Für Vivian interessiert Mattis sich schließlich auch nicht, und die stylt sich um Einiges gekonnter als ich.
»Sophie, Abendessen ist fertig!«, höre ich meine Mutter rufen.
Ich reiße mich von meinem fremden Spiegelbild und den unbeantworteten Fragen los. Atme ein paarmal tief durch, gebe mir Zeit, zurück in die Rolle zu schlüpfen, die meine Eltern mir zugedacht haben. Sie passt mir wie eine zweite Haut.
Dann ziehe ich die Zimmertür hinter mir zu und gehe nach unten...