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E-Book, Deutsch, 536 Seiten

Meier Die Hunnen

Geschichte der geheimnisvollen Reiterkrieger
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-406-82916-1
Verlag: Verlag C. H. Beck GmbH & Co. KG
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Geschichte der geheimnisvollen Reiterkrieger

E-Book, Deutsch, 536 Seiten

ISBN: 978-3-406-82916-1
Verlag: Verlag C. H. Beck GmbH & Co. KG
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Die Hunnen galten bereits in der Antike als Inbegriff kriegerischer Barbaren. Auf ihren Pferden fegten sie wie Stürme über Dörfer und Städte hinweg und verbreiteten Angst und Schrecken. Unter Attila, dem bekanntesten Hunnenherrscher, wurden sie zu einem der gefährlichsten Widersacher des Römischen Reiches. Doch wer waren diese mysteriösen Steppenreiter? Woher kamen sie? Und wie gelang es ihnen, ein Reich aufzubauen, vor dem selbst Rom erzitterte? In seiner lebhaften Gesamtdarstellung wirft der Althistoriker Mischa Meier einen Blick hinter die Legenden und schildert, was wir über die faszinierende Kultur und Gesellschaft der Hunnen, über ihren Ursprung und ihre Herrschaft wissen.

Als die Hunnen 375 n.Chr. zum ersten Mal in den Machtbereich der römischen Welt eindrangen, löste dieser «Hunnensturm» Schockwellen aus. Sechzig Jahre danach hatte Attila es geschafft, in Mitteleuropa ein mächtiges Hunnenreich zu etablieren, mit dem selbst die römischen Kaiser auf Augenhöhe verhandeln mussten. Mischa Meier beleuchtet nicht nur den beeindruckenden Aufstieg unter Attila, sondern auch den dramatischen Niedergang des Reiches nach seinem Tod – ein Ereignis, das das Machtgefüge Europas grundlegend veränderte und möglicherweise auch den Untergang des Weströmischen Reiches beschleunigte. Eindrücklich führt er vor Augen, wie die Hunnen zu solch prägenden Faktoren der Völkerwanderungszeit werden konnten. Das vorliegende Buch bietet eine fundierte Einführung in die Welt der Hunnen jenseits der Klischees und Zuschreibungen, die sich auch heute noch um diese legendären Krieger ranken.

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1 Apokalyptische Reiter
und zivilisationsferne Barbaren –
Zeitgenössische Wahrnehmungen
der Hunnen
Die Zeiten waren finster. Immerwährender Krieg, Hunger und Seuchen hatten sich über das Land gelegt, über eine Bevölkerung zudem, die sich in religiösem Dissens verzehrte und angstzerquält auf die Zukunft blickte. Fast drei Jahrzehnte lang (602–628) hatte das Imperium Romanum mit seinem Erzrivalen im Osten, dem persischen Sasanidenreich, gerungen, zwischenzeitlich nahezu sämtliche östlichen Provinzen, ja sogar die Heilige Stadt Jerusalem verloren (614), um sich schließlich dennoch zu behaupten.[1] Doch die Jahre des Friedens und der Restauration währten nur kurz. Nach dem Tod des Propheten Mohammed (†632) erhob sich von der arabischen Halbinsel her ein neuer Gegner und fegte über den oströmisch-byzantinischen Osten hinweg; erneut wurden dem Reich innerhalb einer einzigen Dekade wichtige Gebiete entrissen – dieses Mal indes für immer.[2] In jenen Jahren begann man sich eine schauderhafte Geschichte zu erzählen. Sie handelte von den Hunnen, mobilen Reiterkriegerverbänden, deren Überfälle man im 7. Jahrhundert nur noch aus alten Erzählungen kannte. Aber die Hunnen – oder die Vorstellungen, die sich mit ihnen verbanden – hatten offenbar tiefen Eindruck hinterlassen. Schon ihr erstes Auftreten am Rand der römischen Welt in der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts war von Zeitgenossen in Metaphern des Sturms und Wirbelwinds gefasst worden. Da lag es nahe, sich ihrer zu erinnern, als gut drei Jahrhunderte später erneut weitgehend unbekannte Berittene wie ein Tornado über die zutiefst verstörten Menschen hinwegjagten; überdies wurden die Römer seit der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts zunehmend von Awaren bedroht, mobilen Reitern aus der Steppe, die von Zeitgenossen vielfach ähnlich wie die Hunnen wahrgenommen und als solche auch bezeichnet wurden.[3] Die Hunnen blieben also im Bewusstsein der Menschen präsent. Unsere Schauergeschichte findet sich erstmals in einer Predigt, die in einem syrischsprachigen christlichen Milieu verfasst wurde, das mittlerweile unter arabischer Besatzung stand. Sie ist unter dem Namen Ephraems überliefert, wurde also dem bekanntesten syrischsprachigen Theologen und Dichter des 4. Jahrhunderts zugeordnet. Verschiedene Indizien, darunter die Erwähnung der den Arabern zu entrichtenden Kopfsteuer (gizya), weisen den Text jedoch eindeutig als Produkt der zweiten Hälfte des 7. Jahrhunderts aus.[4] Er thematisiert das Nahen des Jüngsten Tages und schreibt den Hunnen eine besondere Rolle im endzeitlichen Drama zu. Denn ihre bald zu erwartende Ankunft bilde, so der unbekannte Verfasser, ein kurzes Intermezzo zwischen den ins Apokalyptische übersteigerten Überfällen der Araber und dem Auftreten des Antichrist. Zahllose Kriegerscharen und Heere, darunter die biblischen Endzeitvölker Gog und Magog sowie die Hunnen (die der Autor später direkt mit Gog und Magog gleichsetzt)[5] würden die einst von Alexander dem Großen (†323 v. Chr.) errichteten Eisernen Pforten im Kaukasus durchbrechen und sich dann über die Menschen ergießen – so lautete seine Prophezeiung. Die Hunnen würden schwangere Frauen ergreifen, ihre Körper kochen, dann aufschlitzen und die Embryonen entfernen, um sie in einem heißen Sud aufzulösen; darin würden sie, finstere Zauberer, ihre Waffen härten, um sodann Entsetzen unter den Menschen zu verbreiten, indem sie die gesamte Welt mit Mordbrennerei und Zerstörung verwüsteten. Sie verzehrten das Fleisch von Kindern, tränken das Blut von Frauen und ritten auf Winden und Stürmen.[6] Grausame Gewaltimaginationen, in denen möglicherweise traumatisierende Kriegserfahrungen generationenübergreifend verarbeitet und nochmals übersteigert wurden – vielleicht die Erinnerung an den großen Hunneneinfall im römischen Osten 395.[7] Wer an die russischen Greueltaten in der Ukraine oder die Terrorakte der Hamas am 7. Oktober 2023 zurückdenkt, mag eine Vorstellung davon gewinnen, wie tief sich mörderische Gewaltakte in das kollektive Gedächtnis einzugraben vermögen; er mag zudem erahnen, dass hier möglicherweise nicht nur schaurig-abstoßende Fantasiegespinste konserviert[8] und mit aktuellen Endzeiterwartungen vermengt wurden.[9] Der Hunnenname evozierte unmittelbare Assoziationen düsterer, jegliche Ordnung zertrümmernder Bedrohlichkeit. Die Geschichte von Alexanders Torbau im Kaukasus zum Schutz der Menschen vor den barbarischen Scharen jenseits der griechisch-römischen Welt besaß eine lange Tradition,[10] und auch die Deutung der Hunnen als Verkörperung der biblischen Endzeitvölker Gog und Magog (die sich lautmalerisch mit den archaisierenden Bezeichnungen für Hunnen als Geten und Massageten zusammenbringen ließ) sowie Diskussionen über ihre Rolle im endzeitlichen Prozess waren nicht neu – wir werden ihnen immer wieder begegnen. Die Verbindung all dieser Elemente zu einem Gesamtnarrativ, das heißt die Identifikation Gogs und Magogs mit jenen Hunnen, die einst von Alexander hinter die Eisernen Pforten verbannt worden seien und mit ihren Raubzügen das Ende der Welt einläuten sollten, erfolgte in schriftlicher Form jedoch erst im 7. Jahrhundert.[11] In der sogenannten Syrischen Alexander-Legende, die um 629/30 verfasst wurde – jenem Zeitpunkt also, als Kaiser Herakleios das 614 von den Persern geraubte Heilige Kreuz in Jerusalem restituierte, sich dabei als messianischer Herrscher inszenierte und seinerseits den Beginn eines Endzeitalters propagierte[12] –, finden diese Erzählmotive ebenso zusammen[13] wie in dem darauf aufbauenden, nur wenig später entstandenen Syrischen Alexanderlied.[14] Beide Texte wiederum liegen unserer syrischen Predigt über die mordenden hunnischen Zauberer zugrunde, und auch die berühmte Apokalypse des Ps.-Methodios (um 692), ja selbst der Koran,[15] greifen auf denselben Motivschatz zurück.[16] Erst im 7. Jahrhundert also – die Hunnen waren als gefährliche Invasoren längst Geschichte – zeigten sich die Menschen, nunmehr mit neuen, weitaus schwereren Bedrohungen konfrontiert, gewiss, dass es sich bei ihnen um apokalyptische Reiter eindeutiger Zuordnung handelte; und erst jetzt war man imstande, die neuen hunnischen Invasionen, die man unmittelbar bevorstehend wähnte, im Zusammenhang jenes eschatologischen Dramas einzuordnen, das sich in der eigenen Gegenwart vollzog. Bis dahin konkurrierten unterschiedliche Deutungen und Erklärungen. Denn wer die Hunnen waren, woher sie kamen und welche Gründe sie in den Horizont der antiken Welt geführt hatten, blieb bis zuletzt umstritten – und wird auch heute noch kontrovers diskutiert. Fest steht indes: Seitdem sie erstmals in den Gesichtskreis der christlich-römischen Welt getreten waren, galten die Hunnen als Inbegriff des Barbarischen, als Brennspiegel sämtlicher negativer Fremdvölkerstereotype. Daher konnte der Kirchenvater Hieronymus (347–420) jenem gewaltigen Schrecken, den plündernde Hunnenverbände nicht lange davor im Römischen Reich verbreitet hatten, im Jahr 400 mit drastischen Worten emotional Ausdruck verleihen: «Möge Jesus solche Bestien hinkünftig der Römischen Welt ersparen!» (auertat Iesus ab orbe Romano tales ultra bestias).[17] Das war rhetorisch durchaus geschickt formuliert. Denn bereits der Terminus bestiae evozierte bei den Mitlebenden nicht nur ungebändigte Wildheit und entsetzliche Grausamkeit; er knüpfte zugleich an eine ethnographische Tradition an, die bereits seit Jahrhunderten die Wahrnehmung und Beschreibung von Fremden geprägt hatte und auch die Kontakte zwischen Römern und Hunnen – soweit sie in der Überlieferung überhaupt dokumentiert sind – weitgehend überformte.[18] In diesem Umstand manifestiert sich eines der Grundprobleme jeglicher Beschäftigung mit den Hunnen: Wir können sie lediglich in römischen Schriftzeugnissen fassen, die zumeist einseitig verzerrend, klischeebeladen oder situativen Kontexten geschuldet sind; genuin hunnische Aussagen besitzen wir nicht, und auch das archäologische Material wirft mehr Fragen auf, als es zu beantworten vermag. Insbesondere in den ersten Dekaden der römisch-hunnischen Kontakte (ca. 375–400) scheint...


Mischa Meier lehrt als Professor für Alte Geschichte an der Eberhard Karls Universität Tübingen. Er ist ein international renommierter Fachmann für die Übergangszeit der Spätantike zum Frühmittelalter.



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