Meyder / Wiedwald / Stolz | Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz Baden-Württemberg | E-Book | www.sack.de
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E-Book, Deutsch, 368 Seiten

Meyder / Wiedwald / Stolz Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz Baden-Württemberg

Praxiskommentar und Arbeitshilfen
3. Auflage 2019
ISBN: 978-3-7504-6521-3
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Praxiskommentar und Arbeitshilfen

E-Book, Deutsch, 368 Seiten

ISBN: 978-3-7504-6521-3
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Mit dem am 1. Januar 2015 in Kraft getretenen Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz erhalten Hilfen für psychisch kranke oder behinderte Personen erstmals in Baden-Württemberg eine gesetzliche Grundlage. Die bislang im Unterbringungsgesetz (UBG) niedergelegten Regelungen über die öffentlich-rechtliche Unterbringung sowie den Maßregelvollzug wurden überarbeitet und ebenfalls in dieses Gesetzeswerk integriert. Das gerichtliche Verfahren richtet sich jetzt nach dem Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG). Mit Gesetz zur Änderung des Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetzes vom 5. Juni 2019 wurden die Regelungen bei Fixierungen fürsorglich aufgenommener oder untergebrachter Personen um einen Richtervorbehalt ergänzt und so die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts im Urteil vom 24. Juli 2018 umgesetzt. Die Neuregelungen bei Fixierungen, aber auch die Praxiserfahrungen mit den Vorschriften des Gesetzes seit dem Inkrafttreten im Jahr 2015 hatten bereits eine Überarbeitung des Kommentars notwendig gemacht. Das Gesetz zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts vom 4. Mai 2021 hat eine erneute Überarbeitung des Kommentars erforderlich gemacht. Ziel der Reform ist es, das Selbstbestimmungsrecht und die Autonomie unterstützungsbedürftiger Menschen im Sinne des Artikels 12 der UN BRK zu stärken. Dem Willen und den Wünschen von Menschen mit eingeschränkter Selbstbestimmungsfähigkeit soll noch mehr Beachtung geschenkt werden als bisher, auch um den Preis einer nicht optimalen Behandlung und Versorgung. Bei der Überarbeitung des Kommentars wurden auch neue obergerichtliche Entscheidungen insbesondere zum Thema Unterbringung und Zwangsbehandlung berücksichtigt.

Julia Meyder ist Juristin und arbeitet als Regierungsdirektorin im Sozialministerium Baden-Württemberg. Sie war während der Gesetzesnovellierung im Psychiatriereferat tätig und an der Erarbeitung der neuen rechtlichen Rahmenbedingungen für Hilfen und Schutzmaßnahmen für psychisch kranke Personen maßgeblich beteiligt.
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Nach Absatz 1 Satz 1 werden Hilfen nur geleistet, soweit sie von der leistungsberechtigten Person freiwillig angenommen werden. Die Hilfen dürfen den Betroffenen danach nicht gegen ihren Willen aufgedrängt werden. Die Definition der Hilfen erfolgt in § 5 Absatz 1. Die Regelung ist Ausdruck der Persönlichkeits- und Freiheitsgrundrechte. Die grundrechtlich geschützte Freiheit schließt auch die „Freiheit zur Krankheit“ und damit das Recht ein, auf Heilung zielende Eingriffe abzulehnen, selbst wenn diese nach dem Stand des medizinischen Wissens dringend angezeigt sind (BVerfG, Beschluss vom 23. März 2011 - 2 BvR 882/09 -; BVerfG, Beschluss vom 7. Oktober 1981 - 2 BvR 1194/80). Daher ist es nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts grundsätzlich Sache des Einzelnen, darüber zu entscheiden, ob er sich therapeutischen oder sonstigen Maßnahmen unterziehen will, die ausschließlich seiner „Besserung“ dienen (BVerfG, Beschluss vom 23. März 2011 - 2 BvR 882/09 – unter Verweis auf BVerfG Urteil vom 18. Juli 1967 - 2 BvF 3/62).

Absatz 1 Satz 2 stellt allerdings klar, dass im Hinblick auf die Maßnahmen im Bereich der öffentlich-rechtlichen und strafrechtlichen Unterbringung die spezialgesetzlichen Eingriffsermächtigungen der Teile 3 und 4 des Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetzes der Regelung in Satz 1 vorgehen (im Einzelnen vgl. hierzu die Kommentierung in den jeweiligen Gesetzesteilen). Gleiches ergibt sich im Übrigen auch bereits aus der Definition der „Hilfen“ gemäß § 5 Absatz 1, die Maßnahmen der öffentlich-rechtlichen oder strafrechtlichen Unterbringung nicht mitumfasst (zur diesbezüglichen Definition im Einzelnen siehe Kommentierung zu § 5). Satz 2 hat somit lediglich deklaratorische Bedeutung.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Beschluss vom 23. März 2011 - 2 BvR 882/09) ist der Gesetzgeber berechtigt, unter engen Voraussetzungen Behandlungsmaßnahmen gegen den natürlichen Willen des Grundrechtsträgers ausnahmsweise zu ermöglichen, wenn dieser zur Einsicht in die Schwere seiner Krankheit und die Notwendigkeit von Behandlungsmaßnahmen oder zum Handeln gemäß solcher Einsicht krankheitsbedingt nicht fähig ist. Das Bundesverfassungsgericht hat angenommen, dass unter dieser Voraussetzung der schwerwiegende Grundrechtseingriff, der in einer Freiheitsentziehung liegt, zum Schutz des Betroffenen selbst gerechtfertigt sein kann, und die nach Landesunterbringungsrecht für einen solchen Fall vorgesehene Möglichkeit fürsorgerischer Unterbringung zum Zweck der Behandlung gebilligt (BVerfG, Beschluss vom 23. März 2011, a.a.O., ferner Beschluss vom 7. Oktober 1981 - 2 BvR 1194/80; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 23. März 1998 - 2 BvR 2270/96). Denn das Gewicht, das dem eingeschränkten Grundrecht in der Abwägung mit denjenigen grundrechtlichen Belangen zukommt, die durch den Eingriff in dieses Recht gewahrt werden sollen, kann nicht vollkommen losgelöst von den tatsächlichen Möglichkeiten des Grundrechtsträgers zu freier Willensentschließung bestimmt werden (BVerfG, Beschluss vom 23. März 2011, a.a.O.; Beschluss vom 7. Oktober 1981, a.a.O.). Im Einzelnen vgl. hierzu die Kommentierung zu § 13, Rn. 10, sowie § 20, Rn. 4 ff.

Absatz 2 beschreibt die präventive Bedeutung der Hilfen (siehe hierzu auch Absatz 5) und ihr Verhältnis zu den Schutzmaßnahmen des dritten Gesetzesteils. Durch einen niederschwelligen Zugang zu den in den folgenden Vorschriften normierten Hilfen und eine gute Vernetzung der verschiedenen Angebote des psychosozialen und psychiatrischen Versorgungssystems, nicht zuletzt auch in struktureller Hinsicht, wie zum Beispiel in Form der Gemeindepsychiatrischen Verbünde (§ 7), einer zentralen Steuerung (§ 8) oder der Informations-, Beratungs- und Beschwerdestellen (vgl. § 9 Absatz 2 Satz 4), soll Schutzmaßnahmen und insbesondere Unterbringungen möglichst vorgebeugt werden. Der Begriff der Schutzmaßnahmen beinhaltet die Maßnahmen, die im Zusammenhang der Unterbringung bei Vorliegen der jeweiligen Tatbestandsvoraussetzungen auch gegen den Willen der betroffenen Person getroffen werden können (z.B. Anordnung einer ärztlichen Untersuchung durch das Gesundheitsamt nach § 17). Einen generellen rechtlichen Vorrang der Hilfen vor den Schutzmaßnahmen begründet die Vorschrift nicht; es handelt sich vielmehr um eine allgemeine Zielsetzung („Die Hilfen sollen“). Bei der Frage, ob eine (Schutz-) Maßnahme im Rahmen der Unterbringung zu treffen ist, ist ausschließlich das Vorliegen der jeweiligen Tatbestandsvoraussetzungen entscheidend (vgl. auch die Gesetzesbegründung, LT-Drucks. 15/5521, S. 47).

Nach Absatz 3 Satz 1 sollen die Hilfen den psychisch kranken oder behinderten Personen gemeindenah vorgehalten werden. Zielsetzung der Regelung ist es, die vorhandenen wohnortnahen sozialen Ressourcen zu erhalten, zu fördern und die gesellschaftliche Teilhabe zu stärken. Der Begriff der „Gemeindenähe“ ist daher nicht auf das politische Gebiet begrenzt, in dem die Hilfe suchende Person wohnt. Abzustellen ist vielmehr auf das Lebensumfeld des Betroffenen, so dass erforderlichenfalls Hilfen auch durch eine Einrichtung in einer benachbarten Gemeinde oder auch einem benachbarten Landkreis zu leisten sind, wenn dies dem gesetzlich vorgegebenen Ziel dient (vgl. LT-Drucks. 15/5521, S. 48). Der Begriff der „Gemeindenähe“ hat sich jedoch in der Fachterminologie gegenüber der „Ortsnähe“ durchgesetzt.

Die Hilfen sollen nach Absatz 3 Satz 2 möglichst wenig in die gewohnten Lebensverhältnisse eingreifen. Sie sollen – entsprechend dem in Artikel 19 der UN-Behindertenkonvention verankerten Gedanken – so erbracht werden, dass die Wahlmöglichkeiten der psychisch kranken oder behinderten Person hinsichtlich ihrer individuellen Lebensführung weitestgehend erhalten bleiben.

Auch Absatz 4 nimmt den Gedanken auf, dass ambulante Versorgungsangebote im Rahmen des gewohnten Lebensumfelds in der Regel einen geringeren Eingriff in die Lebensverhältnisse des Betroffenen bedeuten als eine stationäre Behandlung. Die Hinführung zu einer stationären ärztlichen oder psychotherapeutischen Behandlung (z.B. durch einen sozialpsychiatrischen Dienst) soll daher nur dann erfolgen, wenn das Ziel der Hilfen nach § 5 in Anbetracht des Krankheitsbildes oder -stadiums nicht auf anderem, ambulantem Weg erreicht werden kann.

Absatz 5 stellt klar, dass die Prävention psychischer Erkrankungen einen hohen Stellenwert einnimmt. In der medizinischen Prävention wird zwischen drei Typen unterschieden: Die Primärprävention umfasst Maßnahmen zur Vermeidung des erstmaligen Auftretens einer psychischen Störung, sie bezieht sich somit ausschließlich auf den gesunden Menschen. Die Sekundärprävention bemüht sich um die Krankheitsfrüherkennung und die nachfolgende Behandlung sowie die Verhinderung der Wiedererkrankung, d.h. sie bezieht sich auf ein bereits wahrnehmbares individuelles Gesundheitsrisiko. Sie spielt nicht zuletzt in der Kinder- und Jugendpsychiatrie eine wichtige Rolle, um der Chronifizierung einer Erkrankung frühestmöglich entgegenzuwirken. Die Tertiärprävention umfasst schließlich Maßnahmen, die zur Minderung schon eingetretener negativer Krankheitsfolgen beitragen bzw. die Verschlimmerung oder Chronifizierung verhindern (vgl. auch Knittel, SGB IX, 11. Auflage 2017, § 3 Rn. 3 ff.).

Die Bedeutung der Prävention wird in einer Reihe weiterer Vorschriften des PsychKHG konkretisiert, wie z.B. § 3 Absatz 2 (Verhältnis Hilfen/ Schutzmaßnahmen), § 5 Absatz 2 Nummer 1 und 2 (Erhaltung und Förderung der gesellschaftlichen Teilhabe als Element der Tertiärprävention), § 5 Absatz 3 (Krankheitsfrüherkennung als Hilfeziel). Hinzu kommt die Gewährleistung von positiv wirkenden strukturellen Voraussetzungen wie ein niedrigschwelliger Zugang zu Hilfeangeboten (z.B. durch die sozialpsychiatrischen Dienste, § 6), die Vernetzung unterschiedlicher Hilfen (z.B. im Gemeindepsychiatrischen Verbund, §...



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