Mitford | Englische Liebschaften | E-Book | www.sack.de
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E-Book, Deutsch, 320 Seiten

Mitford Englische Liebschaften

Roman
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-7317-0027-2
Verlag: Schöffling
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, 320 Seiten

ISBN: 978-3-7317-0027-2
Verlag: Schöffling
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Von klein auf träumt Linda, die schöne und temperamentvolle Tochter von Lord und Lady Radlett, von der Liebe, dem perfekten Ehemann und einem glamourösen Leben in der Londoner Society. Aber die Suche nach Mr. Right gestaltet sich schwieriger als erwartet. Zuerst heiratet sie Hals über Kopf - und zum Schrecken ihrer adligen Familie - einen biederen Banker. Doch Linda ist selbst bald gelangweilt von ihrem schrecklich mittelmäßigen Gatten, der sich für nichts als Golf, Geschäfte und Konservatismus interessiert. Da macht sie die Bekanntschaft von Christian, einem glühenden Kommunisten, und Linda stürzt sich in das nächste Liebesabenteuer: Sie folgt ihm nach Südfrankreich, um in einem Lager für spanische Kriegsflüchtlinge zu arbeiten. Aber wieder ist das Glück nicht von Dauer, und so landet Linda allein in Paris - wo sie endlich ihre große Liebe findet. Doch dann bricht der Krieg aus, und Linda muss nach England zurückkehren ...  Turbulente Liebeskomödie und bissige Gesellschaftssatire in einem, erzählt Englische Liebschaften vom Aufwachsen junger Frauen im England der Zwischenkriegsjahre und nimmt dabei mit viel Selbstironie die britische Upper Class aufs Korn. Als Vorlage für die liebenswert-verschrobenen Romanfiguren diente Mitfords eigene Familie, die in ganz England für ihre Exzentrik bekannt war.

Nancy Mitford wurde 1904 in London als älteste der später legendären Mitford-Schwestern geboren. In ihren Romanen beschrieb sie scharfzüngig das Leben der englischen und französischen Upper Class. Sie gehörte der Londoner Bohème an und war mit Evelyn Waugh befreundet, der sie zum Schreiben ermutigte. Der literarische Durchbruch gelang ihr allerdings erst 1945 mit ihrem Roman Englische Liebschaften. Mitford starb 1973 in Versailles.
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1


Es gibt eine Fotografie von Tante Sadie und ihren sechs Kindern, wie sie alle zusammen um den Teetisch in Alconleigh sitzen. Der Tisch steht da, wo er immer gestanden hat, wo er heute steht und immer stehen wird, in der Halle, vor einem gewaltigen Kamin, in dem ein Feuer prasselt. Über dem Kaminsims hängt, auf der Fotografie deutlich sichtbar, ein Schanzspaten, mit dem Onkel Matthew 1915 acht Deutsche totgeschlagen hat, einen nach dem anderen, so wie sie aus irgendeinem Unterstand hervorgekrochen waren. Noch immer kleben Blut und Haare an diesem Werkzeug, das wir Kinder stets nur mit fasziniertem Schauder betrachteten. Auf der Fotografie wirkt Tante Sadies Gesicht, das immer sehr schön war, merkwürdig rund, ihr Haar merkwürdig flaumig und ihre Kleidung merkwürdig nachlässig, aber sie ist es, ganz unverkennbar, und auf ihrem Schoß hat sich in einem Meer von Spitzen der kleine Robin breitgemacht. Sie scheint nicht recht zu wissen, wie sie seinen Kopf halten soll, und dass Nanny in der Nähe ist, um ihr den Kleinen gleich wieder abzunehmen, spürt man, obwohl man sie nicht sieht. Die anderen Kinder, von der elfjährigen Louisa bis hinunter zu dem zweijährigen Matt, sitzen im Sonntagsstaat oder mit umgebundenem Lätzchen am Tisch. Je nach Alter halten sie Tassen oder Becher in den Händen, starren mit großen, vom Blitzlicht geweiteten Augen in den Fotoapparat und sehen allesamt so aus, als könnten sie nicht bis drei zählen. Da sind sie, wie kleine Fliegen eingeschlossen in den Bernstein dieses Augenblicks – klick macht die Kamera, und weiter geht das Leben; die Minuten, die Tage, die Jahre, die Jahrzehnte, die sie vom Glück und von den Verheißungen der Jugend fortreißen, von den Hoffnungen, die Tante Sadie für sie gehegt haben muss, und von den Träumen, die sie selbst träumten. Oft denke ich, es gibt nichts Traurigeres als alte Familienfotos.

Als Kind brachte ich meine Weihnachtsferien regelmäßig in Alconleigh zu, sie waren ein fester Bestandteil meines Lebens, und während manche ohne irgendwelche besonderen Vorfälle einfach vorübergingen, zeichneten sich andere durch dramatische Verwicklungen aus und hatten ihren ganz eigenen Charakter. Einmal zum Beispiel brach im Dienstbotenflügel Feuer aus, ein andermal fiel ich von meinem Pony in den Bach, das Pony stürzte auf mich, und fast wäre ich ertrunken (aber nur fast, denn es wurde gleich weggezerrt, doch wollen einige vorher immerhin schon Luftblasen beobachtet haben). Dann das Drama, als die zehnjährige Linda einen Selbstmordversuch unternahm, um ihren alten, muffigen Border Terrier wiederzusehen, den Onkel Matthew hatte einschläfern lassen. Sie sammelte einen Korb Eibensamen und aß sie, aber Nanny entdeckte sie und flößte ihr Senf und Wasser ein, bis sie sich erbrach. Nachher sprach Tante Sadie »ein ernstes Wort« mit ihr, Onkel Matthew gab ihr eins hinter die Ohren, sie musste ein paar Tage das Bett hüten und bekam dann einen jungen Labrador geschenkt, der bald den Platz des alten Border in ihrem Herzen einnahm. Noch viel schlimmer war das Drama, als Linda mit zwölf Jahren den Nachbarstöchtern, die zum Tee herübergekommen waren, die Tatsachen des Lebens auseinandersetzte, so wie sie sie verstand. Lindas Darstellung dieser »Tatsachen« fiel derart grausig aus, dass die Kinder mit nachhaltig zerrütteten Nerven und erheblich eingeschränkten Aussichten auf ein gesundes und glückliches Geschlechtsleben Alconleigh unter schrecklichem Geheul verließen. Der Vorfall zog eine Reihe furchtbarer Bestrafungen nach sich, zunächst eine wirkliche Tracht Prügel, verabreicht von Onkel Matthew, und dann musste Linda eine Woche lang allein oben essen. Schließlich die unvergesslichen Ferien, als Onkel Matthew und Tante Sadie nach Kanada reisten. Jeden Morgen machten sich die Radlett-Kinder über die Zeitungen her, in der Hoffnung, dort die Nachricht zu finden, das Schiff ihrer Eltern sei mit Mann und Maus untergegangen; sie sehnten sich danach, Vollwaisen zu werden – vor allem Linda, die sich schon vorkam wie Katy in und die Zügel des Haushalts fest in ihre kleinen, aber tüchtigen Hände nehmen wollte. Das Schiff stieß nicht mit einem Eisberg zusammen und trotzte auch allen atlantischen Stürmen, aber wir verlebten unterdessen wunderbare Ferien, in denen wir tun und lassen konnten, was wir wollten.

Doch am deutlichsten ist mir das Weihnachten in Erinnerung geblieben, als ich vierzehn war und Tante Emily sich verlobte. Tante Emily war die Schwester von Tante Sadie, und sie hat mich großgezogen, denn meine Mutter, ihre jüngste Schwester, hatte gemeint, sie sei zu schön und zu lebenslustig, um sich schon im Alter von neunzehn Jahren mit einem Kind zu belasten. Sie verließ meinen Vater, als ich einen Monat alt war, und lief danach so oft und mit so vielen verschiedenen Leuten davon, dass die Familie und die Freunde sie nur noch die »Hopse« nannten; andererseits hatte auch die zweite Frau meines Vaters verständlicherweise keine große Lust, sich um mich zu kümmern, ebenso wenig wie später die dritte, die vierte und die fünfte. Gelegentlich erschien einer dieser stürmischen Elternteile wie eine Rakete an meinem Horizont und tauchte ihn in eine unnatürliche Glut. Sie verbreiteten großen Glanz, und ich sehnte mich danach, in ihrem Feuerschweif mit fortgerissen zu werden, obgleich ich tief im Inneren wusste, dass ich froh sein konnte, Tante Emily zu haben. Als ich älter wurde, verloren sie nach und nach jeden Reiz für mich; die ausgeglühten grauen Raketengehäuse verrotteten, wo sie zufällig niedergegangen waren, meine Mutter bei einem Major in Südfrankreich und mein Vater, der seine Güter verkauft hatte, um seine Schulden zu bezahlen, bei einer alten rumänischen Gräfin auf den Bahamas. Noch bevor ich erwachsen war, hatte der Glanz, der sie früher umgab, erheblich nachgelassen, und schließlich war nichts mehr da, woran sich kindliche Erinnerungen hätten heften können; in nichts unterschieden sie sich von anderen Leuten mittleren Alters. Tante Emily verbreitete nie Glanz um sich, aber sie war immer meine Mutter, und ich liebte sie. Zu der Zeit aber, über die ich hier schreibe, war ich in einem Alter, in dem sich auch das fantasieloseste Kind für ein untergeschobenes oder vertauschtes Kind hält, für eine Prinzessin mit indianischem Blut in den Adern, für Johanna von Orléans oder die künftige Kaiserin von Russland. Ich sehnte mich nach meinen Eltern, machte ein idiotisches Gesicht, das eine Mischung aus Wehmut und Stolz zum Ausdruck bringen sollte, wenn im Gespräch ihre Namen fielen, und malte mir aus, wie sie lebten, tief in romantische, tödliche Sünde verstrickt.

Linda und ich, wir beschäftigten uns sehr intensiv mit der Sünde, und unser großer Held war Oscar Wilde.

»Aber was hat er denn nun wirklich ?«

»Einmal habe ich Pa danach gefragt, aber er hat mich nur angebrüllt – lieber Himmel, es war furchtbar! ›Wenn du den Namen von diesem Gulli noch einmal in diesem Hause erwähnst‹, schrie er, ›dann gibt es Dresche, verstanden, du verflixtes Gör?‹ Also fragte ich Tante Sadie, aber sie sah bloß schrecklich geistesabwesend vor sich hin und sagte: ›Ach, Schatz, ich habe es nie ganz verstanden, aber was es auch war, es war schlimmer als Mord, furchtbar schlimm. Und bitte, Liebes, sprich nicht bei den Mahlzeiten über ihn, ja?‹«

»Wir müssen es herausbekommen.«

»Bob sagt, er schafft es, wenn er nach Eton geht.«

»Oh, toll! Glaubst du, er war schlimmer als Mammi und Daddy?«

»Das geht doch gar nicht! Ach, du hast ein Glück mit deinen verruchten Eltern!«

*

An diesem Weihnachtsfest, als ich vierzehn war, taumelte ich in die Halle von Alconleigh. Das Licht blendete mich nach den sechs Meilen im Wagen von der Bahnstation Merlinford bis hierher. Es war jedes Jahr das Gleiche, immer kam ich mit dem gleichen Zug, traf zum Tee ein, und immer fand ich Tante Sadie und die Kinder um den Tisch unter dem Schanzspaten versammelt, genau wie auf der Fotografie. Es waren immer derselbe Tisch und dasselbe Teegeschirr; das Porzellan mit den großen Rosen, der Teekessel und der Silberteller für das Gebäck, die von kleinen Lichtern warm gehalten wurden – die Menschen wurden natürlich unmerklich älter, aus Babys wurden Kinder, die Kinder wuchsen heran, und es war in Gestalt der inzwischen zwei Jahre alten Victoria ein Zuwachs zu verzeichnen. Mit einem Schokoladenplätzchen in der geschlossenen Faust watschelte sie herum, das Gesicht über und über mit Schokolade bekleckert, ein schrecklicher Anblick, aber unter der klebrigen Maske strahlte das unverkennbare Blau zweier unverwandt dreinblickender Radlett-Augen.

Es gab ein gewaltiges Stühlerücken, als ich eintrat, und ein Rudel Radletts fiel so unbändig und fast so unerbittlich über mich her, wie sich ein Rudel Hunde über einen Fuchs hermacht. Alle außer Linda. Sie freute sich am meisten, mich zu sehen, aber sie wollte es auf keinen Fall zeigen. Als sich der Lärm gelegt hatte und ich mit Gebäck und einer Tasse Tee versorgt war, fragte sie: »Wo ist Brenda?« Brenda war meine weiße Maus.

»Sie hat einen Ausschlag am Rücken bekommen und ist gestorben«, sagte ich.

Tante Sadie sah besorgt zu Linda hinüber.

»Bist du auf ihr geritten?«, meinte Louisa spitz.

Matt, der kürzlich in die Obhut einer französischen Gouvernante gekommen war, erklärte, indem er deren affektierte, fistelnde Sprechweise imitierte: »«

»Aber Liebes«, meinte Tante Sadie leise im Flüsterton.

Gewaltige Tränen kullerten auf Lindas Teller. Niemand weinte so viel und so oft wie sie; alles, aber besonders alles...


Mitford, Nancy
Nancy Mitford wurde 1904 in London als älteste der später legendären Mitford-Schwestern geboren. In ihren Romanen beschrieb sie scharfzüngig das Leben der englischen und französischen Upper Class. Sie gehörte der Londoner Bohème an und war mit Evelyn Waugh befreundet, der sie zum Schreiben ermutigte. Der literarische Durchbruch gelang ihr allerdings erst 1945 mit ihrem Roman Englische Liebschaften. Mitford starb 1973 in Versailles.

Kaiser, Reinhard
Reinhard Kaiser, geboren 1950 in Viersen am Niederrhein, war Schriftsteller und Übersetzer. Bei Schöffling & Co. erschien von ihm unter anderem Königskinder – Eine wahre Liebe (1996), für das er 1997 mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnet wurde. Außerdem übersetzte er aus dem Englischen und gelegentlich aus dem Französischen, unter anderem die Werke von Sylvia Plath und Susan Sontag. 2010 erhielt er den Wilhelm-Merton-Preis für Europäische Übersetzungen. Für seine Übertragung des Abenteuerlichen Simplicissimus ins Hochdeutsche wurde er 2009 mit dem Sonderpreis des Grimmelshausen-Preises und 2011 mit dem Brüder-Grimm-Preis der Stadt Hanau ausgezeichnet. Er starb 2025 in Frankfurt am Main.

Nancy Mitford wurde 1904 in London als älteste der später legendären Mitford-Schwestern geboren. In ihren Romanen beschrieb sie scharfzüngig das Leben der englischen und französischen Upper Class. Sie gehörte der Londoner Bohème an und war mit Evelyn Waugh befreundet, der sie zum Schreiben ermutigte. Der literarische Durchbruch gelang ihr allerdings erst 1945 mit ihrem Roman Englische Liebschaften. Mitford starb 1973 in Versailles.



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