Proust | Das Ende der Eifersucht | E-Book | www.sack.de
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E-Book, Deutsch, 112 Seiten

Proust Das Ende der Eifersucht


1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-96999-048-3
Verlag: Steidl Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 112 Seiten

ISBN: 978-3-96999-048-3
Verlag: Steidl Verlag
Format: EPUB
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Marcel Proust legte mit 26 Jahren den Band Les Plaisirs et les Jours vor, eine Sammlung von Erzählungen und impressionistischen Miniaturen, aus denen für den vorliegenden Nocturnes-Band einige der bezwingendsten versammelt sind. Atmosphärenreiche Bilder, feinfühlige Personen- und Gesellschaftsporträts, vor allem aber die Beschwörung aller betörenden Facetten der Schwermut und der Liebe lesen sich wie elegante Vorstudien zur Suche nach der verlorenen Zeit und zeigen doch bereits Prousts stilistische Meisterschaft. Wir befinden uns, wie immer bei Proust, in den höchsten Kreisen der Gesellschaft: Violante, die alles unternimmt, damit die Welt ihr zu Füßen liegt, muss am Ende die Eitelkeit ihres Tuns erkennen; Françoise de Breyves wird Opfer ihrer unerfüllten Verliebtheit in den mittelmäßigen Monsieur Laléande; ein zur Unkeuschheit verführtes Mädchen legt nach einem Selbstmordversuch ihre Lebensbeichte ab; der von Eifersucht geplagte Honoré erfährt erst angesichts des Todes die Befreiung einer allumfassenden Liebe. In all diesen tiefsinnigen psychologischen Parabeln spiegelt sich die moralische Brüchigkeit der Belle Époque.

Marcel Proust, geboren 1871 in Auteuil, als Sohn eines Arztes, litt bereits seit Kindertagen an einer Asthmaerkrankung. Noch während des Studiums und einer kurzen Tätigkeit an der Bibliothek Mazarine widmete er sich seinen schriftstellerischen Arbeiten. Er schrieb Beiträge für Zeitschriften und übersetzte zwei Bücher von John Ruskin. Er verkehrte in den vornehmen Salons von Paris und fand dort den Stoff für sein erzählerisches Werk. Nach dem Tod seiner über alles geliebten Mutter 1905 stürzte Proust in eine tiefe Krise und machte die Arbeit an seinem Roman À la recherche du temps perdu zum einzigen Inhalt seines Lebens. Die Nacht wurde ihm zum Tag, er ging nur noch selten aus und schrieb in seinen sorgfältig von den Geräuschen der Außenwelt abgeschirmten Krankenzimmer an seinem Opus Magnum. Die ersten zwei Bände erschienen noch zu Lebzeiten auf Kosten des Autors. Die letzten Bände der Suche nach der verlorenen Zeit wurden nach seinem Tod von seinem Bruder herausgegeben. Proust starb 1922 in Paris.
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Trauriger Landaufenthalt der Madame de Breyves


Ariadne, meine Schwester, welches Gestade Empfing dich, die Verwundete der Liebe?

Racine, Phädra

I

Françoise de Breyves schwankte an diesem Abend lange, ob sie zur Soirée der Prinzessin Élisabeth d’A… oder in die Oper oder in die Komödie von Livray gehen sollte.

Sie weilte bei Freunden zum Diner, man war schon seit einer Stunde vom Tisch aufgestanden, und sie musste einen Entschluss fassen.

Ihre Freundin Geneviève, die mit ihr heimkehren sollte, bestand auf der Soirée bei Madame d’A…, während Madame de Breyves, ohne genau zu wissen warum, einen der beiden anderen Vorschläge vorgezogen hätte oder selbst einen dritten, nämlich den, nach Hause zurückzukehren und schlafen zu gehen. Als man ihren Wagen meldete, hatte sie noch keinen Entschluss gefasst.

»Wirklich«, sagte Geneviève, »du bist gar nicht nett; ich glaube, dass Reszke singen wird, und das würde mir Spaß machen. Man könnte meinen, es sei ein folgenschwerer Entschluss für dich, zu Élisabeth zu gehen. Übrigens will ich dir sagen, dass du in diesem Jahr noch bei keiner von ihren großen Gesellschaften warst, und das ist angesichts eurer vertrauten Beziehung gar nicht nett von dir.«

Françoise war nach dem Tod ihres Mannes mit zwanzig Jahren Witwe geworden – es war vier Jahre her –, und nun war sie unzertrennlich von ihrer Geneviève und liebte es sehr, ihr eine Freude zu bereiten. Nun widerstand sie nicht länger ihrer Bitte, nahm von den Gastgebern, von den anderen Gästen Abschied, die untröstlich waren, die Gesellschaft einer der begehrtesten Frauen von Paris so wenig genossen zu haben, und sagte zu ihrem Diener: »Zur Princesse d’A…«

II

Die Soirée bei der Prinzessin war sehr langweilig. Dann richtete Madame de Breyves an Geneviève die Frage:

»Wer ist denn der junge Mann, der dich zum Büfett geführt hat?«

»Es ist M. de Laléande, den ich übrigens gar nicht näher kenne. Willst du, dass ich ihn dir vorstelle? Er hat mich darum gebeten, ich habe nur so obenhin geantwortet, denn er ist äußerst unbedeutend und langweilig, und da er dich sehr hübsch findet, würde er sich wie eine Klette an dich heften.«

»Ach nein, dann lieber nicht!«, sagte Françoise. »Übrigens sieht er nicht sonderlich gut aus, eher gewöhnlich, trotz seiner wirklich schönen Augen.«

»Du hast recht«, sagte Geneviève. »Und dann wirst du ihm oft begegnen, und es könnte dich genieren, mit ihm bekannt zu sein.«

Sie fügte scherzend hinzu:

»Wenn du allerdings Lust auf ihn hast, verpasst du hier eine günstige Gelegenheit.«

»Ja, eine günstige Gelegenheit«, sagte Françoise und dachte bereits an etwas anderes.

»Außerdem«, sagte Geneviève, die es zweifellos schon bereute, eine so ungetreue Botin gewesen zu sein und ohne Notwendigkeit den jungen Mann eines Vergnügens beraubt zu haben, »ist es eine der letzten Soirées der Saison und hätte daher keine große Bedeutung, es wäre sogar weniger kompromittierend.«

»Na gut, wenn er zu uns herkommt.«

Er kam nicht. Er stand am anderen Ende des Salons ihnen gegenüber.

»Wir müssen gehen«, sagte Geneviève bald.

»Noch einen Augenblick«, sagte Françoise.

Und aus Laune, vor allem aus Koketterie gegen diesen jungen Mann, der sie wirklich sehr hübsch finden musste, begann sie, ihren Blick ein wenig länger auf ihn zu heften, dann blickte sie fort und sah ihn von Neuem an. In diesen Blick legte sie mit Absicht, sie wusste nicht warum, viel Zärtlichkeit, grundlos oder rein zum Vergnügen, dem Vergnügen, etwas aus Nächstenliebe oder ein wenig aus Stolz zu tun und auch deshalb, weil es keinem Zweck diente, so wie Leute ihren Namen in einen Baum ritzen (für einen Spaziergänger, den sie nie sehen werden) oder eine Flasche ins Meer werfen. Die Zeit verging, es war bereits spät. M. de Laléande wandte seine Schritte zur Tür, die offen blieb, nachdem er gegangen war, und Madame de Breyves sah, wie er im Vorraum seinen Garderobenschein vorwies.

»Du hast recht, es ist Zeit, zu gehen«, sagte sie zu Geneviève.

Sie erhoben sich. Aber durch einen Zufall hatte ein Freund irgend etwas ihrer Geneviève zu sagen, nun sah sich Françoise allein in der Garderobe. Anwesend war nur M. de Laléande, der seinen Stock nicht finden konnte. Françoise belustigte es noch ein letztes Mal, ihn anzusehen. Er kam an ihr vorbei, streifte zart ihren Ellenbogen mit dem seinen und flüsterte, als er ihr ganz nahe war, während er tat, als ob er weitersuchte, und seine Augen glänzten:

»Kommen Sie zu mir, Rue Royale 5.«

Sie war so wenig darauf vorbereitet, und andererseits schien M. de Laléande jetzt so beschäftigt, nach seinem Stock zu suchen, dass sie in der Folgezeit nie genau wusste, ob es nicht vielleicht eine Halluzination gewesen war. Vor allem empfand sie eine außerordentliche Angst. In diesem Augenblick kam der Prince d’A… vorbei, sie rief ihn zu sich, wollte sich für den nächsten Tag zu einem Spaziergang mit ihm verabreden und schwätzte ohne Unterlass. Während dieser Konversation hatte sich M. de Laléande entfernt. Geneviève erschien unmittelbar darauf, und die beiden Freundinnen brachen auf. Madame de Breyves erwähnte nichts davon, sie war ein wenig schockiert und geschmeichelt, aber im Grunde nicht erschüttert. In den nächsten zwei Tagen dachte sie hin und wieder daran zurück, schließlich zweifelte sie an der Wirklichkeit der Worte des M. de Laléande. Sie versuchte sich alles ins Gedächtnis zurückzurufen, konnte es eigentlich nicht, glaubte, sie hätte die Worte nur wie im Traum gehört, und die Berührung ihres Ellenbogens sei nur zufälliges Ungeschick gewesen. Dann dachte sie nicht mehr unwillkürlich an M. de Laléande, und wenn sie zufällig seinen Namen nennen hörte, musste sie sich eilig seine Züge ins Gedächtnis rufen; die fragliche Halluzination in der Garderobe hatte sie ganz und gar vergessen.

Sie sah ihn auf der letzten Soirée des Jahres wieder (es war Ende Juni), sie wagte nicht, darum zu bitten, man möge ihn ihr vorstellen, und doch, obwohl sie ihn fast hässlich fand und wusste, dass er alles andere als intelligent war, hätte sie ihn ganz gern kennengelernt. Sie ging zu Geneviève und sagte ihr:

»Du kannst mir trotz allem M. de Laléande vorstellen. Ich möchte nicht unhöflich erscheinen. Aber sage nicht, dass ich darum gebeten habe. Das würde mich zu sehr verpflichten.«

»Sofort, wenn wir ihn zu Gesicht bekommen, er ist augenblicklich nicht hier.«

»Nun gut, suche ihn.«

»Er ist vielleicht schon fort.«

»Aber nein«, sagte Françoise sehr schnell, »er kann doch noch nicht fort sein, es ist noch früh. Ach, schon Mitternacht! Sieh mal, meine kleine Geneviève, das ist ja doch nicht schwierig. An dem Abend damals, da wolltest du. Heute bitte ich dich, es ist wichtig für mich.«

Geneviève betrachtete sie leicht erstaunt und ging auf die Suche nach M. de Laléande. Er war fort.

»Du siehst, ich hatte recht«, sagte Geneviève, als sie zu Françoise zurückkam.

»Ich langweile mich hier zu Tode«, sagte Françoise, »ich habe Kopfschmerzen, ich bitte dich, lass uns sofort gehen.«

III

Françoise versäumte kein einziges Mal mehr die Oper, sie nahm mit einer geheimen Hoffnung alle Einladungen zu Diners an. Vierzehn Tage vergingen so, sie hatte M. de Laléande nicht wiedergesehen, oft erwachte sie nachts und dachte an die Möglichkeiten, ihn wieder zu treffen. Sie mochte sich wieder und wieder sagen, er sei langweilig und nicht der Schönste, sie blieb doch mehr von ihm eingenommen als von allen anderen Männern, waren sie auch noch so geistvoll und charmant. Die Saison näherte sich ihrem Ende, es würde sich keine Gelegenheit mehr ergeben, ihn wiederzusehen, und so war sie entschlossen, eine solche Gelegenheit zu schaffen, und suchte nur nach einem Weg.

Eines Abends sagte sie zu Geneviève: »Hast du mir nicht erzählt, dass du einen M. de Laléande kennst?«

»Jacques de Laléande? Ja und nein, er ist mir vorgestellt worden, hat aber nie seine Karte bei mir abgegeben, und ich stehe durchaus in keiner Verbindung mit ihm.«

»Nun will ich dir sagen, ich habe ein kleines Interesse, sogar ein nicht ganz kleines, und zwar aus Gründen, die nicht mich persönlich betreffen, und man wird es mir sicher nicht erlauben, dich vor Monatsfrist in diese Einzelheiten einzuweihen« (in diesem Zeitraum wollte sie mit ihm über eine Ausrede einig werden, um sich nicht zu verraten, und der Gedanke, mit ihm durch ein Geheimnis verbunden zu sein, bezauberte sie), »ein Interesse, seine Bekanntschaft zu machen und mich mit ihm zu treffen. Ich bitte dich, versuche, mir einen Weg zu bahnen, denn die Saison ist zu Ende, und ich sehe sonst keine Möglichkeit, ihn mir vorstellen zu lassen.«

Es gibt strenge Bräuche der Freundschaft, die sehr läuternd wirken, wenn sie aufrichtig eingehalten werden, und die in diesem Fall Geneviève ebenso wie Françoise vor der niedrigen Neugier schützten, die der Mehrzahl der Menschen in der besseren Gesellschaft ein infames Vergnügen bereitet. So machte sich Geneviève, die weder den Wunsch noch die Absicht verspürte, ihre Freundin auszufragen, mit all ihrem Elan auf die Suche, und es verdross sie nur, ihn nicht zu finden.

»Es ist so schade, dass Madame d’A… verreist ist. Wir hätten da noch M. de Grumello, aber nach alledem, was soll uns das nützen, was soll man ihm sagen? Ach, ich habe...


Proust, Marcel
Marcel Proust, geboren 1871 in Auteuil, als Sohn eines Arztes, litt bereits seit Kindertagen an einer Asthmaerkrankung. Noch während des Studiums und einer kurzen Tätigkeit an der Bibliothek Mazarine widmete er sich seinen schriftstellerischen Arbeiten. Er schrieb Beiträge für Zeitschriften und übersetzte zwei Bücher von John Ruskin. Er verkehrte in den vornehmen Salons von Paris und fand dort den Stoff für sein erzählerisches Werk. Nach dem Tod seiner über alles geliebten Mutter 1905 stürzte Proust in eine tiefe Krise und machte die Arbeit an seinem Roman À la recherche du temps perdu zum einzigen Inhalt seines Lebens. Die Nacht wurde ihm zum Tag, er ging nur noch selten aus und schrieb in seinen sorgfältig von den Geräuschen der Außenwelt abgeschirmten Krankenzimmer an seinem Opus Magnum. Die ersten zwei Bände erschienen noch zu Lebzeiten auf Kosten des Autors. Die letzten Bände der Suche nach der verlorenen Zeit wurden nach seinem Tod von seinem Bruder herausgegeben. Proust starb 1922 in Paris.



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