E-Book, Deutsch, Band 78, 99 Seiten
Schindler / Abt-Mörstedt / Stieglitz Flugangst und Flugphobie
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-8444-2864-3
Verlag: Hogrefe Publishing
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, Band 78, 99 Seiten
Reihe: Fortschritte der Psychotherapie
ISBN: 978-3-8444-2864-3
Verlag: Hogrefe Publishing
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Flugangst und Flugphobie sind weit verbreitet und können in der heutigen globalisierten Welt zu erheblichem Leidensdruck führen. Das Buch informiert über den aktuellen Forschungsstand zu Flugangst und Flugphobie und erläutert das diagnostische und therapeutische Vorgehen.
Der Band beschreibt die Störung und integriert aktuelle Erkenntnisse der ätiologischen Forschung in einem Erklärungsmodell zur Entstehung der Flugphobie. Zudem liefert er eine ausführliche Anleitung zur Diagnostik einer Flugphobie und stellt das konkrete Vorgehen in der Psychotherapie praxisorientiert vor. Den Patientinnen und Patienten werden Strategien gegen Flugangst auf der Ebene des Körpers, der Gedanken und des Verhaltens vermittelt. Zahlreiche Fallbeispiele und Arbeitsmaterialien veranschaulichen die Vorgehensweise. Da für viele Patientinnen und Patienten mit Flugangst Informationen zur Sicherheit des Fliegens ein wichtiger Bestandteil einer erfolgreichen Therapie sind, widmet sich ein Abschnitt auch Fragen zur Technik und Sicherheit des Fliegens. Das Vorgehen bei einer Exposition in vivo wird anhand von Fallbeispielen Schritt für Schritt illustriert.
Zielgruppe
Ärztliche und Psychologische Psychotherapeuten, Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie, Fachärzte für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Klinische Psychologen, Psychologische Berater, Sozialpädagogen, Studierende und Lehrende in der psychotherapeutischen Aus-, Fort- und Weiterbildung.
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|14|2 Störungstheorien und -modelle
2.1 Preparedness
Angst ist eine biologische Reaktion, welche das Überleben sichern kann, da sie der Signalisierung und Vermeidung von Gefahren dient. Entsprechend versetzt Angst als körperliche Reaktion den Menschen in die Lage, schnell mit Flucht oder Verteidigung zu reagieren.
Aufgrund dieser Eigenschaft der Angst geht man von einer biologischen und genetischen Basis für Ängstlichkeit aus. Preparedness-Theorien gehen davon aus, dass bestimmte Reiz-Reaktions-Verbindungen schneller gelernt werden, weil sie evolutionär biologisch vorbereitet sind (Seligman, 1971; Öhman et al., 1985). So gibt es über verschiedene Kulturen hinweg ähnliche Verteilungen von Ängsten, welche weder den Häufigkeiten der Reize im alltäglichen Leben, noch deren Wahrscheinlichkeit für unangenehme Erfahrungen entspricht. So zeigte sich u.?a. in Laborexperimenten, dass Menschen leichter auf Ängste vor Höhe und Spinnen konditionierbar sind, als auf solche vor Blumen oder Autos. Beim Fliegen wird generell von einer erhöhten Preparedness (Seligman, 1971) ausgegangen und damit von einer erhöhten biologischen Vorbereitung des Lernens von Flugangst. Verschiedene Eigenschaften des Fliegens können diese Preparedness auslösen. So ist z.?B. die Bewegung in der Luft ungewohnt. Passagiere eines Flugzeugs machen dabei oftmals ungewohnte körperliche Erfahrungen: Starke Beschleunigung, ungewohnte Drehbewegungen, das Gefühl des Fallens und Schüttelns bei Turbulenzen wirken auf den Körper ein (Wilhelm & Roth, 1997). Dies kann, zusammen mit der Abgabe der Kontrolle an eine fremde Person, dem Eingeschlossen sein und dem fehlenden Überblick über die Situation, zu einer Interpretation der Situation als gefährlich führen.
2.2 Theorien zur Entstehung von Spezifischen Phobien
2.2.1 Zwei-Faktoren-Theorie nach Mowrer
Lange Zeit galt die Zwei-Faktoren-Theorie nach Mowrer als wichtigste Theorie zur Entstehung von Phobien: Mowrer nahm an, dass Phobien durch klassische Konditionierung ausgelöst und durch operante Konditionierung aufrechterhalten werden.
|15|Klassische Konditionierung nach Pawlow
Aufgrund des gleichzeitigen Auftretens eines emotionsauslösenden Reizes mit einem neutralen Reiz kommt es zur Übertragung der emotionalen Reaktion auf den neutralen Reiz (vgl. Abbildung 1). In Bezug auf Flugangst bedeutet dies: Ein unkonditionierter Angstreaktionsauslösereiz (Unkonditionierter Stimulus, z.?B. Notlandung, schwere Turbulenzen, Durchstarten) führt beim Fliegen (Neutraler Stimulus) zu einer körperlichen Angstreaktion (Unkonditionierte Reaktion). Die Angstreaktion wird auf die Flugsituation übertragen (Konditionierte Reaktion) und der neutrale Stimulus zum Konditionierten Stimulus. Dadurch kann später schon das Fliegen allein die Angstreaktion auslösen.
Ungewohnte Flugbewegungen, wie z.?B. Turbulenzen, können bei vielen Passagieren Angst auslösen, da diese oft mit Gedanken an Gefahr und einen drohenden Absturz verbunden sind und können diese Angst auf das Fliegen generell übertragen (vgl. Schindler et al., 2016). Neben der Flugsituation selbst können im Verlauf aufgrund von Generalisierungsprozessen auch Hinweisreize auf das Fliegen, wie Berichte im Fernsehen, der Flughafen, Flugzeuge am Himmel und Gedanken an das Fliegen, Angst auslösen.
|16|Operante Konditionierung nach Skinner
Die operante Konditionierung geht davon aus, dass Individuen Verhalten als Reaktion auf Konsequenzen aus ihrer Umwelt zeigen, d.?h. die Konsequenz, die auf ein Verhalten folgt, entscheidet über dessen weitere Auftretenswahrscheinlichkeit. Wird ein Verhalten belohnt, wird es infolgedessen häufiger gezeigt. Bei Angststörungen scheint vor allem die negative Verstärkung für Aufrechterhaltung und Verstärkung der Störung verantwortlich zu sein: Aufgrund der Flugangst stellt das Fliegen einen negativen Stimulus dar. Alle mit dem Fliegen verbundenen Situationen und Orte (Konditionierte Stimuli) führen automatisch zur Auslösung der Angstreaktion (Konditionierte Reaktion). Das Aufschieben und Vermeiden von Flügen und damit verbundenen Orten führt kurzfristig zu einem Wegfall des konditionierten Stimulus und damit zu einem Abfall der Angstreaktion. Leider scheint dies aber auch die Annahme zu bestätigen, dass der Stimulus gefährlich gewesen sei und führt dadurch langfristig zu einer Verstärkung des Meidungsverhaltens.
Beispiel: Operante Konditionierung bei Flugangst
Frau K. berichtet in der Therapie von den Anfängen ihrer Flugangst: Ihr Flugzeug musste beim Rückflug (Neutraler Stimulus) einer Ferienreise 2013 notlanden, da sich Rauch im Cockpit ausgebreitet hatte. Für Frau K. war dies ein sehr negatives Erlebnis (Unkonditionierter Stimulus) und sie hatte Todesangst (Unkonditionierter Reaktion). Drei Wochen später wollte sie zu ihrer Tochter nach Berlin fliegen. Auf dem Weg zum Flughafen überkam sie wieder Angst und sie erlitt eine Panikattacke (Konditionierte Reaktion). In deren Folge sagte sie den Flug ab, wodurch sich ihre Angstsymptome sofort besserten. Sie versuchte in dem folgenden halben Jahr noch dreimal zu fliegen, wobei sie die Flüge immer kurzfristig absagte, da sie die Angst (Konditionierte Reaktion) davor nicht aushielt. So wurde die Absage der Flüge und damit des Vermeidungsverhaltens zu einer Belohnung, da sie jeweils einen schnellen Angstabfall erlebte. Ihre konditionierte Angstreaktion (Klassische Konditionierung) wurde so durch negative Verstärkung (Operante Konditionierung) gefestigt. Im weiteren Verlauf lösten bereits Berichte übers Fliegen im Fernsehen oder Radio so starke Angst bei ihr aus, dass sie diese wegschaltete.
Fazit: Zwei-Faktoren-Theorie
Die Theorie reicht nicht aus, um die Entstehung der Spezifischen Phobien bei allen Patienten zu erklären. Insbesondere die Entstehung der Angst durch klassische Konditionierung kann nicht bei allen Patienten nachgewie|17|sen werden: Es können sich nur ca. 50?% der Patienten mit einer Spezifischen Phobie an eine oder mehrere direkte aversive Lernerfahrung mit dem gefürchteten Objekt erinnern (Öst, 1985). Drei weitere Studien zur klassischen Konditionierung bei Flugangst (Mc Nally & Louro, 1992; Schindler et al., 2016; Wilhelm & Roth, 1997) zeigen, dass etwa die Hälfte der Personen entsprechende Lernerfahrungen im Vorfeld einer Flugphobie gemacht haben. Im Gegensatz dazu fanden Nousi et al. (2008) nur bei 6?% ihrer Probanden einen „ereignisreichen oder traumatischen Flug“ im Vorfeld der Flugphobie.
Auch der Versuch, Ängste durch klassische Konditionierung in Laborexperimenten auszulösen, führte in verschiedenen Experimenten zu kontroversen Ergebnissen: Während einige Experimente vormals neutrale Reize zu Angstauslösern konditionieren konnten (z.?B. Jones, 1931; Watson & Rayner, 1920), konnten andere Studien diese Ergebnisse nicht replizieren (English, 1929; Bregman, 1934).
2.2.2 Three-Pathway-Theorie nach Rachman
Diese Theorie geht davon aus, dass Phobien auf drei verschiedene Arten entstehen können. Dabei sind nach Rachman (1977) neben der oben bereits beschriebenen klassischen und operanten Konditionierung auch Lernprozesse durch Modell- und Informationslernen möglich. Er geht davon aus, dass alle drei Theorien einzeln oder in Kombination Auslöser einer Phobie sein können.
Modelllernen nach Bandura
Beim Modelllernen kommt es aufgrund der Beobachtung eines ängstlichen Modells zu Konditionierungsprozessen beim Beobachter: Er sieht die Angst beim Modell und interpretiert daraufhin die Situation, in welcher das Modell die Angst zeigt, als potenziell gefährlich. Infolgedessen kommt es dazu, dass der Beobachter selbst in der Situation Angst entwickelt, auch wenn das Modell nicht mehr anwesend ist. Modelllernen wird vor allem dann als mögliche Ursache angenommen, wenn Phobien bereits in der Kindheit begonnen haben: Kinder erleben die Angst ihrer Eltern vor dem Fliegen und diese überträgt sich, ohne eigenes negatives Erlebnis, auf sie. Dies kann...




