Swinnen | Der Vagusnerv-Effekt | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 272 Seiten

Swinnen Der Vagusnerv-Effekt

Stress und Ängste überwinden, Immunabwehr stärken - Mit praktischen Tipps und Übungen
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-641-31759-1
Verlag: Goldmann
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Stress und Ängste überwinden, Immunabwehr stärken - Mit praktischen Tipps und Übungen

E-Book, Deutsch, 272 Seiten

ISBN: 978-3-641-31759-1
Verlag: Goldmann
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Warum Stress nicht nur zwischen den Ohren passiert

Lange Zeit haben wir die Ursachen für Stress und Angsterkrankungen im Gehirn gesucht. Neuere Studien haben jedoch gezeigt, dass wir darüber hinaus blicken müssen. Entscheidend ist dabei der Vagusnerv, der sich durch den gesamten Körper zieht und mit allen Organen verbunden ist. Kein Wunder also, dass wir Stress und Angst im ganzen Körper spüren. Doch über den Vagusnerv können wir unserem Körper auch positive Botschaften übermitteln. Dafür ist es entscheidend, mit anderen Menschen in Kontakt zu treten, denn die positiven Emotionen, die das soziale Miteinander auslöst, wirken aktivierend auf den Vagusnerv.

Diese Erkenntnis steht im Mittelpunkt der bahnbrechenden Polyvagaltheorie des amerikanischen Neuropsychiaters Stephen W. Porges. Stressexperte Luc Swinnen übersetzt diese Erkenntnisse in ganz konkrete Werkzeuge, die den Vagusnerv aktivieren und stimulieren. So können wir Schritt für Schritt unsere Resilienz stärken, Ängste abbauen und stressbedingten Beschwerden ein Ende bereiten.

Dr. Luc Swinnen ist ein international anerkannter Experte auf dem Gebiet von Stress und Burnout. Er versteht es hervorragend, wissenschaftliche Erkenntnisse einem breiten Publikum zu vermitteln. Von seinen Büchern wurden bereits zehntausende Exemplare verkauft.

Swinnen Der Vagusnerv-Effekt jetzt bestellen!

Weitere Infos & Material


EINLEITUNG


Descartes’ Irrtum


»Eine Reise von 1000 Meilen beginnt mit dem ersten Schritt.«

LAOZI

Als Arzt und Statistiker habe ich einen Großteil meines Lebens mit der Untersuchung und Behandlung körperlicher Beschwerden zugebracht. Intuitiv wurde mir bald klar, dass ein rein wissenschaftlicher Ansatz nicht ausreicht, um zu helfen. Die Menschen hatten immer auch Bedarf an vorbeugenden Maßnahmen und der Bewältigung psychischer Probleme. Früher nannte man das noch »Psychosomatik«. Schon dieser Begriff zeigt, dass der Schwerpunkt auf den körperlichen Beschwerden und »echten« Krankheiten lag, die Menschen erleiden. Doch dieses Modell war eindeutig unzureichend.

Viel zu lange stützte sich die Medizin auf Descartes’ Grundsatz: »Ich denke, also bin ich.« Ärztinnen und Ärzte lebten in der Illusion, dass sich alle Beschwerden rational erklären lassen. Schlimmer noch: Fand man keine rationale Erklärung, wurden die Patientinnen und Patienten schnell nicht mehr für voll genommen. Ich habe eine Weile als Versicherungsmediziner gearbeitet. Dabei wuchs meine Erkenntnis, dass Menschen auch eine Seele haben – und dass es wichtig ist, diese in der Medizin zu berücksichtigen. Leider wimmelte es in der Versicherungswelt noch von Bezeichnungen wie »Nutznießer« und »Rentnerkrankheit«.

Erfreulicherweise hat in den letzten Jahren ein deutliches Umdenken stattgefunden. So wird beispielsweise dem biopsychosozialen Gesundheitsmodell allmählich mehr Aufmerksamkeit geschenkt. Während die Medizin Körper und Geist früher als getrennte Bereiche betrachtete, wissen wir heute dank wissenschaftlicher Studien, dass Geist und Körper durch die Neurochemie (Stoffe im Gehirn) eng miteinander verbunden sind. Das erklärt, weshalb sich Veränderungen unseres körperlichen Befindens auch auf unsere geistige und emotionale Gesundheit auswirken und umgekehrt. Psychologische Probleme wie Ängste können Veränderungen im Gehirn sowie im gesamten Körper hervorrufen. Auch unsere Beziehungen zu anderen Menschen können sich auf unsere Gesundheit auswirken. Indem wir untersuchen, wie sich all diese Faktoren gegenseitig beeinflussen, erschließen wir Möglichkeiten zur Verbesserung unserer physischen und psychischen Gesundheit und unseres Wohlbefindens.

Diese neue Sichtweise kommt auch in der Definition von »Gesundheit« der Weltgesundheitsorganisation zum Ausdruck, nämlich als »Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur als Freisein von Krankheit und Gebrechen«.

Mit anderen Worten: Lag der Schwerpunkt früher auf der Bekämpfung körperlicher oder psychischer Symptome durch bestimmte Therapien und/oder Medikamente, so denken Ärztinnen und Ärzte heute viel breiter. Es geht nicht mehr um Biologie Psychologie, sondern um das Zusammenspiel von beiden. Darüber hinaus ist auch der soziale Kontext von Belang für das Befinden der Patienten. Warum sonst ist die Beziehung zwischen Arzt oder Ärztin und Patient oder Patientin so wichtig und warum kann der Kontakt zu anderen Betroffenen so heilsam sein?

ABBILDUNG 1. Biopsychosoziales Gesundheitsmodell

Für mich persönlich kam der große Wendepunkt, als ich auf Anregung des belgischen Nationalen Forschungsinstituts für Arbeitsbedingungen und der damaligen belgischen Ministerin für Beschäftigung und Arbeit Miet Smet an einer groß angelegten Studie zu den Folgen von Stress mitwirken durfte. Wir hatten die Gelegenheit, 24000 Dossiers auszuwerten und unzählige Belgierinnen und Belgier aus allen gesellschaftlichen Schichten zu befragen. Das Ziel der Studie: den Rahmen für eine bessere Stressprävention abstecken. Wir konnten die immensen Auswirkungen von Stress und Krankheitsausfällen zahlenmäßig nachweisen – sowie die Zusammenhänge mit Alter, Geschlecht, Bildung, Lebensereignissen, Bewältigungsverhalten und spezifischen Umständen der Arbeitssituation. In diesem Moment wurde mir klar, dass Descartes sich geirrt hatte: Körper und Geist sind untrennbar miteinander verbunden.

Bestätigung fand ich unter anderem in den Büchern des Neurologen Antonio Damasio. Er argumentiert, dass Gefühl und Verstand nicht voneinander losgelöst sind, sondern zusammenhängen. Als Beispiel für den Einfluss des Körpers auf den menschlichen Geist führt Damasio unter anderem die Geschichte von Phineas Gage an. Gage war ein freundlicher, engagierter Eisenbahnarbeiter im US-Bundesstaat Vermont. 1848 geriet sein Leben völlig aus den Fugen, als für den Bau einer neuen Eisenbahnlinie Felsbrocken gesprengt werden mussten. Dazu bohrten Gage und seine Kollegen Löcher in die Felsen und füllten sie mit Schwarzpulver und einer Zündschnur. Darauf kam eine Schicht aus Sand. Just als Gage den Sand mit einer Eisenstange festdrücken wollte, rief ein Kollege seinen Namen. Gage drehte sich um und stieß mit der Stange gegen die Felswand. Die Folge: ein Funke, der zu einer Explosion führte, durch deren Wucht die Eisenstange den Kopf – und das Gehirn – des unglücklichen Phineas durchbohrte. Er überlebte den Unfall, doch der brave Eisenbahner wurde zu einem Fantasten, der reichlich Lügen verbreitete und hemmungsloses Verhalten an den Tag legte.

Wie lassen sich diese plötzlichen Verhaltensänderungen erklären? Dazu müssen wir einen Blick in den Kopf des armen Phineas werfen. Die Eisenstange hatte nur den vorderen Teil seines Gehirns verletzt, genauer gesagt den präfrontalen Cortex. Dieser Teil des Frontallappens der Großhirnrinde filtert und sortiert normalerweise die vielen Reize, die täglich auf das menschliche Gehirn einprasseln, doch bei Gage war diese Funktion nun gestört. Zahllose Eindrücke drangen ungefiltert zu ihm durch und lösten Handlungsimpulse aus. So wurde aus dem braven Mann ein aggressiver Störenfried und betrunkener Taugenichts.

Descartes hatte also unrecht: Die Geschichte von Phineas Gage lehrt uns, dass man mit einer Hirnschädigung zwar leben kann, aber mitunter nur sehr eingeschränkt denken kann. Ähnliche Phänomene beobachten wir bei Männern und Frauen, deren Gehirn durch ein physisches oder psychisches Trauma schwer beschädigt wurde. Nach einem Stadium der Immobilität entwickelt sich bei diesen traumatisierten Menschen oft Impulsivität: Es fällt ihnen schwer, sich an neue Gegebenheiten anzupassen, sie erleben Angst- oder Wutanfälle und verhalten sich manchmal ungezügelt.

Mit diesem Buch möchte ich dort anknüpfen, wo ich mein letztes Buch (»Ruhe für Ihr Gehirn«) beendet habe. Darin habe ich bereits sehr knapp die Polyvagaltheorie von Stephen Porges vorgestellt und die Bedeutung des Vagusnervs, des »wandernden Hirnnervs« erwähnt. In diesem neuen Buch möchte ich weiter in die Tiefe gehen und nicht nur zeigen, welch großen Einfluss der Vagusnerv auf Ihr allgemeines (physisches und psychisches) Befinden hat, sondern auch, wie Sie ihn selbst aktivieren und damit Ihre Gesundheit stärken können.

Wichtig zu wissen ist, dass wir alle mit einem Nervensystem ausgestattet sind, das Reize von unserem Gehirn zu all unseren anderen Organen weiterleitet. Dieses Nervensystem funktioniert wie der »Ausguck« auf einem Schiff, der den Horizont nach Gefahren oder Zeichen von Sicherheit absucht. Unser wandernder Nerv ist an dieser Aufgabe besonders stark beteiligt. Den ganzen Tag über, und auch nachts während wir schlafen, senden unser Körper, unsere Umwelt und die Menschen um uns herum Signale von Sicherheit oder Gefahr an die Schaltzentralen in unserem Gehirn. Dort werden die Signale entschlüsselt und in Berichte übersetzt. Wenn große Gefahr droht, können wir in eine Starre verfallen und sozusagen einfrieren . Wir können aber auch die Flucht ergreifen oder aktiv auf die Gefahr zugehen .

Diese Reaktionen sind evolutionsbiologisch zu erklären. In der Urzeit war das Erstarren etwa eine bewährte Technik. Viele wirbellose Tiere stellten sich im Angesicht großer Gefahren tot. Ihr Stoffwechsel verlangsamte sich, sie spürten keinen Schmerz und standen nicht mehr in Kontakt mit ihrer Umwelt. Für sie erwies sich diese Freeze-Reaktion als recht effizient: Die Chancen standen gut, dass sie nicht als Leckerbissen angesehen wurden und somit am Leben blieben. Etwas später in der Evolution kamen zwei weitere Reaktionen hinzu: Entweder flüchtete das Tier, das sich in Gefahr befand, oder es wählte den Angriff als die beste Verteidigung.

Auch wenn wir heute in einer ganz anderen Zeit und unter ganz anderen Umständen leben, sind diese drei Grundreaktionen noch immer in unserem Gehirn verankert. Die Freeze-Reaktion, das Verfallen in Immobilität, sehen wir sehr häufig bei Opfern von sexuellem Missbrauch. Ihr Überlebensinstinkt lässt sie erstarren (mit der perfiden Folge, dass ihnen im Nachhinein vorgeworfen wird, sie hätten sich zumindest verteidigen müssen).

Die Kampf-oder-Flucht-Reaktion ist Ihnen wahrscheinlich bekannt, auch wenn wir heutzutage meist nicht mehr im wörtlichen, sondern im übertragenen Sinne fliehen oder kämpfen. Stellen Sie sich zum Beispiel ein streitendes Pärchen vor: Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass sich die beiden entweder anschreien (fight) oder einander stur ignorieren und anschweigen (flight).

Wussten Sie, dass uns die Evolution – neben Erstarren und Fliehen oder Kämpfen – noch mit einer weiteren Möglichkeit zum Umgang mit Bedrohungen gesegnet hat? Nach dem Motto »gemeinsam sind wir stark« suchen wir bei drohender Gefahr Kontakt und Anschluss. Und...


Swinnen, Luc
Dr. Luc Swinnen ist ein international anerkannter Experte auf dem Gebiet von Stress und Burnout. Er versteht es hervorragend, wissenschaftliche Erkenntnisse einem breiten Publikum zu vermitteln. Von seinen Büchern wurden bereits zehntausende Exemplare verkauft.



Ihre Fragen, Wünsche oder Anmerkungen
Vorname*
Nachname*
Ihre E-Mail-Adresse*
Kundennr.
Ihre Nachricht*
Lediglich mit * gekennzeichnete Felder sind Pflichtfelder.
Wenn Sie die im Kontaktformular eingegebenen Daten durch Klick auf den nachfolgenden Button übersenden, erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Ihr Angaben für die Beantwortung Ihrer Anfrage verwenden. Selbstverständlich werden Ihre Daten vertraulich behandelt und nicht an Dritte weitergegeben. Sie können der Verwendung Ihrer Daten jederzeit widersprechen. Das Datenhandling bei Sack Fachmedien erklären wir Ihnen in unserer Datenschutzerklärung.