E-Book, Deutsch, 466 Seiten
Treue Judengasse und christliche Stadt
1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-593-45332-3
Verlag: Campus Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Religion, Politik und Gesellschaft im frühneuzeitlichen Frankfurt am Main
E-Book, Deutsch, 466 Seiten
ISBN: 978-3-593-45332-3
Verlag: Campus Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Wolfgang Treue, PD Dr. phil., lehrt Geschichte des Mittelalters und der Frühen Neuzeit an der Universität Duisburg-Essen. Schwerpunkte seiner Forschungen sind die jüdische Geschichte, die Geschichte der christlich-jüdischen Beziehungen, Reisen und Kulturtransfer sowie Tod und Memoria.
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1.Judengasse und christliche Stadt: Anfänge und Grundlagen
Die herausragende Bedeutung der Stadt Frankfurt im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit beruhte maßgeblich auf zwei Faktoren, die wiederum eng miteinander verknüpft sind: zum einen der besonderen Nähe zum König bzw. Kaiser, dem Oberhaupt des Heiligen Römischen Reichs, und zum anderen ihrer Rolle als Veranstaltungsort der bis ins 18. Jahrhundert hinein wichtigsten Handelsmessen im deutschen Raum. Eine wesentliche Voraussetzung für beides war die günstige Lage im Zentrum des Reichs, an wichtigen Handelsstraßen, die den Raum der Hanse an Nord- und Ostsee mit dem der oberdeutschen Städten verbanden und damit den Warenaustausch vom Baltikum bis nach Italien ermöglichten, und natürlich am Main, der eine bequeme Wasserverbindung zum Rheinland herstellte, aber dank der , der die Stadt ihren Namen verdankt, hier auch mehr oder weniger »fußläufig« überquert werden konnte. Spätestens im 13. Jahrhundert wurde der Übergang durch den Bau einer steinernen Brücke zwischen Frankfurt und dem jenseits des Flusses gelegenen Stadtteil Sachsenhausen noch erheblich erleichtert.4
Diese zentrale Lage machte Frankfurt auch zu einem idealen Versammlungsort für Vertreter aus allen Teilen des Reiches. Bereits die erste Erwähnung des späteren Stadtnamens steht im Zusammenhang mit einer Reichsversammlung, die Kaiser Karl der Große hier in den Jahren 793 bis 794 abhielt. Das , das der Kaiser und sein Gefolge während ihres Aufenthalts bewohnten, bestand zu dem Zeitpunkt aller Wahrscheinlichkeit nach aus einem Ensemble von Holzgebäuden, das jedoch unter seinen Nachfolgern schon wenig später durch eine in Stein errichtete karolingische Palastanlage ersetzt wurde. Diese Kaiserpfalz, die von späteren Herrschern immer wieder verändert und erweitert wurde, gilt zurecht als die eigentliche Keimzelle der Stadt Frankfurt, die die Sonderstellung des Ortes sichtbar machte und den Ausgangspunkt für weitere Schritte auf dem Weg zur Stadtwerdung bildete.
1147 ist hier erstmals eine Königswahl, die Heinrichs VI., belegt, weitere folgten, bis diese besondere Funktion der Stadt dann 1356 in der Goldenen Bulle auch reichsgesetzlich fixiert wurde. Ab der Mitte des 16. Jahrhunderts fanden darüber hinaus auch die Krönungen in der Regel in Frankfurt statt. Weitere Entwicklungsschritte folgten in staufischer Zeit, v.a. im 12. Jahrhundert, mit dem Einsetzen einer gezielten Förderung des Städtewesens durch die Landesherren, und Frankfurt profitierte in diesem Fall besonders von der Reichslandpolitik der Könige, die den Ausbau der Reichsstädte als Machtbasis gerade auch in der hessischen Wetterau energisch vorantrieben.
Ein wichtiger Bestandteil dieser Förderung war die Verleihung von Marktrechten, die – wie im Fall Frankfurts – oft in mehreren Schritten erfolgte, hier aber bis hin zur Privilegierung einer überregional bedeutsamen Messe führte. Die Frankfurter Herbstmesse wird 1227 erstmals urkundlich erwähnt, doch lassen der Wortlaut sowie weitere Indizien darauf schließen, dass sie schon erheblich früher bestand. Abgeschlossen wurde ihre Entwicklung 1240 durch ein Privileg Kaiser Friedrichs II., mit dem er die Besucher der Messe ausdrücklich in den Königsschutz aufnahm und sie damit als einen Raum königlichen Rechts etablierte. 1330 kam zur Herbstmesse noch eine zweite im Frühjahr hinzu, die Fastenmesse, die mit denselben Freiheiten ausgestattet war. Nach der Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern entwickelten sich die Frankfurter Messen bald auch zu Zentren des Buchhandels und erhielten dadurch noch eine zusätzliche Bedeutung, wie gerade in der Zeit der Reformation deutlich wird.
Auch die erste Erwähnung von Juden steht im Zusammenhang mit der Messe und ist zugleich der früheste Hinweis auf deren Existenz: In einem um 1150 verfassten Talmud-Kommentar behandelt der Mainzer Gelehrte Elieser ben Nathan u.a. Verhaltensregeln für Reisende am Schabbat und nennt als Beispiel Juden, die zur Messe nach Frankfurt kommen.5 Da er davon ausging, dass sie dort gezwungen seien, bei Christen Quartier zu nehmen, ist das natürlich kein Beweis für eine ständige Präsenz von Juden, doch erwähnt derselbe Autor Frankfurt an einer späteren Stelle noch einmal, und zwar als Beispiel für einen Ort, an dem zwar Juden lebten, jedoch keine Gemeindeorganisation besäßen. Man kann also davon ausgehen, dass zu dieser Zeit bereits einige Juden hier ansässig waren, aber so wenige, dass sie weder eine Gemeinde bildeten noch in der Lage waren, die jüdischen Messegäste zu beherbergen.
Erst im frühen 13. Jahrhundert finden sich Hinweise auf eine größere Zahl von Juden, die in dem zentral gelegenen Viertel zwischen der Bartholomäuskirche und dem Main lebten und zweifellos auch als Gemeinde organisiert waren. Dass diese erste jüdische Gemeinde eine beachtliche Größe besaß, wird allerdings erst anlässlich ihres tragischen Endes in der später so genannten »ersten Judenschlacht« im Jahre 1241 deutlich.6 Die einzige christliche Quelle, die eingehender über dieses Ereignis berichtet, sind die wenig späteren Erfurter Annalen, denen zufolge ein Streit zwischen Christen und Juden entbrannt war, weil sich ein junger Jude taufen lassen wollte und von seiner Verwandtschaft daran gehindert wurde.7 Bei dem folgenden Kampf seien nur wenige Christen aber 180 Juden ums Leben gekommen, manche durch Waffengewalt, andere, nachdem sie in der Not ihre eigene Häuser in Brand gesteckt hatten. Das Feuer habe auf die Häuser der Christen übergegriffen und fast die Hälfte von ihnen zerstört. 24 weitere Juden hätten durch die Annahme der Taufe ihr Leben gerettet. In wieweit diese Darstellung zutreffend ist, lässt sich nicht sagen, ein Großbrand ist aus dieser Zeit jedenfalls nicht überliefert, doch erscheint zumindest das Motiv des Konflikts, die von den Angehörigen verhinderte Taufe, durchaus plausibel. Auch in späteren Zeiten kam es aus diesem Grund nicht selten zu Konflikten, wenn sie auch nicht in ähnlich drastischer Weise ausgetragen wurden.8
Die drei erhaltenen jüdischen Quellen berichten nichts über den Grund des Vorfalls, was aber auch kaum verwunderlich ist, da es sich nicht eigentlich um historiografische Texte handelt, sondern um Memorialliteratur, deren Zielsetzung allein in der Erinnerung an das Pogrom und seine Opfer bestand.9 Im Martyrologium des Nürnberger Memorbuchs ist lediglich eine Liste mit den Namen der Frankfurter Märtyrer enthalten, deren Zahl mit 160 zwar etwas geringer angegeben ist als in den Erfurter Annalen aber doch eine ähnliche Größenordnung erkennen lässt. Interessanterweise finden sich unter den näher bezeichneten Personen mehrere Rabbiner sowie drei Franzosen. Die Präsenz von Gelehrten und Ausländern, möglicherweise Talmud-Schülern, spricht für die Bedeutung dieser ersten Frankfurter Gemeinde. Die beiden anderen Quellen sind Gedichte, von denen das eine, in epischer Form und mit zahlreichen biblischen Bezügen, allein dieses Massaker beschreibt, während das andere es in eine Reihe ähnlicher Vorfälle stellt. Im letzten ist von über 173 Toten in Frankfurt die Rede, eine Zahl, die recht nahe bei den anderen Angaben liegt.
Wann genau sich wieder Juden in Frankfurt niederließen, ist nicht bekannt, doch spricht die Tatsache, dass sie sich in demselben zentral gelegenen Viertel ansiedeln konnten wie zuvor, dafür, dass es schon recht bald geschah. Die Lebensbedingungen waren zu dieser Zeit noch sehr günstig, da Juden z.B. ohne Einschränkungen Hausbesitz erwerben konnten, was ihnen später in Frankfurt – wie an vielen anderen Orten – nicht mehr erlaubt war. Bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts wurden sie außerdem ebenso wie die christlichen Bürger in die städtischen Bürgerbücher eingeschrieben und waren diesen damit in einem gewissen Maß gleichgestellt, was zeigt, dass der Prozess der Selbstdefinition der Stadt als christliches Gemeinwesen, von dem noch die Rede sein wird, zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgeschlossen war.
Auch die zweite jüdische Gemeinde in Frankfurt hatte nicht allzu lange Bestand. 1347 brach in Europa die seit vielen Jahrhunderten nicht mehr aufgetretene Pest aus, die auf italienischen Handelsschiffen aus der Region um das Schwarze Meer in die Mittelmeerhäfen eingeschleppt worden war und sich von hier mit großer Geschwindigkeit ausbreitete. Die Zeitgenossen standen dieser ersten verheerenden Pestwelle...