E-Book, Deutsch, Band 60, 530 Seiten
Reihe: Classica Monacensia
Wunderl Das Symposion bei Herodot
1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-381-10113-9
Verlag: Narr Francke Attempto Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, Band 60, 530 Seiten
Reihe: Classica Monacensia
ISBN: 978-3-381-10113-9
Verlag: Narr Francke Attempto Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Dr. Manuela Wunderl war von 2017-2022 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Griechische Philologie der Ludwig-Maximilians-Universtät München und wurde 2022 promoviert (Dr. Phil.). Inzwischen ist sie als Gymnasiallehrerin für die Fächer Latein und Griechisch tätig.
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2.1Die Gastfreundschaft
Zu Beginn der grundlegenden Analysen soll nun herausgearbeitet werden, welche gastfreundschaftlichen Verpflichtungen zwischen Gast und Gastgeber im antiken Griechenland bestehen und inwiefern diese Verpflichtungen auch für die soziale Praxis gelten, die der Text in Herodots entwirft. Nach einer terminologischen Untersuchung der Begriffe und und deren Verwendung in den möchte ich einen kurzen Überblick über die Grundlagen der griechischen Gastfreundschaft geben, wobei der Schwerpunkt darauf liegen soll, inwiefern diese Grundsätze auch bei Herodot umgesetzt sind. Für die Untersuchung der Gastmahl- bzw. Symposionsszenen soll durch diese Analyse gewährleistet werden, dass mit dem in Herodots gültigen Begriff von Gastfreundschaft, , gearbeitet wird.
2.1.1Xenos, Xenia, Philos, Philia in der griechischen Sprache und sozialen Praxis
Die zentralen Begriffe der griechischen Sprache, um eine gastfreundschaftliche Verbindung auszudrücken, sind und . Daneben findet sich die mit bezeichnete Freundschaft, die von abzugrenzen ist. Ich möchte zunächst die Terminologie von bzw. und bzw. klären. Anschließend überprüfe ich, inwiefern sich die Ergebnisse aus den terminologischen Untersuchungen mit der sozialen Praxis in der Darstellung von Herodots decken oder davon abweichen. Da diese Freundschaftsbegriffe häufig im Kontext von militärischen Bündnissen verwendet werden, soll auch diese Bedeutungsnuance von , aber auch von , im Anschluss untersucht werden – ebenso in erster Linie mit Bezug auf die Darstellung in Herodots . Außerdem gilt es zu untersuchen, inwiefern die Institution der mit Gastfreundschaft in Verbindung steht und welche Bedeutung mit der Bezeichung in Herodots verbunden ist. Denn nur in einer umfassenden Analyse ist es möglich, die Verwendung von und in den in all ihren Bedeutungsnuancen zu verstehen. Abschließend sollen unter diesem Punkt alle Textstellen aus Herodots , an denen die Begriffe oder verwendet werden, nach ihren Bedeutungen systematisiert werden.
2.1.1.1Terminologie
Um und richtig verstehen zu können, muss zunächst deren Terminologie geklärt werden. Die Gastfreundschaft wird in Herodots durch die ionische Form ?e???? (att. = ?e??a) ausgedrückt.43 ?e???? wiederum steht in enger Verbindung zu ?e???? (att. = ?????), mit dem die Akteure einer Gastfreundschaft bezeichnet werden. Doch die Schwierigkeit besteht darin, dass darüber hinaus ein Bedeutungsspektrum abbildet, wofür es im Deutschen keine exakte Entsprechung gibt. Neben der Bedeutung ‚Gastfreund‘ kann auch im Speziellen ‚Gastgeber‘ oder ‚Gast‘ ausdrücken.44 In erster Linie aber wird mit ein Fremder bezeichnet, also eine Person, die aus einer anderen Umgebung kommt.45 Offensichtlich gibt es in der griechischen Sprache keinen eindeutig semantischen Gegensatz zwischen ‚Fremder‘ und ‚Gast‘ und daraus folgend auch in ihrer Kultur und Lebenspraxis eine starke Verbindung zwischen Fremdheit und Gastfreundschaft.46 Dieser Zusammenhang spiegelt sich in der Verpflichtung wider, Fremde aufzunehmen und zu bewirten, was die Fremden sozusagen automatisch zu Gästen machte.47 Fremdheit begegnete man also mit Gastfreundschaft, wobei die aufgenommenen Gäste nach dem terminologischen Verständnis immer auch ein wenig fremd blieben. So ist es auch nicht verwunderlich, dass es im Griechischen mit ?e????e?? einen Ausdruck gibt, durch den wortwörtlich ‚jemanden zum Gast machen‘ ausgesagt wird.48 Damit allerdings ist keine emotionale Komponente verbunden, sondern es handelt sich eher um einen verpflichtenden Vorgang.49
Im Gegensatz zu bezeichnet etwas, das zu einem gehört oder einem lieb ist. Dabei kann es sich um Gegenstände wie um Menschen handeln. Während die Begriffe bzw. – selbst in der Bedeutung ‚Gastfreund(-schaft)‘ – also immer auch Distanz vermitteln, sind bzw. dazu terminologisch ‚entgegengesetzt‘ und drücken eine Zugehörigkeit aus, was allein schon daran ersichtlich wird, dass f???? im Epos auch als Possessivpronomen eingesetzt wurde.50
Im Laufe der Zeit öffnete sich der Begriff ?e???? auch für weitere Bedeutungsfelder. Aus terminologischer Sicht überrascht es nicht, dass im Zeithorizont Herodots auch für ‚Söldner‘ eingesetzt wurde. Auf diese Weise wird die Fremdheit eines Soldaten hervorgehoben, der für ein ihm fremdes Land kämpft.51 An dem Bedeutungsbereich Gastfreundschaft orientiert sich dagegen die Bezeichnung . Denn dieser kümmert sich wie bei einer gastfreundschaftlichen Beziehung um die Belange der Fremden einer Stadt. Er wird im übertragenen Sinn sozusagen zum Gastgeber der Stadt.52
2.1.1.2Xenia und Philia in der sozialen Praxis
Terminologisch betrachtet stehen sich und antithetisch gegenüber. Während eine Zugehörigkeit ausdrückt, ist es Fremdheit, die abbildet. Nun möchte ich untersuchen, ob diese terminologische Gegenüberstellung von und auch im ‚praktischen‘ Leben vorherrscht und inwiefern dies für die soziale Praxis gilt, die der Text in Herodots entwirft. Dabei soll exemplarisch herausgearbeitet werden, inwiefern die sozialen Praktiken, die aus bzw. in der Darstellung der resultieren, auf den Handlungsverlauf Einfluss nehmen.
2.1.1.2.1Xenos und Philos – ein Gegensatz?
besteht zwischen Individuen unterschiedlicher Gruppen.53 Diese Gruppen definieren sich in unterschiedlichen Zeitaltern neu. In den griechischen Poleis wurde eine Gruppe durch die Stadtgrenzen definiert: Angehörige verschiedener Demen innerhalb Athens bezeichneten sich nicht als .54 Sobald zwei Personen allerdings durch Stadtgrenzen getrennt waren, war es möglich, dass sie untereinander Gastfreundschaft schlossen.55
Die Voraussetzungen zwischen sind aufgrund der unterschiedlichen Ausganssituationen aber durchaus andere als die zwischen . Gabriel Herman fasst den Unterschied zwischen der Freundschaft „in the normal Greek sense of the term“56 und der ritualisierten Freundschaft, zu der sich auch rechnen lässt,57 folgendermaßen zusammen:58 Diese ‚normale‘ Freundschaft bestehe meist zwischen Individuen aus demselben sozialen System, die sich die gleichen Werte teilen. Das Vertrauen entstehe hier durch einen langen Prozess von Interaktion und immer größer werdender Intimität.59 Dazu komme, dass diese Beziehungen auf permanenter Interaktion beruhen.60 Bei der ritualisierten Freundschaft dagegen werde die Intimität durch einen abrupten rituellen Akt gebildet.61 Für die Entstehung einer dauerhaften werden Rituale durchgeführt, eine reine Bewirtung allein reicht dafür nicht aus.62 Ein längerer sozialer Umgang ist dagegen nicht nötig.63 Aufgrund der oft großen Entfernung, die zwischen den beiden besteht, ist dies ohnehin kaum möglich. Zudem verhindert der räumliche Abstand der , dass auf den jeweils anderen Druck ausgeübt werden kann, um diesen vom sofortigen Kommen und Unterstützen zu überzeugen oder um selbst schnelle Hilfe zu gewährleisten.64 Die Entfernung der beiden findet man in der terminologischen Bedeutung von ????? als ‚fremd‘ wieder, die Zugehörigkeit der ‚gewöhnlichen‘ Freunde dagegen in der ursprünglich possessiven Konnotation von f????.65 Für ist es daher in erster Linie eine mit der Gastfreundschaft verbundene Verpflichtung, die sie zum Agieren für ihre Gastfreunde drängt und aus der auf Initiationsriten fundierten Gastfreundschaft entspringt.66 Denn eine emotionale Bindung liegt hier zunächst nicht notwendigerweise vor.67 Freunde, die nicht aus einer gastfreundschaftlichen Beziehung hervorgegangen sind, handeln dagegen aufgrund der sozialen Verpflichtung und aus Wohlwollen so, dass es ihren Angehörigen gut geht.68 Daran wird ein Prinzip menschlicher Natur sichtbar, das schon bei Homer gilt: Genugtuung für sich selbst zu finden, indem man Freunden hilft und Feinden schadet.69 Die eigenen Interessen können dabei in den Hintergrund treten.70
Mit Blick auf die Fremdheit, die mit der Terminologie von bzw. ausgedrückt wird, lässt sich auch in Herodots beobachten, dass eine Beziehung, die dort durch bzw. umschrieben wird, fast ausschließlich...