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E-Book, Deutsch, 208 Seiten
Bohn Die Kunst, nicht loszulassen
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-417-27129-4
Verlag: R. Brockhaus
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Wolkig bis heitere Glaubensermutigungen für Realisten, die trotz allem an Gott festhalten wollen
E-Book, Deutsch, 208 Seiten
ISBN: 978-3-417-27129-4
Verlag: R. Brockhaus
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Jörn Bohn (Jg. 1971) ist Lehrer für Deutsch und Ev. Religion an einer Oberschule in Dresden. Außerdem ist er Prädikant der sächsischen Landeskirche und Mitglied der jüdischen Kultusgemeinde. Ursprünglich hat er eine evangelikale Prägung. Er stammt er aus dem frommen Siegerland und hat sich lange Zeit in der Jugendarbeit des CVJM Trupbach engagiert. Er mag Heavy Metal, Kaffee, Sport und gute Gespräche unter Freunden. Außerdem verreist gerne, liebt die Nordsee und Korsika und würde gerne wieder einmal nach Israel. Seine Andachten sind autobiografisch geprägt, schauen über den Tellerrand und geben Einblicke in Fragen, Brüche und Zweifel. Manches wirkt auf den ersten Eindruck schlecht gelaunt, beinhaltet aber immer eine Prise Humor.
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Auf dem Weg nach Hause
Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn
Und Jakob stand auf in der Nacht und nahm seine beiden Frauen und die beiden Mägde und seine elf Söhne und zog durch die Furt des Jabbok.
Er nahm sie und führte sie durch den Fluss, sodass hinüberkam, was er hatte.Jakob aber blieb allein zurück. Da rang einer mit ihm, bis die Morgenröte anbrach.Und als er sah, dass er ihn nicht übermochte, rührte er an das Gelenk seiner Hüfte, und das Gelenk der Hüfte Jakobs wurde über dem Ringen mit ihm verrenkt.Und er sprach: Lass mich gehen, denn die Morgenröte bricht an. Aber Jakob antwortete:Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn.Er sprach: Wie heißt du? Er antwortete: Jakob.Er sprach:Du sollst nicht mehr Jakob heißen, sondern Israel; denndu hast mit Gott und mit Menschen gekämpft und hast gewonnen.Und Jakob fragte ihn und sprach: Sage doch,wie heißt du? Er aber sprach: Warum fragst du, wie ich heiße? Und er segnete ihn daselbst. Und Jakob nannte die Stätte Pnuël: Denn ichhabe Gott von Angesicht gesehen,und doch wurde mein Leben gerettet.Und als er an Pnuël vorüberkam, ging ihm die
Sonne auf; und er hinkte an seiner Hüfte.
1. Mose 32,23-32
In den Onlinemeldungen eines christlichen Medienmagazins las ich neulich die Meldung, dass Arno Backhaus mittlerweile fünfzig Jahre glücklich mit seiner Frau verheiratet ist. Fünfzig Jahre? Wow, eine lange Zeit. Die christliche Welt freut sich über so eine Nachricht ganz besonders. Wer will, kann auch Kommentare unter dem Artikel posten wie »Ihr seid so gesegnet« oder »Halleluja, der Herr ist treu«. Verstehen Sie mich bitte nicht falsch: Nichts gegen Arno Backhaus und seine Ehe. Und auch von mir: Herzlichen Glückwunsch! Aber mich frustriert so etwas. Es stößt mich ab. Die Kommentare stoßen mich ab.
Sicher, vielleicht werden ja manche Menschen durch so ein Vorbild tief inspiriert, doch mich macht es– mit all meinem Versagen– eher traurig, solche Meldungen zu lesen. Warum wird so etwas überhaupt gepostet? Welcher Wert liegt darin? Es klingt doch ganz nach dem Motto: »Sieh dir dieses vorbildliche christliche Leben an. Sieh dir das Leben der Menschen an, die sich so treu Jesus hingeben. Das kannst du auch haben, wenn du nur fest an Jesus glaubst und die richtigen Prioritäten setzt. Wenn du ihm ganz echt und hingegeben folgst.« Und wie zur Bestätigung postet eine christliche Facebook-Freundin eine Meldung aus einem christlichen Onlinemagazin. Wieder Arno Backhaus mit seiner Frau. Darunter die Schlagzeile: »Der Glaube ist die tiefe Grundlage unserer Ehe«2. Vorbilder, die wir vorzeigen. Das Leben gelingt, wenn wir Gottes Maßstäbe in unserem Leben umsetzen. Und die frommen Aushängeschilder beweisen es. Ich halte mich da lieber an Paulus: »Darum, wer meint, er stehe, soll zusehen, dass er nicht falle« (1. Korinther 10,12).
Ich habe auch die richtigen Prioritäten gesetzt. Ich habe es zumindest versucht. Und dennoch gab es in meinem Leben viel Zerbruch und viele schwierige Wege. Zumindest in der zweiten Lebenshälfte.
Lange habe ich nicht gewusst, dass mir Bindungsängste zu schaffen machen. Als mir das in einer Therapie wie Schuppen von den Augen fiel, konnte ich endlich so manches schmerzhafte Erlebnis in meinem Leben besser einordnen.
Den unerkannten Ängsten zum Trotz gelang es mir dennoch, eine stabile Beziehung zu führen. Ich habe sogar geheiratet. Doch einige Jahre später geriet meine Ehe in Schieflage. Und dann habe ich jahrelang gekämpft, gebetet, versucht, Gott zu vertrauen, geglaubt. Und trotzdem ist alles zerbrochen. Habe ich etwa die falschen Prioritäten gesetzt? Wohl kaum. Zusätzlich belastete mich die Scham. Menschen, deren Beziehungen zerbrechen, können unglaublich einsam werden. Dann, wenn die Trennung erfolgt und sich die Freunde aufteilen. Aber auch bereits davor. Man schämt sich für das Scheitern der Ehe. Es fühlt sich wie Versagen an. Man hat Angst vor Ablehnung und Verurteilung. Jedenfalls ging mir das so. Noch heute fühle ich mich gebrandmarkt, wenn ich in Formularen das Feld »geschieden« ankreuzen muss. Manch einer hat vielleicht keine Ahnung, was es bedeutet, sein Kind an vielen Tagen im Jahr nicht sehen zu können, sein Haus aufzugeben und dann auch noch das soziale Umfeld zu verlieren.
Einmal lud mich mein Kumpel Matthias zu Heiligabend ein. Das empfand ich als ungeheuer nett und menschlich große Klasse. Ich war aber zum Glück bereits verplant. Zu Matthias hätte ich nicht gehen können. Wissen Sie, wie sich das anfühlt? Weihnachten als Gast in einer intakten Familie? Einmal habe ich an Heiligabend mein Wohnzimmer gestrichen. Einfach, um mir selbst einen ganz normalen Tag vorzugaukeln. Dann tut das Alleinsein nicht so weh.
Jakob humpelte, nachdem er mit Gott gekämpft hatte. Gott hatte ihn verletzt und Jakob trug die Folgen dieses Kampfes nun mit sich herum. Segen hin oder her. Wenn ich heute mein Leben anschaue, dann denke ich: Ja, das Leben hat mich auch ziemlich mitgenommen. Ich bin verletzt, ich humple und hinke durchs Leben– und irgendwie auch Gott hinterher. Das ist offenbar meine Art der Nachfolge. Ich bin froh über dieses Bild, das ich so in etwa irgendwo bei Adrian Plass gelesen habe. Ich glaube, wir mittelmäßigen Christen und Christinnen können mit den christlichen Leuchttürmen nicht immer so viel anfangen. Sie wirken so unerreichbar. Umso erschreckender, dass sich bei der einen oder anderen Führungsgestalt der christlichen Szene so tiefe moralische Löcher aufgetan haben.
Die Frage ist doch hier: Was machen wir mit den Menschen, die wir in den Himmel loben? Verlieren sie deshalb irgendwann die Bodenhaftung? Tun wir unseren »frommen Helden« einen Gefallen, wenn wir sie glorifizieren? Wäre es nicht für alle besser, wir würden Menschen einfach Menschen sein lassen? Keine Superleiter, keine Fixsterne, keine Leuchttürme. Stattdessen normale Menschen, die fehlerhaft sein dürfen. Denen keine untragbare Last auf die Schultern gelegt wird. Dafür aber auch keine Menschen, die wir im Versagensfall dann entsetzt verteufeln müssen.
Ist es vielleicht sogar gut, dass manche Menschen im übertragenen Sinn den Schmerz an ihrer Hüfte spüren? Ihre Fehler kennen, um ihr Humpeln wissen? Und wie viele gibt es eigentlich von unserer Sorte? Vermutlich viel mehr, als wir denken. Unser Leben wird nicht in Onlinemagazinen porträtiert. Wir produzieren keine Meldungen, die die Leute liken und kommentieren. Wir sind kein christliches Vorzeigeprodukt. Selten wird ehrlich, authentisch und wohlwollend über das Humpeln geschrieben. Aber sind wir Humpler nicht vielleicht die große breite Masse? Vielleicht haben mir deshalb immer die Texte von Brennan Manning und Henri Nouwen so gutgetan.
Jakob sagt: »Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn.«
Mir geht es ebenso. Ich denke: »Es ist vieles schiefgelaufen, mein Gott. Mir geht es nicht um irgendeinen hochgestochenen geistlichen Segen, verbunden mit überragenden geistlichen Erkenntnissen. Da bin ich wie Jakob. Es geht mir um ein Leben, das gelingt. Ich möchte, dass ich auf der richtigen Spur bin. Ich möchte, dass mein Leben wertvoll ist und von dir, mein Gott, begleitet wird. Und ich möchte nach all den schwierigen Jahren Ruhe. Mein Gott: Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn.«
Der Mensch lebt nicht allein vom Wort Gottes
Dawurde Jesus vom Geist in die Wüste geführt, damit er von dem Teufel versucht würde. Und da er vierzig Tage und vierzig Nächte gefastet hatte, hungerte ihn. Und der Versucher trat herzu und sprach zu ihm: Bist du Gottes Sohn, so sprich, dass diese Steine Brot werden. Er aber antwortete und sprach: Es steht geschrieben: »Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von einem jeden Wort, das aus dem Mund Gottes geht.«
Matthäus 4,1-4
Ich stöbere ein wenig im Netz. Dort finde ich plötzlich einen Satz von Johannes Hartl. Kein Wunder, ich habe ihn ja auch abonniert. Johannes Hartl hat annähernd mein Alter, ist ein deutscher Theologe, Buchautor und Gründer des Gebetshauses in Augsburg. Ich mag, was er sagt, aber manchmal ist es mir auch zu konservativ.
Ich lese einen seiner Posts auf X: »Nichts kommt dem Geschenk, dem unfassbaren Glück gleich, eine Heimat bei Gott zu haben. Innerlich zu Hause zu sein oder zumindest auf dem Weg dorthin.« Ich denke darüber nach. In mir regt sich Widerstand. Vor 25 Jahren hätte ich den Satz von Johannes Hartl bedenkenlos unterschrieben, aber heute? Kommt so ein Satz eher von Menschen, die bereits alles haben? Von Menschen in festen und gesunden familiären Strukturen in einem heimatlichen Nest? Auf allzu fromme Statements reagiere ich schnell allergisch.
Sicher, auch ich kenne das, dass ich in der Besinnung auf Gott zur Ruhe finde, mich aufgehoben fühle, daran glaube (oder es zumindest versuche), dass er alles regelt, was ich nicht regeln kann und was mich gerade so sehr bedrückt. Aber ich stoße mich am geistlichen Gehalt, am Anspruch dieses Satzes. Er kommt mir so überzogen vor. Ich möchte versuchen zu beschreiben, was ich meine.
Vor über zehn Jahren bin ich nach Dresden gezogen, 500 Kilometer von meiner Heimat, dem Siegerland, entfernt. Und erst hier in Dresden, also in der Fremde, habe ich gemerkt, wie sehr ich an meiner Heimat hänge: die vielen Wälder, der typische Nieselregen, die bekannten Wege, der unverwechselbare Geschmack des Bieres, der...