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E-Book, Deutsch, 378 Seiten

Frei Im Namen der Deutschen

Die Bundespräsidenten und die NS-Vergangenheit

E-Book, Deutsch, 378 Seiten

ISBN: 978-3-406-80849-4
Verlag: C.H.Beck
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Der Bundespräsident spricht qua Amt «im Namen der Deutschen», auch und gerade, wenn es um die NS-Vergangenheit geht. Für Theodor Heuss und seine Nachfolger zu Zeiten der Bonner Republik – Heinrich Lübke, Gustav Heinemann, Walter Scheel, Karl Carsten und Richard von Weizsäcker – war das immer auch ein Sprechen über die eigene Zeitgenossenschaft. Norbert Frei zeigt in seinem glänzend geschriebenen, mitunter atemverschlagenden Buch, wie dabei die persönliche Vergangenheit beschwiegen und zugleich der Ton für das Reden über Nationalsozialismus und Holocaust in einer Gesellschaft gesetzt wurde, die erst lernen musste, sich ihrer Geschichte selbstkritisch zu stellen.

Richard von Weizsäcker war der letzte Bundespräsident, der die Jahre des Zweiten Weltkriegs noch als damals schon erwachsener Zeitgenosse erlebt hatte. Der weltweite Ruhm für seine Rede zum 40. Jahrestag des Kriegsendes am 8. Mai 1985 erklärt sich auch vor diesem Hintergrund. Mit Weizsäckers Präsidentschaft endet dieses Buch, das mit Theodor Heuss beginnt, der als erstes Staatsoberhaupt der Bundesrepublik Deutschland Formen und Wege finden musste, «im Namen der Deutschen» über die Verbrechen des «Dritten Reiches» zu sprechen.
Norbert Frei, einer der renommiertesten Zeithistoriker der Gegenwart, folgt in seiner brillanten, minutiös aus den Quellen gearbeiteten Darstellung den gewundenen Wegen, auf denen im präsidialen Reden auch zu schweigen zur staatsmännischen Kunst und respektierten Praxis wurde.
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Einleitung
«Wir haben von den Dingen gewusst.» Theodor Heuss, 1952 Es war das «Wir» der gemeinsamen Zeitgenossenschaft, das der Bundespräsident am Mahnmal in Bergen-Belsen bemühte, nicht der überkommene Pluralis Majestatis des Monarchen. Dieses «Wir» beschwor die Erinnerung, sieben Jahre nach Hitler, an einem der wüstesten Orte des Menschheitsverbrechens. Aber es unterstrich auch die Verbindung zwischen den Bürgerinnen und Bürgern des neuen Staates und ihrem höchsten Repräsentanten. Der Bundespräsident sprach im Namen der Deutschen. So ist es bis heute, so sieht es das Grundgesetz vor, und dafür steht das präsidiale «Wir». Seit dem Amtsantritt von Theodor Heuss im September 1949 ist die öffentliche Rede das zentrale politische Instrument des deutschen Staatsoberhaupts, und dabei wird es auch bleiben, wenn irgendwann eine Bundespräsidentin das Wort ergreift. Der Bundespräsident handelt, indem er spricht. Gerade weil seine Machtbefugnisse begrenzter sind als in anderen parlamentarischen Demokratien – eine der Lehren aus dem Scheitern der Weimarer Republik –, wirkt er vor allem durch das, was er sagt und wie er es sagt: in Reden und Ansprachen, in Interviews und Aufsätzen, im öffentlichen Gespräch und in vertraulicher Runde. In der Wahl ihrer Themen sind die Bundespräsidenten frei, und im Lauf der Jahrzehnte haben sich manche Akzente verschoben. Aber auf dem Feld des Historisch-Politischen stößt man an einer Stelle auf erstaunliche Kontinuität: Hinter die Formen und Sprechweisen der normativen Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit, die Heuss in seiner ersten Amtszeit entwickelte, ist keiner seiner Nachfolger zurückgegangen. So beruht vieles von dem, was damals unter dem Begriff «Vergangenheitsbewältigung» firmierte und heute «Erinnerungskultur» heißt, nach wie vor auf dem Reden und Wirken des Gründungspräsidenten, im Guten wie im Problematischen. Heuss hat, das Grundgesetz beim Wort nehmend, die Maßstäbe entwickelt, natürlich nicht allein und nicht im luftleeren Raum, wohl aber in empfindsamer Abwägung der Möglichkeiten seines Amtes und der Bedürfnisse der Nachkriegsdeutschen – und mit Gespür für die Erwartungen all derer, die sich das nationalsozialistische Deutschland zum Feind gemacht hatte. Wie für die meisten, die seit 1945, erstmals oder wieder, die politische Arena betraten, war dabei auch für Heuss der eigene Weg durch das «Dritte Reich» von elementarer Bedeutung. Persönliche Erfahrungen flossen in seinen kritischen und selbstkritischen Umgang mit der «jüngsten Vergangenheit» ein. Aus diesen Beobachtungen ergibt sich ein Teil der Fragen, denen dieses Buch nachgeht – auf den Spuren von Theodor Heuss und jener fünf Präsidenten, die in drei Jahrzehnten auf ihn folgten: Heinrich Lübke, Gustav Heinemann, Walter Scheel, Karl Carstens und Richard von Weizsäcker. Mit Weizsäcker, der, ebenso wie Scheel und Carstens, die Jahre des Zweiten Weltkriegs als Soldat erlebt hatte, ging die Zeit der NS-Zeitgenossenschaft im Präsidialamt 1994 zu Ende; alle späteren Bundespräsidenten waren bei Kriegsende noch nicht erwachsen oder noch gar nicht geboren. Die vorliegende Darstellung handelt somit von den Präsidenten der «alten» Bundesrepublik; dass Weizsäcker zum Ende seiner zweiten Amtszeit den ersten Dienstsitz des Staatsoberhaupts von Bonn nach Berlin verlegte, von der Villa Hammerschmidt ins Schloss Bellevue, erscheint im Rückblick wie eine symbolische Bekräftigung dieses erfahrungsgenerationellen Einschnitts. Darin und in der Zugänglichkeit der staatlichen Akten, die einer gesetzlichen Sperrfrist von 30 Jahren unterliegen, gründet der hier gewählte zeitliche Rahmen. In welcher Weise also machten die Bundespräsidenten der Bonner Republik die Verbrechensgeschichte des «Dritten Reiches» zu ihrem Thema? Wo setzten sie die Schwerpunkte, was waren ihre blinden Flecken, worin bestanden individuelle Befangenheiten? Traten sie für innergesellschaftliche Aufklärung ein, für die Anerkennung der Gegner des Regimes, für das Gedenken an die Opfer? Wie dachten sie über die Bestrafung der Täter, wie verhielten sie sich zu den populären Forderungen nach deren Freilassung? Beförderten sie den öffentlichen Diskurs über die Vergangenheit oder begünstigten sie deren Beschweigen? Und wie verhielt sich das eine oder das andere womöglich auch zur je eigenen Biographie? Schließlich die Frage nach den Auswirkungen einer über die hier betrachteten viereinhalb Jahrzehnte doch signifikant sich verändernden Generationenkonstellation: Nahm – an der Spitze des Staates wie in der bundesrepublikanischen Gesellschaft insgesamt – vor dem Hintergrund des einsetzenden Abschieds von den Zeitgenossen der NS-Zeit die Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit der Vergangenheit zu? Markierte Richard von Weizsäckers berühmte Rede zum 40. Jahrestag des Kriegsendes 1985 in diesem Sinne einen Umbruch? Oder war sie bereits dessen Resultat? Es ist, aus der Perspektive des protokollarisch höchsten Amts der Republik, eine Geschichte von Schuld und Scham, von Vergessen und Vergegenwärtigung, die dieses Buch erzählt. In den Blick kommen dabei selbstverständlich auch Veränderungen in der öffentlichen Wahrnehmung der Rolle und Bedeutung der Bundespräsidenten und in der Beurteilung ihrer Lebens- und Karrierewege während der NS-Zeit. Mehr als deutlich wird dieser Wandel am Beispiel der aufeinanderfolgenden Präsidenten Lübke und Heinemann, mit denen ein sich zunehmend kritisch verstehender Teil der Medien höchst gegensätzlich verfuhr, obwohl beide in durchaus ähnlicher Weise den Funktionseliten der NS-Zeit zuzurechnen sind. Ähnliches gilt für Scheel und Carstens, deren vormalige Mitgliedschaft in der NSDAP praktisch gleichzeitig bekannt und frappierend unterschiedlich bewertet wurde. Hinter dem Staatsoberhaupt der Bundesrepublik Deutschland steht traditionell ein vergleichsweise kleiner Apparat. Aber wer wissen will, wie und mit wessen Zutun die Reden und Ansprachen der Präsidenten entstanden sind und welchem Kalkül sie folgten, kommt an einem genaueren Blick ins Innere des Bundespräsidialamts nicht vorbei. Denn selbstverständlich waren die politische Herkunft, die Einstellungen und die Vergangenheit der Menschen, die den Bundespräsidenten zuarbeiteten, von Bedeutung. Das galt zumal hinsichtlich der vielfältigen präsidialen Äußerungen, Begegnungen und Korrespondenzen, die die Geschichte und Nachgeschichte der NS-Zeit berührten: die sogenannte «Wiedergutmachung» etwa, die Situation der vormals Verfolgten, Emigranten und Überlebenden des Judenmords, die Wiederbegründung jüdischer Gemeinden in Deutschland, aber auch die Klagen von Vertriebenen und denen, die sich als einstige Mitläufer, Profiteure oder Ex-Parteigenossen nach 1945 zu Unrecht verurteilt fühlten und auf Rehabilitierung drängten. Der NS-Belastung unter den Beamten und Angestellten des Bundespräsidialamts geht diese Studie deshalb im Einzelnen nach; Erwartungen, die Belegschaft der Villa Hammerschmidt in den ersten Jahrzehnten der Republik könnte sich grundsätzlich von jener in den Ministerien und anderen obersten Behörden unterschieden haben, soviel sei schon an dieser Stelle gesagt, wären verfehlt. Angesichts der Problemlagen einer Gesellschaft, in der die Mentalitäten und Ideologeme der «Volksgemeinschaft» noch vielfach gegenwärtig waren, kamen dem ersten Bundespräsidenten besondere Aufgaben bei der symbolpolitischen Ausgestaltung der neuen Staatlichkeit zu. Vor diesem Hintergrund erklärt sich Heuss’ Entschluss, trotz persönlicher Distanz gegenüber der Idee staatlicher Auszeichnungen (die Weimarer Reichsverfassung hatte sogar ein entsprechendes Verbot festgeschrieben) 1951 einen Bundesverdienstorden zu stiften. Für den Erfolg der Überlegung, auf diese Weise etwas für die Akzeptanz der «Abstraktion Bonn» (Heuss) zu tun, scheint die Tatsache zu sprechen, dass zum Ende seiner zweiten Amtszeit bereits Zehntausende ausgezeichnet waren – und sich die Begehrlichkeiten der Funktionseliten eines wiederaufbaustolzen Bürgertums unvermindert fortsetzten. Mit dieser meritokratischen Großzügigkeit, die 1963 sogar Thema einer Filmsatire werden sollte («Orden für die Wunderkinder», mit Carl-Heinz Schroth), gingen freilich fast zwangsläufig politische Fehlentscheidungen einher, von denen einige exemplarisch betrachtet werden: auch, weil sie auf längere Sicht zu bedeutsamen Anknüpfungspunkten eines kritischeren Umgangs mit der Vergangenheit wurden, dessen Erstarken sich nachgerade regelhaft dem Modus der Skandalisierung verdankte. Die Dialektik der bundesdeutschen Vergangenheitspolitik erweist sich ebenso im Kontext der...


Norbert Frei ist Seniorprofessor für Neuere und Neueste Geschichte an der Friedrich-Schiller-Universität Jena und Autor der zum Klassiker gewordenen Studie «Vergangenheitspolitik. Die Anfänge der Bundesrepublik und die NS-Vergangenheit» (bsr 2012).


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