Hohlfeld / Knieper / Hahn Digitale Öffentlichkeit(en)


1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-7445-0858-2
Verlag: Herbert von Halem Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection

E-Book, Deutsch, 290 Seiten

Reihe: Schriftenreihe der Deutschen Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft

ISBN: 978-3-7445-0858-2
Verlag: Herbert von Halem Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection



Die Digitalisierung ist eine der wohl bedeutendsten (medien)technischen Entwicklungen seit Gutenbergs Erfindung des Buchdrucks und die vernetzte Sphäre digitaler Kommunikation verändert das gesellschaftliche Leben nachhaltig. Ein Vierteljahrhundert nachdem Tim Berners-Lee die VorausSetzungen für das World Wide Web entwickelt hat, ist heute die junge 'Irgendwas-mit-Medien-Generation' ohne das Internet nicht mehr vorstellbar. Die Kommunikation über mobile Endgeräte wie Smartphones und Tablets überholt den stationären Online-Zugang. Das Social Web scheint ubiquitär, die Crossmedialität nicht mehr aufzuhalten. Solche Indikatoren sprechen Bände über 'Digitale Öffentlichkeit(en)'. Dieser Band dokumentiert ausgewählte Beiträge zur gleichnamigen 59. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft (DGPuK) 2014 an der Universität Passau.

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Interaktionsmodi und Medienwandel
Christoph Neuberger1
1 Relationen und Dynamik in der öffentlichen Kommunikation als Desiderate Der seit Mitte der 1990er Jahre beschleunigte Medienwandel hat eine Neuausrichtung der Kommunikationswissenschaft notwendig gemacht.2 Die Theorien und Methoden des Faches sind vor allem in Auseinandersetzung mit den traditionellen Massenmedien im 20. Jahrhundert entstanden und spiegeln deren – aus heutiger Sicht – recht simplen Verhältnisse wieder: Presse und Rundfunk charakterisieren einseitige, einstufige und punktuelle Kommunikation – also nicht wechselseitige Kommunikation (Interaktion) und mehrstufige Kommunikation (Diffusion), die beide sequentiell verlaufen, d. h., die Teilnehmer beziehen sich in ihren Kommunikationsakten aufeinander, indem sie ihre Mitteilungen zurückadressieren oder übernommene Mitteilungen in andere Richtungen weiterverbreiten. Wechselseitige und mehrstufige Kommunikation erfordern die Möglichkeit des flexiblen Wechsels zwischen der Kommunikator- und Rezipientenrolle. Den traditionellen Massenmedien fehlt bekanntlich der Rückkanal, über den sich das Publikum an der öffentli chen Kommunikation beteiligen könnte, sieht man z. B. von Leserbriefen ab. Deshalb ist sequentielle Kommunikation hier auf wenige Angebotsformate (z. B. Talkshows und Interviews) beschränkt oder findet nicht-öffentlich im zeitlichen Vorfeld (im Verhältnis zwischen Quellen bzw. Public Relations und Journalismus) oder Nachfeld (in der Anschlusskommunikation des Publikums) statt. Weil die Relationen zwischen Mitteilungen bzw. zwischen Kommunikatoren in den traditionellen Massenmedien noch keinen hohen Stellenwert besaßen, blieben sie in den Theorien und Methoden der Kommunikationswissenschaft unterbelichtet. Kommunikator und Rezipient wurden, da kein Rollenwechsel stattfand, in separaten Forschungsfeldern untersucht. Die Verkettung von Kommunikationsakten mehrerer Teilnehmer, wie sie das Internet ermöglicht, macht es nun notwendig, Relationen im zeitlichen Verlauf zu beobachten, z. B. einen Konflikt, in dem Kontrahenten Argumente austauschen und einander zu überzeugen versuchen. Diese Dynamik wurde bisher unzureichend abgebildet: In der quantitativen Inhaltsanalyse ist es üblich, die Merkmale eines Beitrags isoliert, d. h. ohne die Relationen zu anderen Beiträgen zu codieren. Anschließend werden die Beiträge im Aggregat betrachtet. Um Entwicklungen nachzuvollziehen, werden allenfalls aggregierte Daten für mehrere zeitliche Abschnitte verglichen, wie z. B. in Agenda-Setting-Studien. Idealtypische Phasenmodelle für Themenkarrieren wurden selten getestet. Dies liegt vor allem daran, dass die kontinuierliche Beobachtung von Themen mit Hilfe manuell durchgeführter Inhaltsanalysen mit einem erheblichen Aufwand verbunden ist. Erst für digitale Angebote lässt sich ein fortlaufendes Monitoring mit Hilfe von Software bewältigen. Die Kommunikationswissenschaft steht damit vor einer methodischen und einer theoretischen Herausforderung. In methodischer Hinsicht sind Netzwerkanalysen notwendig, die mit Inhaltsanalysen kombiniert werden (z. B. Nuernbergk 2013), in denen mit Hilfe relationaler Variablen auch die Qualität der Beziehungen zwischen Mitteilungen bzw. zwischen Kommunikatoren erfasst wird. Außerdem muss die Entwicklung des Interaktionsnetzwerks im Zeitverlauf betrachtet werden. In theoretischer Hinsicht sind Theorien gefragt, die Relationen und Dynamik in der medienvermittelten, öffentlichen Kommunikation einfangen. In diesem Aufsatz soll für diese theoretische Herausforderung ein Lösungsschritt vorgeschlagen werden. 2 Interaktionsmodi Mit der Frage, in welcher Beziehung Akteure zueinander stehen und wie sich ihre Beziehung entwickelt, hat sich bereits ein Klassiker der Soziologie, Georg Simmel (1992: 20f, Kieserling 2011: 184), befasst. Er unterschied „soziale Formen“ wie Konflikt, Konkurrenz, Kooperation und Tausch, die für ihn den Kerngegenstand des Faches bildeten. Allerdings hat er diese Formen nicht systematisiert (Schimank 2010: 211, Kieserling 2011: 196) und auch nicht historisch relativiert (Kieserling 2011: 193). In diesem Aufsatz soll die Frage beantwortet werden, wie der Medienwandel soziale Formen bestimmt. Sie werden hier – Rosa (2006: 84f) folgend – als „Interaktionsmodi“ bezeichnet. Neben der Konkurrenz, der sein Hauptinteresse gilt, nennt Rosa als weitere Modi den (antagonistischen) Konflikt, die (assoziative) Kooperation, die (traditionalistisch-ständische) Zuteilung und die (autoritär-hierarchische) Regelung. Im Folgenden wird auf drei dieser Interaktionsmodi näher eingegangen, die für medienvermittelte, öffentliche Kommunikation von besonderer Bedeutung sind: auf Konflikt, Kooperation und Konkurrenz (Tab. 1).3 Danach soll ihre Realisierung in zwei medialen Kontexten diskutiert werden: in den traditionellen Massenmedien (Abschnitt 3) und im Internet (Abschnitt 4). Interaktionsmodi lassen sich als basale Akteurkonstellationen aus in-/direkten Beobachtungs- und Beeinflussungsbeziehungen4 zwischen zwei bzw. drei Akteuren definieren. Eine Akteurskonstellation liegt vor, sobald die „Intentionen von mindestens zwei Akteuren interferieren und diese Interferenz von den Beteiligten wahrgenommen wird“ (Schimank 2010: 202). Menschen sind aufeinander angewiesen, weil ihr Interesse an knappen Ressourcen und die Kontrolle darüber oft auseinanderfallen (Esser 1996: 342). Dabei können sie mit- oder gegeneinander versuchen, ihre jeweiligen Interessen durchzu setzen. Der erste Fall, die Kooperation, wird hier als direkte, wechselseitige Kommunikation zwischen mindestens zwei Kooperationspartnern aufgefasst, die einem gemeinsamen Zweck und/oder der gegenseitigen Unterstützung beim Erreichen individueller Ziele dient (Lewis 2006: 201-204). Im zweiten Fall rivalisieren Akteure und tragen untereinander Kämpfe aus, um ihre Interessen auch gegen Widerstreben durchzusetzen. Solche Kämpfe lassen sich danach unterscheiden, ob die Akteure direkt oder indirekt interagieren: Treffen die Kontrahenten direkt aufeinander und streiten, dann handelt es sich um einen Konflikt. Werron (2010: 305, H. i. O.) definiert ihn als „Abfolge direkt aufeinander Bezug nehmender Gegenwidersprüche“. Ihn kennzeichnet – wie die Kooperation – eine direkte, wechselseitige Kommunikation zwischen mindestens zwei Kontrahenten (Kepplinger 1994: 219). Diese Kommunikationsformen sind mit einem hohen Koordinationsaufwand verbunden; ihre Teilnehmer- und Themenkapazität ist gering (Kieserling 1999: 32-47, Werron 2010: 312). Die Konstellation verkompliziert sich, wenn Dritte hinzutreten (Fischer 2010: 198f). Eine solche Triade ist der Fall der Konkurrenz (hier wird das Wort synonym mit Wettbewerb gebraucht). Simmel (2008: 203) definiert die Konkurrenz als indirekte Form des Kampfes, in dem man so „verfährt, als ob kein Gegner, sondern nur das Ziel“ (Simmel 2008: 204) existiere. Dabei herrsche „Konkurrenz zweier um den dritten“ (Simmel 2008: 208). Die Leistungsanbieter, z. B. Unternehmen und Parteien, setzen kommunikative „Mittel der Überredung oder Überzeugung“ (Simmel 2008: 209) ein, um die Gunst des Publikums zu gewinnen. Zwischen den Konkurrenten besteht nur eine indirekte, über das Publikum verlaufende Beziehung. Das Publikum (hier i. S. v. Leistungsempfängern in den verschiedenen gesellschaftlichen Teilsystemen, z. B. Konsumenten und Bürger) ist der von den Konkurrenten umworbene und daher lachende Dritte (Fischer 2010: 196, Werron 2010: 308). Es beobachtet, vergleicht und bewertet die Offerten der Leistungsanbieter und trifft danach seine Auswahlentscheidung. Die Glieder des Publikums müssen weder untereinander noch mit den Konkurrenten kommunizieren. Das Publikum kann daher (muss aber nicht) in einer passiven, nur rezipierenden und selektierenden Haltung verbleiben, während die Konkurrenten kommunikativ aktiv werden und für sich werben müssen, um im Leistungsvergleich des Publikums besser abzuschneiden und bei ihm ein intendiertes Anschlusshandeln auszulösen, es z. B. zur Wahl ihrer Partei oder den Kauf ihres Produkts zu veranlassen. Auch dieses Beeinflussen kann einseitig und punktuell bleiben, d. h. ohne fortgesetzte Interaktion mit dem Publikum. Die Beschreibung der für die drei Interaktionsmodi erforderlichen Kommunikationsformen lässt bereits vermuten, dass der mediale Kontext für ihre Realisierung von erheblicher Bedeutung ist. Tabelle 1: Vergleich der Interaktionsmodi (nach Neuberger 2014: 575) 3 Interaktionsmodi unter den Bedingungen traditioneller Massenmedien Die idealtypisch unterschiedenen Modi Konflikt, Konkurrenz und Kooperation können sich über die basalen Konstellationen als Keimzellen hinaus in der sozialen, zeitlichen und räumlichen Dimension erweitern. Dabei nehmen die Zahl der beteiligten Akteure, die Zahl verknüpfter Interaktionsakte, ihre Gesamtdauer sowie die räumliche Verteilung der Akteure zu. Die Größe und Komplexität von Interaktions-Netzwerken wächst damit. Zu dieser Ausdehnung tragen Medien der öffentlichen Kommunikation in erheblichem Maße bei. Die traditionellen Massenmedien Presse und Rundfunk...


Prof. Dr. Oliver Hahn lehrt Journalistik, Prof. Dr. Ralf Hohlfeld lehrt Kommunikationswissenschaft und Prof. Dr. Thomas Knieper lehrt computervermittelte Kommunikation. Alle drei Wissenschaftler arbeiten am Zentrum für Medien und Kommunikation der Universität Passau.



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