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E-Book, Deutsch, 248 Seiten

Müller Auf Lachen steht der Tod!

Österreichische Flüsterwitze im Dritten Reich

E-Book, Deutsch, 248 Seiten

ISBN: 978-3-7065-5825-9
Verlag: Studien Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Hanna Dauberger und Minni Schwarz schufen 1946/47 mit der Veröffentlichung ihrer Sammlungen die wichtigste Quelle zum Flüsterwitz in Österreich während des Dritten Reiches. Manche dieser Witze haben ihre Flüsterer unter dem NS-Regime das Leben gekostet. Sie als Instrumente des aktiven Widerstands gegen den Faschismus zu interpretieren, wäre allerdings überzogen.
Vielmehr handelt es sich um Dokumente der Ablehnung, Verbalisierung persönlicher Befindlichkeiten und nicht zuletzt Ausdruck gesellschaftlicher Zustände.
Mit diesem Buch macht der Soziologe Reinhard Müller die 552 Witze erstmals wieder zugänglich. Versehen mit wichtigen Hinweisen zu Hintergründen und Mehrdeutigkeiten und ergänzt um über 100 Witze aus Deutschland, stellt er das typisch Österreichische heraus und ermöglicht so die Rekonstruktion eines Stücks heimischer Geschichte und Kultur.
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Vorbemerkung
Mehr als andere Literaturgattungen, als andere Denk- und Erkenntnisformen, mehr als andere soziale Reaktionsweisen ist Witz den speziellen Bedingungen seiner Entstehungszeit verpflichtet und damit dem Wandel der Zeit unterworfen. Vieles an pointiert erzähltem Humor, an Witzen vergangener Jahrzehnte scheint uns heute banal oder un-witzig und dennoch als charakteristisches Zeugnis einer bestimmten Epoche. Natürlich erzeugen ähnliche Entstehungsbedingungen innerhalb eines Kulturraums ähnliche Witze. Dies bezeugt die Austauschbarkeit von Zeit und Ort bei Witzen, die im 20. Jahrhundert unter den Bedingungen von Zensur und Verfolgung entstanden sind. Viele der während des Nationalsozialismus heimlich erzählten, also geflüsterten Witze wurden nur leicht umgekleidet in den Staaten des ehemaligen Ostblocks erzählt, viele Flüsterwitze des Dritten Reichs waren aber ihrerseits bereits Abwandlungen von Witzen aus den bedrückenden Zeiten der Monarchie. Dennoch haben die Witze jeder Epoche auch ihre unverkennbaren Eigenheiten, weniger ersichtlich am einzelnen Witz, sondern in ihrer Summe. Absicht der hier präsentierten Sammlungen ist es, ein breites Reservoir an Flüsterwitzen aus Österreich während des Dritten Reichs vorzulegen, um sich selbst ein Bild vom Lachen dieser Zeit machen zu können. Dabei werden sicherlich manche Formulierung und manche Pointe heute Unbehagen, mindestens aber Kopfschütteln auslösen. In diesen Fällen sollte man bedenken, dass diese Witze unter der Angstglocke des nationalsozialistischen Regimes entstanden sind und weitererzählt wurden, dass also manche Derbheit, ja Rohheit nur Reaktion auf die Rohheit des Regimes war. Und vieles war Galgenhumor, später sogar im doppelten Sinn des Wortes. Bereits im so genannten Heimtückegesetz des Deutschen Reichs, im „Gesetz gegen heimtückische Angriffe auf Staat und Partei zum Schutz der Parteiuniformen“ vom 20. Dezember 1934, hieß es im Paragraf 2, Absatz 1: „Wer öffentlich gehässige, hetzerische oder von niedriger Gesinnung zeugende Äußerungen über leitende Persönlichkeiten des Staates oder der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei, über ihre Anordnungen oder die von ihnen geschaffenen Einrichtungen macht, die geeignet sind, das Vertrauen des Volkes zur politischen Führung zu untergraben, wird mit Gefängnis bestraft.“ Doch dieses Gesetz berührte die Österreicherinnen und Österreicher noch nicht. Sie lebten zwar seit dem 4. März 1933, um die Ausschaltung des Parlaments als ein symbolisches Datum zu nennen, auch unter einem autoritären Regime, in einer hausgemachten, aber in ihren Folgen mit der nationalsozialistischen wenig vergleichbaren Diktatur. Der in der Verfassung vom 24. April 1934 geschaffene Bundesstaat Österreich „auf christlicher und ständischer Grundlage“ wollte zwar keine Witze über sein eigenes Regime hören, hatte aber wenig gegen Witze über die Nationalsozialisten im benachbarten Deutschland und die seit Juni 1933 in der Illegalität befindlichen österreichischen Nationalsozialisten. Diese Witze hatten in Österreich durchaus Tradition; schon 1924 spottete die Wiener Zeitschrift „Der Götz von Berlichingen. Eine lustige Streitschrift gegen Alle“: Was ist der Unterschied zwischen der Wüste Sahara und der Nationalsozialistischen Partei? – In der Wüste Sahara werden Kamele von Menschen geführt und in der Nationalsozialistischen Partei – sind lauter Minderjährige. Damals machte man sich auch noch über den italienischen Faschismus lustig, hatten die Österreicher mit den Italienern doch noch ein Hühnchen wegen des nach dem Ersten Weltkrieg an sie verlorenen Südtirol zu rupfen: Die Italiener lassen nach der Machtergreifung Benito Mussolinis in Südtirol alle deutschsprachigen In- und Aufschriften entfernen, darunter auch das Wort „Abort“. Schlägt ein Tiroler als Ersatz vor: „Wer muss – soll inni!“ (Wer muss, soll hinein). In den Zwanzigerjahren hofften manche noch, dass der Streit zwischen Deutschland und Österreich bald beigelegt werde, wem die Ehre gebühre, dass Adolf Hitler nicht sein Staatsbürger ist. Die Witze, die man damals in Österreich über Nationalsozialisten hörte, konnte man noch frei erzählen, waren also keine Flüsterwitze wie die in den nachfolgenden Sammlungen präsentierten. Zum Vergleich seien einige von Johannes Kunz (geb. 1947) gesammelte Witze aus der Zeit vor 1938 wiedergegeben:1 Übermut und Überreizung
Gibt eine gefährliche Hakenkreuzung! Man soll über die Bübereien der Hakenkreuzler nicht den Stab
brechen – man soll sie lieber mit dem Stab durchhauen! Was ist ein Hakenkreuzler? – Der Hakenkreuzler ist meist im jugendlichen Alter zwischen vierzehn und siebzehn Jahren, ist indianerbüchel-romantisch angehaucht, frisst täglich schon zum Frühstück drei Juden und fünf Arbeiterführer, hat einen Freibrief zum Schießen auf Proletarier und ist das Herzbinkerl der Republik und ihrer k. u. k. Richter. Pressemeldung: „Wie der ‚Blaue Montag‘ erfährt, galt die Sympathiekundgebung der Nationalsozialisten für die Metallarbeiter nur einer bestimmten Kategorie – nämlich den Revolverdrehern!“ Was ist der Unterschied zwischen einem Fass und der Nationalsozialistischen Partei? – Dem Fass geben die Reifen, der Nationalsozialistischen Partei die Unreifen den Halt! Ein Tummelfeld der Nationalsozialisten war die Universität, und als ihr erstes Opfer in Österreich wurde der jüdische Philosophieprofessor Moritz Schlick am 22. Juni 1936 von einem nationalsozialistischen Studenten im Stiegengebäude der Wiener Universität erschossen. Vor diesem Hintergrund entstand die Parodie auf das bekannte Lied aus der 1848er-Revolution „Das Proletariat“ des deutschen Schneidergesellen Johann Christian Lüchow: Was kommt heran mit Gummiknütteln?
Der Schlagring blinkt, die Fahne weht. Es naht mit Schrein und Fäusteschütteln –
Die Universität! Des Ruhmes Gipfel ist erklommen,
Und Gnade wurd’ umsonst erfleht,
Wenn über einen fünfzig kommen –
Die Universität! Die Knüttel hoch, das Wissen nieder,
Dass es im Sturme abwärts geht!
Der neue Geist fasst Haupt und Glieder –
Der Universität! Als erster war ein Jud gefallen,
Im Freiheitskampfe hingemäht!
Ein „Vivant sequens“ lässt erschallen –
Die Universität! Was wird einst die Geschichte künden?!
Wer weiß, was dort zu lesen steht
Von Ruhmestaten und von Sünden –
Der Universität? Typisch auch folgender Witz, zu dessen Verständnis man wissen muss, dass Am Steinhof eine in Österreich allen bekannte Nervenheilanstalt in Wien ist: Pressemeldung: „Die energische Propaganda der Nationalsozialistischen Partei zur Säuberung unserer Hochschulen hat erfreuliche Erfolge zu verbuchen. So wird schon in allernächster Zeit in der Anstalt ‚Am Steinhof‘ ein rein völkisches Beobachtungszimmer eingerichtet werden!“ Die Annäherung zwischen italienischem Faschismus und deutschem Nationalsozialismus wurde ebenso immer öfter Gegenstand politischer Witze. Was ist die Achse Berlin–Rom? – Der Spieß, an dem Österreich braun gebraten wird! (1936) Und die Charakterisierung Adolf Hitlers (1933): Vom Duce hat er die Montur,
Die römischen Allüren, Vom Marx die Kollektivnatur,
Die Lust am Nivellieren. Am Staat, der über Leichen geht,
Ist Machiavelli beteiligt, Und St. Ignatius Pate steht Beim Zweck, der alles heiligt. Da man die Attribute nicht Von der Substanz kann trennen,
Was, frag ich, ist am großen Licht
Noch original zu nennen?! Im Mittelpunkt der antifaschistischen Witze jener Zeit, in der in Österreich das klerikale Ständestaat-Regime herrschte, stand jedoch der Nationalsozialismus in Deutschland. Bei Versammlungen in früherer Zeit
Da ward beraten und beschlossen!
So reaktionär ist man nimmer heut:
Jetzt wird ganz einfach geschossen! Ein jüdischer Geschäftsmann wird 1935 auf das Finanzamt vorgeladen. Da er die vorgeschriebene Steuer nicht zahlen will, streitet er mit dem Finanzbeamten herum und brüllt erbost: „Warten Se nur, bis de Nazis kommen!“ – „Was?“ ist der Finanzbeamte verblüfft, „das sagen ausgerechnet Sie, ein Jude?!“ – „Na, warum nicht“, triumphiert der jüdische Geschäftsmann, „soll ich Ihnen sagen, was wird stehn über dem Finanzamt? Wird stehn: ‚Für Juden verboten!‘.“ Kommt ein Deutscher aus dem Dritten Reich nach Wien und will einmal eines der berühmten Kaffeehäuser besuchen. „Ich möchte ’n Kännchen Kaffee“, bestellt er beim Ober. „Na was für an Kaffee wolln der gnä Herr?“ erkundigt sich der Ober, „an arischen, an nicht-arischen, an Hitler- oder an Dollfuß-Kaffee?“ „Können se mal die Unterschiede erklären“, bittet der Deutsche. „Also“, legt...


Herausgeber: Reinhard Müller wurde 1954 im oststeirischen Burgau geboren. Er studierte Soziologie und Philosophie und arbeitet seit 1987 im "Archiv für die Geschichte der Soziologie in Österreich" an der Universität Graz. Im Studienverlag erschien 2008 sein Buch "Marienthal. Das Dorf – Die Arbeitslosen – Die Studie".


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