Schuberth | Lord Byrons letzte Fahrt | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 533 Seiten

Schuberth Lord Byrons letzte Fahrt

Eine Geschichte des Griechischen Unabhängigkeitskrieges

E-Book, Deutsch, 533 Seiten

ISBN: 978-3-8353-4596-6
Verlag: Wallstein
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Der Aufstand gegen das Osmanische Reich und die Geburt der griechischen Nation - erzählt als Tragikomödie.

Der Griechische Unabhängigkeitskrieg (1821-29): eine Rebellion, bei der nichts so war, wie es schien. Er zog tausende Philhellenen aus allen Teilen Europas an: Schwärmer, Narren, Hochstapler, Gauner, Idealisten - unter ihnen der Dichter Lord Byron.
Vor Ort zerschellten ihre Illusionen an der griechischen Realität: Der 'Freiheitskampf' wurde von Banditenbanden, Warlords und Großgrundbesitzern geführt, die muslimische und jüdische Bevölkerung wurde in den ersten Kriegsmonaten ermordet oder vertrieben, die Osmanen verwalteten lediglich ihr erodierendes Reich und die britischen Kreditgeber agierten als eigennützige Spekulanten.
Richard Schuberth erzählt die Geschichte des Krieges in scharfer Abkehr von nationalen Deutungen - als epische Tragikomödie, die vor allem zu unvorstellbarem Leid der Bevölkerung führte. Seine Studie zeigt die verschiedenen Facetten des Krieges und seiner Protagonisten auf und deutet den Konflikt als 'Nabelbruch der Moderne', in dessen Verlauf viele Topoi und Ideologien unserer Zeit ihren Auftritt hatten: Seien es Medienpropaganda, Orientalismus oder Nationalismus.
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Einleitung
Ein sinnloser Gang: Byron sticht in See
Mylord ist vielleicht sehr wunderlich, aber er hat ein gutes Herz. Byrons Diener Fletcher Er hatte nicht sieben Jahre seines Lebens in Italien vergeudet, um nun, da große Taten und Gefühle am Horizont lockten, im Hafen von Genua festgehalten zu werden. Am 13. Juli 1823 stach die Hercules nun doch in See. Ein moderner Jason führte ihre Passagiere an: George Herbert Byron, populärster und verrufenster Dichter seiner Zeit. Ihr Ziel: das osmanische Rumelien, auf dessen Boden sich einst das antike Griechenland befand. Ihre Mission: die Befreiung der Griechen vom türkischen Joch. Ihr Kapitän: John Scott, ein erfahrener und meist betrunkener Seebär. Mit an Bord: der Medizinstudent Francesco Bruno, der junge Graf Pietro Gamba, Bruder von Byrons Geliebten Teresa Guiccioli, und in seinem Tatendrang dem bewunderten Lord in nichts nachstehend; weiters Edward John Trelawny, ein robuster Draufgänger aus Cornwall und angeblicher Ex-Pirat, dessen Hochachtung für Byron sich mittlerweile in verhohlene Abneigung gewandelt hatte und der in Griechenland sein eigenes Süppchen zu kochen gedachte, und schließlich William Fletcher, Lord Byrons getreuer Diener, der seinen Herren schon vierzehn Jahre zuvor in die Levante begleitet hatte. Keine nordenglische Landratte seines Standes dürfte zu seiner Zeit je so viel von der Welt gesehen haben wie Fletcher. Sieben weitere Diener befanden sich an Bord, fünf Pferde, Byrons Hunde, Gewehre, Munition, zwei Kanonen, Unmengen Medikamente und 50.000 spanische Dollars. Für Trelawny und sich hatte Byron »zwei Helme entworfen, die denen glichen, die nach dem sechsten Buch der Ilias das Kind Astyanax so erschreckten«.[1] Trelawny weigerte sich, den seinen aufzusetzen, und so blieben die Helme in Genua. Byron, das sei zur Ehrenrettung dieses noblen Narren vorausgeschickt, war sich seiner Lächerlichkeit wohl bewusst, und nur wenige derer, die seine Zerrissenheit bewunderten und imitierten, kannten die widerstrebenden Kräfte, die in ihm rumorten: neben unzähligen anderen etwa der Hang zu tragischem Pathos, stets in Allianz mit dem Zwang zu dessen ironischer Zerstörung. Ersterer machte ihn zum Popstar, Letzterer stieß seine Bewunderer konsequent vor den Kopf. Am Vorabend seines griechischen Abenteuers hatte Byron an Lady Blessington geschrieben: »Nie öffnen sich mir die Augen für die Narrheit der Wegstücke, zu denen Leidenschaft mich treibt, ehe ich nicht so weit hineingezogen bin, dass mir ein ehrenvoller Rückzug versperrt bleibt. Daher erhebt sich meine Klugheit zur Unzeit und verjagt die Begeisterung, die mich in das Unternehmen trieb und die ich unbedingt brauchte, um es fortzusetzen. So wird der Abstieg hart für mich. Und gälte es, mein Leben zu retten, es gelingt mir nicht, meine Vorstellung von neuem anzuheizen, und meine Situation bringt mir nur komische Bilder und Gedanken. Wenn ich diesen Feldzug überleben sollte (und das ist ein großes Vielleicht in der Folge meiner Geschichte), werde ich zwei Gedichte über dieses Thema schreiben, ein episches und ein burleskes, und darin werde ich niemanden schonen und mich weniger als irgend jemand anderes …«[2] Und wenig später würde er bekennen: »Ob ich scheitere oder nicht scheitere, ich kann kaum eine Enttäuschung erleben – denn ich habe von Anfang an gewusst, dass ich einen sinnlosen Gang tue.«[3] Es ist ein Freitag, der 13., als die Hercules aus dem Hafen von Genua ausläuft, denn Byron will seinen notorischen Aberglauben mit Paradoxie austricksen. Ein schwüler, heißer Tag, kein Lüftchen regt sich. Auf offener See jedoch zieht ein Sturm auf, die Pferde scheuen, zertrümmern mit den Hufen die Wände ihrer Boxen, und die nur leidlich seetüchtige Brigg kehrt in den Hafen zurück. Byron betrachtet den misslungenen Beginn der Mission als gutes Omen. Beim zweiten Versuch sind die Winde günstig. Einige Tage später macht das Schiff Zwischenstopp in Livorno, wo Byron zu seiner Freude einen Brief von Goethe vorfindet, worin dieser sich mit einigen freundlichen Versen für Gedichte bedankt, die ihm Byron hat zukommen lassen. Der Lord schreibt seinen letzten Brief an Goethe und setzt die Reise, von der er – wie er ahnt – nicht wiederkehren wird, fort. Byron liebt Goethe und wird sich bis zu seinem Tode nicht bewusst sein, wie sehr der alte Meister den jungen Heißsporn liebt. Jener war wohl der einzige, der Byrons Fähigkeit über dessen Starkult hinaus nüchtern einzuschätzen wusste. »Die Engländer«, sagte er einmal zu Eckermann, »mögen auch von Byron halten, was sie wollen, so ist doch so viel gewiß, daß sie keinen Poeten aufzuweisen haben, der ihm zu vergleichen wäre. Er ist anders als alle übrigen und meistenteils größer.«[4] Lord Byron weiß also, dass sein Gang sinnlos ist, und er ahnt die Nähe seines Todes. Er, der so viele düstere Helden gemalt hat, zählt 35 Jahre, verliert Haare und gewinnt an Gewicht und kann neben seinen Versen auf nicht mehr Heldentaten zurückblicken als einige provokative Reden im House of Lords, eine Reihe mehr oder weniger skandalöser Affären – und seinen Keller in Bologna den aufständischen Carbonari [5] als Waffenlager zur Verfügung gestellt zu haben. »Von Herzen müde des eintönigen Lebens, das ich in Italien mehrere Jahre lang führte, krank durch Vergnügungen, müde des Schreibens […] fühle ich die dringende Notwendigkeit, dem Gang meiner Ideen eine neue Richtung zu geben, und die aktiven, gefährlichen, aber ruhmreichen Szenen der militärischen Laufbahn fesselten meine Phantasie …«[6] Ursprünglich wollte er sich den südamerikanischen Revolutionären um Simón Bolívar anschließen. Dann entschied er sich doch für die Griechen. Die Ziele seines selbsttherapeutischen Tatendrangs schienen austauschbar zu sein. Und doch war er kein Schwärmer. Als der ebenso schöngeistige wie geschäftstüchtige Sekretär des London Greek Committee, John Bowring, in einem Brief an den Poeten selber den Poeten in sich auszuleben versuchte und die üblichen Floskeln vom »klassischen Land der Freiheit, der Wiege der Künste und des Genies, des Wohnsitzes der Götter, dem Paradies der Dichter und anderer schönen Dinge«[7] bemühte, dürfte er keinen Begriff gehabt haben, wie sehr Byron das hasste, was er enthuzymuzy nannte. Nüchtern hatte er diesem geantwortet: »An Material wird für die Griechen zunächst Folgendes vonnöten sein: eine Feldartillerieausrüstung – leicht und für den Bergeinsatz tauglich; zweitens Kanonenpulver; drittens Sanitätsfahrzeuge …«.[8] Auf vier Seiten folgte ein logistisches Fachtraktat mit Kostenanalysen, Nennungen von geeigneten Verbindungsleuten und Versorgungswegen. An Bord erwachten Byrons Lebensgeister, und er tat alles, um seinen sein ganzes junges Leben lang einstudierten Posen gerecht zu werden: Ritter und Raubein, Spaßvogel und dämonischer Herrenmensch. Er frönte auf der Hercules also ganz dem Byronismus: Er boxte mit Trelawny, focht mit Gamba, nahm nur Käse, Gurken und Cider zu sich, schoss mit Pistolen auf Möwen, spielte mit seinen Hunden und spann mit dem Kapitän Seemannsgarn. Kapitän Scott indes freundete sich mit Fletcher an, und Trelawny gibt in seinen Erinnerungen ein aufschlussreiches Gespräch wieder, das die beiden am Heck der Brigg geführt haben. »Warum«, fragte der Kapitän, »geht Ihr Herr in diese wilden Länder?« Fletcher fragte sich dasselbe. »Da gibt es nur Felsen und Räuber«, sagte er, »sie leben in Löchern und kommen wie die Füchse daraus hervor. Sie haben große Flinten, Pistolen und Messer. […] Die Türken sind die einzigen achtbaren Männer im Land. Wenn sie weggehen, wird Griechenland wie ein Haus voll freigelassener Irrer sein … Es ist ein Land von Flöhen, Fliegen und Dieben. Warum Mylord hingeht? Gott allein mag es wissen, nicht ich.« Und in diesem Augenblick, als er bemerkte, dass sein Herr zuhörte, sagte er noch: »Und mein Herr kann nicht leugnen, dass alles wahr ist, was ich gesagt habe.« – »Nein«, entgegnete Byron, »für alle, die die Dinge mit Schweinsaugen betrachten und nichts weiter sehen können, ist das so.«[9] Warum Fletcher nicht ganz unrecht hatte
Und jetzt, was soll aus uns werden ohne die Barbaren? Diese Leute, sie waren eine Art Lösung. Konstantinos Kavafis Es sei gleich vorausgeschickt: Lord Byron, der prominenteste Freiwillige des Griechischen Unabhängigkeitskrieges, interessiert in diesem Buch weniger als was er sich selbst gerne gesehen hat, als Held, als Subjekt, als Persönlichkeit, denn als tauglicher und tragischer Knotenpunkt der Ideologien und Widersprüche seiner Zeit. Da er diese Rolle so mustergültig erfüllt, soll auch für seine Persönlichkeit einiges an Aufmerksamkeit abfallen. Denn von all den Romantikern, die dazu neigten, mehr von Ironie zu parlieren, als sie zu pflegen, war er der gewitzteste, und von allen Romantikern, die mit ihrem militärischen Engagement erstmals die Ästhetisierung der Politik in Angriff nahmen, war er der abgeklärteste. Auch wenn er in diesem Buch sowie im gesamten Aufstand selbst nur eine Gastrolle hat, so schwebt sein desillusionierender Geist über jeder Seite. Zum Beispiel in der Abfolge von Abenteuergeschichten und Börsenberichten, von romantischer Überhöhung und...


Schuberth, Richard
Richard Schuberth, geb. 1968 in Ybbs an der Donau, studierte Kulturanthropologie, Philosophie, Psychologie und Geschichte in Wien. Er verfasste Romane, Komödien, Essays, Aphorismen, Lyrik, Songs, Dreh- und Sachbücher.
Veröffentlichungen u.a.: Rückkehr des Dschungels (2023); Die Welt als guter Wille und schlechte Vorstellung (2022); Lord Byrons letzte Fahrt. Eine Geschichte des Griechischen Unabhängigkeitskrieges (2021); Bus nach Bingöl (2020); Narzissmus und Konformität (2018); Karl Kraus – 30 und drei Anstiftungen (2016).

Richard Schuberth, geb. 1968 in Ybbs an der Donau, studierte Kulturanthropologie, Philosophie, Psychologie und Geschichte in Wien. Er verfasste Romane, Komödien, Essays, Aphorismen, Lyrik, Songs, Dreh- und Sachbücher.


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