Benthin / Brinkmann | Unternehmenskultur und Mitbestimmung | Buch | 978-3-593-38428-3 | sack.de

Buch, Deutsch, 394 Seiten, Format (B × H): 141 mm x 215 mm, Gewicht: 492 g

Benthin / Brinkmann

Unternehmenskultur und Mitbestimmung

Betriebliche Integration zwischen Konsens und Konflikt

Buch, Deutsch, 394 Seiten, Format (B × H): 141 mm x 215 mm, Gewicht: 492 g

ISBN: 978-3-593-38428-3
Verlag: Campus Verlag GmbH


Unternehmenskultur und Mitbestimmung sind zwei Konzepte betrieblicher Integration mit unterschiedlicher Tradition, die in Theorie und Praxis nicht selten im Widerspruch zueinander stehen. Vor dem Hintergrund eines 'neuen Marktkapitalismus' und einer strategischen Neuausrichtung vieler Unternehmen loten die Beiträge des Bandes die spezifischen Wechselbeziehungen, Spannungsfelder und Potenziale beider Konzepte aus.
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Weitere Infos & Material


Vorwort

Unternehmenskultur und Mitbestimmung. betriebliche Praxis und wissenschaftlicher Diskurs
Einleitung
Rainer Benthin/Ulrich Brinkmann

Culture Club oder demokratische Teilhabe? Unternehmenskultur und Mitbestimmung im neuen Marktkapitalismus
Ulrich Brinkmann/Rainer Benthin/Klaus Dörre

Belegschaft als Objekt: Unternehmerische Integrationsstrategien in interessentheoretischer Perspektive
Rudi Schmidt

Unternehmenskultur und Mitbestimmung. eine integrative Perspektive
Sonja A. Sackmann/Birte Horstmann

Organisation und Geschlechterkultur
Ist Diversity Management ein geeignetes Instrument zur Realisierung betrieblicher Gleichstellung?
Alexandra Scheele

Unternehmenskulturen pro und contra Betriebsrat
Ein interessentheoretisch fundierter Zusammenhang
Ingrid Artus

Personaldienstleistungen im Spannungsfeld von Unternehmenskultur und Mitbestimmung
Dorothea Alewell/Sven Hauff

Unternehmensführung in Zeiten des "Shareholder Value"
Zum Wandel des industriellen Mittelstands
Karina Becker/Katharina Bluhm/Bernd Martens

Zwischen Toyota und Tradition: Das VW-Projekt "Auto 5000" als mitbestimmungsjustierte Unternehmenskultur
Michael Schumann/Martin Kuhlmann/Hans Joachim Sperling

Blockierte Modernisierung ostdeutscher Unternehmenskulturen als Standortrisiko
Michael Behr/Thomas Engel/Andreas Hinz

Unternehmenskultur und Mitbestimmung
in Mitarbeiterkapitalbeteiligungs-Unternehmen
Thomas Steger

Ist Vertrauenskultur machbar?
Vorbedingungen und Überforderungen betrieblicher Personalpolitik
Matthias Meifert

Der Betriebsrat als Produktionsfaktor
Modelle der Zusammenarbeit und Konfliktlösungsstrategien
Horst-Udo Niedenhoff

Ein gebrochener Blick aufs Ganze
Mitbestimmung und Wirtschaftsdemokratie. eine Kritik in historisch-emanzipatorischer Perspektive
Martin Dieckmann

Demokratische Beteiligung
Fundament einer Unternehmenskultur von unten
Werner Fricke

Autorinnen und Autoren


Unternehmenskultur und Mitbestimmung stellen unterschiedliche Koordinationsformen und strategische Optionen betrieblichen Handelns dar, die sich in der Praxis mal ergänzen, mal miteinander konkurrieren und sich bisweilen auch wechselseitig ausschließen.

Unter Mitbestimmung können ganz allgemein unterschiedliche Formen kollektiver Intervention und Teilhabe von Beschäftigten bei innerbetrieblichen Entscheidungsprozessen in kontinuierlicher und organisierter Form sowie in geregelten und institutionalisierten Verfahren verstanden werden. Die deutsche Mitbestimmung ist in ihrer historischen Entwicklung daher mehr als bloß individuelles, situatives und sporadisches Handeln; sie ist ein am Kompromiss ausgerichtetes, kollektives und von demokratisch legitimierten Akteuren (wie Betriebs- und Personalräten) getragenes betriebliches Interessenhandeln. Sie ist der kodifizierte Ausdruck geschichtlicher Auseinandersetzungen um Demokratisierung in der ökonomischen Sphäre. Während die Mitbestimmung damit zumindest anfangs eine bottom-up-Bewegung vollzog, stellten Unternehmenskulturprojekte von Beginn an top-down-Initiativen dar, die. als zunächst us-amerikanische Managementreaktion beispielsweise auf japanische Exporterfolge. auf eine Verbesserung der Unternehmensperformance über die Aktivierung und normative Einbindung der Beschäftigten setzten.

Unternehmenskultur ist einer gängigen, etwas flapsigen Bezeichnung zufolge "the way we do things around here" (Deal/Kennedy 1982), also die Gesamtheit aller Formen, Mittel und Möglichkeiten des sozialen Umgangs miteinander in Betrieben und Unternehmen. Konkreter kann man darunter Haltungen und Handlungen auf drei aufeinander aufbauenden Ebenen fassen (Sackmann 2002): auf der grundlegenden und oft unbewussten Ebene zunächst die für alle selbstverständlichen Anschauungen, Wahrnehmungen, Gedanken und Gefühle als Ausgangspunkt für Einstellungen und Handlungen. Auf der Werteebene folgen daraus spezifische Orientierungsmuster, Ziele und "Philosophien", die etwa in Unternehmensleitbildern ihren Ausdruck finden und darüber hinaus als bekundete Legitimationslogiken das alltägliche betriebliche Handeln bestimmen. Und schließlich sind es die sichtbaren Strukturen und Prozesse in Unternehmen, die so genannten Artefakte, die die Arbeitsbeziehungen strukturieren und eine spezifische Unternehmenskultur zum Ausdruck bringen. Zu nennen wären hier etwa die Gestaltung von Arbeitsplätzen und Gemeinschaftsräumen bis hin zur Organisation bestimmter Arbeitsabläufe (Gruppenarbeit, Teamarbeit, Meetings, unterschiedliche Partizipationsformen etc.).

Unabhängig von einer solchen Definition differiert die Einschätzung und Bewertung dessen, was gemeinhin unter Unternehmenskultur verstanden wird, erheblich. Sie bewegt sich zwischen Wertschätzung ("Erfolgsfaktor Unternehmenskultur", Bertelsmann Stiftung/Hans-Böckler-Stiftung 2001) und Kritik ("Der Kult um die Unternehmenskultur", Neuberger/Kompa 1987), Machbarkeit ("Unternehmenskulturen verstehen, erfassen und gestalten", Kobi/Wüthrich 1986; "Engineering Culture", Kunda 1993) und Skepsis: "Kann und darf man Unternehmenskulturen ändern?", Schreyögg 1991). Vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Entstehungskontexte und Ansätze stellt sich die Frage, in welchem Zusammenhang sich Unternehmenskultur und Mitbestimmung diskutieren lassen. Beide Konzepte sind sowohl als implizite und explizite Bestandteile betrieblicher Praxis als auch der wissenschaftlichen Forschung vielfach miteinander verwoben. Gleichzeitig kann man feststellen, dass sie zumeist nebeneinander und nur selten miteinander diskutiert werden, was einerseits aufgrund einiger Überschneidungen erstaunt, andererseits aber vor dem Hintergrund ihrer unterschiedlichen Wurzeln und Traditionen doch auch erwartbar ist.

Diese Ambivalenz stellte im Rahmen des bereits im Vorwort beschriebenen BMBF-geförderten Projekts "KOMPINU. Kooperatives Kompetenzmanagement als Katalysator einer innovationsförderlichen Unternehmenskultur " eine besondere Herausforderung dar. Insbesondere der Blick in die deutschsprachige Literatur offenbarte sogleich die Grenzen der Verständigung zwischen den beiden Ansätzen und Konzepten.

Am prominentesten thematisierte noch die gemeinsame "Kommission Mitbestimmung" der Bertelsmann Stiftung und der Hans-Böckler-Stiftung (1998) vor einer Dekade diesen Zusammenhang: "Mitbestimmung und neue Unternehmenskulturen. Bilanz und Perspektiven". Schaut man auf deren prospektive 25 "Empfehlungen zur zukünftigen Gestaltung der Mitbestimmung ", so wird viel von den Kosten- und Produktivitätsvorteilen der Mitbestimmung in den gewachsenen Vertrauenskulturen des "Rheinischen Kapitalismus" gesprochen. Damit deckt der Bericht einen wichtigen Teil der betrieblichen Praxis bzw. der Haltungen relevanter Managementfraktionen ab. Zwar ist die starke Konsensbetonung in den Zukunftsempfehlungen wohl nicht zuletzt dem besonderen Charakter eines solchen Kommissionsabschlussberichtes geschuldet, aber dennoch sticht unmittelbar ins Auge, dass die nicht minder relevante Konfliktseite eine eher untergeordnete Rolle spielt. Dabei setzen. im Gegensatz zu jenen Konsensmodellen. die über eine Beteiligung unterschiedlicher Interessengruppen erzielten Kompromisse regelmäßig auch auf Konflikt und Interessen-Ausgleich basierende Prozesse voraus. In diesen versorgt die Mitbestimmung die Beschäftigten und ihre Vertretungen mit den notwendigen Machtressourcen (und setzt ihnen natürlich auch gleichzeitig Grenzen), die ihnen weder in rein marktförmigen noch in lediglich auf Eigentumsrechten basierenden Findungsprozessen zur Verfügung stehen. Schon eine ausdifferenzierte Terminologie kann also verdeutlichen, dass am Ende eines betrieblichen Entscheidungsprozesses zumeist nicht nur Konsense, sondern auch Kompromisse stehen, die aus Interessenauseinandersetzungen herrühren, in denen Produktivitätszugewinne des Unternehmens mit anderen Postulaten und Interessen konkurrieren. Indem die Texte des vorliegenden Bandes zu einer theoretischen und empirischen Differenzierung der unterschiedlichen Koordinationslogiken beitragen, unterstützen sie eine wissenschaftlich vertiefte und praxisnahe Einschätzung jenes eben beschriebenen komplexen und bisweilen auch komplizierten Verhältnisses von Unternehmenskultur und Mitbestimmung.

Eine weitere Argumentationslinie dieses Bandes ist der Überlegung geschuldet, dass die Diskussion über Mitbestimmung und Unternehmenskultur in einem Kontext stattfindet, der durch den deutlicher als noch vor zehn Jahren zu verzeichnenden Wandel des "Rheinischen Kapitalismus" (Albert 1992) bzw. "Deutschen Kapitalismus" (Streeck 1997) geprägt ist. Zur Debatte über die Globalisierung und ihre Folgen gesellt sich ein Diskurs über die zunehmende Marktzentrierung von Organisationen (Brinkmann et al. 2006), die die traditionelle Mitbestimmung vor neue Herausforderungen stellt (wenn nicht gar unterläuft) und unternehmenskulturellen Projekten neue Funktionen zuweist (zum Beispiel die Stiftung von Integration und Kohäsion). Denn während Langfristigkeit, Berechenbarkeit und Sicherheit mittlerweile oft nicht mehr als Projekte, sondern als Probleme definiert werden, sinken vielerorts Loyalität und Commitment von Beschäftigten. In einem unserer Forschungsprojekte verdeutlichte ein befragter betrieblicher Akteur dies durch den Hinweis, dass es "mittlerweile üblich ist, dass Meister ihr Wissen nicht mehr vollständig an Auszubildende weitergeben, weil sie sich damit ja selbst Konkurrenz im Unternehmen heranziehen würden", sprich: Das Zurückhalten von Informationen verbessert die Marktchancen der älteren gegenüber der jüngeren Generation im Betrieb.

Mit Widersprüchlichkeiten dieser Art von radikalisiertem Wettbewerb und Marktzentrierung sind sowohl betriebliche Mitbestimmung als auch Unternehmenskulturprojekte konfrontiert. Bourdieu (1998: 113) hat daher nicht zu Unrecht festgehalten:

"Nie zuvor hat der unternehmerische Diskurs so oft von Vertrauen, Zusammenarbeit, Verlässlichkeit von Unternehmenskultur gesprochen wie in einer Zeit, in der das kurzfristige Einvernehmen einer jeden Arbeitskraft durch die Austilgung aller Sicherheiten erreicht wird."

Dieses Problem einer auseinanderdriftenden marktzentrierten Gesellschaft hat kürzlich auch Sennett aufgeworfen: "What values and practices can hold people together as the institutions in which they live fragment?" (Sennett 2006: 3). Seine Antwort gibt einen Hinweis auf den hohen Anspruch, mit dem Kulturprojekte mittlerweile oft aufgeladen werden:

"The people I.ve interviewed, especially in the past decade, are too worried and disquieted, too little resigned to their own uncertain fate under the aegis of change. What they need most is a mental and emotional anchor; they need values which asses whether changes in work, privilege, and power are worthwhile. They need, in short, a culture" (Sennett 2006: 183).

Inwieweit es zudem einer Entsprechung. gerade in Fragen der Mitbestimmung. auf der materialen Ebene bedarf, thematisieren eine Reihe von Beiträgen im Band.

Ausgangspunkt des vorliegenden Sammelbandes war eine Konferenz mit WissenschaftlerInnen und PraktikerInnen im Rahmen des KOMPINU-Projekts im Sommer 2006. Ein Teil der Beiträge in diesem Band ist unmittelbar aus den Konferenz-Vorträgen hervorgegangen. Um diesen thematischen Kern herum haben wir weitere Autorinnen und Autoren gewinnen können, so dass nunmehr ein Sammelband mit unterschiedlichen Blicken auf das Themenfeld entstanden ist, die sich aber durchweg an einem gemeinsamen "roten Faden" orientieren, der sich an drei Aspekten und Wechselbeziehungen festmachen lässt:

1. Die herrschenden Management-Konzepte und Unternehmensstrategien aus dem unternehmenskulturellen Umfeld setzen in Zeiten marktförmig zergliederter Organisationen immer stärker auf eine innerbetriebliche Konsensorientierung und "Vergemeinschaftung", das heißt auf die Betonung gemeinsamer Interessen, Werte und Normen. Mitbestimmungs-Konzepte zielen dagegen auf das rationale Aushandeln auch unterschiedlicher Interessen auf betrieblicher Ebene, etwas vereinfacht auf die "Vergesellschaftung" durch die betrieblichen und überbetrieblichen Akteure.

2. Bei aller Gegensätzlichkeit sind jedoch auch Schnittmengen unverkennbar. Es geht hier wie dort um Legitimation, Akzeptanz und Integration einerseits sowie um die Förderung von Innovationen und spezifischen Formen der Teilhabe andererseits.

3. In einer beteiligungsorientierten und emanzipatorischen Perspektive ist dabei neben den Dimensionen der Produkt- und Prozessinnovation auch die "Qualität von Arbeit" in den Blick zu nehmen. Es sind inhaltliche Schnittpunkte wie diese, die im betrieblichen Alltagshandeln die Nähe beider Konzepte verdeutlichen.

Das Postulat der "vertrauensvollen Zusammenarbeit", zu der das Gesetz die betrieblichen Träger der Mitbestimmung verpflichtet, macht zudem deutlich, dass die Akzeptanz von Mitbestimmung in die Unternehmenskulturkonzepte des Managements eingeschrieben sein muss, da in einem Klima wechselseitiger Delegitimierung kaum eine gemeinsame Vertrauensbasis entstehen kann. Gleichzeitig tut eine intelligente Mitbestimmungspolitik auch gut daran, eine eigene Vorstellung von "Unternehmenskultur von unten" zu entwickeln, dem Management also nicht das Feld normativer Entwürfe zu überlassen.

Gemeinsame Schnittstellen und Spannungsfelder wie diese werden hier ausgelotet, kritisch gewürdigt und vor dem Hintergrund konkreter Umbrüche im Marktkapitalismus neu bewertet. Die AutorInnen sind der Frage nachgegangen, in welcher Weise diese bedingt kompatiblen Konzepte miteinander korrespondieren und als Gegenstände betrieblicher Entscheidungsprozesse in der Praxis Wirkung entfalten. Die Beiträge orientieren sich dabei mit unterschiedlicher Akzentuierung und Gewichtung an folgenden Leitfragen:


Rainer Benthin, Dr. phil., war bis 2007 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Arbeits-, Industrie- und Wirtschaftssoziologie an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Seit September 2007 ist er Referent im Bundesumweltministerium. Ulrich Brinkmann, Dr. rer. pol., ist Hochschulassistent am Lehrstuhl für Arbeits-, Industrie- und Wirtschaftssoziologie an der Friedrich-Schiller-Universität
Jena.


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