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E-Book

E-Book, Deutsch, 110 Seiten

Borth Totgeschwiegen

Der Mordfall Günter Harder

E-Book, Deutsch, 110 Seiten

ISBN: 978-3-7534-1074-6
Verlag: Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Es waren keine englischen Mordbanditen und keine Mitglieder einer angloamerikanischen Bande, deren Rädelsführer aus dem Westen in die DDR gekommen war, und keine ausgebufften Spione, die Schuld am Tod des 19-jährigen Seepolizisten Günter Harder tragen, der am 24. März 1951 nahe dem Pferdemarkt erschossen wurde. Die Ermittler der Mecklenburger Landesverwaltung des jungen Ministeriums für Staatssicherheit, von denen zwei hochrangige Offiziere mit fremden bzw. frisierten Lebensläufen Karriere gemacht hatten, brauchten einen propagandistischen Erfolg im sich verschärfenden Kalten Krieg gegen die Bundesrepublik. Nur einen Monat nach Festnahme von drei charakterschwachen disziplinlosen und egoman orientierten Neubrandenburger Jugendlichen, fand vor mehr als 2000 aus ganz Mecklenburg nach Neubrandenburg gebrachten Werktätigen ein Schauprozess statt, an dessen Ende nach Wunsch von Staatssekretär Erich Mielke eine Todesstrafe stehen sollte.
Kurz vor dem VIII. Parteitag der SED wurde der letzte Täter 1971 amnestiert. Der zweite hatte sieben Jahre zuvor in Neubrandenburg Selbstmord verübt, während der erste nach einer vorzeitigen Entlassung auf Bewährung sofort in den Westen flüchtete und in Bielefeld sein Leben beschloss.
In Neubrandenburg erinnerte 40 Jahre ein Sportstadium an Günter Harder und 20 Jahre eine stadtgeschichtlich bedeutsame Straße in der Oststadt. Dazu trugen Pionierfreundschaften, Produktionskollektive, Einheiten der Volksmarine und ein Schiff der DDR-Seestreitkräfte seinen Namen, der mit der Wende in Stadt und Land aus dem kollektiven Gedächtnis gestrichen wurde, weil nach dem Willen der SED das pflichtbewusste Handeln eines jungen Polizisten bei der Festnahme eines Kriminellen unbedingt als Vorbild für das beispielhafte Klassenbewusstsein eines jungen Genossen herhalten sollte.
Nur Günter Harder war kein Genosse.
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Die Tat
Der 24. März, Karsamstag, war ein angenehmer Frühlingstag in Neubrandenburg. Lagen morgens die Temperaturen gerade ein oder zwei Grad über null, stiegen sie am Nachmittag dank des strahlenden Sonnenscheins auf bis zu 14 Grad. Das Wetter schien mit Günter zu sein. Er soll vorgehabt haben, sich Ostern mit seiner Freundin zu verloben. Das hatte er wenige Tage zuvor seinem Kameraden Willy Wagner, einem späteren Korvettenkapitän der Volksmarine, in Parow erzählt. Wahrscheinlich wolle er seiner Elli am Ostersonntag die Frage stellen, ob sie ihn heiraten wolle. Am Sonnabend zogen beide abends noch einmal los. Sie gingen in den Filmpalast. Das 1928 eröffnete Kino, das sich in seiner Architektur am benachbarten Stargarder Tor orientierte und über 700 Plätze verfügte, dürfte für ein verliebtes Pärchen die attraktivste der wenigen Möglichkeiten gewesen sein, am Ostersonnabend in Neubrandenburg etwas zu unternehmen. Der Film war mit Sicherheit kein Blockbuster. In der Region liefen zu dieser Zeit „Panzerkreuzer Potemkin“, eine 1950 veröffentlichte sowjetische Neufassung des Stummfilmklassikers von Sergei Eisenstein aus dem Jahr 1925, „Kutussow“, ein ebenfalls sowjetischer Film aus dem Jahr 1943, der am 2. Februar 1951 in einer DEFA-Synchronfassung in die ostdeutschen Kinos gekommen war, „Orientexpress“, ein deutsches Stummfilmmelodram, das trotz der Besetzung mit UFA-Stars wie Lil Dagover und Heinrich George sicher kein Kassenmagnet gewesen sein dürfte, war der Film doch Vorkriegsware aus dem Jahr 1927. Vielleicht haben sie die Komödie „Ehe man Ehemann wird“ gesehen. Thematisch hätte der Streifen aus dem Jahr 1941 gepasst. Der 1928 von Alfred Feindt, Demmin, mit 400 Plätzen eröffnete Filmpalast verfügte nach mehreren Umbauten 1951 über 701 Plätze. Eine kecke Studentin verliebt sich in ihren Professor, einen Musikhistoriker und eingefleischten Junggesellen. Sie taucht in einer Unwetternacht hilfesuchend in seinem Landhaus auf und spielt ihm vor, auf der Hochzeitsreise den Ehemann bei einer Autopanne verloren zu haben. Das war eine flott gespielte Komödie mit bündelweisen Schwindeleien, die letztlich in ein Doppel-Happyend mündeten. Nach dem Kino spazierten Günter und Elli Elsholz, sie arbeitete übrigens als Hausangestellte, noch ein wenig Hand in Hand durch die Stadt. Wahrscheinlich gingen sie nicht direkt die Stargarder Straße hoch zum Bahnhof, sondern die Straßen außerhalb des Walls entlang. Hier gab es keine kriegsbedingten Lücken in der Bebauung. Zu den Besuchern der gegen 21 Uhr endenden Kinovorstellung gehörten auch Horst Paschen sowie Hans Kambs mit seiner Freundin. Der arbeitslose Bekannte von Paschen war kurze Zeit Angehöriger der Volkspolizei gewesen. Am Filmpalast trafen sie auf Paschens Cousin Kurt Kantak. Der war Unterkommissar der Volkspolizei und tags zuvor von Brandenburg an der Havel nach Neubrandenburg an die Tollense auf Osterurlaub gekommen. Da die drei bereits Eintrittskarten hatten, konnten sie nicht mehr zusammensitzen. Nach dem Film verabschiedete sich Kambs mit seiner Freundin, während Paschen und Kantak zum Bahnhof gingen, wo der Volkspolizei-Offizier auf dem Fahrplan schauen wollte, wann Züge in Richtung Brandenburg abgingen. Sein Urlaub wäre am Dienstag nach Ostern zu Ende gegangen. In der Bahnhofswirtschaft hatten die Jungs vor, sich eine Bockwurst zu gönnen. Doch da Büfettkraft Elli Noack keine hatte, entschlossen sich die Cousins, in der HO-Gaststätte „Zur Eisenbahn“ in der Südbahnstraße einzukehren. Dort bekamen sie Kartoffelsalat und Bockwurst, dazu eine Flasche Rotwein, zwei Liköre, einen Grog. Zum Schluss nahm jeder noch ein Stück Torte mit Schlagsahne, bevor sie gegen 23.15 Uhr wieder zum Bahnhof gingen, wo Paschen gerne noch ein weiteres Bier trinken wollte. Der Bahnhof war für Paschen ein oft und gern besuchtes Ziel, weil nach seinen eigenen Worten in Neubrandenburg sonst nicht viel los sei. 1977 wurde die Gaststätte „Zur Eisenbahn“ in der Südbahnstraße im Zuge der Umgestaltung des Überlandverkehrs des Busbahnhofs abgerissen. Paul Zucker führte in der Südbahnstraße 24 seit den 1930er Jahren das Lokal „Zur Eisenbahn“, bis er es Anfang der 1950er Jahre an die HO abtreten musste. Seine Frau Emma, eine gelernte Köchin, durfte weiter für die HO in der Gaststätte arbeiten. In der Bahnhofswirtschaft orderten sie in schneller Folge zwei Lagen. An einem Nachbartisch erkannten sie Ernst Schmidt-Eggers, der dort mit zwei Mädchen saß, die auf der Durchreise waren. Sie ließen ihrem Bekannten ein Bier bringen und luden ihn lauthals an ihren Tisch ein. Nach zwei- oder dreimaligem Rufen folgte Schmidt-Eggers der Einladung. Man bestellte zwei weitere Lagen, wobei Kellner Hans Ritschel ihnen riet, langsamer zu trinken. Die Wirkung des schnell genossenen Alkohols führte dazu, dass die jungen Männer, vor allem Paschen, immer lauter wurden. Horst Paschen belästigte wohl auch andere Gäste, zum Beispiel riss er einer Frau die Handtasche herunter. Gegen Mitternacht wurde der auf dem Bahnhof diensthabende Transportpolizist Ulrich Harz während seiner Streife auf die Unruhe in der Bahnhofswirtschaft aufmerksam. Der Polizeioberwachtmeister verwies Paschen des Lokals und ermahnte alle drei, in der Wartehalle Ruhe zu halten. Kurt Kantak, der an diesem Abend seine Offiziersuniform der Volkspolizei trug, wirkte keinesfalls beruhigend auf seinen angetrunkenen Vetter ein. Er forderte ihn vielmehr auf, weiter zu lärmen, um die Rückkehr des Trapo-Angehörigen zu provozieren. Er schlug seinen Saufkumpanen vor, den Mann draußen zu überfallen, zu verprügeln und zu entwaffnen. Oberwachtmeister Harz reagierte wie geplant. Er kehrte zurück und sah, wie sich die drei in der Wartehalle rauften. Er forderte nunmehr alle drei auf, den Bahnhof zu verlassen. Dieser Aufforderung kamen Paschen und Schmidt-Eggers nicht nach und Kantak bat seinen „Kollegen“ um Unterstützung, die „Betrunkenen“ raus zu schaffen Harz willigte ein. Er half dem Offizier, die Unruhestifter an die frische Luft zu setzen und begleitete sie über den Bahnhofsvorplatz bis zur Rudolf-Breitscheid-Straße. Paschen begann wieder zu lärmen und wurde von Harz erneut aufgefordert, Ruhe zu geben. Daraufhin bewegte sich Paschen auf Harz zu und brüllte ihn an: „Ihr Volkspolizisten, ihr Schweinehunde, wenn man mal einen getrunken hat, seid ihr gleich hinter einem her!!“8 Darauf forderte Harz ihn auf, ihm drei Schritte vom Leibe zu bleiben. Auf den Vorplatz des 1948 aus Trümmersteinen wieder aufgebauten Bahnhofs überfielen Horst Paschen, Kurt Kantak und Ernst Schmidt Eggers Oberwachtmeister Harz. Nach dem Raub seiner Waffe flohen Kantak und Paschen nach links in die Rudolf-Breitscheid-Straße. Damals stand an Stelle des 1958 eröffneten Kaufhauses „Elegant“ eine von Günter Tornow neu gebaute Baracke, eine Musikalienhandlung. In dem Moment sprang Kurt Kantak Ulrich Harz von hinten an und umklammerte den Polizisten, während Paschen ihm gezielt ins Gesicht schlug, Schmidt-Eggers tat es ihm zwei- oder dreimal gleich. Bei dem Angriff der drei Männer ging der Transportpolizist unter lauten Hilferufen zu Boden. Diese Hilfeschreie ließen Schmidt-Eggers sofort die Flucht ergreifen, ohne dass er noch dem Transportpolizisten die Dienstwaffe raubte, wie es eigentlich abgesprochen war. Kantak zog nun selbst die Pistole von Ulrich Harz aus dem Holster, eine Walter 08 mit acht Schuss Munition. Als er im Besitz der Waffe war, ließ er von dem niedergerungenen Polizisten ab und rannte in Richtung Pferdemarkt davon. Paschen folgte ihm Sekunden später. Während die drei Täter flohen, Schmidt-Eggers lief auf dem schnellsten Weg nach Hause, informierte Ulrich Harz, zurück in der Bahnhofshalle, gegen 0.30 Uhr seinen Kollegen Wolf-Dietrich Binias, dass ihm gerade die Waffe geraubt worden sei. Zusammen mit Günter Harder, der an seiner Uniform als Seepolizist zu erkennen war, und dem aus Kleinmachnow stammenden Zivilisten Dietmar Stolz, der zuvor mit seiner Freundin ebenfalls in der Kinovorstellung gewesen war, nahm Wachtmeister Binias die Verfolgung der Flüchtigen auf, während Ulrich Harz weitere Hilfe organisierte. Binias zog im Laufen seine Pistole und forderte die Verfolgten auf, sich zu ergeben, anderenfalls würde er schießen. Dies war ihm allerdings nicht möglich, da sich der Zivilist Dietmar Stolz zwischen den Verfolgten und den Verfolgern befand. Stolz sollte zum Revier laufen und Meldung machen, um eine Straßensperre zu organisieren. Wenig später fielen im Bereich des Pferdemarktes zwei Schüsse. Kurt Kantak hatte sie gezielt in Richtung seiner Verfolger abgegeben. Blick über das Harder-Stadion in Richtung Tatort Danach holte Paschen seinen Cousin Kantak in der Speicherstraße ein und verlangte, die Waffe herauszugeben. Kantak weigerte sich, da entriss Paschen ihm die Waffe, wobei sich ein Schuss löste, der Kantak an der linken Hand verletzte. Paschen, jetzt im Besitz der Waffe, floh allein...


Borth, Helmut
1960 in Neubrandenburg geboren, ist Helmut Borth seit 1979 publizistisch tätig. Seit 2008 arbeitet er als freier Journalist und Autor, während er gleichzeitig als Inhaber bzw. Geschäftsführer Unternehmen im Wellnessbereich leitete. Von ihm erschienen bisher fast zwei Dutzend Bücher, die über Geschichten mit Geschichte von der regionalen Vergangenheit Mecklenburgs und der Uckermark erzählen bzw. besondere Reiseziele in Mecklenburg-Vorpommern präsentieren.


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