Fink / Siebe | Szenario-Management | Buch | 978-3-593-50603-6 | sack.de

Buch, Deutsch, 342 Seiten, Format (B × H): 158 mm x 233 mm, Gewicht: 672 g

Fink / Siebe

Szenario-Management

Von strategischem Vorausdenken zu zukunftsrobusten Entscheidungen

Buch, Deutsch, 342 Seiten, Format (B × H): 158 mm x 233 mm, Gewicht: 672 g

ISBN: 978-3-593-50603-6
Verlag: Campus Verlag GmbH


Alles, was man über Zukunftsmanagement wissen muss

Zukunft war gestern. Heute müssen Unternehmen verschiedene Zukunftsszenarien durchdenken, im Blick behalten und darauf aufbauend zukunftssichere Entscheidungen treffen. Doch wie werden Szenarien entwickelt? Wie werden diese Zukunftsbilder interpretiert? Und wie lassen sich darauf aufbauend robuste Strategien, neue Produkte und Geschäftsmodelle sowie Erfolg versprechende Transformationsprozesse entwickeln? Dieses aktuelle und umfassende Handbuch zum Thema beantwortet all diese Fragen und brilliert mit zahlreichen Fallbeispielen.
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Inhalt

Vorwort 7

Einführung 9
Kapitel 1
Wie wir mit Zukunft umgehen 29
Kapitel 2
Szenarien in Unternehmen - Methoden und Konzepte 39

Teil I
SzenarioEntwicklung 63
Kapitel 3
Szenario-Entwicklung, Phase 1 - Schlüsselfaktoren 72
Kapitel 4
Szenario-Entwicklung, Phase 2 - Zukunftsprojektionen 88
Kapitel 5
Szenario-Entwicklung, Phase 3 - Szenarien und Zukunftsraum 100

Teil II
SzenarioInterpretationen 123
Kapitel 6
Szenarien aufbereiten und kommunizieren 126
Kapitel 7
Szenarien bewerten und verfolgen 145
Kapitel 8
Chancen, Gefahren und Handlungsoptionen ableiten 161

Teil III
Strategie 169
Kapitel 9
Mit Strategieszenarien den eigenen Möglichkeitsraum erfassen 176
Kapitel 10
Mit Szenarien zukunftsrobuste Strategien entwickeln 194

Teil IV
Innovation 231
Kapitel 11
Mit Szenarien zu neuen Marktleistungen (New Product Development) 240
Kapitel 12
Mit Szenarien zu neuen Märkten (New Market Development) 253
Kapitel 13
Mit Szenarien zu neuen Geschäftsfeldern und neuen Geschäftsmodellen (New Business Development) 266

Teil V
Veränderung 281
Kapitel 14
Organisation von Szenario-Prozessen 288
Kapitel 15
Mit Szenarien zu strategischer Früherkennung 298

Danksagung 322

Register 324

Anmerkungen 329


Vorwort

"Lieber Geld verlieren als Vertrauen", so hat es ROBERT BOSCH seinem Unternehmen vor rund 100 Jahren (1919) mit auf den Weg gegeben. Er ist auch heute noch ein Vorbild, weil er weiter dachte und klarer sah als die meisten seiner Zeitgenossen. Denn ohne eine Vorstellung von der Zukunft sind wir nichts weiter als Verwalter des Status quo.
Wie aber gehen wir mit Zukunft um? Es ist offensichtlich, dass wir uns bei den vielen Veränderungen und Umbrüchen in unserer globalen Welt nicht allein auf unsere Erfahrungen verlassen können. Auch die Suche nach dem einen, alles erklärenden Megatrend führt uns schnell an Grenzen, zumindest bei langfristigen, komplexen und strategischen Fragestellungen. Wir müssen uns eingestehen, dass sich die Zukunft nicht exakt vorhersagen lässt. Trotzdem müssen wir versuchen zu erkennen, was hinter der nächsten Kurve kommen könnte. Und wir müssen uns darauf vorbereiten - aber eben nicht auf die eine Zukunft, sondern auf verschiedene Szenarien.
Mir ist die Auseinandersetzung mit der Zukunft schon immer ganz besonders wichtig gewesen. Ein wichtiges Werkzeug für den offenen Umgang mit Ungewissheit sind Zukunftsszenarien. Bei Bosch haben wir damit sehr unterschiedliche Themenstellungen durchleuchtet: Welche Veränderungen werden die globalen Mobilitätsmärkte prägen? Wie könnten Mobilitätskonzepte, Antriebssysteme, Dieselmärkte, Low-Price-Vehicles, Nutzfahrzeuge oder Fertigungsstrategien in der Zukunft aussehen? Aber auch: Wie könnte sich die digitale Vernetzung und Automatisierung darauf auswirken, wie wir zukünftig arbeiten und führen werden? Und welche Konsequenzen hätte eine weitere Urbanisierung für einen global agierenden Technologiekonzern?
Mit der Entwicklung von Szenarien ist die Arbeit aber nicht getan, sie beginnt vielmehr erst richtig. Jetzt müssen Chancen und Gefahren her-ausgearbeitet, Strategien robust gestaltet oder Innovationen auf ihre Marktfähigkeit untersucht werden. Daher ist es folgerichtig, dass ALEXANDER FINK und ANDREAS SIEBE sich vom alten Begriff der Szenario-Technik gelöst und mit dem Szenario-Management einen wesentlich breiteren Ansatz entworfen haben: Vorausschau sollte so angelegt sein, dass sie strategische Entscheidungen unterstützt - und diese sollten schließlich dem Wandel von Unternehmen und Organisationen die richtige Richtung geben.
ROBERT BOSCH behandelte seine Mitarbeiter stets als Partner - er verlangte viel, übertrug im Gegenzug aber auch Verantwortung. Was aber bedeutet Verantwortung in Zeiten von Veränderung und Disruption? Es gehört zur Verantwortung eines Unternehmers, sich mit der Zukunft auseinanderzusetzen - und zwar nicht nur allein, sondern im Dialog mit Kollegen, Mitarbeitern sowie mit Kunden, Partnern und der Öffentlichkeit. Er muss Chancen und Gefahren erkennen und die eigenen Handlungsmöglichkeiten aufzeigen. Ein professioneller Umgang mit der Zukunft bedeutet, nicht jedem Trend oder Modebegriff hinterherzulaufen, sondern die wirklich relevanten Zukunftsthemen anzusprechen - auch wenn sie kritisch sind. Erfolgversprechende Antworten kann heute nur derjenige liefern, der vorher und möglichst vor seinen Wettbewerbern die richtigen Fragen gestellt hat. Alle Lösungen beginnen mit Fragen.
In diesem Sinne sind Szenarien nicht allein ein Planungswerkzeug, sondern auch ein Instrument der Unternehmensführung. Sie ermöglichen es, Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in den Strategieprozess zu integrieren, und helfen dabei, die Veränderungsnotwendigkeiten aufzuzeigen. Zugleich vermitteln sie aber auch Zuversicht und neue Perspektiven, denn nur so können Organisationen ihre Leistung weiterentwickeln.
Mit ihrem Buch Szenario-Management - Von strategischem Vorausdenken zu zukunftsrobusten Entscheidungen verdeutlichen die Autoren, warum es so wichtig ist, "in Szenarien zu denken", und geben Ihnen einen Überblick, wie Szenarien systematisch entwickelt werden. Ein noch bedeutsamerer Vorteil liegt aber darin, dass sie auch für die folgenden Phasen konkrete Handlungsanleitungen aufzeigen. Gestützt auf ihre langjährige Erfahrung stellen sie dar, wie Szenarien interpretiert und angewendet werden - und wie sie in einen langfristigen Vorausschauprozess einzubinden sind. Damit zeigen sie auf, wie Zukunft gestaltet werden kann.
Ich wünsche allen Lesern zunächst einmal viel Freude bei der Lektüre und anschließend viel Erfolg bei der Gestaltung ihrer Zukunfts- und Strategiearbeit - ganz im Sinne von PETER DRUCKER: "Die Zukunft vorherzusehen, heißt, sie zu gestalten!"

Franz Fehrenbach
Vorsitzender des Aufsichtsrats der Robert Bosch GmbH

Einführung

Was erwarten Sie von einem Buch, das sich mit Zukunft, Strategie und Innovation beschäftigt? Die allerneusten Trends? Schwarze Schwäne? Disruptive Technologien? Oder einfach eine Bauanleitung für das alles aus den Angeln hebende Geschäftsmodell? Ihren Weg auf den blauen Ozean? Vergessen Sie das. Fürs Erste. Lassen Sie uns zunächst gar nicht in die Zukunft blicken, sondern in die Vergangenheit. In die Tage kurz vor Weihnachten des Jahres 1999. Und lassen Sie uns gar nicht in ein Unternehmen blicken, auf Märkte, Branchen und Technologien, sondern auf eine sehr persönliche Geschichte, wie es sie eigentlich täglich und überall gibt. Eigentlich.
Nach 16 Jahren erwachte Patricia White Bull aus dem Koma, in das sie bei der Geburt ihres zweiten Sohnes gefallen war. Entgegen vielen anderen Koma-Patienten waren bei der 42-jährigen Sioux-Indianerin sowohl Sprach- als auch Erinnerungsvermögen sofort wieder vorhanden. Dafür hatten sie die Veränderungen in der Zeit von 1983 bis 1999 in einer neuen Welt erwachen lassen. Lächelnd lud sie die interessierte Öffentlichkeit dazu ein, in einem kleinen Gedankenexperiment die eigene Lebensuhr um 16 Jahre zurückzudrehen.
1983. Der kalte Krieg beherrscht die Gedanken der politischen Entscheidungsträger: Helmut Kohl setzt als neu gewählter Bundeskanzler die im NATODoppelbeschluss vorgesehene Stationierung neuer USAtomwaffen in Westeuropa durch. Am 1. September 1983 schießen sowjetische Kampfflugzeuge über dem japanischen Meer ein südkoreanisches Verkehrsflugzeug ab. Personal Computer und Faxgeräte sind eine Ausnahme: Die Büros hallen wider vom Geklapper der Schreibmaschinen. Ein Taschenrechner mit Sinus und CosinusFunktionalität kostet 1 500 DM - genauso viel wie der durchschnittliche Monatslohn eines Industriearbeiters. Volkswagen bietet noch immer Käfer in Deutschland an. Die beiden weltgrößten Handelskonzerne sind Sears Roebuck & Co. und KMart - WalMart hingegen hat noch keinen einzigen Hypermarkt eröffnet und gilt als regionaler Anbieter. Mobilfunkgeräte sind so groß und unhandlich, dass sie in den Kofferraum eines Autos eingebaut werden müssen. Zu den 50 größten deutschen Unternehmen zählen die Gutehoffnungshütte, AEG, Salzgitter, Flick, die Saarbergwerke und die Neue Heimat.

Und wie sah die Welt aus, als Patricia White Bull nach einer Woche in New Mexico mit ihrer die Familie nach Dakota zurückfährt:

1999. Der OstWestKonflikt findet sich nicht in den Geschichtsbüchern. Stattdessen sprechen wir vom "Ende der Geschichte" und gehen davon aus, dass sich die Welt nahezu automatisch in Richtung Marktwirtschaft und westlicher Demokratie entwickeln wird. Schreibmaschinen haben ausgedient - die meisten Taschenrechner sind Werbegeschenke. Es gibt mehr Personal Computer als Autos und die Automobilindustrie feiert eine "Hochzeit im Himmel" - den Zusammenschluss von Daimler und Chrysler. WalMart ist inzwischen zum weltgrößten Handelsunternehmen avanciert und versucht mit großem finanziellen Aufwand, auch in Deutschland Fuß zu fassen. Hier liefern sich die Deutsche Telekom (D1) und Mannesmann (D2) einen harten Wettbewerb auf dem boomenden Mobilfunkmarkt, auf dem Nokia als das Maß aller Dinge gilt. Apple hat mit diesem Wettbewerb nichts zu tun, findet aber einen Weg aus der existenzbedrohenden Firmenkrise, auch dank eines Abkommens mit dem Erzrivalen Microsoft.

Und wenn wir heute - noch einmal nahezu die gleiche Zeitspanne später - auf die Welt blicken, in der wir leben und arbeiten, dann zeigt sich abermals ein deutlich verändertes Bild: Die Geschichte ist keineswegs beendet, sondern die Zahl und Intensität globaler Konflikte hat spürbar zugenommen. Weder Marktwirtschaft noch Demokratie sind zu Selbstläufern geworden, sondern müssen täglich verteidigt werden. Die Digitalisierung hat nahezu alle Bereiche des wirtschaftlichen und privaten Lebens erfasst und stellt sich an, selbst so traditionelle Branchen wie die Automobilindustrie umzukrempeln. So fürchtet man sich in den dortigen Vorstandsetagen weit mehr vor neuen Geschäftsmodellen und branchenfremden Anbietern als vor den traditionellen Rivalen der Rennbahn. Wal-Mart ist längst das weltgrößte Unternehmen, und wäre es mit seinem Umsatz von 485 Milliarden US-Dollar (2015) eine Volkswirtschaft, es läge global auf Rang 27 - gerade vor Österreich, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Thailand.
Personal Computer gelten längst als unmodern - gerade in "Emerging Markets" haben viele Menschen als erste Geräte eher ein Smartphone für die Kommunikation und einen Tablet-Computer. Gekennzeichnet wird die digitale Welt derzeit vom Wettbewerb zwischen den großen vier Anbietern Apple, Google, Facebook und Amazon (kurz: AGFA) - wobei längst chinesische Anbieter in diese Phalanx einzubrechen drohen. Und ein Blick auf Abbildung 1 verrät die Durchschlagskraft der Digitalisierung: 10 der 17 weltgrößten Gemeinschaften sind inzwischen soziale Netzwerke.
Diese Geschichte von Patricia White Bull zeigt, wie schwer es für jemanden im Jahr 1983 gewesen sein muss, sich die Welt der Jahrtausendwende vorzustellen. Und unser Gedankenexperiment macht deutlich, wie schwer es für jemanden im Jahr 1999 gewesen wäre, unsere heutige Welt zu begreifen. Was lässt uns dann glauben, dass wir heute die Welt von morgen besser, klarer und deutlicher beschreiben könnten?
Würde uns eine Verkürzung des Zeithorizonts helfen? Wohl kaum. Vor zehn Jahren gab es noch kein iPhone und Facebook - damals gerade zwei Jahre alt - eröffnete jedem, der über 13 Jahre alt war, die Möglichkeit, mit einer validen Mailadresse ein Konto zu eröffnen. Und heute? Vor fünf Jahren gingen die Bilder des arabischen Frühlings über die Bildschirme und wir alle dachten, dass jetzt die Konflikte im Nahen und Mittleren Osten vor einer Lösung stehen könnten. Und heute?
Der Umgang mit der Zukunft ist alles andere als einfach. Um hier erfolgreich zu agieren, müssen Unternehmen drei Grenzen überwinden, aber sie müssen gleichzeitig aufpassen, dass sie sich im Neuland nicht verlieren. Insofern sind es drei Balanceakte, die ihnen bevorstehen: Sie müssen sich von der Vorstellung lösen, dass sie es mit nur einer exakt prognostizierbaren Zukunft zu tun haben - aber sie sollten trotzdem über Zukunft nachdenken. Sie müssen anerkennen, dass die alten Gesetze von Ursache und Wirkung in einer hochkomplexen Welt an Geltung verlieren - aber sie sollten trotzdem nach Strukturen und Zusammenhängen suchen. Und sie müssen erkennen, dass gegenwärtiger Erfolg kein Garant für eine erfolgreiche Zukunft ist - aber sie sollten sich deshalb nicht allein auf die "großen, verwegenen Ziele" stürzen.

Der erste Balanceakt: Ungewissheit - vorausdenken ohne vorherzusagen

Sicherlich haben Sie sich schon einmal gewünscht, die Zukunft voraussehen zu können. Wie verlockend wäre es, wenn Sie die Züge Ihrer Wettbewerber nur einige Wochen oder Monate im Voraus wüssten. Oder wenn Sie im Vorfeld einer großen Investitionsentscheidung nicht von der Ungewissheit geplagt würden, ob die zugrundeliegenden Annahmen richtig sind: Wird sich die neue Technologie wirklich durchsetzen - und wann? Auf welche neuen Wettbewerber werden wir stoßen? Wird unser Unternehmen in seiner jetzigen Form Bestand haben? Dieses Buch wird Ihnen auf derlei Fragen keine Antworten geben. Warum sollten Sie dann trotzdem weiterlesen?
Die erste Teil der Antwort ist einfach: Weil es niemanden gibt, der Ihnen auf solche Fragen eine verlässliche Antwort geben kann. Dies kann kein Kollege aus der Geschäftsführung. Kein Planer. Kein Marktforscher. Kein Unternehmensberater. Kein Trendforscher. Kein Guru. Absolut niemand. Die Zukunft lässt sich nicht exakt vorhersagen. Trotzdem ist es noch immer der Wunsch nach einer exakten Prognose, der das Denken vieler Entscheider und damit auch die Planung ihrer Unternehmen prägt.
Und bei der Jagd nach der exakten Prognose verlässt man sich nur zu gerne auf diejenigen, die einem versichern, dass die Zukunft gar nicht so anders aussehen wird als die Gegenwart, dass das Neue einfach nicht kommt, nicht funktioniert, sich nicht durchsetzt. Abbildung 2 zeigt eine ganze Reihe markanter Beispiele dieses Vertrauens in die gute alte Zeit, in die Beharrungskräfte, in das "Es wird schon nicht so schlimm werden".
Zukunft ist also - und das klingt offen gestanden nicht wie eine revolutionäre Erkenntnis - aufs Engste mit Veränderung verbunden. Wir wollen - nein, wir müssen - trotzdem darauf hinweisen, denn wenn wir uns ansehen, woran die Auseinandersetzung mit Zukunft scheitert, dann steht mangelnde Bereitschaft zur Veränderung leider auf einem der vorderen Plätze.
Ein zweites Jagdmuster finden wir immer wieder, insbesondere im Kreis der vermeintlichen Zukunftsexperten. Ihre "Zukunftsprognosen" weisen nur zu oft eine große Übereinstimmung mit dem auf, was "im Hier und Heute" gerade gedacht wird, was schon überall geschrieben steht, was sich gerade ohne großen geistigen Aufwand gut verkaufen lässt. Abbildung 3 zeigt einige weitere Fehlprognosen, die jeweils dem dominanten Paradigma ihrer Zeit aufgesessen sind.
Also anders ausgedrückt: Zukunft lässt sich weder aus den Erfahrungen der Vergangenheit noch aus den Mustern der Gegenwart ableiten. Und wer dies macht, geht signifikant höhere Risiken ein. So berichtet NASSIM N. TALEB von Fat Tony, der einfach nicht an Prognosen glaubte - so wenig, dass er damit reich wurde, vorherzusagen, dass diejenigen, die mit Prognosen arbeiten und sich darauf verlassen, pleitegehen würden:

"Ganz allgemein ist es nicht möglich, Prognosen vorzunehmen, aber Sie können vorhersagen, dass diejenigen, die sich auf Prognosen verlassen, größere Risiken eingehen, also in Schwierigkeiten kommen und vielleicht sogar scheitern werden. Warum? Derjenige, der Vorhersagen macht, ist anfällig für PrognoseIrrtümer."

Übertragen auf die Fahrt in einem Auto könnte man sagen, dass bei verklebter Frontscheibe halt weder ein überdimensionierter Rückspiegel noch eine ganze Batterie von Seitenspiegeln weiterhelfen. Und die Lösungen von gestern sind die Probleme von heute. Es kommt vielmehr darauf an, wirklich nach vorne zu blicken, in Fahrtrichtung, in Richtung Zukunft. Dorthin, wo es keine Gewissheiten gibt. Wo die Straßen kurvig, die Kreuzungen unübersichtlich und die Wetterbedingungen zeitweise miserabel sind. Dorthin, wo Ungewissheit besteht.
Und dies führt geradewegs zum zweiten Teil der Antwort auf die Frage, warum Sie doch weiterlesen sollten (was Sie ja erfreulicherweise bis hierhin auch schon getan haben!). Weil es trotzdem sinnvoll ist, die Zukunft vorauszudenken. Weil diejenigen bessere Entscheidungen treffen, die sich mit Ungewissheit auseinandersetzen.
Lassen Sie uns dazu einen Moment darauf schauen, was geschieht, wenn deutlich wird, dass sich Zukunft nicht exakt vorausplanen lässt. In diesem Fall verzichten viele Entscheider weitgehend auf eine systematische Auseinandersetzung mit der Zukunft. Gestützt auf eine hohe Flexibilität versuchen sie, möglichst schnell auf jede erkennbare Veränderung zu reagieren. "Wir müssen agil werden", heißt es dann, aber hinter vorgehaltener Hand hört man häufiger: "Wir fahren auf Sicht." Dabei stellen sie allerdings immer wieder fest, dass sie von "plötzlichen" Ereignissen getroffen werden und sich ihr Spielraum zu diesem Zeitpunkt bereits erheblich verengt hat.
Zwischen den beiden beschriebenen Extremen - der Planbarkeit der Zukunft auf der einen Seite und der völligen Unschärfe auf der anderen Seite - gibt es zwei weitere Arten von Entscheidungssituationen: Beispielsweise kann die Zukunft durch eindeutig voneinander abgrenzbare Alternativen beschrieben werden: Zwei Wettbewerber schließen sich zusammen - oder nicht. Eine schärfere Regulierung wird beschlossen - oder nicht. Die Atomkraft ist erlaubt - oder nicht. Dies ist die zweite Stufe der Ungewissheit. Außerdem müssen Unternehmen in Situationen agieren, für die sich eine Vielzahl sehr unterschiedlicher Möglichkeiten beschreiben lassen. In dieser dritten Stufe der Ungewissheit kann also ein weitgespannter Zukunftsraum vorab durchdacht werden.
HUGH COURTNEY, JANE KIRKLAND und PATRICK VIGUERIE haben daraus das Modell der vier Stufen der Ungewissheit gemacht, wie es in Abbildung 4 dargestellt ist.
Dabei verweisen sie auf die beiden Gefahren, die wir eben gesehen haben, nämlich die Ungewissheit zu unterschätzen und einfach mit einer exakten Zukunft zu planen (Stufe 1) - oder die Ungewissheit zu überhöhen und in der Folge auf eine Auseinandersetzung mit Zukunft gänzlich zu verzichten (Stufe 4). Die Wahrheit liegt in den allermeisten strategischen Entscheidungssituationen genau dazwischen. Hier müssen Unternehmen über die Zukunft nachdenken, ohne sie vorhersagen zu können. Sie müssen sich mit verschiedenen denkbaren "Zukünften" beschäftigen, um Kurs halten zu können zwischen der falschen Sicherheit eindeutiger Prognosen und der Hilflosigkeit in offensichtlich unklaren Entscheidungssitationen. Dies bezeichnet man als zukunftsoffenes Denken.
Auch hier gibt es - und jetzt folgt die notwenige Entlastung der Experten und Zukunftsforscher - eine ganze Reihe von Beispielen dafür, wie solche "Zukünfte" vorausgedacht wurden:

- Die New York Times warnte bereits im September 1960 vor der Entstehung eines weltweiten Öl-Kartells und möglichen Begrenzungen der Ölproduktion. Einige Jahre später nahmen sich auch die Planer von Royal Dutch/Shell dieses Themas an und navigierten so ihren Konzern durch die Stromschnellen der heraufziehenden Ölkrise.
- 1999 beschrieb das Magazin Futurist die Entwicklung des Terrorismus im 21. Jahrhundert mit den Kernaussagen, dass die USA auf ihrem eigenen Territorium Ziel für den neuen Superterrorismus würden und es in der Folge zu einer globalen Schlacht käme, die länger dauern würde als der gerade zu Ende gegangene "Kalte Krieg".
- In seinem Buch The coming Internet Depression warnte MICHAEL J. MANDEL bereits 2000 vor dem Platzen der New-Economy-Blase - aber das Buch verstaubte in den Regalen der Buchhandlungen.
- Auch die globale Finanzkrise 2007/2008 fiel keineswegs vom Himmel, sondern wurde von einer ganzen Reihe von Experten vorausgedacht. So warnte NOURIEL ROUBINI bei einem Vortrag vor dem Internationalen Währungsfonds vor dem Platzen der Immobilienblase und einer tiefen Rezession. Als Reaktion verlangte der Moderator nach einem starken Drink - und durch das Publikum zog Gelächter.

Manchmal reiben wir uns auch verblüfft die Augen, wenn wir erkennen, wie frühzeitig manche Entwicklung erkennbar war. So beschrieb ARTHUR BREMER bereits 1910 in seinem Buch Die Welt in 100 Jahren eine Situation, die uns heute allzu vertraut vorkommt:

"Sobald die Erwartungen der Sachverständigen auf drahtlosem Gebiet erfüllt sein werden, wird jedermann sein eigenes Taschentelephon haben, durch welches er sich, mit wem er will, wird verbinden können, einerlei wo er auch ist, ob auf der See, ob in den Bergen, ob in seinem Zimmer oder auf dem dahinsausenden Eisenbahnzuge …. Überall wird er mit der übrigen Welt verbunden sein, mit ihr sprechen und sich verständigen können, und er wird sie sehen, wenn er sie sehen will, … und wird gesehen werden in jeder, auch in der kleinsten seiner Bewegungen. …
Auf seinem Wege von und ins Geschäft wird er seine Augen nicht mehr durch Zeitunglesen anzustrengen brauchen, denn er wird sich in der Untergrundbahn, oder auf der Stadtbahn oder im Omnibus oder wo er grad' fährt und wenn er geht, auch auf der Straße, nur mit der ›gesprochenen Zeitung‹ in Verbindung zu setzen brauchen, und er wird alle Tagesneuigkeiten, alle politischen Ereignisse und alle Kurse erfahren, nach denen er verlangt."

Für uns ergibt sich daraus die Aufforderung, beim notwendigen Umgang mit der Zukunft alle Möglichkeiten vorauszudenken - die erwarteten und üblichen ebenso wie die unerwarteten und unüblichen. Gerade bei Letzteren sind wir uns der doppelten Gefahr bewusst, der alle Visionäre ausgesetzt sind: das erste Mal verkannt zu werden, wenn die Visionen als "abenteuerliche Spinnereien" abgetan werden; und das zweite Mal verkannt zu werden - sehr viel später -, wenn ihnen vorgeworfen wird, dass sie die Dinge nicht konsequent zu Ende gedacht hätten.

Der zweite Balanceakt: Komplexität - Strukturen begreifen, ohne zu modellieren

Eine Entscheidung fällt uns dann leicht, wenn ihre Folgen kalkulierbar sind. Mit der Zukunft ist es ähnlich: Es ist beruhigend, wenn sich zukünftige Ereignisse direkt aus bestimmten Entwicklungen ableiten lassen. So können wir uns auf eine Verknappung junger, innovativer und risikofreudiger Arbeitskräfte einstellen, wenn wir nur einen kurzen Blick auf die demografische Struktur der meisten westlichen Industriestaaten werfen - insbesondere auch Deutschlands. Oder?
Was wäre, wenn sich der globale Migrationsdruck nochmals verstärken und zu einer kontinuierlich stärkeren Zuwanderung führen würde - gesteuert oder ungesteuert? Oder wenn die Digitalisierung das Angebot an (virtuellen) Arbeitskräften drastisch erweitert? Oder wenn es gelänge, die schöpferischen Kräfte älterer Mitarbeiter viel besser in den Innovationsprozess einzubringen, anstatt sie davon auszugrenzen? Die Zeit einfacher Antworten ist vorbei. Hintergrund dafür sind vor allem zwei langfristig wirkende Trendentwicklungen:

Trend zur Vielfalt: Durch die Globalisierung mit ihrer weltweiten Markt- und Kulturöffnung, durch Digitalisierung und vielfältige Vernetzung, durch die Konvergenz von Technologien, durch den demografischen Wandel und die Urbanisierung, durch die gestiegenen Ansprüche von Gesellschaft, Kunden und Mitarbeitern erhöht sich die Anzahl der relevanten Einflussfaktoren ständig: die Entscheidungswelt wird komplizierter.
Trend zur Dynamik: Hinzu kommt, dass sich die Dynamik der Änderungsprozesse in der Unternehmensumwelt ebenfalls erhöht. Beispielsweise verkürzen sich die Lebenszyklen von Produkten und Branchen. Ferner wird diese Tendenz des zunehmenden Wandels durch das starke Anwachsen des Wissens unterstrichen.
Das Zusammentreffen von Vielfalt und Dynamik wird als Komplexität bezeichnet. Doch je mehr Faktoren unser Handeln beeinflussen und je schneller sich diese Faktoren verändern, desto weniger sind wir in der Lage, die Zusammenhänge in diesen komplexen Entscheidungssituationen zu erfassen und uns entsprechend zu verhalten. Komplexe Zusammenhänge lassen sich nur durch neue Sichtweisen, Methoden und Werkzeuge handhaben. Grundlage dieser neuen Sichtweise des Unternehmens ist der Systemansatz. Systemorientiertes, systemisches oder eben vernetztes Denken wird vor allem durch vier Charakteristika bestimmt:

- Ganzheitliches Denken in offenen Systemen: Ganzheitliches Denken geht von größeren Zusammenhängen aus und berücksichtigt viele Einflussfaktoren aus verschiedenen Disziplinen. Dabei werden grundsätzlich offene Systeme betrachtet. Dies bewirkt, dass vielfältige Wechselwirkungen nicht nur zwischen den Elementen des Systems bestehen, sondern auch zwischen dem System und seiner Umwelt.
- Kombination analytischen und synthetischen Denkens: Hier wird davon ausgegangen, dass ein Gesamtsystem durch eine Systemhierarchie aus Über- und Untersystemen abgebildet wird. Darin kann durch Analyse auf eine niedrigere Systemebene und durch Synthese auf eine höhere Systemebene "umgeschaltet" werden.
- Denken in kreisförmigen Prozessen: Entsprechend den Grundlagen der Kybernetik ist das systemorientierte Denken nicht auf Ursache-Wirkungs-Prinzipien beschränkt, sondern bezieht zirkuläre Systeme mit Rückkopplungseffekten ein.
- Bedeutung von Struktur und Information: Innerhalb derselben Struktur neigen selbst sehr verschiedene Menschen dazu, qualitativ ähnliche Ergebnisse zu produzieren. Daher gilt es, die Strukturen zu erkennen, die das individuelle Handeln beeinflussen und bestimmte Ereignisformen begünstigen.

Andersherum versagen mit der Zunahme von Komplexität viele traditionelle Führungsansätze, die auf einer räumlich und zeitlich nahen Verknüpfung von Ursachen und Wirkungen beruhen. Lineares Denken in engen Ursache-Wirkungs-Zusammenhängen begrenzt nicht erst heute die Entscheidungsfähigkeit von Unternehmen. In einer Studie der Daimler Motoren Gesellschaft aus dem Jahre 1901 hieß es: "Die weltweite Nachfrage nach Kraftfahrzeugen wird eine Million nicht überschreiten - allein schon aus Mangel an verfügbaren Chauffeuren."
Begrenzt man seinen Blickwinkel tatsächlich auf das Angebot an ausgebildeten Fahrern, so lässt sich die Aussage noch heute nachvollziehen. Vermutlich hätte ein ausgeklügeltes Chauffeur-Prognosesystem genau zu diesem Ergebnis geführt. Überwunden werden die Denkblockade und die Grenze des linearen Denkens erst dann, wenn der Betrachtungsbereich erweitert wird. Was wäre, wenn die Verbreitung von Fahrzeugen bei den Menschen die Sehnsucht nach größerer Mobilität weckt? Könnte dies den technologischen Fortschritt in eine neue Richtung lenken? Wären dann neue Fahrzeugkonzepte denkbar, bei denen auf einen Chauffeur verzichtet werden könnte? In diesem Sinne ist vernetztes Denken ein wichtiges neues Werkzeug - man könnte auch von Denkzeug sprechen.
Gleichzeitig müssen wir aber aufpassen, dass wir nicht versuchen, mit diesem Werkzeug die Zukunft exakt modellieren zu wollen. Das mag im Kleinen, im Begrenzten, im Nahbereich funktionieren. Dort lassen sich mit Big Data und Predictive Analytics tatsächlich Erfolge erzielen. Es kann auch dort funktionieren, wo langfristige Strukturen in abgegrenzten Bereichen betrachtet werden - beispielsweise in Klimamodellen. Aber in den von uns betrachteten ökonomischen und gesellschaftlichen Umfeldern mit ihren vielfältigen Vernetzungen sollten wir den Verlockungen einer allzu exakten und womöglich noch quantitativen Modellierung widerstehen. Sonst ergeht es uns womöglich wie dem CLUB OF ROME, der in seinen Studien zu den Grenzen des Wachstums sicherlich eine wichtige Diskussion angestoßen und befeuert hat, der in seinen Weltmodellen allerdings weder den technologischen Fortschritt noch die Rolle der globalen Finanzmärkte adäquat berücksichtigt hat - ganz zu schweigen von seiner völligen Fehleinschätzung der globalen Entwicklung bis ins 21. Jahrhundert hinein: "Selbst bei optimistischen Annahmen muss in Südasien eine Hungerkatastrophe erwartet werden, die in den frühen 80er-Jahren beginnt und um das Jahr 2010 ihren Höhepunkt erreichen wird. Wir rechnen mit einer Milliarde Hungertoten."
Folglich sollten wir erkennen, dass uns lineares Denken und die Fokussierung auf isolierte Handlungsfelder in grundlegenden Entscheidungssituationen fehlleiten können. Wir müssen vielmehr "über den Tellerrand" hinausschauen und die Wechselwirkung der wichtigsten Treibergrößen erkennen, analysieren und berücksichtigen. MICHAEL J. MAUBOUSSIN spricht hier von "Counter-Intuition" - was wie am ehesten mit "Anti-Intuition" übersetzen können. Gleichzeitig sollten wir aber der Versuchung widerstehen, unser ganzes Umfeld in einem eigenen "Weltmodell" abbilden zu wollen. Die Zukunft bleibt ungewiss - wie sehr wir ihre Einzelteile auch miteinander vernetzen.

Der dritte Balanceakt: Wettbewerb - über Zukunftspotenziale steuern, ohne von der Straße abzukommen

Kennen Sie "Target"? Nein? Die Target Corporation geht auf ein 1902 von GEORGE DAYTON eröffnetes Kaufhaus im Geschäftsviertel von Minneapolis zurück und ist heute der zweitgrößte Discounter der USA. Mit einem Umsatz von 72,6 Milliarden Dollar stand Target 2014 auf Rang 36 der Fortune-500-Liste - und damit in etwa im Feld von Aldi und Lidl. Gleichzeitig lag Target damit genau 82 Plätze vor Gilead Science - einem erst 1987 gegründeten Pharmazie- und Biotechnologieunternehmen aus Foster City in Kalifornien. Allerdings erwirtschaftete Gilead Sciences einen Gewinn von über 12 Milliarden US-Dollar, während Target mehr als 1,6 Milliarden US-Dollar Verlust einfuhr. Wer ist erfolgreicher? Gilead Sciences, weil sie so viel mehr erwirtschaften? Oder Target, weil sie schon so lange erfolgreich existieren?
Noch einmal 124 Plätze hinter Gilead Sciences findet sich in der Fortune-500-Liste ein weiteres Unternehmen, das erst 2004 das Licht der Geschäftswelt erblickte: Facebook. Nach Umsatz und Gewinn liegt das soziale Netzwerk deutlich hinter Gilead Sciences. Allerdings hat es 1,4 Milliarden Nutzer und auch ein Blick auf die Marktwerte zeigt ein anderes Bild. Während sich Target hier mit Rang 88 begnügen muss und Gilead Sciences auf Rang 28 liegt, gehört Facebook zu den Top Ten der wertvollsten Unternehmen in den Vereinigten Staaten. Und noch einmal kann man die Frage stellen: Wer ist jetzt am erfolgreichsten? Vielleicht doch Facebook, obwohl das Unternehmen nach Gewinn hinter Gilead Science und nach Umsatz hinter beiden Unternehmen liegt?
Anhand dieser drei Unternehmen - Target, Gilead Sciences und Facebook - lässt sich die Bedeutung der verschiedenen Steuergrößen in Unternehmen verdeutlichen:

- Ein Unternehmen ist zunächst ein komplexes System, das darauf ausgerichtet ist, seine Lebensfähigkeit durch ökonomisches Handeln zu erhalten. Kurzfristig benötigt es dazu Liquidität. Gemessen an dieser Steuergröße läge Target an der Spitze. Aus Wettbewerbssicht ist Liquidität allerdings eine vergangenheitsbezogene Größe: Je mehr, desto größer war der Erfolg in der Vergangenheit.
- Die Veränderung der Liquidität erfolgt durch Gewinn oder Verlust. In vielen Unternehmen gilt Gewinn noch immer als zentrale Steuergröße. Orientiert man sich am Ziel der Gewinnmaximierung, so wäre Gilead Sciences - im wahrsten Sinne des Wortes - das erfolgreichste Unternehmen. Allerdings ist der Gewinn eine gegenwartsbezogene Größe: Je mehr, desto größer ist der Erfolg in der aktuellen Planungsperiode.
- Angesichts des zunehmenden Wettbewerbs reicht es allerdings nicht mehr aus, lediglich den Gewinn im Hier und Heute zu betrachten. Langfristig erfolgreiche Unternehmen konzentrieren sich vielmehr auf die Schaffung und Erhaltung der Vorausset-zungen für zukünftigen Erfolg. ALOYS GÄLWEILER hat dies als Erfolgspotenzial bezeichnet. Wie hoch dieses Erfolgspotenzial ist, drückt sich nicht selten im Marktwert aus - und danach liegt Facebook an der Spitze. Das Erfolgspotenzial ist also eine zukunftsbezogene Größe: Je mehr, desto größer wird der Erfolg in der Zukunft sein.

Hier wird deutlich, dass Liquiditäts- und Erfolgssteuerung zum operativ-taktischen Management gehören, während mit der Erfolgspotenzialsteuerung der Übergang zum strategischen Denken erfolgt. Strategie bedeutet also immer, über die Gegenwart hinauszudenken. Und so konzentrieren sich innovative und vorausschauende Unternehmenslenker - obwohl die Erfolgspotenzialsteuerung noch längst nicht in den Köpfen aller Entscheider verankert ist - bereits auf eine neue Führungsgröße. GÄLWEILER unterschied bereits zwischen den "bestehenden Erfolgspotenzialen", die wiederum durch "neue Erfolgspotenziale" vorgesteuert werden. Wir sprechen an dieser Stelle auch von zukünftigen Erfolgspotenzialen oder einfach von Zukunftspotenzialen. Auf zwei wesentliche Erweiterungen des Erfolgspotenzial-Modells möchten wir im Folgenden hinweisen:

Aus Erfolgspotenzialen werden Nutzenpotenziale: Ein Unternehmen wird nicht allein nach monetären Größen gesteuert, sondern verfolgt ein mehrdimensionales Zielsystem, mit dem es den Ansprüchen verschiedener Gruppen (Stakeholdern) gerecht werden möchte. Ausgangspunkt ist dann nicht mehr ausschließlich die Liquidität, sondern generell die Lebensfähigkeit eines Unternehmens. Die bisherige Steuergröße "Erfolg" wird durch den Nutzen abgelöst, den es seinen gegenwärtigen Stakeholdern bietet. Dabei bleibt der Nutzen der Kapitalgeber - gemessen als monetärer Erfolg - eine wichtige Größe. Und gleichermaßen wird der Begriff "Erfolgspotenzial" durch Nutzenpotenzial ersetzt. Diese Bezeichnung macht deutlich, dass es im strategischen Management vor allem darum geht, Voraussetzungen für den zukünftigen Nutzen der (zukünftigen) Stakeholder eines Unternehmens zu schaffen.
Der normative Sinnhorizont gibt einen Rahmen für die Strategie vor: Strategisches Denken erfolgt nicht losgelöst von normativen Prämissen. Daher wird im St. Galler Management-Modell zwischen drei Sinnhorizonten unterschieden:

- Der normative Sinnhorizont umfasst die fundamentalen, langfristig bindenden Festlegungen und Wertvorstellungen, die mit Grundfragen der Existenzberechtigung, der Definition, Gestaltung und Qualität der Wertschöpfung sowie der grundlegenden Beziehungsgestaltung einer Organisation zu ihrem Umfeld zu tun haben.
- Der strategische Sinnhorizont bezieht sich auf die zukunftsbezogene, langfristig ausgerichtete Schaffung von existenzförderlichen Erfolgsvoraussetzungen für eine erfolgreiche Wertschöpfung und Weiterentwicklung einer Organisation mit Blick auf ihre Umwelt.
- Der operative Sinnhorizont formiert und verdichtet sich aus Bezugspunkten, Entscheidungskriterien und Leistungsindikatoren, die mit einer effizienten Koordination des Alltagsgeschehens und mit der optimalen Ausschöpfung der aktuellen Ressourcenkonfiguration für die organisationale Wertschöpfung zu tun haben.

Insofern gibt der normative Sinnhorizont einen Rahmen für die strategische Entscheidungsfindung vor - strategisches Denken kann aber durchaus auf beiden Ebenen erfolgen und gegebenenfalls normative Prämissen infrage stellen. Andererseits lassen sich in der Praxis auch strategische und operative Entscheidungsfindung nicht immer exakt voneinander trennen. Daher lohnt an dieser Stelle noch ein Blick auf das von MEHRDAD BAGHAI, STEPHEN COLEY und DAVID WHITE entworfene Drei-Horizonte-Modell, wonach ein Unternehmen drei miteinander verwobene Aufgaben zu bestehen hat (siehe Abbildung 5):

- Horizont 1 beinhaltet die Kerngeschäfte des Unternehmens, die den Löwenanteil am Gewinn erwirtschaften - und damit auch die Quellen für das Wachstum. Sie verfügen über ein gewisses weiteres Wachstumspotenzial, das sich im Kern aus den bestehenden Erfolgs- und Nutzenpotenzialen speist.
- Horizont 2 umfasst die heutigen Wachstumsfelder des Unternehmens, die in der Regel erhebliche Investitionen benötigen. Hier liegt in der Regel ein Mix aus bestehenden und neuen Erfolgspotenzialen vor.
- Horizont 3 legt die Saat für die Geschäfte von morgen. Daher sind es reale, aber noch kleine Aktivitäten, die vor allem auf zukünftige Erfolgs- und Nutzenpotenziale aus sind. Dieser Horizont ist auch das Betätigungsfeld von Corporate Venturing.
Auf allen drei Horizonten geht es also um die Erschließung von Erfolgspotenzialen und somit um strategische Fragestellungen - lediglich ihr Beitrag zum und ihre Anbindung an das operativ-taktische Geschäft kann unterschiedlich sein. Letztlich kann man es aber stets mit dem folgenden Sprichwort ausdrücken: Strategie ohne Taktik ist der langsamste Weg zum Sieg. Taktik ohne Strategie ist nur der Lärm vor der Niederlage.

Um was es im SzenarioManagement geht

Wenn Sie die beschriebenen Grenzen überschreiten, dann legen Sie sich mit drei mächtigen Gruppen an: Die traditionellen Planer, Marktforscher und Controller werden mit ihren Köpfen schütteln und Ihnen vorrechnen, dass sich aus mehreren Zukünften keine sinnvollen Konzepte entwerfen lassen. Die hemdsärmeligen Macher werden Ihnen vorhalten, dass vernetztes Denken eine intellektuelle Spielerei sei, die zu keinerlei konkreten Ergebnissen führe. Und die Erfolgreichen werden mit ihren Geldbeuteln und ihren Bilanzen winken. Lassen Sie sich davon nicht abschrecken, denn Unternehmen werden um drei neue Ansätze nicht herumkommen:

- Zukunftsoffenes Denken und Handeln: Unternehmen müssen sich im strategischen Führungsprozess von den Vorstellungen einer prognostizierbaren Zukunft verabschieden und stattdessen alternative Entwicklungsmöglichkeiten von Einflussfaktoren ins Kalkül ziehen. Grundlage ist die Vorstellung einer "multiplen Zukunft".
- Vernetztes Denken und Handeln: Unternehmen sind heute darauf angewiesen, bei ihrer strategischen Ausrichtung ebenso wie in der anschließenden Umsetzung von Visionen und Strategien die Entwicklung und das Verhalten vernetzter und komplexer Systeme zu berücksichtigen.
- Strategisches Denken und Handeln: Langfristig erfolgreiche Unternehmen dürfen sich nicht allein auf den gegenwärtigen Erfolg konzentrieren, sondern sie müssen im Rahmen ihrer strategischen Ausrichtung die Schaffung und Erhaltung der Voraussetzungen für zukünftigen Erfolg in den Mittelpunkt rücken. Diese zentrale Steuergröße der strategischen Unternehmensführung wird als Erfolgspotenzial bezeichnet.

Und mit dem Überschreiten der drei Grenzen müssen Sie sich auch noch mit denjenigen auseinandersetzen, die zukunftsoffenes, vernetztes und strategischen Denken bereits für überholt halten: diejenigen, die Zukunft für völlig unbestimmt halten und lieber "auf Sicht fahren", anstatt sich mit den vielen Möglichkeiten auseinanderzusetzen. Diejenigen, die Sie in die unendliche Diskussion von Weltmodellen, Simulationen und einer "neuen Sicherheit" drängen wollen. Und diejenigen, die Strategie für ein Werkzeug von vorgestern halten und die stattdessen automatisch danach streben, die Welt aus den Angeln zu heben - frei nach dem Motto: Wer nicht disrupted, wird selbst disrupted.
Weichen Sie auch vor diesen scheinbar so modernen Streitern nicht zurück - und lassen Sie sich nicht in die Defensive drängen: Erstens ist auf Sicht zu fahren keineswegs modern, sondern führt fast immer zu Nachteilen im Wettbewerb. Zweitens gibt es mit Big Data oder Predictive Analytics im kurz- und mittelfristigen Bereich unbestreitbare Potenziale, eine neue Sicherheit im langfristig orientierten Strategieraum ist damit aber ganz sicher nicht verbunden. Und drittens sollten Sie über Disruption auch noch einmal nachdenken, denn der Begriff wird inzwischen so inflationär verwendet, dass man ihn kaum noch hören kann.19
Die Verbindung der ersten beiden Denkansätze - des zukunftsoffenen und des vernetzten Denkens - führt zum Begriff "Szenario". Darunter werden alternative Zukunftsbilder komplexer Systeme verstanden. Die Wahl des Begriffs "Szenario" für ihre Zukunftsbilder verbindet HERMAN KAHN mit dem Ort ihrer Entstehung - dem kalifornischen Santa Monica:

"Soweit ich es sagen kann, wurde der Begriff ›Szenario‹ in diesem Sinne erstmals in einer Gruppe verwendet, in der ich bei der RAND Corporation arbeitete. Wir wählten dieses Wort absichtlich, um unsere Zukunftsbilder zu entidealisieren. Beim Entwurf der Szenarien für verschiedene Situationen sagten wir immer: ›Denk dran, es ist nur ein Szenario.‹ Es ist also nicht mehr, als Hollywoods Drehbuchautoren auch verfassen - die Schreiberlinge wie die Genies."

Häufig wird die Zukunft noch durch weitere Charakteristika beschrieben. So bezieht BOB JOHANSEN vom Institute for the Future Unbeständigkeit (Volatility) und Mehrdeutigkeit (Ambiguity) in den Katalog der grundlegenden Umfeldveränderungen ein und spricht daher von der Entstehung von VUCA-Welten (=Volatility, Uncertainty, Complexity und Ambiguity), mit denen sowohl Gefahren als auch Chancen verbunden sind.
Viele frühe Ansätze der Szenario-Technik oder der Szenarienplanung haben sich primär darauf konzentriert, Szenarien zu entwickeln. Es entstanden leicht kommunizierbare Zukunftsbilder, deren Interpretation häufig bereits schwierig war - und die sich nur selten in den strategischen Planungs- und Entscheidungsprozess integrieren ließen. Daher ist es von großer Bedeutung, von Anfang an auch strategisches Denken einzubeziehen: Wer soll die Szenarien nutzen? Wie sollen sie eingesetzt werden? Welchen Fokus sollten dann die Szenarien haben?
Genau für diese Verknüpfung haben wir den Begriff "Szenario-Management" geprägt. Aber Szenario-Management bildet nicht nur den Schnittpunkt zwischen den drei methodischen Ansätzen des zukunftsoffenen, vernetzten und strategischen Denkens (siehe Abbildung 6, Mitte), sondern führt auch eine Reihe bekannter und angesehener Planungsmethoden so zusammen, dass sie sich in unsicheren und komplexen Entscheidungssituationen einsetzen lassen. Wesentlich ist dabei, dass Führungskräfte und Planer lernen, "in Szenarien zu denken".


Dr. Alexander Fink und Dr. Andreas Siebe sind Gründungsinitiatoren und Mitglieder des Vorstands der ScMI Scenario Management International AG aus Paderborn. Fink und Siebe sind Autoren mehrerer Bücher, darunter 'Handbuch Zukunftsmanagement', das im Jahr 2011 in 2. Auflage bei Campus erschienen ist.


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