Friedländer, Saul
[Prof. Dr.] Saul Friedländer, geb. 1932 in Prag, ist Professor für Geschichte an der Universität Tel Aviv und an der University of California, Los Angeles.
[Prof. Dr.] Saul Friedländer, geb. 1932 in Prag, ist Professor für Geschichte an der Universität Tel Aviv und an der University of California, Los Angeles.
Saul Friedländer wird am 11. Oktober 1932 als Pavel Friedländer in Prag als Sohn eines Beamten einer deutschen Versicherungsgesellschaft geboren. Aufgrund ihrer jüdischen Wurzeln emigriert die Familie 1939 nach der Besetzung Prags durch die Deutschen nach Frankreich. Ohne Aussicht auf eine erneute Fluchtmöglichkeit nach dem Einmarsch der Deutschen in Frankreich, geben die Eltern Saul Friedländer in die Obhut eines katholischen Internats. Während ihr Sohn als Internatsschüler und getaufter Katholik unter dem Namen Paul-Henri Ferland überlebt, werden die Eltern wohl 1942 im Konzentrationslager Auschwitz ermordet. Nach dem Krieg wendet sich Friedländer unter dem Eindruck des Holocaust dem Judentum zu und wandert 1948 in den neu gegründeten Staat Israel aus.
Nach dem Studium an der School of Law and Economics in Tel Aviv erwirbt Friedländer 1955 am Pariser Institut d’Etudes Politique das Diplom der Politikwissenschaften. 1963 promoviert er in Genf mit der Arbeit »Le facteur américain dans la politique étrangère et militaire de l’Allemagne, 1939-1941« und beginnt am Genfer Institut für Internationale Studien seine akademische Laufbahn. Hier lehrt er von 1967-1987 als ordentlicher Professor und nimmt zudem ab 1976 den Ruf als Ordinarius für moderne europäische Geschichte an der Tel Aviv University und ab 1987 einen Lehrstuhl für Geschichte der University of California in Los Angeles an.
Das Hauptinteresse seiner wissenschaftlichen Arbeit gilt dem Nationalsozialismus und dem Zweiten Weltkrieg, wobei sein methodischer Ansatz von der strikt sachlichen Geschichtswissenschaft abweicht und somit die Kriterien persönliche Verantwortung und moralische Sensibilität in die Historiographie einbringt. Aufmerksamkeit gewinnt er 1964 mit der Studie »Pius XII. und das Dritte Reich« (dt. 1965), die in einer differenzierten Quellenanalyse die Zurückhaltung des Papstes angesichts der Shoah untersucht. In der 1967 erschienenen Studie »Kurt Gerstein oder die Zwiespältigkeit des Guten« (dt. 1968) beleuchtet Friedländer das Leben eines tief religiösen Christen, der als überzeugter Regimegegner der SS beitritt und zum Zeugen des Holocaust wird. In »Wenn die Erinnerung kommt« (1978, dt. 1979) berichtet Friedländer in einer Verschränkung von Rückblenden und Gegenwart über seine eigene Kindheit und, in Tagebuchaufzeichnungen aus dem Jahr 1977, über sein augenblickliches Leben mit beeindruckender Intensität und Würde. Diesem Buch folgen mit »Kitsch und Tod. Der Widerschein des Nazismus« (1981, dt. 1984) Reflexionen über den Umgang mit dem Grauen der Nazizeit, in denen Friedländer die Instrumentalisierung menschlicher Leiden für die Zwecke der Medien und des Kommerzes kritisiert. In den 1990er Jahren gehört Friedländer einer Anzahl von Kommissionen an, die unterschiedliche Verstrickungen in die nationalsozialistische Diktatur untersuchen. So leitet er von 1998-2002 eine unabhängige historische Kommission zur Untersuchung der Geschichte des Verlagshauses Bertelsmann im Dritten Reich.
Als das Opus Magnum Saul Friedländers gilt die Synthese seiner wissenschaftlichen Arbeit, die in dem zweibändigen Werk »Das Dritte Reich und die Juden« veröffentlicht ist. In dem ersten Band »Die Jahre der Verfolgung 1933-1939« (1997, dt. 1998), in dem er zahlreiche Einzelstudien sowie relevante Dokumente in den großen Zusammenhang einordnet, arbeitet er mit Perspektivenwechseln zwischen Opfern und Tätern, zwischen Analyse soziopolitischer Strukturen und persönlichen Schicksalen unter der zugrunde liegenden Fragestellung, wie in einem hoch entwickelten Volk eines der größten Verbrechen der Weltgeschichte geschehen konnte. Mit dem Begriff des »Erlösungsantisemitismus« gelingt ihm zudem die Etablierung einer These über den pseudoreligiösen Grundaspekt des Judenhasses unter den Nationalsozialisten. Mit dem zweiten Band »Die Jahre der Vernichtung 1939-1945« (dt.2006, engl. 2007) bewahrt Friedländer mithilfe von Tagebuchaufzeichnungen, Briefen und Erinnerungen sowie dem Anspruch, dass eine Gesamtgeschichte des Holocaust alle Ebenen in den Blick nehmen und integrieren muss, seine Darstellung der Vernichtung der Juden vor der Gefahr der »domestizierenden« Erinnerung.
Für seine wissenschaftliche und literarische Tätigkeit nimmt Saul Friedländer zahlreiche Ehrungen entgegen. Hierzu gehören unter anderem der Preis der Leipziger Buchmesse (2007), Geschwister-Scholl-Preis (1998), Yad Vashem Jacob Buchmann Award (1997), National Jewish Book Award (1997) und 1983 der Israel Prize. Im Oktober 2007 erhielt Saul Friedländer den "Friedenspreis des Deutschen Buchhandels". Im März 2008 Saul Friedländer erhielt den Bruno-Kreisky-Preis für sein Lebenswerk, im April 2008 den Pulitzer-Preis.
Saul Friedländer hat drei Kinder und vier Enkelkinder. Nach Beendigung seiner Professur in Tel Aviv lebt er wieder vorrangig in Los Angeles.