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E-Book, Deutsch, 532 Seiten

Friesenbichler Verdrängung

Österreichs Linke im Kalten Krieg 1945-1955

E-Book, Deutsch, 532 Seiten

ISBN: 978-3-7065-6173-0
Verlag: Studien Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Obwohl das Besatzungsjahrzehnt die am genauesten erforschte Periode der österreichischen Zeitgeschichte nach 1945 ist, wurde ein Phänomen von der Wissenschaft bisher weitgehend vernachlässigt: die Rolle, die der Antikommunismus für die Gestaltung der Zweiten Republik gespielt hat. Der Kalte Krieg durchdrang alle gesellschaftlichen Bereiche. Kultur und Kunst waren davon ebenso betroffen wie Wirtschaftskonzepte oder die Bewältigung der Kriegsfolgen. Aber schon bevor die Welt in zwei unversöhnliche Lager geteilt wurde, nahm die SPÖ-Führung den Kampf gegen linke Tendenzen – auch in den eigenen Reihen - auf. Die Kommunisten trugen zu ihrer Marginalisierung durch eigene Fehler, vor allem durch ihre Sowjethörigkeit, in hohem Maß bei. Die antikommunistische Fundierung der Gesellschaft hat bis in die Gegenwart reichende Folgen – unter anderem, dass sich im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern eine antikapitalistische Linke in Österreich nie entfalten konnte.
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1. Verloren an der Einheitsfront
1.1 Zwist in den Ruinen
Es ist ein altes Wort – so alt, dass seine Herkunft im Dunkeln liegt. Die alten Hebräer verbanden es mit einem Heiligen Jahr, in dem Sklaven befreit und Schulden erlassen wurden, die Christen erließen später nicht nur Schulden, sondern auch gleich Schuld, weil in diesem Jahr Sünden vergeben wurden. Vermutlich, so meinen die Etymologen, haben sich irgendwann das hebräische „Jovel“ (für das Widderhorn, das die Priester zum Beginn des Heiligen Jahres bliesen) und das lateinische „iubilum“ (für „das Aufjauchzen“) im Lauf der Jahrhunderte in ihrer Bedeutung vermengt – und das Jubiläum entstand, in dem gemeinhin ein wiederkehrender Jahrestag mit einem Grund zum Jubel verbunden wird. Und doch muss ein Jubiläum nicht immer mit überschwänglicher Feierlaune verknüpft sein. Es ist jedenfalls eher Melancholie denn Jubel im Spiel, wenn 1965 ein Beitrag „von einem Gründungsmitglied“ die Entstehung der Freien Österreichischen Jugend (FÖJ) beschreibt.28 20 Jahre nach dem Gründungsakt von 1945 zieht sich Bedauern durch die Betrachtungen des anonymen Verfassers, ein Betrauern der verpassten Chancen, sogar Verbitterung. Das Bekenntnis zur österreichischen Nation und die Ablehnung des Faschismus sei die Aufgabe der neugegründeten Jugendorganisation gewesen, schreibt der Autor. „Um sie an einen möglichst breiten Kreis herantragen zu können, sollte sie streng überparteilich – das heißt, nicht an eine bestimmte Partei gebunden – sein. Dieses Konzept war freilich nur zu verwirklichen, wenn auf parteipolitische Jugendorganisationen verzichtet wurde.“ Dass ein solcher Verzicht, wie der Autor meint, „zunächst absolut nicht ausgeschlossen“ schien, war allerdings bereits zu der Zeit eine optimistische Betrachtungsweise, als im April 1945 kurz nach der Befreiung Wiens durch die Sowjettruppen österreichische Parteivertreter erstmals wieder zusammentrafen. Der Gründungskongress der FÖJ, der die parteiunabhängige Orientierung verwirklichen sollte, fand am 16. Mai 1945, rund einen Monat nach der Schlacht um Wien, statt. Aber schon am 18. April fand ein Gespräch von Ernst Fischer und Friedrich Franz Eder (KPÖ) mit Adolf Schärf, Josef Afritsch und Karl Mark (SPÖ) statt, bei dem die SPÖ die Schaffung von Einheitsjugendorganisationen ablehnte, so der Wirtschaftshistoriker Fritz Weber. Am 23. April folgte ein weiteres Treffen, bei dem die Sozialisten diesen Standpunkt bekräftigten und darüber hinaus die von den Kommunisten gewünschte Gründung einer Dachorganisation aller Parteien ablehnten.29 Wenig später, am 28. April, tagten im Wiener Rathaus sozialistische Jugendfunktionäre und beschlossen unter dem Vorsitz Peter Strassers die Gründung einer eigenen Jugendorganisation.30 Josef Hindels, Freund Strassers aus der Zeit des illegalen Kampfes gegen den Austrofaschismus, berichtet, dass Strasser „vom Parteivorstand beauftragt“ worden war, „die Sozialistische Jugend (SJ) als Nachfolgeorganisation der Sozialistischen Arbeiterjugend (SAJ) aufzubauen.“31 Als am 16. Mai im Turnsaal der Hauptschule in der Glasergasse in Wien IX die FÖJ offiziell ins Leben gerufen wurde,32 muss diese Position also schon bekannt gewesen sein. Sogar Peter Strasser tauchte bei diesem „Ersten Wiener Jugendkongress“ auf,33 gelangte indes wohl nicht zum Rednerpult, um seine Ablehnung einer einheitlichen Jugendorganisation kundzutun. So dürften die Anwesenden tatsächlich von dem Glauben beseelt gewesen sein, über den Einspruch der Sozialisten werde die Geschichte hinweggehen. Schließlich verkündete das Gründungsmanifest stolz, dass die fast 600 Delegierten „mit völligen [sic!] Einmütigkeit den Zusammenschluß aller Jugendgruppen“ beschlossen hätten. In der neuen Organisation würden sich vereinigen: „die ‚Demokratische Jugend Österreichs‘, der ‚Österreichische Jugendverband‘, einige Gruppen der ‚Roten Falken‘, ‚Wandervögel‘, Vertreter der Volkspartei, die ‚Freie Jugend Österreichs‘, Gruppen des ‚KJV‘, Pfadfindergruppen und viele größere und kleinere fortschrittliche Jugendgruppen, die sich ehrlich zu einem demokratischen Österreich bekennen.“34 Zur damaligen Einheits-Euphorie mag die Breite der genannten Organisationen, von denen einige sich gerade erst im Chaos nach den Kampfhandlungen gebildet hatten, beigetragen haben. Schließlich waren entgegen der SP-offiziellen Linie auch sozialistische Jugendgruppen vertreten, nämlich die „Roten Falken“, jene Gruppe, die 1925 als Fortführung der „Kinderfreunde“ für die älteren Kinder gegründet worden war. Immerhin trat bei dem Kongress gleich als erster Redner ein ehemaliger Bezirksleiter der Roten Falken, Kurt Rabensteiner, auf.35 Er rief, als Lehre aus der Vergangenheit, zur Einheit auf. Dazu ist anzumerken, dass sich schon nach dem Verbot sozialdemokratischer Organisationen 1934 ehemalige Rote Falken entweder bei der linken „Revolutionären Sozialistischen Jugend“ wiederfanden oder gleich zum „Kommunistischen Jugendverband“ (KJV) wechselten. Mit Vertretern der „Wandervogel“-Bewegung, die vordem eher deutschnational orientiert war, und den Pfadfindern waren auch der ÖVP nahestehende Gruppierungen präsent. Trotzdem konnte von völligem Gleichklang nicht die Rede sein. Der Erinnerung von Friedrich Hirl zufolge, der damals dabei war, outete sich ausgerechnet ein Kommunist gleichfalls als Gegner der Einheit: Franz Danimann, der von seinen damals 26 Lebensjahren die letzten sechs in Haft verbracht hatte und im Jänner aus dem KZ Auschwitz befreit worden war, forderte zur Überraschung aller die Gründung eines Kommunistischen Jugendverbandes. Er wurde allerdings vom Publikum dafür mit Schmährufen bedacht und von seinen Genossen rasch wieder auf Parteilinie gebracht.36 Trotz seiner Skepsis wurde er schließlich sogar zum Obmann der neuen FÖJ gewählt. Danimann stand lediglich einer Stadtleitung vor,37 die identisch war mit den Jugendfunktionären, die den Kongress organisiert hatten. Ein größerer Wirkungskreis war gar nicht möglich, musste doch die Initiative auf die sowjetisch befreiten Gebiete Ostösterreichs beschränkt bleiben und wegen der zerstörten Infrastruktur vor allem auf Wien (obwohl trotz der lahmgelegten Verkehrsverbindungen zum Kongress nicht nur junge Leute aus allen Bezirken, sondern auch aus einigen Ortschaften Niederösterreichs gekommen waren, wie das Gründungsdokument feststellt). Die Stadtleitung blieb, verstärkt durch weitere Heimkehrer aus dem KZ, bis Mitte Jänner 1946 im Amt. Dann wählte eine Arbeitstagung, die erstmals auch Delegierte aus den Bundesländern umfasste, eine neue Führung, in der Emigranten Spitzenpositionen einnahmen – ein Umstand, den nicht alle Mitglieder begrüßten.38 Bei dieser Sitzung kam noch einmal der Wille zur einheitlichen Jugendorganisation zum Tragen: Mit Walter Kellerer wurde ein Vertreter des bürgerlich-katholischen Lagers Vorsitzender der FÖJ-Niederösterreich und Vizevorsitzender im Bund, bis er im September 1946, entnervt von den ständigen ÖVP-Vorwürfen wegen seiner FÖJ-Tätigkeit, von seinen Ämtern zurücktrat.39 Tatsächlich hatte sich die ÖVP zunächst eher bereit gezeigt, auf das Angebot einer einheitlichen Jugendorganisation einzugehen. Das dürfte mit dem schwachen Selbstbewusstsein der Bürgerlichen in den ersten Nachkriegstagen zu tun gehabt haben, das sich auch an anderen Ereignissen festmachen lässt. So unterschrieb am 15. April ein Funktionär der Christlichsozialen Partei (die Benennung in ÖVP erfolgt erst zwei Tage später) einen Vorschlag der Widerstandsbewegung O5, der eine Stadtregierung mit fünf Sozialisten, fünf Kommunisten, aber nur einem Konservativen vorsah. Laut dem späteren Bundespräsidenten Adolf Schärf, der diese Episode überlieferte,40 habe erst er selbst die führenden bürgerlichen Politiker darauf aufmerksam gemacht, dass sie stärker vertreten sein sollten. Ähnlich defensiv verhielten sich die Bürgerlichen eben im Jugendbereich: Laut einem späteren Manuskript Franz Danimanns habe Franz Kittel von der ÖVP erklärt, dass die Konservativen keine eigene Parteijugend etabliert hätten, „wenn die Sozialisten auf eine eigene Parteijugendorganisation verzichtet hätten.“41 Die ÖVP-Organisation Jugendbund, wenig später in Österreichische Jugendbewegung (ÖJB) umbenannt, nahm aus diesen Gründen erst allmählich Gestalt an. Unterdessen saß Peter Strasser bereits in dem Sekretariat des sogenannten Jugendausschusses, das er sich mit seiner Frau Jenny in Wien I, Ebendorferstraße 7, eingerichtet hatte, und trieb den Aufbau seiner SJ voran – die er sich allerdings anders vorstellte, als sie letztlich verwirklicht wurde. „Dieser Jugendausschuß sollte nach seinen Vorstellungen die Keimzelle eines allumfassenden sozialistischen Jugendverbandes sein, dem von der Kinderbewegung, den Roten Falken über die Sozialistische Jugend bis zu dem, was vor 1934 Rote...


Georg Friesenbichler, geboren 1956, war über drei Jahrzehnte Redakteur der „Wiener Zeitung“, unter anderem als Ressortleiter Außenpolitik und stellvertretender Chefredakteur. Zeitgeschichtliche Publikationen: „Unsere wilden Jahre. Die Siebziger in Österreich“ (2008); zusammen mit Hubert Friesenbichler: „Die drei Leben des Hubert F. Vom jungen Nazi-Gegner zum linken Journalisten. Mit einem Anhang zur Parteipublizistik nach 1945“ (2014)


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