Loerchner / Schickedanz / Christen | 10 Jahre acabus Verlag. Die große acabus Jubiläums-Anthologie | Buch | 978-3-86282-626-1 | sack.de

Buch, Deutsch, 240 Seiten, Format (B × H): 134 mm x 208 mm, Gewicht: 249 g

Loerchner / Schickedanz / Christen

10 Jahre acabus Verlag. Die große acabus Jubiläums-Anthologie

Kurzgeschichten - Lies bunter!

Buch, Deutsch, 240 Seiten, Format (B × H): 134 mm x 208 mm, Gewicht: 249 g

ISBN: 978-3-86282-626-1
Verlag: Acabus Verlag


10 Jahre acabus Verlag -
Dieses Jubiläum begehen wir mit dem, was wir am besten können: Vielen guten Geschichten!

Wird Ali Hoca wie seine 9 Vorgänger verschwinden? Wieso müssen es jetzt 10 Geißlein sein? Was befindet sich in dem geheimnisvollen Koffer und zu welch drastischem Schritt entschließt sich der Todesengel am 10. Tag?
Tauchen Sie ein in vergangene und zukünftige Welten, reisen Sie mit uns durch Deutschland, in die Schweiz, nach Irland, Island und Israel. Begleiten Sie tapfere Helden in die Schlacht, erschaudern Sie mit William Shakespeare im Angesicht des Teufels und ergründen Sie das Geheimnis der 10. Muse.
In diesem Buch präsentieren Ihnen unsere Autoren und Autorinnen Erzählungen aus den verschiedensten Genres.

acabus – Lies bunter!


In dieser Anthologie sind vertreten:
Michaela Abresch
Sabine Adatepe
Gabriele Albers
Brigitte Bjarnason
Thomas Christen
Caroline DeClair
Esther Grau
Sven R. Kantelhardt
Monika Loerchner
Sibylle Narberhaus
Stefan Schickedanz
Heinz-Joachim Simon
Chriz Wagner
Markus Walther
Torsten Weitze
Loerchner / Schickedanz / Christen 10 Jahre acabus Verlag. Die große acabus Jubiläums-Anthologie jetzt bestellen!

Weitere Infos & Material


Am zehnten Tag (Michaela Abresch)

Als ich zu ihnen geschickt wurde, wusste ich nichts über sie. So wie ich nie vorher etwas über diejenigen erfahre, deren Stirn ich mit meinen Lippen berühre, damit sich der Schwellennebel erheben kann. Wenn dieser besondere Glanz ihre Körper umgibt, der ihnen selbst verborgen bleibt.
Die meisten weigern sich, mir einen Raum zu geben, nicht in ihren Gedanken und nicht in ihren Herzen. Sie tun so, als existiere ich nicht, aber stehe ich eines Tages vor ihren Türen, an ihren Betten, zu ihren Füßen oder neben ihren Häuptern, so fahren sie erschrocken zusammen, als hätten sie nicht einmal im Ansatz in Betracht gezogen, mir einst begegnen zu können.
Dieses Mal waren es zwei zugleich. Auch das ist nicht ungewöhnlich, ich bin geübt darin, meine Lippen auf mehrere Stirnen zugleich zu drücken. Bisweilen sind es so viele in ein und demselben Augenblick, an den unterschiedlichsten Orten, dass mir schwindelig werden müsste. Aber ich habe mich im Griff und erledige meine Aufträge zuverlässig – einerlei, wie umfangreich sie sind.
Sie zählten sechzehn Jahre, beide, und waren von gleichem Blut. Ihre Haut hatte die Farbe von Alabaster. Sie hatten kleine Münder, niedliche Nasen und leicht schräg stehende, grüne Augen, die etwas müde wirkten. Jeden Morgen flochten sie einander die Haare zu festen, rotblonden Zöpfen, die daraufhin kerzengerade ihren Rücken herunterhingen, als seien es unberührbare Kunstwerke.
Ihre Namen waren Liv und Lou. Wie der Tintenmacher seine Töchter auseinanderhielt, blieb den Nachbarn und auch den Kunden seiner Werkstatt ein Rätsel, ähnelten die Schwestern einander doch wie ein Schluck Wasser dem anderen. Darüber hinaus erstaunte es alle, dass ein verschrobener Kauz wie der Tintenmacher – klein von Statur, mit schütterem, grauem Haar, das ihm ungepflegt bis auf die Schultern reichte und mit einem Rückgrat so krumm wie eine vom Wind gebeugte Weide – mit derart bezaubernden Töchtern gesegnet war. Ich schließe mich hier nicht aus, doch mir steht es nicht zu, derlei zu hinterfragen.
Sie lebten zu dritt inmitten der Häuserzeile, die sich entlang der von Fuhrwerken und Menschen belebten, schnurgeraden Straße erstreckte und bis zum Marktplatz reichte. Vor langer Zeit hatte der Tintenmacher ein Schild über seiner Haustür platziert, auf dem in schwarzen Druckbuchstaben Ink House geschrieben stand. Nur dadurch unterschied es sich von den Nachbarhäusern, die sich zu beiden Seiten an das des Tintenmachers drängten.
Ich wusste, dass ich die üblichen zehn Tage Zeit hatte. Sie zu betrachten, zu beobachten, in ihrer Nähe zu verweilen. Beim Einschlafen. Beim Aufwachen. Beim Polieren ihrer Schuhe und dem Fegen der Stube. Ich folgte ihnen beim Gang zum Markt, den sie stets gemeinsam unternahmen, in ihren hübschen, karierten oder geblümten Kleidern, die mit weißer Spitze am Rocksaum versehen und immer langärmelig waren. Jeden Mittag bereiteten sie über dem Kochfeuer eine kräftige Suppe zu, die sie anschließend gemeinsam mit dem Tintenmacher an dem langen Eichentisch in der Werkstatt verspeisten. Während sie schweigend und mit gesenkten Köpfen ihre Suppe löffelten, besah ich mir das Sammelsurium um sie herum. In einem Weidenkorb entdeckte ich Galläpfel, daneben zahlreiche, verschieden große, mit Deckeln versehene Gläser, die er beschriftet hatte: Eisensulfat, Pflanzengummi, Lampenöl, Leim, Ruß von verbrannter Nadelholzkohle, Rinden von Weißdorn, Eiche und Birke. Außerdem entdeckte ich eine Balkenwaage mit zwei an Ketten befestigten Zinnschalen, Häcksel, Mörser, Messer, ein Schneidbrett, Rührstäbe aus Holz, eine Reibe, einen Trichter und etliche Quirle. Gleich neben mir in der Zimmerecke gewahrte ich eine mit Stroh gefüllte Holzkiste. Darin lagerten faustgroße, fest mit Schraubdeckeln verschlossene Tintenfässer mit fertig gemischten Tinkturen in all den wundersamen Farben, die der Tintenmacher herzustellen wusste und die von Schreibern im ganzen Land begehrt wurden.


*****

Operation Decem (Gabriele Albers)

Berlin, Februar 2051
Die Gestalt, die sich vor ihr in dem bodentiefen Fenster spiegelte, war nur noch eine Hülle. Ein provisorischer Rahmen für die große Leere in ihr.
»Wir müssen die Friedrichstraße aufgeben, Gwen.« Elli stand neben ihr und schaute zu ihr hoch. Elli. So zierlich. So zerbrechlich, aber mit einer Energie, die für fünfzig Frauen reichte. Während sie selbst – Gwen, eine Frau wie ein Baum, schoss ihr die alte Hänselei durch den Kopf – nur noch nach einem Ort suchte, an dem sie ungestört sterben konnte.
Die Fernglasfunktion ihrer Vidjas erlaubte den beiden Frauen den Blick auf die Kämpfe, die mehrere Häuserblocks entfernt in den Schluchten der Friedrichstraße tobten. Ihre eigenen Truppen, gekleidet in dunklem Violett, hatten den grünen Uniformen der Preußischen Armee in diesem Straßenkampf nicht mehr viel entgegenzusetzen.
Gwen drehte den Spielzeugpanzer in den Händen. Sie hatte ihn für Jérômes zehnten Geburtstag gekauft. Wenn ihr kleiner Bruder Krieg spielte, stand er immer auf der Seite der Gewinner. Ihre ganze Familie stand auf der Seite der Gewinner.
Wann hatte sie die Seite gewechselt?
»Zeit für den Rückzug«, sagte Elli und klang dabei so kühl und gefasst wie immer. Aber in ihren Augen konnte Gwen die Verzweiflung sehen. Noch bevor Elli den Befehl geben konnte, flüchtete ein großer Teil der lilafarbenen Uniformen in fast alle Himmelsrichtungen.
»Das ist jetzt nicht wahr, oder?« Gwen überprüfte ihre Vidja auf einen Fehler in der Anzeige. Aber die Übertragung funktionierte einwandfrei. »Die können nicht einfach abhauen, diese Arschlöcher!«
Um Ellis Mund vertieften sich die Falten. Der Rest ihres Gesichtes blieb völlig unbewegt. »Ich hatte davor gewarnt, uns zu sehr auf Söldner zu verlassen.«
»Die verdammten Söldner werden dafür bezahlt, unseren Frauen den Rückzug zu ermöglichen. Befiehl ihnen, die Stellung zu halten!«
»Zu spät.« Elli war ihr bereits zwei Schritte voraus. Wie immer. Sie hatte den einzig verbliebenen Fluchtweg ausgemacht und die verschlüsselte Vidja-Verbindung zur Kommandantin geöffnet: »Pirco, zurück zum Gendarmenmarkt. Sofort!«
Die Frauen organisierten ihren Rückzug halbwegs geordnet, während die Söldner kopflos durch die Straßen rannten. Die gegnerischen Drohnen folgten den Frauen. Alle, ausnahmslos alle hatten tödliche Fracht an Bord.
Ihre eigenen Drohnen hatte General Gründling mit einem Virus schachmatt setzen lassen. Sie, Elli und all die anderen Frauen hatten gehofft, durch Technik diesen Krieg gewinnen zu können. Ohne eigene Opfer. Wie naiv.
In der Französischen Straße explodierte ein Sprengsatz. Sobald sich der Staub gelichtet hatte, sah Gwen die zerrissenen Körper.
Sie konnte nicht länger zuschauen. Mit einem kurzen Druck auf den Manschettenknopf in ihrem Hemdsärmel schaltete sie die Übertragung der Kämpfe aus. Elli tat es ihr gleich.
Die beiden Frauen kehrten an den Tisch zurück und betrachteten das Modell darauf, das Berlin aus der Vogelperspektive zeigte. Violett leuchteten die Straßenzüge, die sie unter ihre Kontrolle hatten bringen können, grün die anderen. Das östliche Zentrum war nach wie vor komplett violett, genauso wie die Viertel, die von dort nach Osten führten. Dieses Gebiet hatten sie, von Fürstenwalde kommend, in wenigen Tagen erobert. Die Frauen Berlins hatten sich ihnen sofort angeschlossen. Der »Emanzenaufstand«, wie alle Nachrichtendienste sofort getitelt hatten, war auf keinerlei Widerstand gestoßen. Maximilian Freiherr von Bieberstein, der Kanzler, hatte mit ihnen verhandeln wollen. Allein das war ein Riesenerfolg gewesen, wo doch seine AfP erst vor kurzem dafür gesorgt hatte, dass das archaische Frauenbild der Partei Teil der Verfassung wurde: »Der erste, beste und jeder Frau zustehende Platz ist in der Familie. Die vorrangige Pflicht und Aufgabe der Frau besteht darin, ihrem Volk Kinder zu gebären.«
Und dann war General Cornelius Gründling auf der Bildfläche erschienen. Er hatte den bisherigen, glücklosen Verteidigungsminister abgelöst. Man wusste nicht viel von ihm. Er kam nicht aus Berlin, hatte hier weder Familie noch Freunde – aber offenbar das Ohr des Kanzlers.
Und alles änderte sich.


Monika Loerchner, Jahrgang 1983, Religionswissenschaftlerin und Projektmanagerin, trat 2017 mit ihrem Debütroman „Hexenherz“ als Autorin ins Licht der Öffentlichkeit. Zum 10-jährigen Bestehen des acabus Verlags übernimmt sie die Rolle der Herausgeberin für unsere Jubiläums-Anthologie.


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