Nichol | Im Himmel gibt es Coca-Cola | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 448 Seiten

Nichol Im Himmel gibt es Coca-Cola

E-Book, Deutsch, 448 Seiten

ISBN: 978-3-86648-321-7
Verlag: mareverlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Georgien, 2002: Die Kommunisten sind schon lange fort, aber besser geworden ist trotzdem nichts. Es gibt kaum Arbeit, und wenn es Arbeit gibt, gibt es keinen Lohn. Und wenn es doch Lohn gibt, dann liegt das daran, dass die Arbeit . . . vielleicht nicht ganz sauber ist. Aber einen aufrechten Mann gibt es in Georgien, einen, der die Werte hochhält und dem die Korruption nichts anhaben kann: Slims Achmed Makaschwili, seines Zeichens bescheidener kleiner Anwalt beim Seerechtsministerium. Entschlossen, seinem rückwärtsgewandten Land zu neuen Chancen, Effekti­vität, kurzum: zum amerikanischen Traum zu verhelfen, wendet er sich in langen, hingebungsvollen Briefen an Hillary Clinton und malt ihr in schillernden Farben seine Vision eines modernen Georgien aus - immerhin ist die Senatorin Schirmherrin eines Programms, das Unternehmen in ehemaligen Sowjetländern schulen soll in erfolgreicher Geschäftsführung. Allen Unkenrufen und Wahrscheinlichkeiten zum Trotz wird Slims erhört und eingeladen - nach San Francisco! Für sechs Wochen! Diese Reise wird sein Leben und eine ganze Nation verändern. Endlich kann er sich aus der Nähe ansehen, wie der Fortschritt funktioniert. Doch Slims ist noch nicht sehr lang in Amerika . . . da kommen ihm seine laute, keifende Familie und sein gepei­nigtes, feierfreudiges Land gar nicht mehr so blöd vor. Ein großartiger Schelmenroman, eine unwirkliche Satire - und ein Werk von sprühender Fabulierlust und größtem Ideenreichtum.

Christina Nichol, geboren 1970 in San Francisco, studierte Literaturwissenschaften an der University of Florida und der University of Oregon. Sie hat u. a. als Drehbuchautorin für Dokumentarfilme gearbeitet und in zahlreichen Ländern der Welt Englisch unterrichtet, u. a. in Indien, Südkorea, Russland, Kosovo, Kasachstan, Kirgisistan - und natürlich in Georgien. 'Im Himmel gibt es Coca-Cola' ist ihr erster Roman. Rainer Schmidt, geboren 1951 in Mülheim/Ruhr, lebt als Übersetzer aus dem Englischen in Hamburg und Essen. Unter anderen übertrug er Romane von Frederick Forsyth, Mo Hayder, Justin Cronin und Donna Tartt ins Deutsche. Für mare übersetzte er zuletzt 'In guten Kreisen' von Amber Dermont (2014).
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1 Eine Flutwelle von Frauen, groß und vollbusig, in lange schwarze Kleider gehüllt, wälzte sich schwerfällig zum Meer hinunter. Obacht! Geht ihnen aus dem Weg. Die Horde dieser drallen Frauen kam die Hänge herab wie eine Invasionsarmee. In den Minibussen knackten sie Sonnenblumenkerne zwischen den Zähnen und blickten dabei starr geradeaus, interessiert nur an der Sonne und an der Verheißung der See. Am Strand würden alle diese Frauen sonnenbaden. Manche standen dann, ein piroschok in der einen Hand, ein Bier in der anderen, bis an die Schenkel im Wasser und riefen dem kleinen Schako zu, er solle nicht so weit hinausschwimmen. Die aus den Dörfern badeten noch immer in ihren Kleidern, die dann in den Falten an ihren Körpern kleben blieben. Die Luft war heiß. Die Luft war trunken. Die Luft war vergoren zu Sommer, zu einem ernsthaften und entschlossenen Sommer. Es war der 19. August, der letzte Tag der Saison, auch bekannt als Tag der Wende, und alle versuchten, ihren Körper noch zu schwärzen, bevor das Wetter umschlug. Armenier, Aseri, Georgier, sogar Russen wuchteten sich auf den Sommer, den hohen, späten Sommer, und der Sommer ächzte wie ein überladener Tisch. Im Anfang, als Gott das Land unter allen Völkern verteilte, verpassten wir Georgier die Sitzung. Am nächsten Morgen sahen wir uns um und erkannten, dass wir heimatlos waren. »He!«, schrien wir zu Gott. »Was ist mit unserem Land?« »Wo wart ihr denn gestern Abend?«, fragte Er. »Ihr habt die Sitzung verpasst. Ich habe alles Land weggegeben.« »Wir haben was getrunken!«, riefen wir. »Wir haben auf deinen Namen angestoßen!« Darüber freute Gott sich so, dass Er uns alles Land gab, das Er für sich selbst aufgehoben hatte. Deshalb sollen wir uns entspannen und Gottes schöne Erde genießen. Die Armenier sagen: »Wir haben die Sitzung auch verpasst, und uns hat Er nur die Steine gegeben, die Er für sich aufgehoben hatte.« Deshalb ist ihr Land übersät von Steinen, und deshalb machen sie sich jetzt auch an unserem Strand breit. Wir haben jahrtausendelang auf Gottes Land gelebt und seine Schönheit und Fülle genossen, und immer hielten wir eine Hacke in der Hand, um die Wunder Seiner heiligen Erde zu säen und zu ernten. Aber wegen unserer Nachbarn hielten wir in der anderen Hand ein Gewehr. Eines Tages kam Gott, um nachzusehen, wie es allen ging. Er besuchte jedes Land in der Nachbarschaft. Als Erstes kam Er nach Armenien und fragte: »Wie geht es euch? Gefällt euch alles? Schlaft ihr gut? Keine Klagen?« Die Armenier sagten: »Alles ist gut. Wir haben ein feines Leben auf den Steinen, die du uns gegeben hast.« Gott sagte: »Es freut mich, dass es euch so gut geht. Ja, es bereitet mir so gute Laune, dass ich euch einen Wunsch erfüllen werde, was immer es ist.« »Na ja«, antworteten die Armenier, »wie gesagt, wir sind zufrieden. Aber …« Dann machten sie eine Pause und fingen an, sehr demonstrativ nachzudenken und sich dabei mit dem Finger an die Schläfe zu klopfen. »Wenn wir uns wirklich etwas einfallen lassen sollen, dann würden wir uns wünschen, dass du Aserbaidschan vernichtest. Diese Typen versuchen dauernd, uns unseren See zu klauen.« Also ging Gott zu den Nachbarn nach Aserbaidschan, um zu sehen, wie sie zurechtkamen. »Hallo!«, rief Er. Die Aseri hatten alle Hände voll damit zu tun, mit ihren Booten auf dem Kaspischen Meer herumzufahren, zu fischen und den ganzen Kaviar aufzuessen. »Wie geht’s euch da unten?« »Es geht. Gott sei gepriesen.« »Na, und was wünscht ihr euch?« »Wir wären dir wirklich dankbar, wenn du die Armenier dezimieren könntest. Als Nachbarn sind sie wirklich lästig. Sie versuchen immer, eins von unseren Weizenfeldern zu annektieren.« Dann kam Gott nach Georgien. »Der Sieg sei dein! Gaumardschos!«, riefen wir, als wir Ihn sahen, und streckten unsere weingefüllten Widderhörner in die Höhe. »Wir küssen dich!« Wir waren bereits sehr glücklich über Seine Großzügigkeit, und als Er uns fragte, was wir uns wünschten, sagten wir, wir brauchten weiter nichts. »Wir bitten um nichts«, riefen wir. »Es reicht, wenn du Armenien und Aserbaidschan ihre Wünsche erfüllst.« So geht die Geschichte. Man sagt, um die Geschichten in unserem Herzen lebendig zu erhalten, müssen wir sie einander weitererzählen, denn wenn man Geschichten nur hört, aber nicht weitererzählt, wird man wie der Mann, der nur Trauben pflückt, die Reben aber nicht beschneidet, wie einer, der erntet, aber nicht sät. Dann kann es sein, dass man erstarrt und leicht in die Irre zu führen ist. Wenn es in den alten Zeiten so weit war, dass ein Junge seine Geschichte erzählen sollte und er nicht wusste, wie er anfangen sollte, wenn sein Mund nicht funktionierte, als wäre er voller Steine, dann sagten die Ältesten, die um das Feuer saßen: »Du muss so anfangen: Es war einmal. Es war einmal. Es war keinmal.« So fängt jede Geschichte an. Es bedeutet, dass etwas, das einmal wahr war und vielleicht sogar ein zweites Mal wahr war, nicht unbedingt auch beim dritten Mal wahr ist. In Georgien war es einmal wahr, dass wir nur ein Leben haben und es deshalb nicht mit dem Streben nach materiellen Gütern verschwenden sollen. Es war außerdem wahr, dass wir im Paradies lebten. Aber es erforderte Hartnäckigkeit, sich jeden Tag daran zu erinnern, dass wir im Paradies lebten. Wir haben hier Tanz, Liebe, Wein, Sonne, eine uralte Kultur und Schönheit. Aber kein Geld. Deshalb sind wir ein bisschen aus der Mode gekommen, denn heutzutage regiert Geld die Welt. Daher habe ich beschlossen, die Geschichte meines Landes weiterzuerzählen, um inmitten von Lebensbedingungen, die extrem schwierig geworden sind, ein bisschen Hoffnung in unseren Herzen lebendig zu erhalten. Hauptsächlich aus diesem Grund war ich gerade dabei, den folgenden Brief in englischer Sprache aufzusetzen:

19. August 2002 Sehr geehrte Frau Clinton, mein Name ist Slims Achmed Makaschwili, und ich komme aus der Kleinstadt Batumi am Schwarzen Meer. Es ist eine sehr kleine Stadt. Man kann sagen, sie ist schön und sonnig. Für mich ist es die Stadt. Aber dann kamen mir Bedenken: Was wäre, wenn Hillary noch nie von Batumi gehört hätte? Ich wollte nicht, dass sie sich unwissend vorkam, auch wenn sie eigentlich von uns gehört haben sollte, denn Inga Tscharchalaschwili und Maia Lomineischwili – zwei berühmte Georgierinnen – haben mit großem Erfolg an der Internationalen Schachmeisterschaft in Batumi teilgenommen. Ich schrieb also weiter: Batumi ist eine Kleinstadt, von der nicht viele Leute wissen. Das weiß ich, denn ich habe Batumi im Internet gesucht, und dort war nur ein Bild von der Palme zu finden. Der Tourist hat geschrieben: »Die Stadt sieht aus wie abblätternde Farbe.« Das liegt daran, dass wir uns in einer Neubauphase befinden. Der örtliche Diktator reißt die alten Gebäude ab und lässt viele Rasenflächen anlegen, weil sich niemand mit einer Pistole hinter einem Rasen verstecken kann. Dazu kommt, dass die geistlichen Führer Meditationshütten aus dem 12. Jahrhundert bauen. Wir machen Fortschritte im zivilen und im religiösen Bereich. Wir haben sogar eine Bank. Es ist eine glänzende und moderne Bank, aber es ist kein Geld mehr darin. Die neuen Zertifizierungsanforderungen von 1998 haben die Zahl der Banken von 200 auf 43 verringert. Ich glaube wirklich, wir brauchen ein bisschen Hilfe hier drüben auf dem Land, vor allem ich! Besonders weil Georgien ein christliches Land ist, und es ist schwierig, in einem christlichen Land einen muslimischen Namen zu tragen! Mit einem georgischeren Namen wie zum Beispiel Dawito, Dato, Temuri oder Toto könnte ich eine höhere Position in der Verwaltung kriegen. Aber jetzt komme ich zu einer wichtigeren Information. Ich will Ihnen erklären, wieso Batumi ein natürlicher Hafen ist. Der Hafen liegt am Ende der Eisenbahn aus Baku und wird hauptsächlich für Erdölprodukte benutzt. Unsere Stadt rühmt sich, acht Liegeplätze zu haben, und zwar mit einer Gesamtkapazität von 100000 Tonnen allgemeiner Ladung, 800000 Tonnen Schüttgut und sechs Millionen Tonnen an Öl- und Gasprodukten. Zu den technischen Anlagen gehören Portalkräne und Kranbrücken für das Verladen von Containern auf Güterwagen. Wie Sie sehen, bietet Batumi Ihnen und Ihrem Land großartige Geschäftschancen! Aber dann dachte ich noch einmal darüber nach, was ich geschrieben hatte. Schließlich töteten die Erdölprodukte alle Fische. Ich lehnte mich auf dem Kaffeehausstuhl zurück und schaute auf das Meer hinaus. Die philippinischen und türkischen...


Christina Nichol, geboren 1970 in San Francisco, studierte Literaturwissenschaften an der University of Florida und der University of Oregon. Sie hat u. a. als Drehbuchautorin für Dokumentarfilme gearbeitet und in zahlreichen Ländern der Welt Englisch unterrichtet, u. a. in Indien, Südkorea, Russland, Kosovo, Kasachstan, Kirgisistan – und natürlich in Georgien. "Im Himmel gibt es Coca-Cola" ist ihr erster Roman.
Rainer Schmidt, geboren 1951 in Mülheim/Ruhr, lebt als Übersetzer aus dem Englischen in Hamburg und Essen. Unter anderen übertrug er Romane von Frederick Forsyth, Mo Hayder, Justin Cronin und Donna Tartt ins Deutsche. Für mare übersetzte er zuletzt "In guten Kreisen" von Amber Dermont (2014).


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