Pfeil | Pfeil, W: Sommertag im Krieg | Buch | 978-3-95768-208-6 | sack.de

Buch, Deutsch, 240 Seiten, Format (B × H): 139 mm x 217 mm

Pfeil

Pfeil, W: Sommertag im Krieg

Buch, Deutsch, 240 Seiten, Format (B × H): 139 mm x 217 mm

ISBN: 978-3-95768-208-6
Verlag: Olzog


Kosovo, 12. Juni 1999. Mit der 'Operation Joint Guardian', dem D-Day im Kosovo, beginnt der Einmarsch der Bundeswehr im Rahmen der KFOR-Mission in den südwestlichen Teil des ­Kosovo. Die NATO-Sicherheitstruppe Kosovo Force, kurz KFOR, soll den Abzug der jugoslawischen Truppen und die Entmilitarisierung des Kosovo überwachen und für ein ­sicheres Umfeld sorgen. Einer von ­ihnen ist der Berufssoldat Werner Pfeil, der sich seit Monaten in Mazedonien mit der 3. ­Kompanie des verstärkten Jägerbataillons auf den Einsatz vorbereitet.
Zwanzig Jahre danach beschreibt er als ­Kommandant eines Führungspanzers den Tag des ­Einmarsches ins Kriegsgebiet, seinen D-Day in Richtung Zwischen­ziel Prizren im Kosovo. Ungeschminkt erzählt Pfeil über die emotionale Seite während des Einsatzes. Dabei reflektiert er seinen Seelenzustand in einer ­bemerkenswerten Offenheit. Ängste, Unwägbarkeiten und die Hilflosigkeit einigen Erlebnissen gegenüber zeigt er schonungslos auf. Es ist der Kontrast zwischen dem friedlichen Leben in Deutschland und der ­Angespanntheit in der Kriegsregion, die pure Angst, der Situation ausgeliefert zu sein, die Ungewissheit über das nächste Ereignis, die fast nicht aushaltbar scheint. Die Akteure wissen zwar, was zu tun ist, aber mit der Verarbeitung der potenziell trauma­tisierenden Erlebnisse werden sie alleine gelassen.
'Ich spürte Übelkeit, hatte plötzlich Angst. Sie machte sich vom Zeh bis in den Kopf breit wie ein Tsunami. Erst kleinere Wellen, dann immer größer werdend, bis sie über mir zusammenschlugen. Der Puls raste, und obwohl ich tief atmete, blieb die Sorge, nicht ausreichend Sauerstoff zu bekommen. Ich war gefangen – in der Situation, im Panzer und in der engen Luke. Die flirrende Hitze, die nach mir griff und mich umarmte, machte es nicht besser. Ich hasste das Wetter, die vom Schweiß getränkte Kleidung, die starre Schutzweste … einfach alles. Die Vibration des Motors unter Belastung und die schlechte Piste schüttelten uns von den Füßen beginnend, über die Schenkel bis in die Halswirbel durch. Ich atmete flach, als wenn mir das Gefühl des Gefangenseins zu wenig Platz bot.
Das Herz schlug wie wild, der Kopf leerte sich zunehmend, keine Gedanken, nur noch nackte Angst. Ich kämpfte gegen das Versinken in Apathie … war regungslos wie das Kaninchen vor der Schlange.'

Werner Pfeil wirft einen unverblümten Blick in die Seele eines Soldaten während des Kampfeinsatzes. 'Ich will den Leserinnen und Lesern deutlich machen, wie man Krieg und Zerstörung erlebt, wie diese Erlebnisse sich auf die Gemütsverfassung auswirken und wie leicht man Gefahr läuft, in der Vergangenheit zu verharren.' Ein Tatsachenbericht über die Zerrissenheit eines Soldaten zwischen Diensterfüllung und emotionaler Überforderung.
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Inhalt

Über den Autor
Prolog
Erinnerungen im heimischen Garten
Wie es begann
Griechenland
Mazedonien
Operation Joint Guardian beginnt
Einmarsch
Zwischenziel Prizren erreicht
Die erste Nacht im Kriegsgebiet
Epilog
Erläuterungen des Autors
Dank
Bildnachweis


Auszug aus dem Kapitel: Die erste Nacht im Kriegsgebiet

Plötzlich wurde die Hecktür unsanft aufgerissen und der S-2 Offizier des Bataillons, ein junger Oberleutnant, der für die Beurteilung der Feindlage, Nachrichtengewinnung, Aufklärung, militärische Sicherheit und Geo-Information zuständig war, unterbrach die Befehlsausgabe.
'Der Bataillonskommandeur will sofort einen Spähtrupp vorn am Gefechtsstand haben.'
'Ich kann das übernehmen', sagte einer der Spähtrupp­führer mit falscher Unterwürfigkeit und einer Kameradschaft, von der er in meinen Augen bislang keinerlei Kostproben in die Waagschale geworfen hatte, 'falls nichts dagegenspricht', schob er noch nach, was sich wie eine Entschul­digung anhörte.
Ich überwand den Impuls, ihm vors Schienbein zu treten.
'Ruhig, nicht so hastig. Worum geht es?' Bounty schaute ihn wütend an. Er liebte keine Störungen.
'Man hat angeblich zwei Stern-Reporter am Dulje-Pass erschossen.'
Erschrockene Gesichter, betretenes Schweigen. Ich sah von oben nur hängende Köpfe. Trauer und Erschütterung waren spürbar und machten die Enge des Panzers deutlich fühlbarer.
'Gibt es dazu vielleicht nähere Informationen?' Ungeduldig und fordernd sah er den taufrischen Offizier an.
'Nach Berichten von einigen Reporterkollegen wurden die beiden bereits gestern in einen Hinterhalt gelockt. Der Täter hatte sich ihnen mit dem Versprechen angedient, sie zu einem Massengrab zu führen. Stattdessen hat man sie erschossen. Die Angaben konnten bisher nicht verifiziert werden, sodass ich sie weder bestätigen noch dementieren kann. Mehr haben wir auch nicht.'
'Verdammt! Tragisch! Aber was können wir tun? Zwischen hier und dort stehen einige Tausend Serben. Von der Minengefahr und den marodierenden UÇK-Kämpfern ganz zu schweigen.'
'Ein serbischer Verbindungsoffizier wird den Trupp begleiten. Freies Geleit wurde zugesagt … also was ist … der Kommandeur wartet nicht gern und die Brigade sitzt uns im Nacken. Die Leichen müssen da weg. Hat zu Hause bereits Kreise über die Medien bis ins Ministerium gezogen und für erhebliche Unruhe gesorgt', schon schlug er die Tür heftig zu.
'Arrogantes Arschloch', sagte ich laut und erntete zustimmende Blicke.
Wie kann so etwas passieren? Waren die lebensmüde, sich dorthin zu wagen? Es sollte ihnen doch klar gewesen sein, dass eine unkalkulierbare Anzahl Soldaten und Freischärler umherzogen. Die meisten bewaffnet, einige sicherlich auch betrunken. Wütend auf alles Albanische oder Serbische, auf die NATO und besonders auf die Journalisten, denen sie ankreideten, mit ihren Fake-Berichten den Einsatz erzwungen zu haben.
Bounty grübelte kurz, dann schien er einen Entschluss ­gefasst zu haben. Wieder eine Detonation, diesmal nicht weit weg, schätzte ich. Bekomme deshalb nicht mit, was der Chef befiehlt. Erst als sich einer der Hauptfeldwebel aus dem Panzer zwängte und zu seiner Besatzung ging, wusste ich, dass er eine offizielle Entscheidung gefällt hatte.
'Ich bin mir sicher, der Auftrag ist in guten Händen', sprach Bounty leicht säuerlich zu dem, der sich vordrängeln wollte und der schmollend in der Ecke saß.
Ich liebe das Geräusch noch heute, obwohl es eigentlich kaum wahrnehmbar ist, wenn ein leichter gepanzerter Spähtrupp an einem vorbeirollt. Mit Wehmut dachte ich daran, liebend gern auch wieder auf diesem achträdrigen Gefährt zu sitzen, aber die Zeit als Spähtruppführer ist vorbei. Bin schlicht und ergreifend zu alt. Etwas traurig blickte ich beiden Spähpanzern Luchs hinterher.
Nach 15 Minuten waren die Zugführer eingewiesen, der Auftrag zur Sicherung des Erkundungskommandos erteilt und es kehrte Ruhe im Panzer ein, der nun schon seit mehreren Tagen meine zweite Haut darstellte. Eine, die mich bisher gut geschützt hat und hoffentlich weiterhin schützen wird.
'Was ist, wollen wir die Küche anfeuern?', frotzelte ­Tommi, als alle wieder zu ihren Teileinheiten unterwegs waren.
'Was steht auf dem Plan? Welcher Typ?' Fragend drehte sich Günni, mit einer Hand auf der Verpflegungskiste, um. Für Laien sicherlich nicht leicht verständlich, Soldaten aber wissen, dass sich hinter der Nummer der Typenbezeichnung ein Ravioli-, Gulasch-, Hamburger-, Linseneintopf- oder Tortellini-Gericht im deutschen Einmannverpflegungs­paket, dem bekannten EPA, versteckt.
Zur Feier des Tages schwenkte ich zwei bräunliche amerikanische 'Meal’s ready to eat'-Beutel, kurz MREs genannt, dem Pendant zum EPA, die ich aus meiner Privatkiste auf dem Dach des Panzers gezogen hatte.
'Oh … wo hast du die wieder gemopst?', neugierig riss Tommi sie mir aus der Hand.
'Wer hat, der hat.' Mehr verriet ich nicht, denn ein ­Geheimnis war bei mir immer gut aufgehoben.
'Was ist drin?', seine Neugier schien geweckt.
'Four Fingers of Death' meine knappe Antwort.
'Hölle, was ein Fraß', maulte Günni, als wir die Pakete zubereiteten.
Die Amis übertreiben maßlos mit ihren Nicknames, fanden wir drei, nachdem uns die Wiener Würstchen mit Bohnen in Tomatensoße geschmeckt hatten. Ich wollte ihnen den Appetit nicht nachträglich verderben und verschwieg deshalb, dass es sich um MREs aus anno 1987 handelte. Sie waren, um die Ehre meiner Person und die des amerikanischen Kameraden – von dem ich sie hatte – zu retten, zwölf ­Jahre haltbar.
'Hat der Alte was gegessen?', fragte Günni fürsorglich.
'Keine Ahnung, wo er steckt' antworte ich.
'Mir egal. Bin nicht sein Kindermädchen. Ist alt genug. Ist übrigens nach vorn zum Gefechtsstand, hören, was uns im neuen Raum erwartet', murrte Tommi und legte sich auf den Boden zwischen die Sitze, um ein wenig zu schlafen. Den Funkdienst übernahm ich in der Zeit.
'Günni, sieh zu, dass du den Kopp ein paar Stunden dichtmachst. Wer weiß, wie lange wir hier noch stehen.'
Ich saß auf einem der Klappsitze im hinteren Kampfraum, die Füße auf dem gegenüberliegenden abgelegt. Recht gemütlich, allerdings gibt es in einem Gefechtsfahrzeug überall Ecken und Kanten, an denen man sich stoßen kann. Unter meinen Beinen sah ich auf Tommis Brustkorb, der sich bereits nach kurzer Zeit gleichmäßig hob und senkte. Günnis penetrantes Schnarchen deutete an, dass auch er im Land der Träume weilte.
Die Funkwache taugte, um munter und hellwach zu bleiben. Allerdings wurde die Luft im Panzer irgendwann zu stickig, sodass ich mich aus der Luke schob. Die Isomatte legte ich so, dass ich bequem sitzen konnte, und ließ die Beine nach innen baumeln. Ich schloss die Augen und das Letzte was ich sah, waren die Lichter der Stadt, die dem unteren Rand des Himmels einen körnigen, gelblich-roten Schimmer verliehen, bevor die Dunkelheit den verblieben Rest dieses ereignisreichen Tages verschluckte.
Ein lang gezogener Schrei riss mich aus den Gedanken. Krampfhaft hatte ich die Schultern hochgezogen, als wollte ich damit die Ohren verschließen und den Schrei abschütteln. Ich lauschte, aber es war nichts mehr zu hören. Doch. Das Zirpen der Grillen und das Fiepen des Funkgerätes und das Gemurmel aus dem Innern des Panzers. Prizren kam nicht zur Ruhe. Immer wieder peitschten Schüsse durch den warmen späten Abend. Einige aus Freude über die Befreiung, es mochten auch welche dabei sein, die töten sollten. Da war ich mir sicher. Am Knall waren sie nicht zu unterscheiden.
Zuckte ich noch am Nachmittag, als wir die Stadt erreichten, bei jedem Geräusch heftig zusammen, kam ich mir mittlerweile abgebrüht vor. Erstaunlich, dachte ich und war aufgrund dieser Erkenntnis ein wenig erschrocken. Ich glaubte, automatisch zu wissen, wo geschossen wurde, was zwischen mir und dem vermeintlichen Ort des Geschehens lag und auch, ob mir Gefahr drohte oder eher nicht.
Der Äther schwieg wie meine Kameraden. Ab und an ein Rauschen und Knarren. Es gibt Augenblicke, die erlauben einen Blick tief ins Innere der Seele. Dieser in der frühen, sternfunkelnden Nachtstunde von Prizren, in der die Sonne innerhalb weniger Minuten untergegangen war, schien so einer zu sein. Gedanken schossen mir durch den Kopf. Sie schweiften zwischen dem Hier und Jetzt und dem, was vor Monaten war und was kommen mochte. Wie ein Karussell drehten sie sich.
Heimweh, Sehnsucht, Wut auf den Job, der derlei ­Gefühle erst möglich machte. Nichts Neues, beruhigte ich mich, ­zählte ich doch zu den alten Hasen in der Kompanie. IFOR und SFOR. Die dazugehörigen Medaillen schmückten ­bereits die schlichte Hab mich lieb-Ecke, die ich mir nicht wie andere Kameraden im Büro, sondern in der Auto­garage zu Hause eingerichtet habe. Meine beiden Kinder vermisste ich immer, selbst wenn ich nur einen Tag von ihnen getrennt war. So auch heute. Ich trug sie ständig bei mir. Im Deckel der Kiste mit allerlei nützlichen und unnützen Dingen im Panzer, laminiert in Kleinformat am Kettchen der Erkennungsmarke, die ich nur zum Duschen ablegte. So waren sie mir nah, aber ich wünschte, dass sie das, was ihr Foto gesehen hatte, niemals wirklich sehen sollten.
Da war ein weiteres Gefühl, eins, das ich kannte. Es ­erschien erstmals, als ich Ende Mai in einer Besprechung ­hörte, dass es Überlegungen gab, unser Kontingent vor ­einem möglichen Einmarsch durch ein frisch ausgebildetes abzulösen. Ich war darüber sehr enttäuscht. War das normal? Mensch, Alter … nach Hause zurück, zur Familie, zu Freunden. Das hat doch was … oder nicht? Ich war nicht der Einzige, den diese Frage beschäftigte. Das merkte ich schnell, als die Information die Runde im Kameradenkreis machte. War ich kriegsgeil und wollte hier etwas Begonnenes zu Ende bringen?
Es war nicht mein Wunsch, dass ich als Soldat in ein Szenario verwickelt werde, das man im Allgemeinen als Krieg bezeichnet und für das ich ausgebildet war. Natürlich hätte ich gern verhindert, dass es Ernst wurde … dass ich schießen musste oder unter Beschuss geriet. Wir wussten alle, dass es passieren konnte, und ich war des Wartens darauf müde und verstand die Diskussionen nicht, die wegen eines vorzeitigen Kontingentwechsels geführt wurden.
Warum unerfahrene Soldaten in das Land schicken, wo wir vor Ort waren, uns wochenlang akklimatisiert hatten, uns auskannten und hoch motiviert an die Sache herangingen? Vergessen die Stunden in Mazedonien, als wir die Grenze zum Kosovo sicherten, um zu verhindern, dass sich die serbische Armee ein Faustpfand nahm. Vorbei die quälenden Nächte, in denen die Kampfflugzeuge hoch über den Panzern in den Stellungen ihre Waffensysteme auslösten, die dann wie Sternschnuppen in Richtung ihrer Ziele flogen und wir nicht schlafen konnten.
Es war unsere Show und die durfte man uns nicht nehmen. Warum mir die Wochen zurückliegender Problematiken gerade jetzt durch den Kopf schossen, wusste ich beim besten Willen nicht, zumal ich ja nun Bestandteil dieses Krieges war. Die Gedanken schweiften umher …. immer weiter, ließen nichts aus.
Kommt nun die Zeit, in der du töten musst? Wo ich, um mich oder einen Kameraden zu schützen, zur Schussab­gabe gezwungen werde? Einen tödlichen Schuss abgeben, der das Leben eines Menschen beendet, der vielleicht Kinder hat so wie ich selbst? Es gab keinerlei Entschuldigung, denn ein Treffer nahm unweigerlich und endgültig irgendeinem das Liebste. Er machte dabei keinen Unterschied zwischen den Gefühlen eines Ehemannes, einer Ehefrau, eines Vaters, ­einer Mutter oder sonstiger Anverwandten. Tot blieb tot.
Bisher hatte ich die Visiereinrichtung meines Gewehrs auf Pappscheiben ausgerichtet. Okay … in Bosnien hatten wir einmal in die grobe Richtung geschossen, aus der das Feuer kurz auf uns eröffnet wurde, aber das war eine Ausnahme geblieben. Hier, in dem aktuellen Szenario, konnte sich das innerhalb von Sekunden ändern. Einige Kameraden waren ja schon in eine Gefechtssituation geraten.
Wir hingen doch alle am Leben, taten unsere Pflicht, wie es Jahrhunderte vor uns jeder Soldat getan hatte. Sollten wir schlechter sein als diese? Hinterfragte ich mein Handeln zu sehr?
Ich hatte mich bereits vor dem ersten Einsatz mit dem Thema Tod, Verwundung und Schussabgabe auseinandergesetzt und beschlossen: Ja, ich werde, sofern es nicht vermeidbar ist, schießen. Ich bin auch heute noch der Meinung, dass man in dem Augenblick, wenn man eine Waffe in die Hand nimmt, so eine bedeutungsvolle Entscheidung mit ungeheurer Tragweite für sich treffen sollte. Nicht auszudenken, was passieren würde, müsste man sich in einer gefährlichen ­Situation mit dem Gewissen und was weiß ich nicht alles abstimmen, ob man gewillt war, von der Schusswaffe Gebrauch zu machen. Mein Entschluss stand unerschütterlich fest, bevor ich erstmals ein Magazin in die Waffe einführte.
Die Hecktür quietschte und riss mich aus den Gedanken. Bounty war zurück und ich hatte ihn nicht kommen hören.
'Los! In fünf Minuten will ich alle Teileinheiten vorm Panzer stehen haben. An Ausrüstung gehen mit: Handwaffen, Bristol, Helm, Funkgeräte. Jeder trägt Handschuhe, ­ansonsten kein überflüssiger Kram. Es gibt Arbeit.'
Tommi, der heftig aus dem Schlaf gerissen wurde, schlug sich beinahe den Kopf an einem der hochgeklappten Sitze. Im Halbschlaf erhob er sich, rollte Isomatte und Schlafsack zusammen und schickte sich an, traumwandlerisch Waffe und Gerödel aus den Halterungen zu nehmen.
'Lass sein. Du bleibst hier', entschied ich kurzerhand. 'Solange auch nur einer unserer Trupps unterwegs ist, halten wir die Frequenz besetzt. Die Jungs sind allein da draußen und wir der einzige Ansprechpartner. Also Funkwache … da führt kein Weg dran vorbei und da kann Bounty sagen, was er will.'
Ich kletterte müde vom Bock, ließ mir meine Ausrüstung herausreichen und begab mich zu den bereits eingetroffenen Kameraden.
'Prizren kommt nicht zur Ruhe' begann der Chef thea­tralisch. 'In einer Stunde sind zwei Konvois der Serben angemeldet, die Schwerverwundete und Tote transportieren. Der Kommandeur hat dem Verbindungsoffizier zugesichert, dass sie den kurzen Weg durch die Stadt nehmen können, um die sanitätsdienstliche Folgeversorgung so schnell wie möglich zu gewährleisten. Die anderen Routen sind eh schon überlastet. Ihr wisst selbst, wie es auf der ­Hauptstraße aussieht. Die feiern dort, als wenn es kein Morgen gibt. Alle – ausgenommen Kraftfahrer, die ne Mütze Schlaf brauchen – folgen mir zu Fuß. Wir werden auf 350 Meter Länge beiderseits der Straße, die parallel zum Fluss Lumbardh verläuft, im Abschnitt zwischen Verwaltungsgebäude und Amts­gericht Aufstellung nehmen. Versetzt, Abstand zehn. Mal ­sehen, wie weit wir mit dem Personal kommen. Links von uns bis zum Shadërvan-Platz stehen die Männer des verstärkten mechanisierten Bataillons. Das Ganze sollte in ein bis zwei Stunden gegessen sein.'
Es maulte niemand, was mich verwunderte. Einige Herren waren bisher der Meinung gewesen, dass Aufträge, die abgesessen durchgeführt werden mussten, nur etwas für die Heckklappenviecher, wie sich die Infanteristen schon mal selbst scherzhaft nannten, gedacht waren. Nichts für Spähpanzerbesatzungen. Unter gegenseitiger Sicherung marschierten wir die Straße namens de Rada nach Süden, bis wir nur noch langsam vorankamen, da die Häuser, an denen wir vorbeigingen, immer mehr Menschen auszuspucken ­schienen.
Ich hatte die Befürchtung, dass man mir, wie in einigen Szenarien an der Truppenschule in Hammelburg demon­striert, die Waffe oder das Magazin entreißen würde. Ich hielt sie fest mit dem Magazinboden gegen den Bauch ­gepresst in der Position, die zum Abdrängen von Personen geeignet ist, sodass die Rippen und die Finger schmerzten. Völlig verkrampft zog ich Fuß vor Fuß.
Ja, es waren alles freundliche Menschen, Männer, Frauen und Kinder, die um uns herum tanzten, lachten und sangen. Zu kurz jedoch die Distanz, um einen Angriff aus deren Mitte heraus rechtzeitig zu erkennen … und wusste ich überhaupt, wem ich von all den Feiernden trauen konnte? Ich verneinte innerlich die Möglichkeit, den Stadtbewohnern das kostbare Gut Vertrauen zu schenken, und setzte die Hoffnung stattdessen wie so oft in die Kameraden an meiner Seite.
Es dauerte, bis die Soldaten unserer Kompanie – wie an zwei Perlenketten aufgezogen – ihre Plätze eingenommen hatten. Ich ging die Strecke ab, dirigierte den einen oder anderen um, weil mir die Lücken zu groß beziehungsweise zu gering erschienen. Es gelang uns peu à peu, die feiernden Kosovo-Albaner an die Straßenränder zu drücken. Sie dachten wohl, dass weitere NATO-Kräfte auf dem Weg in die Stadt seien. Dass es sich um Serben handelte, verschwiegen wir ihnen.
Hinter uns gurgelte der Lumbardh, auf Albanisch auch Bistrica e Prizrenit und Serbisch Prizrenska Bistrica genannt, im breiten Bachbett. Ein Fluss – drei Namen. Einer der Hinweise, dass man sich hier schon über einen langen Zeitraum selbst sprachlich nicht verständigen konnte. In ­unserem Sprachgebrauch prägte sich Bistrica besser ein, sodass wir zukünftig nur noch diese Bezeichnung verwendeten. Der Fluss entspringt etwa zehn Kilometer östlich, in ­unmittelbarer Nähe des Straßenpasses Prevalac, an dem später der Checkpoint Snow-Leopard eingerichtet wurde. Von dort hat er im Laufe von Millionen Jahren ein tief eingeschnittenes Tal in westliche Richtung gegraben. Ein eher unscheinbares Flüsschen, wie mir schien, jedoch zeugten große Gesteinsbrocken im Flusslauf davon, dass es während der Schneeschmelze im Frühjahr oder nach starken Regenfällen im Herbst zu einem reißenden Strom werden konnte. Südlich des Tales erhob sich das dicht bewaldete Šar ­Planina Bergmassiv mit Bergen, die mit 2000 Meter Höhe eine natürliche Grenze zwischen dem Kosovo und Mazedonien darstellten. An der engsten Stelle der Schlucht lag das serbisch-orthodoxe Erzengelkloster, das seit dem Nachmittag von unseren Kräften bewacht wurde. Es beherbergte das Grab des serbischen Zaren Dušan, dem Mächtigen, und war durch die NATO als schützenswertes Objekt ganz oben auf die Liste gesetzt worden. Der Talausgang wurde durch eine im 14. Jahrhundert erbaute Festungsanlage gesichert, die sich oberhalb des Klosters befindet. Zur Anlage gehört auch die in byzantinischer Zeit errichtete Kalaja-Festung. Undeutlich hoben sich die Mauern der alten Burg, die wie ein steinerner Wächter über der Stadt thront, in der Dunkelheit des Neumondabends vor dem nur um Nuancen helleren Hintergrund ab.
Ich ließ den Lichtkegel der Taschenleuchte, der sich finger­gleich den Weg durch die staubige Luft bahnte, entlang des tief eingeschnittenen Bachbetts gleiten. Von dort sollte keine Gefahr drohen. Ich stoppte abrupt, als ich eine fette Ratte, die in meine Richtung witternd die Nase hob, anleuchtete. Am Rande des trüben Kreises, den der Lichtschein der ­Maglite warf, lag etwas. 'Fuck!', entfuhr es mir und ich dachte: 'Lass es nicht das sein, was ich denke, das es ist.' Dann hielt ich den Atem an und beruhigte mich Sekunden später. Nur eine tote Ziege, an der sich die katzengroßen ­Nager zu schaffen machten. Ich drehte am Kopf der Lampe, bis ich sie auf einen Punkt justiert hatte. Der Kadaver lag nun im gebündelten Licht, wie mit einem Spot angestrahlt, zwischen zwei Felsbrocken auf dem Präsentierteller. Nicht eine, nein, zig Ratten hatten am gedeckten Tisch Platz genommen.
'Auf frischer Tat ertappt', grinste ich, als sie in alle Himmelsrichtungen auseinanderspritzten und somit den Tatort verließen. Einige, die sich wohl im Inneren an Leckereien labten, waren als Nachzügler genauso schnell in irgendwelche Löcher verschwunden wie ihre Spießgesellen.
'Lichtscheues Gesindel', spottete ein junger Soldat neben mir, der mich beobachtet hatte. Dann nahm ich meinen Posten in der Kette ein.
Die Stimme von Tommi erscholl im Lautsprecher des trag­baren Funkgeräts.
'Was gibts', antwortete ich auf einer Frequenz, die nur von uns intern genutzt wurde und ich somit auf eine ­korrekte Betriebssprache verzichten konnte.
'Der serbische Sanitätskonvoi dürfte spätestens in zehn Minuten bei euch eintreffen. Hab ich gerade auf dem Führungskreis mitgehört.'
'Bullshit! Zu früh. Das geht doch in die Buchse. Können die den noch stoppen?'
'Negativ. Ende.' Eine absolut unbefriedigende Antwort, wie ich fand.
Die zu erwartende Katastrophe, nicht die erste heute, lief wie ein Quentin-Tarantino-Film vor meinen Augen ab. ­Herausgerissene Pflastersteine, Spucke, die in den Nasen der Feiernden hochgezogen auf Hauben und Autodächer flog, geschwungene Baseballschläger trafen Scheiben, ließen sie zersplittern, so wie am Nachmittag kurz nach unserer ­Ankunft am Feldlager Progress.
Wir warteten auf Bounty, als sich ein alter Opel Astra, vollgepackt mit allem Hab und Gut einer serbischen ­Familie, auf der Nebenstraße, die am Fabrikgelände mit dem Brigade­gefechtsstand vorbeiführte, aus der Stadt mogeln wollte. Die Insassen hatten nicht damit gerechnet, wie rasch aus feiernden Menschen ein blutrünstiger Mob werden ­konnte. Gestern Nachbarn, heute erbitterte Feinde. Vor Monaten war man vermutlich gemeinsam der Arbeit auf dem Feld oder in einer der wenigen Fabriken nachgegangen. Hatte Gemüse und Obst bei dem jeweils anderen gekauft, zum Feierabend im Garten gegrillt. Vielleicht Fußball geschaut, während die Damen nebeneinander beim Friseur saßen. Die Kinder hatten womöglich im gleichen Kindergarten und in ein und derselben Schulklasse gespielt und gelernt. Was ging nur in den Köpfen dieser Menschen vor?
Die Frau auf dem Beifahrersitz erwischte ein Pflasterstein, der mit angestauter Wut und voller Kraft geschleudert durch die Windschutzscheibe krachte und ihr eine Platzwunde an der Stirn zufügte.
Ich hatte allerdings keinen Blick übrig für die ­Verletzte, zumal ich die Wunde nicht als schwerwiegend oder lebens­bedrohlich einschätzte, denn ich richtete die ganze Aufmerksamkeit auf den Fond. Dort saß ein ängstlich in den Sitz gepresstes, vielleicht sieben Jahre altes Mädchen. ­Schwarze, glatte kurz geschnittene Haare, ein niedliches Gesicht in ­einem rotblauen Strickpullover. Mehr konnte ich nicht ­sehen, aber die schreckensweiten Augen und den geöffneten Mund werde ich wohl nie vergessen. Ein Anblick, der sich tief in meine Seele brannte. Der Kraftfahrer trat aufs Gas, die Gruppe schreiender, tobender Kosovo-Albaner ­spritzte auseinander und dann war das Auto hinter der nächsten Ecke verschwunden. Was zurückblieb, waren die Kinder­augen und die Blicke, die mir dieses kleine unschuldige Mädchen zuwarf. Ein betäubendes Starren, weit aufgerissene, leere Augen, hilflos, ängstlich ohne Schutz auch, weil ich ihr nicht helfen konnte. Ein grausames Gefühl der Ohnmacht, der Wut, das im krassen Gegensatz zur Fähigkeit stand, die Situation mithilfe der mir zur Verfügung stehenden Mittel zu beeinflussen. Gewollt und nicht gekonnt. Keine ­Chance, etwas für die Familie – insbesondere das Kind – zu tun. Der Vater schrie irgendetwas. Ich verstand nichts, da ich der Sprache seiner verlorenen Heimat nicht mächtig war.
Ich betete, dass sie es bis Pristina schafften, das Mädchen ein neues zu Hause, Freunde fand und all das Schreckliche vergessen konnte. Ich verdrängte ein Weinen, indem ich versuchte, die Tränen zu ersticken. Der Kloß im Hals war zu dick, um ihn zu schlucken. Er saß tief im Innern wie ein lauter Schrei nach Gerechtigkeit.
Mir blieb nichts anderes übrig als sie leise flehentlich zu bitten, mir meine Hilflosigkeit der Situation gegenüber zu vergeben und zu verzeihen. Dennoch fühlte ich mich wie ein Haufen Elend. Wir wollten doch helfen, die Schwachen ­unterstützen und genau solche Konflikte vermeiden.

• • •

'Opa, ist irgendetwas passiert?', reißt mich meine siebenjährige Enkeltochter aus den trübseligen Gedanken. ­Gerade rechtzeitig, denn sie behagen mir nicht und gehörten zu der Kategorie, die sich, wenn auch sehr selten, zwischen die Träume mogeln.
'Nein, alles ist gut', bluffe ich, jedoch deuten ihre Blicke an, dass sie dem Braten nicht traut.
'Hast du geweint?', stochert sie naiv forschend nach.
'Opa weint nicht, mir ist da nur so eine kleine Fliege ins Auge geflogen', log ich.
'Nicht reiben, dann wird es schlimmer', lacht sie und geht zum Trampolin, auf der ihre jüngere Schwester bereits hüpft.
'Schuhe ausziehen nicht vergessen', rufe ich ihr hinterher.
'Weiß ich, bin ja kein Baby! … und du solltest doch nicht mehr scheuern.' Eine Warnung, die ich berücksichtigen will.
Die Situation erinnerte mich an die eigene Kindheit und unsere kindlich naiven Fragen an meine Mutter, was sie als Kind während des Zweiten Weltkriegs erlebt hatte.
'Nicht dran rühren, sonst kommt alles wieder hoch', gab sie uns stets zur Antwort. Erst wenn wir unnachgiebig weiter bohrten, war sie bereit, etwas von ihrem Wissen preis­zugeben. Anhand der Häufigkeit einzelner ­Geschichten weiß ich heute einzuschätzen, was sie damals wirklich ­belastet hat und 72 Jahre später noch immer bedrückte. Mir fiel ein Spruch ein, den ich in einem Roman gelesen habe: 'Liebe ist wie Krieg. Leicht zu beginnen, schwer zu beenden und unmöglich zu vergessen.'
Ich schaue den Enkeln gern zu. Sie haben mein Leben als Pensionär ganz schön durcheinandergebracht. Sie ­erwarten jeden Tag etwas Neues, was mich daran erinnert, dass auch ich einmal klein war. Es ist ein tolles Gefühl, sie heranwachsen zu sehen, und ein sehnlicher Wunsch ist, dass alle Kinder auf der Welt diese Chance haben. Das Dumme ist nur, dass ich längst weiß, dass es nicht so ist. Ich hatte das unfassbare Glück, nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland ­geboren zu sein, in einer Zeit, in der seitdem Frieden herrscht.
Selbst wenn es keiner mehr hören will, wir haben Schuld geerbt, die sich durch nichts schönreden oder gar tilgen lässt. Die Weltgemeinschaft hat dem deutschen Volk nach dem Zweiten Weltkrieg demokratische Perspektiven geschenkt, wie sie vielen Nationen dieser Welt noch heute nicht gegeben sind. Deshalb sollten wir nicht vergessen und uns stets daran erinnern, was es bedeutet, verfolgt zu werden. Das gilt selbstredend für meine wie auch für Nachfolgegenerationen. Schuldgefühle brauche ich nicht zu übernehmen, aber vergessen werde ich die Untaten des Hitlerregimes nie. ­Gerade weil es auf keinem Staatsgebiet Europas mehr Gene unterschiedlichster Völker als in unserem Land gibt, müssen wir wachsam sein, denn so etwas darf nie wieder passieren.
Den Preis für ein Leben in Frieden und Freiheit, als ­anerkannter Staat in der Weltgemeinschaft, zahlen unter anderem Menschen, wie ich einer war und vom Empfinden weiterhin bin – Soldaten.
Deshalb ist mir jeder Augenblick mit den Enkeln kostbar und stellt eine positive, unauslöschliche Erinnerung dar. Beide sind ein wundervolles Geschenk Gottes, an ihre ­Eltern, an die Familie und die Welt. Ich wünsche, dass sie immer daran denken mögen. Dass sie ihre Neugierde behalten, fantasie-, humorvoll und glücklich bleiben … nicht nur in Kindertagen. Dass sie Bücher lesen, so viel wie sie schaffen. Es steckt eine Menge Wahrheit und Inspiration darin. Auch ohne Fernsehen und Internetverbindung kann man dank ihnen die Welt erkunden. Im Gegensatz dazu haben die Kinder dort, wo ich im Ausland als Soldat gewesen bin, nur geringe Chancen auf ein gutes und friedliches Leben.
Auch wenn viele Menschen in Deutschland unzufrieden sind. Ich rate denen, sich einmal mit offenen Augen und Herzen bei uns und in der Welt umzusehen. Ja, es gibt Länder, da lebt es sich besser, aber die sind handverlesen. Dankbarkeit scheint ein Fremdwort geworden zu sein. Das kleine unschuldige Mädchen aus Prizren wäre von Dank erfüllt ­gewesen, wenn sie all das nicht hätte erleben müssen.
Ich starre auf das Gras vor der Gartenhütte, ziehe an der Zigarette, inhaliere einige tiefe Züge und beobachte ­winzige Ameisen, die inmitten der Halme herumwuseln und einen viel zu großen Zweig schleppen. In besonders schweren Stunden meines Lebens hatte ich den Wunsch, so klein wie sie zu sein, um mich zwischen den Wurzeln verstecken zu können.

• • •

'Hauptmann', rief ich Bounty zu, der nur wenige Meter ­neben mir stand. Trotz des Lärms um uns herum musste er es gehört haben. Vielleicht hatte er aber auch nur mein Winken gesehen.
'Was ist los?', schrie er über die Köpfe zweier Männer hinweg, die gerade mit sanfter Gewalt zurückgedrängt wurden. Er kam auf mich zu, sodass wir uns ohne unnötige Gasthörer unterhalten konnten.
'Das wird hier ein Chaos ungeahnten Ausmaßes und wer weiß, ob das hier alles aus dem Ruder läuft … es vielleicht sogar Tote und Verletzte gibt, wenn die in wenigen Minuten mit ihren Sanitätsfahrzeugen durchrauschen.'
'Wie? … die wollten uns doch eine halbe Stunde Vorlauf geben. Scheiße, was soll das … wollen die uns verarschen?', brüllte er entrüstet gegen das rhythmische Trommeln eines Jungen an, der einige Schritte von uns entfernt sein Instrument mit Hingabe bearbeitete.
'Und jetzt?', fragende Blicke, stumme Lippen. Ratlos stand Bounty vor mir. Die Fenster, die nicht zerbrochen waren, schimmerten golden, der Mond hing bleich hinter Rauchschwaden über der Stadt.

Sie halten ein Werk in den Händen, das nicht von einem Professor nach wissenschaftlichen Aspekten mit Analysen und Statistiken zum Konflikt geschrieben wurde, sondern von einem Menschen, der Zeitzeuge war.
Der Handlungsstrang zu diesem Buch entstand nicht am Schreibtisch. Er ist der allgemeinen dramatischen Situation im Kosovo 1999 geschuldet und den Spannungsbogen bilden das wilde, schöne, ungezähmte Land, die Menschen, die dort lebten, und die persönlichen Erlebnisse des Autors.

Ich konnte mir während meiner aktiven Zeit als Berufssoldat nicht vorstellen, irgendwann ein Buch herauszubringen. Dann habe ich als Pensionär begonnen, Krimis zu schreiben, die sich aufgrund einer gehörigen Portion Lokalkolorit in der Region etabliert haben.
Die Fragen, warum ich nicht etwas zu den zurückliegenden Einsätzen im Rahmen IFOR, SFOR, KFOR auf dem Balkan oder zuletzt ISAF in Afghanistan zu Papier bringen wollte, konnte ich lange Zeit nicht beantworten. Ich bin keinesfalls Nestbeschmutzer, wüsste auch keinen Grund, negativ über die schönsten Jahre im Dienst zu berichten, deshalb fällt dieses Buch entsprechend aus. Es ist meine ­Geschichte, es sind meine Gedankengänge, es sind meine Ängste. Ich war vor Ort und andere, die nach dem von mir an den Tag ­gelegten Verhalten suchen – ob es gut war, schlecht war, ­besser gewesen wäre –, eben nicht.
Einen Anfang zu finden, einen, der Leserinnen und Leser nicht gleich zurückschrecken lässt, war die größte Herausforderung für mich. Ich war zunächst geschockt von einer bis dato unbekannten Art von Schreibblockade, mit der ich dem Thema gegenüberstand. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich nie ­Probleme, den Erinnerungen an die Tage im Kosovo Platz und Raum in meinem Bewusstsein einzuräumen.
Eine weitere Schwierigkeit war, die Gedanken so in ­Worte zu fassen, dass es Menschen, die keine ­Akteure in kriegerischen Auseinandersetzungen sind oder waren, ohne über die für die Bundeswehr typischen Abkürzungen zu stolpern, verstehen können.
Zu guter Letzt sollte der Text, auch nach guten Ratschlägen, ernst gemeinten Kritiken, Änderungswünschen und ­ergänzenden Beiträgen von Kameraden aus dem Einsatz, meine Handschrift tragen. Ich will den Leserinnen und ­Lesern deutlich machen, wie man Krieg und Zerstörung erlebt, wie diese Erlebnisse sich auf die Gemütsverfassung auswirken und wie leicht man Gefahr läuft, in der Vergangenheit zu verharren.
Der NATO-Einsatz 1999 im Kosovo stellte in mancherlei Hinsicht einen Wendepunkt in der Geschichte der Allianz und eine Zeitenwende in der deutschen Außenpolitik dar.
Die jugoslawische Armee sowie serbische Ordnungskräfte standen hierbei der Befreiungsarmee UÇK gegenüber. Das Massaker von Srebrenica vor Augen, befürchtete der Westen eine erneute humanitäre Katastrophe auf dem Amselfeld. Neu war die groß angelegte Offensive gegen ­Restjugoslawien, die allerdings ausschließlich aus der Luft geführt wurde. Die Serben schossen zurück. Es war also der erste Krieg der NATO, wenn man das Wort Krieg als bewaffnete Auseinandersetzung zweier Parteien mit ihren jewei­ligen Streitkräften definiert.
Die Bundeswehr beteiligte sich mit Luftschlägen auf ­Ziele in Serbien und im Kosovo. Ab dem 12. Juni des Jahres ­marschierte sie mit den in Mazedonien stationierten Kräften im Rahmen der KFOR-Mission in den südwestlichen Teil des Kosovo ein. Dabei setzte die rot-grüne Bundes­regierung Söhne und Töchter, von Eltern erzogen und geliebt, akuter Lebensgefahr aus, um die Interessen Deutschlands und der NATO zu verteidigen. Trotz aller politischen und juristischen Diskussionen über die KFOR-Mission war und bin ich persönlich noch heute von der Rechtmäßigkeit des Einsatzes überzeugt und habe immer das Gefühl, für eine richtige und gerechte Sache gekämpft zu haben.
Was eigentlich genau bei internationalen militärischen Operationen irgendwo – fern der Heimat – passiert, wissen hierzulande sehr wenige, meist nur die Betroffenen. Während die einen gefälliges Desinteresse bekunden, sind andere heute angesichts der gewonnenen Einsatzerfahrung sicher, dass jeder Eingriff von Streitkräften in Krisenregionen zur ­Eskalation kriegerischer Gewalt führt.
Die Zahl der an posttraumatischen Belastungsstörungen ­erkrankten Soldatinnen und Soldaten hat sich mit Beginn des Einsatzes internationaler ­Sicherheitsunterstützungs­truppen in ­Afghanistan (ISAF) drastisch erhöht. Die Bundes­wehr ist aber nicht erst mit der Entsendung von Truppen an den ­Hindukusch eine Einsatzarmee. Deshalb sollen all ­diejenigen nicht vergessen sein, die in vorherigen Einsätzen Dinge durchlebten, die man nicht erlebt haben sollte, und die trotz alledem gesund an Körper und Geist zurückkehrten.
All denen, die an den unterschiedlichsten Einsätzen der Bundeswehr tapfer und treu, dem Diensteid folgend, eingesetzt wurden, ist dieses Buch gewidmet.
Gleichwohl wendet es sich an alle Soldatinnen und Soldaten und interessierte Leser, die mehr darüber wissen wollen, welche Geschehnisse manchmal mit ungeheurer Wucht auf den Betroffenen einwirken, auch an diejenigen, die gegen die Entsendung von Bundeswehrsoldaten in Krisenregionen protestieren.


Pfeil, Werner
Werner Pfeil wurde im März 1957 in Paderborn ­geboren. Nach einer abgeschlossenen Lehre zum Dreher und einigen Jahren als Geselle trat er 1978 als Wehrpflichtiger in die Bundeswehr ein. Bis hin zum Berufssoldaten durchlief er an diversen Standorten im gesamten Bundesgebiet und bei unterschiedlichen Truppengattungen seine Ausbildung in der Feldwebellaufbahn. In dieser Zeit holte er in Hamburg die Hochschulreife nach, die ihn für die Offizierslaufbahn qualifizierte. Die Karriere mit ihren vorprogrammierten Umzügen hatte gegenüber Heimatnähe keine Chance. Die Entwicklung der Persönlichkeit des Autors ­Werner Pfeil vollzog sich vor dem Hintergrund wechselnder und einschneidender Umstände im Laufe des Lebens.Einen Wendepunkt stellten sicherlich die Operationen im Ausland mit Exekutiv-­Funktionen dar, die Ausübung von Zwang gegen andere im Rahmen IFOR, SFOR, KVM, KFOR und ISAF, an denen er zwischen 1996 und 2008 teilnahm. Nach 32 Dienstjahren in der Bundeswehr veröffentlicht er seit 2015 schauplatzorientierte Spannungs­romane, die Senne-Krimis. Er ist Mitglied im Papyrus Autorenclub und im ­Syndikat, der Autorengruppe deutschsprachiger Kriminal­literatur.

Werner Pfeil wurde im März 1957 in Paderborn geboren. Gemeinsam mit drei Brüdern erlebte er eine ­unbeschwerte Kindheit bei den Eltern in Hövelhof, die er oft genug zur Weißglut brachte. Seine Schulzeit war von ­Kurzschuljahren und einer Portion Faulheit geprägt und endete mit dem Hauptschulabschluss. Nach einer abgeschlossenen Lehre zum Dreher und einigen Jahren als Geselle trat er 1978 als Wehrpflichtiger in die Bundeswehr ein.
Bis hin zum Berufssoldaten durchlief er an diversen Standorten im gesamten Bundesgebiet und bei unterschiedlichen Truppengattungen seine Ausbildung in der Feldwebellaufbahn. In dieser Zeit holte er in Hamburg die Hochschulreife nach, die ihn für die Offizierslaufbahn qualifizierte. Die Karriere mit ihren üblichen Umzügen hatte gegenüber Heimatnähe keine Chance.
Trotz einiger Standortwechsel fühlt er sich in der Heimat Hövelhof, am Tor zur Senne und an den Quellen der Ems, zu Hause. Zwei erwachsene Kinder und Enkelkinder, die zusammen mit ihm und seiner Mutter ein Mehrgenerationenhaus bewohnen, tragen dazu bei.
2010 begann ein neuer Lebensabschnitt, denn nach 32 Dienstjahren schied er nicht nur aus der Bundeswehr aus, sondern lernte eine Frau kennen, mit der er in einer ­Wochenendbeziehung lebt. Sie führt ihn abwechselnd an die Weser und an die Ems. Seither nennt er sich, bedingt durch die vielen Auslandseinsätze zwischen 1996 und 2008, heute zu Recht Pensionär und Veteran. Seit September 2015 veröffentlichte er schauplatzorientierte Spannungsromane, die Senne-Krimis. Er ist Mitglied im Papyrus Autorenclub und im Syndikat, der Autorengruppe deutschsprachiger Kriminal­literatur.
Die Entwicklung der Persönlichkeit des Autors ­Werner Pfeil vollzog sich vor dem Hintergrund wechselnder und einschneidender Umstände im Laufe des Lebens. ­Einen Wende­punkt stellten sicherlich die Operationen mit Exekutiv-­Funktionen dar, die Ausübung von Zwang gegen andere im Rahmen IFOR, SFOR, KVM, KFOR und ISAF.
Im Buch beschreibt er ungeschminkt einen Lebens­abschnitt, indem er protokollarisch den Tag des Einmarsches, dem 'D-Day', in Richtung Zwischenziel Prizren im Kosovo thematisiert. Dabei reflektiert er seinen aktuellen Seelenzustand in einer bemerkenswerten Offenheit. Ängste, Unwägbarkeiten und die Hilflosigkeit bei einigen Erlebnissen zeigt er schonungslos auf.


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