Podolski / Siggelkow / Büscher | Dranbleiben! | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 272 Seiten

Podolski / Siggelkow / Büscher Dranbleiben!

Warum Talent nur der Anfang ist

E-Book, Deutsch, 272 Seiten

ISBN: 978-3-522-63048-1
Verlag: Gabriel in der Thienemann-Esslinger Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Seinen starken linken Fuß kennt jeder. Wie viel mehr dazu gehört, Spitzenfußballer zu werden, wissen dagegen nur wenige. Hier schildert der Nationalspieler Lukas Podolski anschaulich und temporeich, wie er es vom Gummiplatz in Bergheim in die Stadien dieser Welt schaffte.
Seinen Erfolg versteht er als Verpflichtung, sich für andere einzusetzen und das nicht nur mit Geld, sondern ganz persönlich. Das wird spürbar, wenn er von seinen Begegnungen mit sozial benachteiligten Jugendlichen erzählt, denen er dabei helfen will, ihre Träume zu leben.

Herausgegeben von Bernd Siggelkow und Wolfgang Büscher vom Kinder- und Jugendwerk Die Arche
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1. Kapitel Fremdes Land Ursprünglich kommen wir aus Gliwice, einer Stadt im südlichen Teil von Polen im oberschlesischen Industriegebiet. Unsere ganze weitläufige Familie lebt hier oder in der Nähe, nur die Eltern meines Vaters sind früh nach Deutschland gegangen, für Rentner war das damals möglich. Meine ältere Schwester Justyna und ich sind in Gliwice geboren und zu meiner Geburt befragt, zuckt mein Vater nur mit den Schultern und murmelt: »Alles ganz normal, ganz normales Kind eben.« Ich hab also nicht direkt »Ball« geschrien, als ich das Licht der Welt erblickte. Aber die Leidenschaft zum Sport war mir in die Wiege gelegt. Mein Vater spielte Fußball in der ersten Liga in Polen, meine Mutter war Handballerin in der Nationalmannschaft. Es ist wohl ganz natürlich, dass so was dann auch weitergegeben wird. Wenn beide Eltern Musiker sind, wird für das Kind von Geburt an die Musik immer ein großes Thema sein, und es ist sehr wahrscheinlich, dass es in seinem Erwachsenenleben etwas damit machen wird. Meine Eltern waren und sind durch und durch Sportler. Also lag das auch bei mir nahe. Die ersten zweieinhalb Jahre meines Lebens verbrachte ich in Polen, in einem vierstöckigen Mietshaus. Ich machte meine ersten Schritte dort, saß auf dem Schoß der geliebten Oma und lernte auf Polnisch zu sagen, was ich wollte und was nicht. Hier war mein Zuhause, bis meine Eltern beschlossen, mit uns nach Deutschland auszusiedeln. Die Eltern meines Vaters lebten schon dort in Bergheim in der Nähe von Köln. Mein Vater hatte aufgehört Fußball zu spielen und das bedeutete damals in Polen, ein privilegiertes Leben aufzugeben. Fußballer bekamen besondere Wohnungen zugewiesen, waren hoch angesehen und lebten mit den Industriellen in einem Viertel. Aber das war vorbei. Meine Mutter hatte mit dem Handball schon aufgehört, als sie mit meiner Schwester schwanger war, und so versprachen sie sich bessere Verdienstmöglichkeiten, ein angenehmeres Leben und mehr Freiheit. Sie hatten fest vor, die Chance zu ergreifen und auch in Deutschland zu bleiben. So eine Entscheidung ist weitreichend und hat Konsequenzen, die man sich vielleicht so erst mal gar nicht vorstellen kann. Sicher haben meine Eltern sich das nicht leicht gemacht, aber davon weiß ich nichts mehr. Ich war zweieinhalb und alles, was ich hier berichte, weiß ich selbst nur aus Erzählungen. Gefühle, die ich damals vielleicht hatte, kann ich heute nur vermuten. Jedenfalls erzählten meine Eltern allen, dass wir in den Urlaub nach Deutschland fahren würden. Ausreisen war nicht erlaubt, aber wenn man Verwandte hatte, durfte man sie besuchen. Selbst meine Schwester, damals sieben, wusste nicht, dass wir dabei waren, unsere Heimat zu verlassen. Nur der Chef meines Vaters hat ihn wohl durchschaut: »Ja, ja, du kommst doch nicht mehr zurück!« Viele Polen haben das damals so gemacht und alles stehen und liegen gelassen. Wir packten unsere sieben Sachen, verabschiedeten uns von Freunden, Verwandten und unserer Heimat und landeten im damaligen Grenzdurchgangslager Friedland. Es war vollkommen überfüllt, alle redeten in Sprachen, die ich nicht kannte, alle waren wie wir entwurzelt und fremd. Es gab Essen, das wir so nicht gewohnt waren, und ein eigenes Zimmer hatten wir auch nicht, weil einfach nicht genug Platz da war für die vielen Menschen, die in Deutschland bleiben wollten. Im Nachhinein war das ein Glück für uns, da auch den Angestellten dort die Situation über den Kopf wuchs. Es wurde herumgefragt, wer Verwandte oder Bekannte in Deutschland hatte, ob jemand einen Platz hätte, wo er hinkönnte, und wir meldeten uns sofort. Schließlich gab es Oma Helene und Opa Josef Podolski in Bergheim. Kurz darauf bekamen wir alle Papiere und sind zu den Eltern meines Vaters weitergereist. Sie waren schon Jahre vor uns nach Deutschland gegangen, in der Hoffnung, dass ihre Kinder folgen würden. Sie kannten sich also schon aus und wussten, was alles zu tun war. In Gliwice, damals noch Gleiwitz, als Deutsche auf die Welt gekommen und auf deutsche Schulen gegangen, fühlten sie sich hier zu Hause, denn Oberschlesien gehörte erst 1945 nach dem Zweiten Weltkrieg zu Polen. Mein Opa Josef kam erst 1947 aus dem Krieg zurück, eigentlich nur, um seine Papiere zu holen. Aber die Polen ließen ihn nicht mehr ausreisen. Und so verlief es bei meinen Großeltern dann genau andersrum als bei uns: Sie mussten Polnisch lernen. Es dauerte eine Weile, bis wir eine eigene Wohnung fanden. In der Zeit wohnte ich mit meiner Mutter bei der Tante, die auch schon in Deutschland lebte, meine Schwester und der Vater kamen bei den Großeltern unter. Die Familie lebte also getrennt. Wir hatten kaum Geld, keine gemeinsame Wohnung und verstanden nicht ein Wort von dem, was die Leute sagten. Es war für alle sehr schwierig, bis wir endlich unsere eigene Wohnung im Wohnpark beziehen konnten. Meine Oma hatte ihre Beziehungen spielen lassen und wir bekamen eine Sozialwohnung von der Stadt Bergheim zugeteilt. Sie war in einem der vielen Hochhäuser, die mit kleinen Grünflächen und Wegen dazwischen den Wohnpark bildeten. Ganz in der Nähe lag der Sportplatz mit einer Tartanbahn, einem Asche- und einem Rasenplatz. Zufall oder Schicksal? Nennen wir es Glück! Im Wohnpark lebten fast nur Ausländer und obwohl außer uns keiner aus Polen kam, fühlte man sich doch unter seinesgleichen. Außerdem waren wir endlich wieder zusammen und meine Eltern taten alles, um uns ein neues Zuhause zu schaffen. Letztendlich lebten wir zehn Jahre hier. Ich kann mich an diese erste Zeit nicht mehr erinnern, aber es war mit Sicherheit eine Erleichterung, dass wir endlich zusammenlebten, meine Mutter das gewohnte, polnische Essen kochte und sich das Familiengefühl wieder einstellte. Natürlich habe ich damals nichts davon mitbekommen, wie schwer es auch für die Erwachsenen war, sich in dem fremden Land zurechtzufinden. Mein Vater brauchte Arbeit, damit Geld ins Haus kam, nicht so einfach, da er sich auf Deutsch nicht verständigen konnte. Ihm hat damals der Fußball geholfen. Da ist es egal, ob du Deutsch kannst, Hauptsache, du spielst gut, schießt Tore und das konnte er ja, übrigens im Gegensatz zu mir besonders gut mit dem Kopf. Er hat in mehreren Vereinen gespielt, natürlich nur noch zum Vergnügen, aber als er sich einmal eine Knieverletzung zuzog und pausieren musste, machte er dann doch einen Sprachkurs in Köln und versuchte sich dem neuen Land, in dem wir nun lebten und auch bleiben wollten, anzunähern. Er bekam eine Arbeitsstelle als Schlosser, meine Mutter ging putzen und kümmerte sich um uns Kinder. Sie hat die Sprache einfach so gelernt, ganz ohne Kurs. Ohne ein Wort zu verstehen, hat sie sich eine Putzstelle gesucht. Sie war der Ansicht: Putzen kann man auch auf Polnisch! Verständigt hat sie sich mit Händen und Füßen, und mithilfe von Fernsehen und Zeitung wurde ihr Deutsch auch langsam immer besser. Justyna ging schon zur Schule und musste sehen, wie sie dort zurechtkam. Ich hab mich am Anfang wohl überhaupt nicht rausgetraut und saß nur mit meinem Ball unterm Arm am Fenster und hab sehnsüchtig zum Sportplatz geschaut. Irgendwann hat meine Mutter mich überredet und mir hoch und heilig versprochen, dass sie auf jeden Fall da stehen bleibt und mir vom Fenster aus zuschaut. So habe ich es langsam geschafft, mich mit meinem Ball unter die anderen Kinder zu mischen, und sie hat mich immer von oben an meinen hellen Haaren unter all den dunklen erkannt. Laut meiner Mutter war der Ball auch damals schon alles, was ich brauchte. Die erste Zeit hat sie zwar noch versucht mir andere Spielsachen anzubieten, aber das hat mich alles nicht interessiert. Bälle, Trikots, Fußballschuhe, mehr brauchte ich nicht. Der Ball hat sogar bei mir im Bett geschlafen. Irgendwann musste ich dann in den Kindergarten. Meine Eltern haben den ganzen Tag gearbeitet und fanden es wichtig, dass ich dort die Sprache lernte. Es war natürlich ein deutscher Kindergarten, der auf mich ziemlich erschreckend gewirkt haben muss. Jeden Morgen sollte ich raus in die absolut fremde Welt, in der ich kein Wort verstand. Ein halbes Jahr lang habe ich ein riesiges Theater gemacht: »Ich will nicht in den Kindergarten, ich gehe nicht da hin, ich habe Bauchweh, aua, mein Kopf!« So erzählen es meine Eltern. Es war eine Zerreißprobe für alle. Manchmal gab meine Mutter nach, dann durfte ich zu Hause bleiben und Oma oder Opa haben auf mich aufgepasst. Opa war mir ein bisschen lieber, der war nicht so streng. Immer wenn er da war, durfte ich ihm ein Gläschen Wodka einschenken. Ich habe den Schrank aufgemacht, die große, durchsichtige Flasche herausgenommen und ihm ein kleines Glas eingeschenkt. Er war begeisterter Fahrradfahrer, das habe ich dann gleich von ihm übernommen, und er hat meins immer sofort repariert, wenn etwas daran kaputt war. Die Hürde Kindergarten musste genommen werden, meine Eltern verfolgten eisern dieses Ziel, ließen nicht locker, und obwohl ich wohl schon damals schwer von etwas zu überzeugen war, das ich nicht wollte, habe ich schließlich aufgehört zu schreien und angefangen Deutsch zu lernen. Irgendwann haben meine Eltern erfahren, dass ich im Kindergarten immer nur trockene Brötchen aß und die anderen Sachen nicht angerührt habe. Da konnte mich auch keiner eines Besseren belehren. Bis heute esse ich am liebsten Brötchen ohne Belag oder Baguette. Es war also nicht leicht und auch als ich dann zur Schule musste, bin ich oft einfach nicht hingegangen, habe mich fünf Stunden irgendwo rumgetrieben, um dann wieder nach Hause zu kommen. Ich hatte einfach keine Lust und die Sprache fiel mir schwer. Aber da habe ich natürlich Ärger bekommen und meine Mutter hat gesagt: »Du musst da hin, das brauchst du, also geh da hin!« Es blieb mir nichts anderes übrig und ich habe mich...


Büscher, Wolfgang
Wolfgang Büscher ist Journalist, Autor und Medienberater. Er schrieb jahrelang für verschiedene Zeitungen als Bonn-Berichterstatter, war als Radiomoderator tätig und arbeitete als Medienberater für zahlreiche große Unternehmen. Als politischer Journalist war er zudem Mitglied der Bundespressekonferenz. Seit 2002 lebt er in Berlin. Dort wurde er Pressesprecher des Kinder- und Jugendwerks „Die Arche“, mit deren Gründer und Leiter, Pastor Bernd Siggelkow, er bereits mehrere Bestseller über die Armut und Verwahrlosung von Kindern in Deutschland veröffentlichte.

Podolski, Lukas
Der Fußballspieler Lukas Podolski wurde am 4. Juni 1985 in Gliwice in Polen geboren und lebt seit seinem zweiten Lebensjahr in Deutschland. Zur Deutschen Nationalmannschaft gehört er seit 2004; seitdem hat er weit über 100 offizielle Länderspiele absolviert. Aktuell spielt er für den FC Arsenal in der Premier League. Mit seiner Stiftung, der Lukas Podolski Stiftung, und als Arche-Botschafter engagiert er sich für sozial benachteiligte Kinder. Er ist verheiratet und hat einen Sohn.

Siggelkow, Bernd
Bernd Siggelkow wuchs in Hamburg-St. Pauli auf und kam über die Hamburger Heilsarmee zum christlichen Glauben. Nach einer kaufmännischen Ausbildung studierte er Theologie an einem Theologischen Seminar der Heilsarmee. Nach seiner Ordination arbeitete er als Pastor.

Der Leiter und Gründer der „Arche“ wurde für sein Engagement mit dem „Verdienstorden des Landes Berlin“ sowie dem „Bundesverdienstkreuz“ ausgezeichnet.


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