Raecke / Leutheusser-Schnarrenberger / Saß | Raecke, J: QUERULANTENWAHN | Buch | 978-3-934882-26-3 | sack.de

Buch, Deutsch, 110 Seiten, KART, Format (B × H): 172 mm x 241 mm, Gewicht: 243 g

Raecke / Leutheusser-Schnarrenberger / Saß

Raecke, J: QUERULANTENWAHN

Buch, Deutsch, 110 Seiten, KART, Format (B × H): 172 mm x 241 mm, Gewicht: 243 g

ISBN: 978-3-934882-26-3
Verlag: Finckenstein & Salmuth


Kampfparanoia und Prozeßsucht als abnormer Lebensinhalt; forensische Fallbeispiele u. gutachterliche Stellungnahme; Neudruck des Werkes von Julius Raecke, vermehrt um aktuelle Beiträge und biographische Notizen zu Julius Raecke
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Aus dem Vorwort der Bundesministerin der Justiz Sabine Leutheusser-Schnarrenberger:

Praktisch jeder Richter, jeder größere Betrieb und jede öffentliche Behörde kennt ihn: den sogenannten Querulanten. Einen Menschen, der sich immer ungerecht behandelt fühlt, der überall Böses wittert, sich ständig beschweren will. Der Schweizer Psychiater Thomas Knecht beschreibt ihn als jemanden, "der sich leicht ins Unrecht gesetzt fühlt, der aus geringfügigem oder vermeintlichem Anlass Klage erhebt oder sich bei Behörden und Institutionen beschwert oder ständig offensichtlich unbegründete Anträge stellt." Nach Angaben des Arztes soll der Anteil dieser Menschen bei etwa 0,5 bis 2,5 Prozent der Bevölkerung liegen.

Es handelt sich häufig um sehr empfindliche Menschen mit verdichtetem Rechtsbewusstsein, deren Anliegen durchaus nachvollziehbar und verständlich sein können.

In einem Beitrag der "Klinischen Wochenschrift" von 1927 schreibt Professor Raecke: "Die Justiz hat heute gegenüber dem genuinen Querulanten einen recht schweren Stand. Solange die Verpflichtung besteht, daß jede noch so schrullige Eingabe geprüft und beantwortet werden muß, kann sich die Behörde nicht vor überflüssigen, ja höchst unzweckmäßigen Bescheiden zurückhalten, die statt zu beruhigen, den Streitsüchtigen nur immer mehr aufreizen und unendliche unproduktive Arbeit verursachen.(.) Um die endlosen Zivilprozeßstreitereien genuiner Querulanten abzuschneiden, sollte viel häufiger ihre Prozeßfähigkeit angezweifelt werden."

Dass Verwaltung und Justiz verpflichtet sind, jede noch so schwer nachvollziehbare Eingabe zu prüfen, mag man im Hinblick auf die anfallende Arbeit bedauern, es ist jedoch schlichter Ausdruck eines Rechtsstaats. Dazu gehört auch, dass dem Einzelnen gegenüber dem Staat eingeräumte Rechte erst dann tatsächlich wirksam sind, wenn sie unparteiisch überprüft und gegebenenfalls auch erzwungen werden können - durch unabhängige Gerichte. Erst die Rechtsschutzgarantie gibt den materiellen Freiheitsrechten ihren vollen Charakter.

Es ist das große Verdienst von Professor Julius Raecke, sich bereits im Jahre 1926 in seiner Monographie "Der Querulantenwahn" eines bis heute aktuellen Phänomens erstmals umfassend und aus psychiatrischer Sicht angenommen zu haben – und damit bis heute die Diskussion zu diesem Thema zu bereichern.

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Aus der wissenschaftlichen Einleitung von Professor Dr. med. Henning Saß, Aachen:

In der Querulanz finden wir die krankhafte Steigerung einer Tugend, des Rechtsgefühls, das in Bezug auf die eigene Person außerordentlich leicht verletzbar ist, jedoch gegen das Empfinden anderer hartnäckig und ohne Rücksicht durchgesetzt wird. Querulanten sind misstrauische, kränkbare, nörgelsüchtige, sensible Menschen, die sich jedem vernünftigen Vorschlag widersetzen, sich ständig über falsches Verhalten anderer beklagen, sich leicht erregen und mit den gegebenen Verhältnissen unzufrieden sind. Dies kann sich steigern zum Querulantenwahn, also der unkorrigierbaren Überzeugung, in böswilliger Weise fortwährend Rechtskränkungen zu erleiden. In der Regel erfolgt dies in einer paranoiden Entwicklung aus einem hyperthymen, kampflustigen, starrköpfigen, dabei sensitiven Charakter heraus, beginnend mit einer wirklichen oder vermuteten Rechtskränkung, wodurch es zu einem erbitterten, oft viele Jahre lang fortgesetzten Kampf um das vermeintliche Recht oder zum endlosen Prozessieren kommen kann, bis die Mittel erschöpft sind. Eine besonders ausgeprägte Form ist der Kampfparanoiker, der durch ein meist empörendes Erlebnis in seinem Rechtsgefühl gekränkt ist und in einer paranoischen, fanatischen Weise nach Vergeltung sucht.

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Zum weiteren Inhalt:

Der wahnhafte Kampf des Querulanten wird irgendwann zu seiner ausschließlichen Daseinsberechtigung. Die Belange anderer werden weitestgehend ignoriert, während die Möglichkeit zur Selbstreflexion nur selten gegeben ist. Seine Opfer ("Gegner") verfolgt der querulatorische Kampfparanoiker mit allen Mitteln. So repräsentiert der Querulant eine Geisteshaltung, die Missbehagen bei seiner Umgebung auslöst.

Der Richter sieht den Querulanten in der Breite seiner fanatisch-unbelehrbaren Tätigkeit naturgemäß früher als der forensische Psychiater, der schlussendlich mit der Begutachtung beauftragt wird. Der Arzt befasst sich mit dem Querulanten erst, wenn die Gerichte und Behörden ihn schon lange kennen und sein Verhalten ohne jedes realitätsgerechte Verständnis seiner Umwelt eine Entwicklung genommen hat, die seine geistigen Fähigkeiten anzweifeln lässt.
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Zielgruppe


Mediziner, Juristen, Psychologen, Einrichtungen zur Betreuung von Stalkingopfern

Weitere Infos & Material


Die Wahnbildung des geisteskranken Querulanten hat verschiedene psychologische Wurzeln: Einmal entspringt aus seinem verzweifelten Ringen mit der übermächtigen Justiz bei jeder neuen Niederlage ein sich immer tiefer fressendes Gefühl unbilliger Beeinträchtigung und Unterdrückung. Um sich nicht ganz vernichten zu lassen, späht er unruhig nach allen Seiten aus, wittert rasch Verrat und böse Absichten. Sogar wohlwollenden Begütigungsversuchen begegnet er mit äußerstem Mißtrauen, sieht in ihnen bestenfalls Beweise, daß man ihn doch noch fürchtet. Jeder richterliche Bescheid reizt ihn zu heftigen Ausfällen. Seine Erbitterung hindert ihn aber, Wesentliches von Unwesentlichem zu unterscheiden. Wo immer er eine Blöße zu erspähen glaubt, hakt er mit spitzfindigen Rechthabereien ein. Wo er auf Abweisung stößt, wird er nur noch widerborstiger. Statt daß ihn die übereinstimmenden Urteile mehrerer Instanzen endlich zur Besinnung brächten und nachdenklich stimmten, ob er denn wirklich so ganz allein recht habe gegenüber der vereinigten Auffassung aller anderen, schöpft er im Gegenteil just aus dieser Beobachtung fremder Geschlossenheit die wachsende Überzeugung, daß er um seine berechtigten Ansprüche infam geprellt werden soll. Er fühlt sich allmählich als das Opfer einer größeren Verschwörung: die einen haben ein schlechtes Gewissen, fürchten die Wahrheit und möchten ihn darum mundtot machen. Die anderen sind bestochen oder fischen sonst irgendwie im Trüben. Aus anfänglichem Verdacht wird ihm jäh im Affekt die unerschütterliche Gewißheit, daß man ihn systematisch verfolgt während seine Gegner fintenreiche Schonung erfahren.

Gerade in dieser vorgefaßten Meinung rechtlicher Benachteiligung hat er schon allerlei falsch beobachtet. Es sind ihm Eigenbeziehungen aufgeschossen, die harmlose Zufälligkeiten bedeutungsvoll verknüpfen und wichtigste Wahnbeweiserlebnisse schaffen. Wer alle neuen Erfahrungen schroff einseitig aus einer bestimmten wahnhaften Einstellung heraus beurteilt, dem müssen sich jene bis zur Unkenntlichkeit verändern, und das Sammeln von Bausteinen zur Errichtung eines systematisierten Wahngebäudes gelingt so leicht. Die Erlebnisse eines vom Querulantenwahn Ergriffenen verzerren sich ihm bis ins Groteske; er findet in allem das, was er sucht. Hat er sich anfangs mit seinen Vermutungen noch einigermaßen im Bereiche des Möglichen gehalten, springt er jetzt unkritisch zu den erstaunlichsten Schlüssen auf Grund wahnhafter Einfälle bei ganz nichtigen Unterlagen. Aus fremden Äußerungen und Schriftstücken liest er im Hunger nach Wahnbeweisen ganz gegenteilige Dinge heraus.
Hier tritt drittens das höchst beachtenswerte Symptom der Erinnerungstäuschung hervor, die sich eng mit dem affektvollen Wahneinfall verbindet. Beide sind plötzlich entstandene Produkte krankhaft gesteigerter Phantasietätigkeit bei abgeschwächter Kritik. Der aufgeregte Querulant, der fortgesetzt über seinen Prozeß grübelt und alles zusammenscharrt, was sich irgend zu seinen Gunsten deuten ließe, verfällt leicht der Selbsttäuschung, dieses oder jenes ihm so bitter fehlende Beweisstück sei ursprünglich vorhanden gewesen. Hat er denn nicht selbst eine derartige Urkunde früher gesehen? Hat nicht der eine Satz in den Akten anders gelautet? Ist nicht die ausschlaggebende Zeugenaussage falsch protokolliert? Handelt es sich nicht um einen Meineid? Indem so lockende Wunschträume den grübelnden Querulanten umgaukeln, erwachsen ihm unmerklich aus Erinnerungstäuschungen und Konfabulationen fixierte Wahnvorstellungen. Man darf auch sagen: Er unterliegt seiner großen Autosuggestibilität. Denn schließlich erlebt er alles nur, wie er es sich ersehnt. Er vermag sich sogar in eine zukünftige Siegerstellung hineinzuträumen und in krankhaft erhöhtem Selbstgefühl als Reformator der Justiz und Schützer aller Unterdrückten zu posieren. Eigentlicher Größenwahn ist das noch nicht, und vor allem tritt er nicht kompensierend zum Verfolgungswahn und nimmt den fortgesetzt empfundenen Rechtskränkungen nicht den peinigenden Stachel.
Wie der Querulant selbst übermäßig suggestibel ist, übt er gleichzeitig auf eine kritikschwache Umgebung stärkste Suggestionskraft aus. Meist sind es nahe Angehörige, bisweilen aber Personen der weiteren Umgebung, die sich durch die affektvollen Behauptungen des Querulanten induzieren lassen, an seine überwertigen Ideen und Wahnvorstellungen glauben, um zu seinen Gefolgsleuten und Bannerträgern werden. Unermüdlich arbeitet der affektgetragene Querulant an seiner vermeintlichen Mission. Erstaunlich beherrscht er die angeschwollenen Akten und alle in Betracht kommenden Gesetzesbestimmungen. Stundenlang vermag er darüber zu reden. Schier unzählig sind seine nach allen Richtungen abgesandten Schriftstücke, Eingaben, Beschwerden. Nur den wahren Sinn des Rechts erfaßt er nie und ist außerstande zu begreifen, daß er gerade durch die Maßlosigkeit seines Vorgehens seiner Sache am meisten schadet. Nicht immer bleibt es bei rücksichtslosen Beleidigungen und wilden Drohungen. Wiederholt ist es geschehen, daß die leidenschaftliche Erregung zur Selbsthilfe in Form von tätlichen Angriffen und Mordversuchen verführte.
In der Regel besteht ein innerer Zusammenhang zwischen allen in Wort und Schrift geübten Verkehrtheiten, zwischen den mannigfachen straf- und zivilrechtlichen Verfahren, an denen d. Kranke beteiligt ist. Alle gehen in letzter Linie auf das eine erschütternde Erlebnis erlittener Rechtsverweigerung zurück. Dennoch gibt es da Ausnahmen: Einzelne Querulanten sind nicht so geartet, daß sie endlos denselben Gedanken zwangsmäßig wälzen müssen, sondern können sich mit der Zeit bis zu einem gewissen Grade zu beruhigen. Aber wenn sie darauf durch ein neues ähnliches Erlebnis aufgescheucht werden, stürzen sie sofort von neuem in den Kampf. Diese Naturen bringen es fertig, ihr ganzes Leben hindurch mit den allerverschiedensten Personen die mannigfachsten Rechtshändel auszutragen und frisch anzugreifen, die untereinander kaum etwas zu tun haben. Allein völlig erledigt sind darum die alten Dinge für solche Streitfexe doch nicht. Gelegentlich kommen sie immer wieder auf die verflossenen Streitfragen zurück und vermengen sie mit den neuen, sei es, daß sie gewaltsame Verknüpfungen vermittels ihrer überlebendigen Phantasie herstellen und wahnhaft ausspinnen, sei es, daß tatsächlich eine Figur aus dem alten Kampffeld zufällig in dem neuen mitauftaucht und die Erinnerungen herausfordert.


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