Buch, Deutsch, 453 Seiten, Großformatiges Paperback. Klappenbroschur, Format (B × H): 139 mm x 213 mm, Gewicht: 563 g
Zur Grammatik des modernen Individualismus
Buch, Deutsch, 453 Seiten, Großformatiges Paperback. Klappenbroschur, Format (B × H): 139 mm x 213 mm, Gewicht: 563 g
ISBN: 978-3-593-39594-4
Verlag: Campus Verlag GmbH
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InhaltVorwort 7Einleitung 10Erster Teil - Die Idee der Selbstverwirklichung in Charles Taylors Theorie der ModerneSelbstverwirklichung und moderne Identität 57Moderne Identität zwischen Naturalismus und Expressivismus 73Identitätsbildung als Verkörperungsgeschichte des Geistes 1054 Anthropologisierung der Ideengeschichte 1295 Mentalitätsgeschichte der 161Zweiter Teil - Der Begriff der Selbstverwirklichung6 Was heißt 'Selbstverwirklichung'? 1907 Prägnanzbildung von Erlebnissen 2128 Innerlichkeit und Expressivität 2239 Sich-zu-sich-verhalten durch 24810 Strukturelle Kooperativität des Sich-zu-sich-verhaltens 26111 Individuierung durch Bewährung 29112 Furcht vor dem Tod und Wille zur 30813 Erfahrungen der Selbsttranszendenz 34014 Das Heilige 36915 Berufung und Bezeugung 38316 Redlichkeit 409Schluss 426Literatur 433Personenregister 450
EinleitungZu den typischen Merkmalen der gegenwärtigen westlichen Kultur gehört zweifellos auch und sogar wesentlich die außerordentliche Bedeutsamkeit, die viele Menschen ihrer Selbstverwirklichung beimessen. Und es dürfte für den offenen Entwicklungshorizont der Moderne bezeichnend sein, dass überaus kontrovers darüber diskutiert wird, worin sie billigerweise bestehen könnte. Vielstimmig ist allerdings auch das Votum derjenigen, die meinen, dass es da ohnehin gar nicht viel zu diskutieren gebe. Es wird allerdings mit Argumenten begründet, die gegensätzlicher nicht sein könnten. Einerseits kursiert die Meinung, dass es ein Widerspruch sei, ausgerechnet für die Selbstverwirklichung ein allgemeines Rezept finden zu wollen, denn gebe es einen Begriff, der eindeutiger dafür steht, dass jeder nach seiner eigenen Façon leben möge? Von dieser Seite werden Bemühungen, zu verallgemeinerbaren inhaltlichen Bestimmungen von Selbstverwirklichung zu gelangen, als Zumutung empfunden, als fast ebenso zudringlicher Übergriff auf die Privatsphäre wie die unvermittelte Frage an den Nachbarn, welche sexuellen Praktiken er bevorzuge. Nur sind es zumeist Vertreter dieser Meinung, die anderen gerne ihre Selbstverwirklichung ansinnen, und es ist nicht nachvollziehbar, wie sie etwas ansinnen können, dessen Verständnis sie derart privatisiert haben, dass darüber eine allgemeine Verständigung eigentlich nicht mehr möglich ist. Andererseits ist die Auffassung verbreitet, dass sich das Streben nach Selbstverwirklichung in einer Kultur genusssüchtiger und selbstverliebter Alltagsgestaltung erschöpft, die von Indifferenz gegenüber dem Guten infiziert worden ist. Die Vertreter dieses Lagers wittern in dem missverständlichen Beharren auf der Unmöglichkeit, einen allgemein zu stimmungsfähigen Sinn von Selbstverwirklichung zu artikulieren, ein Symptom jener Schrankenlosigkeit des modernen Individualismus, den sie unter den Stichwörtern Hedonismus, Konsumismus oder Narzissmus kritisieren. Ihre Kontrahenten aus dem Lager derjenigen, die Selbstverwirklichung als Privatangelegenheit verteidigen, vermögen sich der Plausibilität dieser Gegenwartsdiagnose wiederum nicht völlig zu entziehen und reagieren mit kalkulierter Entdramatisierung des von den Kritikern entworfenen Szenarios einer aus den Fugen geratenden Moderne. Niemand gibt schließlich freiwillig Punkte an den Gegner ab.Die grundlegende These dieser Arbeit lautet, dass der Anspruch der Selbstverwirklichung mittlerweile eine zentrale Position im Wertesystem der modernen westlichen Gesellschaften eingenommen hat; die skizzierte Gemengelage unterschiedlicher Meinungen ist folglich mitnichten ein Indiz für die bloße Inszenierung eines scheinaktuellen Themas in den entsprechenden Journalen und Foren, das gleich jeder Modeerscheinung ebenso schnell wieder verschwindet, wie es aufgekommen ist, sondern bezeugt auf eine etwas nervöse Art und Weise die Virulenz dieser Idee. Fraglich, so meine These, ist nicht mehr, ob Selbstverwirklichung ein hohes Gut ist, sondern allenfalls, was genau wir uns darunter vorzustellen haben. Denn auch die schärfsten Kritiker der Idee gelangen zu ihrer Position nur dadurch, dass sie sich gegen ganz bestimmte Vorstellungen davon wenden, was es heißen könnte, sich selbst zu verwirklichen, und dann allenfalls diese Vorstellungen nonchalant für das Ganze nehmen. So wird oftmals die Bedeutung der Idee auf partielle, zeitgeschichtlich und milieuspezifisch bedingte Verwendungskontexte des Wortes reduziert, das für diese Idee steht. Doch wenn auch das Wort, sogar ein ganzer Jargon der Selbstverwirklichung, wie er sich vor allem seit den sechziger Jahren ausgebildet hat, aufs Korn genommen wird - die dahinterstehende Idee ist in der Gegenwartskultur so vital wie nie zuvor. Auch die Kritik legt zumeist Maßstäbe an - etwa den der Gerechtigkeit sozialer Verhältnisse oder der gelungenen sozialen Vergemeinschaftung oder auch den der lebensgeschichtlichen Verbundenheit mit tradierten kultur