Seidelmann | »Eisen schaffen für das kämpfende Heer!« | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 480 Seiten

Seidelmann »Eisen schaffen für das kämpfende Heer!«

Die Doggererz AG – ein Beitrag der Otto-Wolff-Gruppe undder saarländischen Stahlindustrie zur nationalsozialistischenAutarkie- und Rüstungspolitik auf der badischen Baar

E-Book, Deutsch, 480 Seiten

ISBN: 978-3-7398-0026-4
Verlag: UVK
Format: EPUB
Kopierschutz: Kein



Kurz vor Kriegsbeginn einigten sich das Deutsche Reich und die fünf saarländischen Stahlwerke auf den Bau einer Eisenhütte auf der Baar und gründeten mit der Doggererz AG ein halbstaatliches Unternehmen, das bis 1940/41 mit über 1.600 Bergbau-Beschäftigten und einem Grundkapital von 40 Mio. RM zur größten Aktiengesellschaft in Südbaden heranwuchs. Vor dem Hintergrund des von Hitler und Göring Ende 1936 geschaffenen staatlichen Vierjahresplans zur Sicherstellung kriegsnotwendiger Ressourcen hatte das gemeinsame Rüstungs- und Autarkieprojekt nichts Geringeres im Sinn, als den Aufbau eines neuen deutschen Schwerindustriereviers im militärisch gesicherten Hinterland: „Eisen schaffen für das kämpfende Heer!“ – so der pathetisch-programmatische Aufruf des Vorstands der Doggererz AG vom Oktober 1939.

Wolf-Ingo Seidelmanns Untersuchung der Doggererz AG mit Sitz im badischen Blumberg verfolgt die Entstehung und UmSetzung eines bisher kaum erforschten Rüstungsprojektes, analysiert das Verhältnis der saarländischen Montanindustrie zum NS-Staat und zeigt die Folgen dieser Zusammenarbeit auf: Die Gründung der Doggererz AG löste zahlreiche Aktivitäten des NS-Staats auf den Gebieten des Wohnungsbaus, der zwangsweisen Personalbeschaffung, der Energiewirtschaft und der Sozialpolitik aus. Der Frage der Verantwortlichkeit widmet sich der Autor in biographischen Skizzen der seinerzeitigen Handlungsträger in Unternehmen, staatlicher Bergverwaltung und auf kommunaler Seite.
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II. Ein neues Lothringen auf der Baar?
1. Folgen des Versailler Vertrags
Auf der Baar, einer ländlich strukturierten Hochebene zwischen Schwarzwald und Schwäbischer Alb, lagert in den Schichtungen des Braunen Jura eines der größten deutschen Eisenerzvorkommen31. Im Raum Blumberg bildet es ein etwa 4 m hohes Flöz aus. Die harten, linsenförmigen Eisenpartikel von etwa 3 mm Durchmesser, auch Ooide genannt, verteilen sich wolkenartig in einem tonig-mergeligen Substrat von hohem Kieselsäuregehalt. Das Doggererz weist nur etwa 23 % Eisen auf. Systematisch abgebaut wurde es lediglich über eine kurze Zeitspanne: 1836 eröffnete der Fürst zu Fürstenberg bei Gutmadingen das Karl-Egon-Bergwerk, dessen Förderung er im Hüttenwerk von Bachzimmern verarbeiten ließ. Da das feine Korn des Erzes im Hochofen verrieselte und schwere Störungen beim Schmelzprozess hervorrief32, gab man es dem Möller nur als Zuschlag bei. 1856 stellte der Fürst den unwirtschaftlichen Bergbaubetrieb ein. Dieses Schicksal teilte bald das gesamte, auf Holzkohlebasis arbeitende Montangewerbe im Lande: 1874 wurde in Kandern der letzte Hochofen stillgelegt. Das Feld erobert hatten die Hüttenwerke an Rhein und Ruhr. Auf ergiebigen Steinkohlevorkommen gelegen, die sie mit billigem Koks versorgten, bezogen die Betriebe ihre Erze aus den nahegelegenen Revieren von Lahn, Dill und Sieg. Der Krieg von 1870/71 brachte dann die lothringische Minette zum Teil in deutsche Hand. Sie diente nach Einführung des Thomasverfahrens der Montanindustrie an Rhein, Ruhr und Saar als Quelle billiger Erze. Ein Land mit reichen, aber eisenarmen Erzvorkommen, ein Land ohne Kohle und Großschifffahrtswege zu diesen Lagerstätten, wie Baden es war, hatte bei dieser Konkurrenz keine schwerindustriellen Entwicklungschancen mehr. Demgemäß nahm die Karlsruher Regierung »mit ziemlicher Bestimmtheit« an, »dass der badische Eisenerzbergbau der Vergangenheit angehöre und auch auf absehbare Zeit hinaus keine Zukunft mehr habe«33. Nach dem Ersten Weltkrieg bahnte sich ein radikaler Meinungswandel an: 1919 musste Deutschland auf Elsass-Lothringen verzichten und akzeptieren, dass das Saargebiet mit seiner Schwerindustrie für längere Zeit dem französischen Wirtschaftsgebiet angehörte. Die Pariser Regierung enteignete eine Reihe deutscher Stahlkonzerne und übertrug deren lothringische Hüttenwerke und Erzfelder auf französische Eigentümer. Deutschland verlor etwa drei Viertel seiner Eisenerzvorräte. Das Deutsche Reich, zu Kriegsbeginn mit einem Weltmarktanteil von 24 % der zweitgrößte Eisenerzeuger auf dem Globus, besaß 1919 nur noch 2 % der Welterzvorräte, aus denen es ganze 18 % seiner Roheisenproduktion bestreiten konnte. 1913 hatte die Selbstversorgungsquote noch über 50 % betragen34. Um die chronisch defizitäre deutsche Zahlungsbilanz zu entlasten, förderte die Reichsregierung zu Anfang der 1920er Jahre die Rohstoffsuche im Inland: Die deutschen Montankonzerne erhielten finanzielle Entschädigungen für den Verlust ihrer Auslandsfelder mit der Auflage, einen Teil der Gelder in die Erkundung und in den Aufschluss neuer deutscher Erzlagerstätten zu investieren35. Der Verlust der Minetteerze war damit allerdings nicht zu kompensieren: Die Ruhrindustrie sicherte sich ihre Rohstoffbezüge vor allem durch den Abschluss langfristiger Lieferverträge über schwedisches Eisenerz. Da dessen Verhüttung zu Brennstoffeinsparungen führte und die handelspolitischen Beziehungen zu Frankreich angespannt blieben, nahm der Anteil skandinavischen Erzes am Möller der Ruhr stetig zu, während deutsches Material oder die Minette nur eine Nebenrolle spielten36. Die badischen Vorkommen entfalteten wenig Attraktivität auf die Stahlindustrie: Zum einen lagen sie weit von der Ruhr entfernt, so dass hohe Frachtkosten anfielen; zum anderen erhöhte der geringe Eisengehalt der Erze deren Abbaukosten und das Transportvolumen. Deshalb richtete sich das Augenmerk der Werke auf Vorkommen, die näher an ihren Standorten lagen – etwa die Lagerstätten von Salzgitter. Doch selbst diese beutete man nicht aus, sondern hielt sie nur als Reserveflächen vor. 2. Badische Bergbaupolitik und fürstliches Vorbaurecht
Ende 1918 glaubten badische Bergbaupraktiker fest an eine neue Chance für das Doggererz auf der Baar und forderten die Karlsruher Regierung zu entschlossenem Handeln auf37. Diesem stand leider das geltende Bergrecht entgegen: Zwar garantierte das badische Berggesetz vom Juni 189038 weitestgehende Bergbaufreiheit im Lande, doch galt diese Regelung nicht für die Baar, die bis zur Mediatisierung von 1806 zum Standesgebiet des Fürsten zu Fürstenberg gehört hatte. Auf diesem Territorium durfte der badische Staat eine Bergbauberechtigung an Dritte nur dann erteilen, wenn der Fürst auf die ihm zustehenden Vorbaurechte ausdrücklich verzichtete. Gegen dieses Privileg, das den Bergbau unnötig behinderte und verteuerte, richtete sich nun heftige Kritik aus den Reihen der badischen Beamten: Prof. Dr. Wilhelm Deecke39, der Direktor der Badischen Geologischen Landesanstalt, forderte im Dezember 1918 die Karlsruher Regierung auf: »Jetzt, wo wir Lothringen verlieren, müssen diese Eisenerze der Baar neu untersucht werden auf ihre Ausbeutungsfähigkeit, schon deswegen, um französischen Ausfuhrzöllen ein Paroli zu bieten […] Das Vorbaurecht des Fürsten muss fallen; denn die Eisengewinnung in Deutschland selbst wird zu einer Lebensfrage werden. Jede alte Schranke ist fort zu schaffen und ein Gewinn dem Staate vorzubehalten«40. Die badische Regierung unternahm bis zum Sommer 1924 jedoch nichts, um das Berggesetz radikal zu ändern. Diese Untätigkeit verschaffte dem Hause Fürstenberg die erforderliche Zeit, um sich das Eigentum an den besten Eisenerzfeldern auf der Baar zu sichern. Mit einem Stammkapital von 30.000 Mark gründeten Fürst Max Egon41 und Erbprinz Karl Egon42 am 17. Februar 1920 die Jura Eisenerz-Bergbau GmbH mit Sitz in Donaueschingen43. Das Unternehmen ließ sich bis Ende 1921 16 Felder vom badischen Staat verleihen. Da dem Fürsten seit 1897 bzw. 1899 vier andere Berechtigungen gehörten, verfügte sein Haus nun über 20 Areale mit 3.658 ha Fläche. Sie lagen allesamt dort, wo die Erze den größten Eisengehalt aufwiesen: südlich der Donau, zwischen Gutmadingen und Blumberg. Der badische Staat begnügte sich bei dieser Verteilung mit den mageren Resten. Er belegte bis 1921 meist nördlich der Donau 22 Felder, deren Erze lediglich einen bescheidenen Eisengehalt aufwiesen. Erst nachdem die Felle derart einseitig verteilt44 waren, ging man in Karlsruhe daran, das Berggesetz von 1890 zu ändern: Am 15. Juli 1924 verkündete das Badische Gesetz- und Verordnungsblatt Nr. 38, dass die Ausbeutung von Eisenerzen dem Staat vorbehalten bleibe und alle standesherrlichen Vorbaurechte im Falle der Eröffnung neuer Bergwerke aufgehoben seien. Die fürstliche Kammer erzielte Anfang der 1920er Jahre keinen Erfolg mit dem Versuch, ihre Erzfelder bei der Montanindustrie unterzubringen45. Das Karlsruher Finanzministerium war diesbezüglich in keiner besseren Lage und fragte seit 1920 regelmäßig im Hause Fürstenberg an, »ob uns nicht gegen Ersatz der hierfür aufgewandten Kosten wenigstens zwei Felder überlassen werden könnten, in denen der Eisengehalt der Erze die Abbaumöglichkeit nahelegt […], damit uns nicht der Vorwurf trifft, wir hätten eine Vereinbarung mit der Kammer getroffen, bei welcher der Staat praktisch leer ausgeht«46. Da das Finanzministerium anbot, auch die Vermarktung des fürstlichen Besitzes zu übernehmen, willigten Fürst Max Egon und die Jura Eisenerz-Bergbau GmbH schließlich in das Geschäft ein. Mitte 1922 verkauften sie dem Land Baden vier Areale47 mit insgesamt 660 ha Fläche. Bergrat Erich Naumann48, der für den Bergbau zuständige Abteilungsleiter im Finanzministerium, verfügte seit 1920 über ausgezeichnete Kontakte zur Gutehoffnungshütte (GHH), einem Montan- und Maschinenbaukonzern mit Sitz in Oberhausen, der sich gerade anschickte, auf den süddeutschen Eisenmarkt vorzudringen. Nach Kriegsende hatte man eigene Verkaufsniederlassungen in Mannheim und Nürnberg gegründet und sich an großen eisenverbrauchenden Produzenten, wie etwa der MAN oder der Maschinenfabrik Esslingen, beteiligt. Der Generaldirektor der GHH, Paul Reusch49, stieß damit in das Hauptabsatzgebiet der saarländischen Eisenindustrie vor, deren bisherige Position durch ihre bevorstehende Eingliederung in das französische Zollgebiet vakant zu werden versprach50. Da die GHH 1919 ihren Grubenbesitz in Lothringen und in der Normandie verloren hatte, suchte sie Ersatz in den württembergischen Eisenerzvorkommen bei Wasseralfingen und Tuttlingen. Die Stuttgarter Regierung knüpfte die Vergabe der Schürfrechte allerdings daran, dass sich deren Erwerber bei der Modernisierung der...


Dr. Wolf-Ingo Seidelmann, Volkswirt und Historiker, war 1982-1985 Assistent am Lehrstuhl für Wirtschafts-, Sozial- und Agrargeschichte der Universität Hohenheim, anschließend in der wirtschaftlichen Selbstverwaltung tätig, zuletzt Hauptgeschäftsführer einer deutschen IHK. Er verfasste zahlreiche Publikationen zur baden-württembergischen Verkehrs- und Wirtschaftsgeschichte, darunter über den geplanten Neckar-Donau-Kanal (1988) und über badische Eisenerzpolitik im 20. Jahrhundert.


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