Weber | Navigieren auf Sichtweite - Prozesssteuerung in der Paartherapie | Buch | 978-3-608-89125-6 | sack.de

Buch, Deutsch, Band 249, 280 Seiten, kartoniert, Format (B × H): 134 mm x 211 mm, Gewicht: 379 g

Reihe: Leben lernen

Weber

Navigieren auf Sichtweite - Prozesssteuerung in der Paartherapie

Ein Handbuch für die Praxis

Buch, Deutsch, Band 249, 280 Seiten, kartoniert, Format (B × H): 134 mm x 211 mm, Gewicht: 379 g

Reihe: Leben lernen

ISBN: 978-3-608-89125-6
Verlag: Klett-Cotta Verlag


Erstmalig wird für die systemische Paartherapie ein Reflexions- und Handlungsansatz zur Prozesssteuerung vorgestellt, der auf den wichtigsten therapeutischen Wirkfaktoren basiert und das Paarsetting selbst als weiteren Wirkfaktor versteht. Die sich zwischen Planung und Improvisation abspielende Prozesssteuerung basiert auf einer Reihe von Landkarten, die den Prozess des Navigierens aus unterschiedlichen Perspektiven beschreiben. Diese Landkarten sind Aktivierungs- und Navigationssysteme und fungieren als Koordinatensysteme, auf deren Hintergrund der Therapeut Fragen, Kommentare und andere Interventionen auswählt, mit denen er den therapeutischen Prozess steuert und anschlussfähig bleibt. Sie dienen zusätzlich der Reflexion der eigenen Annahmen und Entscheidungen. Darüber hinaus fördern sie die Kreativität des Therapeuten und der Paare, indem sie den Prozess so steuern, dass neue Wege und neue Landkarten entstehen nach dem Motto: Viele Wege führen nach Rom, man muss aber wissen, wo Rom liegt.
 
- Methodenunabhängiges Modell
- Paarberatung ist Prozessberatung in der Begegnung
- Insiderposition innerhalb der Interaktion
- Pendeln zwischen nicht auflösbaren Polen

Dieses Buch richtet sich an:

- PsychotherapeutInnen aller Schulen, die mit Paaren arbeiten
- Systemische FamilientherapeutInnen
- Beratende PsychologInnen
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Zielgruppe


PsychotherapeutInnen aller Schulen, die mit Paaren arbeiten; Systemische FamilientherapeutInnen; Beratende PsychologInnen


Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material


Einleitung: (Kein) Land in Sicht!
Paartherapie und Paarberatung sind wirksam 15
1. Stand der Ergebnis- und Prozessforschung zur Paartherapie und Paarberatung 15
2. Prozessmodelle paartherapeutischen Handelns 21
3. Die Metapher des Navigierens auf Sichtweite 30
4. Landkarten und Landmarken. 33
5. Pendeln und Driften zwischen Polen 36
6. Wirkfaktoren 38
7. Das Paarsetting als zusätzlicher Wirkfaktor 41

II. TEIL
Navigieren auf Sichtweite 43
1. Die Rolle des Therapeuten zwischen Planbarkeit und Unvorhersehbarkeit 43
1.1 Steuermannskunst: Die strukturierende und improvisierende Rolle des Therapeuten 43
1.2 Leitregeln der Strukturierung 48
1.3 Leitregeln zur Improvisation 53
1.4 Komplexität und Einfachheit 57
1.5 Gäste an Bord: Die Bereitschaft zur Begegnung 59
1.6 Wer macht was: Die Aufteilung der Verantwortung 62
2. Problemaktualisierung und Intentionsrealisierung zwischen Wirklichkeit und Möglichkeit 64
2.1 Landkarten: Prozesssteuerung zwischen Wirklichkeit und Möglichkeit 64
2.2 Veränderung wagen oder am Vertrauten festhalten 70
2.3 Wetterbericht: Regeln und Techniken der Problemaktualisierung 73
2.4 Bildermalen 74
2.5 Die Partner zeigen, wie sie zueinander stehen 78
2.6 Wirklichkeits- und Möglichkeitsfragen 86
3. Positions- und Zielbestimmung zwischen Situationsklärung und Intentionsveränderung 95
3.1 Willkommen an Bord: Kontaktaufbau 96
3.2 Einladungen erfragen 98
3.3 Ressourcenaktivierung vom ersten Moment an 100
3.4 Der Startpunkt: Problem- und Situationsklärung 103
3.5 Regeln und Lenkungstechniken 112
3.6 Wohin geht die Reise? Sichten von Eingangserwartungen und Zielen 118
3.7 Leitregeln für die Therapieplanung und den Therapieprozess125
4. Aktive Hilfe zur Problembewältigung zwischen Nicht-anders-Können und Besser-Können 128
4.1 Der Wirkfaktor aktive Problembewältigung 128
4.2 Fahrt aufnehmen: Motivieren und Begleiten vom Nicht-anders-Können zum Besser-Können 130
4.3 Kompetenz- und bewältigungsorientierte Interventionen 134
4.4 Wind säen: Individuelle und paarspezifische Ressourcen zur Problembewältigung 152
4.5 Landgänge: Der Transfer in den Alltag 160
5. Selbst- und Beziehungsklärung zwischen mutigem Hineingehen in soziale Räume und vorsichtigem Eintreten in Innenwelten 163
5.1 Die Wechselbeziehung zwischen Selbst- und Beziehungsklärung 163
5.2 Die Crew: Die Beziehung im Fokus der Klärung 166
5.3 Die Mitglieder: Beziehungsklärung mit dem Fokus auf den Partner 184
5.4 Im Laderaum: Vertiefen und Emporheben 185
5.5 Gefühls- und Beziehungsklärung durch Teilearbeit 195
6. Fortlaufende Kursbestimmung zwischen Kurs halten und Kurs korrigieren 211
6.1 Routen: Ähnlichkeiten und Unterschiede von Therapieverläufen 211
6.2 Auf hoher See: Die Mittelphase der Therapie 212
6.3 Navigieren zwischen Kurshalten und Kursänderung und zwischen Veränderung und Akzeptanz 214
6.4 Stagnierende Winde und Stromschnellen 219
6.5 Ankommen: Beendigung von Therapien 233
7. Methodeneinsatz zwischen sprachlichen und analogen Mitteln 237
7.1 Der konzeptorientierte Einsatz von Methoden 237
7.2 Reiseerinnerungen: Nachhaltigkeit erzeugen 239
7.3 Transportgut: Die 'Big-Five'-Elemente erlebnisaktivierender Methoden 243
7.4 Die Integration von Beziehung und Methoden 250

III. TEIL
Die Herausforderungen der Postmoderne an die Paartherapie 253
1. Paartherapie in Zeiten maximaler Freiheiten und individueller Entscheidungen 253
1.1 Informierte Klientenschaft 255
1.2 Beziehungsbiografien im sozialen Wandel 256
1.3 Wandel der Werte 260
1.4 Vereinbarkeit von Beruf und Familie 263
1.5 Die Multimedialisierung der Liebe 266
1.6 Kinderwunsch und Reproduktionsmedizin 268
1.7 Sex und Liebe 269
1.8 Liebe im Alter 271
1.9 Resümee: Paartherapie im Spannungsfeld gegensätzlicher Pole 272

Literaturverzeichnis 274


Einleitung:
(Kein) Land in Sicht!'Wie oft verglimmen die gewaltigsten Kräfte, weil kein Wind sie anbläst!'
Jeremias Gotthelf

Stürmische See
Paare können sich heute nur noch in geringem Maße auf Traditionen verlassen, um ihre menschlichen Beziehungen zu gestalten. Sie sind ständig konfrontiert mit den Problemen der Vieldeutigkeit und Komplexität von Optionen, der Ambivalenz von Situationen und Perspektiven sowie dem Zusammenfallen von Chancen und Risiken. Paare sind mehr denn je herausgefordert, Fragen und Probleme in Eigenverantwortung zu lösen und auch die Folgen ihrer Entscheidungen weitgehend selbst zu tragen.

Einigen gelingt diese Gratwanderung gut, andere sind partiell oder dauerhaft überfordert, kommen vom Kurs ab, sehen im wahrsten Sinne des Wortes 'kein Land mehr' und treiben ohne Kompass auf offener See. Für die Paartherapie erwächst aus dieser Entwicklung eine neue Aufgabe. Sie besteht kurz gefasst darin, Paare bei der Durchquerung immer wechselhafterer und multioptionaler Abschnitte ihres Liebes- und Beziehungslebens zu begleiten.

Dass Paarberatung und Paartherapie wirken – darüber gibt es heute keine Zweifel mehr. Zahlreiche Untersuchungen der Ergebnisforschung bestätigen dies. Damit brauchen wir nicht mehr allein unserer Erfahrung und unserer Intuition vertrauen, wenn gleich beide weiterhin eine unverzichtbare Rolle spielen.

Die vorliegenden Untersuchungen und Studien belegen sowohl die generelle Wirksamkeit der Paartherapie als auch ihre spezifische Wirksamkeit bei verschiedenen Störungsbildern. Zur Frage, welche Elemente im therapeutischen Prozess wann welche Wirkung erzielen, gibt es bedauerlicherweise nur einige wenige Einzelbefunde.

Welche Rolle die Steuerung des therapeutischen Prozesses spielt, ist bisher kaum untersucht worden. Dort, wo der Versuch unternommen wurde, scheiterte er an der Heterogenität paartherapeutischer Praxis. Es mögen also methodologische Gründe sein – aber nicht nur. Paartherapie führte lange ein Schattendasein neben der Familientherapie, und demzufolge wurde eine unabhängige Konzeptualisierung als überflüssig angesehen. Dies hat sich zwar mittlerweile geändert, aber bisher nicht dazu geführt, sich dem Thema der Prozesssteuerung intensiv zuzuwen den. Dabei ist in den letzten Jahren das Interesse an praxisnahen Konzepten und methodenunabhängigen Ansätzen deutlich gewachsen.

Hinzu kommt eine in breiten Kreisen systemischer Therapeuten vorherrschende kritische Distanz zu dem Thema. So befürchtet man, dass damit einer einseitigen Expertenschaft und kontrollierten Machbarkeit das Wort geredet wird. Zudem scheint das Motto zu gelten: Jeder macht es, aber keiner redet darüber! Beide Haltungen werden dem Thema weder theoretisch noch praktisch gerecht.

Inhalt dieses Praxisbuches ist ein Handlungs- und Reflexionsansatz zur Prozesssteuerung in der Paartherapie. Analog zu Paul Watzlawicks Aussage, dass man 'nicht nicht kommunizieren' kann, kann man meiner Meinung nach auch 'nicht nicht steuern'. Prozesssteuerung ist allerdings mehr als eine Ansammlung von Methoden, Interventionen und Module. Will man nicht allein durch Methoden und Interventionen steuern, braucht man eine Metamethodologie des therapeutischen Handelns. Dafür plädiert dieses Buch und damit auch für mehr Reflexion und Steuern im komplexen therapeutischen Handeln. Eine solche methodenunabhängige Metamethodologie steckt hinter dem Begriff des Navigierens auf Sichtweite.

Die Metapher des Navigierens auf Sichtweite
Die Kunst der Navigation ist schon viele tausend Jahre alt. Sie wurde ursprünglich in der Seefahrt eingesetzt, später auch für Expeditionen zu Lande. Die Sichtnavigation ist damit die wohl älteste Methode der Ortsbestimmung und Steuerung von Schiffen. Die Metapher des Navigierens auf Sichtweite kommt sowohl meinem persönlichen Verständnis von Paartherapie als auch der heutigen Auffassung von Paartherapie als Prozess- und begegnungsorientiertes Verfahren nahe, bei dem Therapeut und Klient eine kommu nikative Subjekt-Subjekt-Beziehung eingehen. Der Therapeut versteht sich als Begleiter, der die Bewältigung partnerschaftlicher Probleme als auch die Entwicklung der Partner und ihrer Beziehung durch ein Fallverstehen in der Begegnung fördert und stützt. Hierbei nimmt er eine Insiderposition innerhalb der Interaktion ein.

Das hier vorgestellte Modell paartherapeutischer Prozesssteuerung grenzt sich einerseits ab von Positionen einseitiger therapeutischer Expertenschaft und kontrollierter Machbarkeit und andererseits von Positionen, die rein aus dem Bauch heraus spontan agieren und reagieren. Paartherapie und Paarberatung allein 'aus dem Bauch heraus' ohne explizite Begründung und Evaluation des Vorgehens ist unverantwortlich. Dasselbe gilt für das Aneinanderreihen von Interventionen nach dem Motto 'viel gemacht ist auch viel geholfen'.

Zum Verständnis von Prozesssteuerung als Navigieren auf Sichtweite gehört ferner, dass Erkennen und Erleben untrennbar miteinander verknüpft sind. Moderne Prozesssteuerung basiert zudem auf den von der prozess- und ergebnisorientierten Psychotherapieforschung empirisch gut belegten Wirkfaktoren der Ressourcenaktivierung, der Problemaktualisierung und Problembewältigung, der Intentionsveränderung und Intentionsrealisierung sowie der Klärungsorientierung. Dadurch ergänzen sich klärungsorientierte und bewältigungsorientierte Vorgehensweisen optimal.

Landkarten
Therapie und Beratungsgespräche verlaufen ungeordnet und spontan. Gott sei Dank! Hierbei sind insbesondere unsere Intuition und unsere Improvisationsfähigkeit gefragt. Aber Therapie und Beratungsgespräche haben auch einen bestimmten Ablauf und wiederkehrende choreografische Elemente – wie auch der gesamte therapeutische Prozess eine gewisse Struktur aufweist. Auch wenn der Therapeut seine Reaktionen auf die Äußerungen der Paare nicht im Vorhinein festlegen sollte, so können ihm Landkarten dabei helfen, so zu reagieren und zu agieren, dass die Klienten mehr über sich selbst und ihre Partnerschaft erfahren wollen, Ereignisse in ihrem Leben auf neue Art verstehen wollen, neue Möglichkeiten entdecken und Neues ausprobieren möchten, unabänderliche Gegebenheiten akzeptieren und gute und kluge Entscheidungen treffen wollen.

Da bei der Gestaltung von Therapiegesprächen von uns Therapeuten generell auf irgendwelche Leitideen oder Modelle zurückgegriffen wird, besteht die Gefahr, sich diesen nicht bewusst zu sein. Der Vorteil von Landkarten ist demgegenüber, dass ihr Inhalt bekannt ist, transparent gemacht werden und kritisch reflektiert werden kann.

Die in diesem Buch vorgestellten Landkarten sind Aktivierungs- und Navigationssysteme zur Steuerung des therapeutischen Prozesses. Sie fungieren als Koordinatensysteme, auf deren Hintergrund der Therapeut Fragen, Kommentare und andere Interventionen auswählt, mit denen er den therapeutischen Prozess steuert und anschlussfähig bleibt. Sie dienen zusätzlich der Reflexion der eigenen Annahmen und Entscheidungen. Sie beschreiben den Prozess des Navigierens aus unterschiedlichen Perspektiven.

Eine erste Perspektive ist die therapeutische Beziehung, eine zweite der Veränderungsprozess, der damit beginnt auszuloten, 'was ist', dann zu den Möglichkeiten übergeht und wieder zurückführt zu dem, was 'dann ist'. Diese beiden Perspektiven gelten für den gesamten therapeutischen Prozess und bilden zusammen mit dem zeitlichen Verlauf die 'Horizontachse'. Die anderen Perspektiven bauen darauf auf und rücken in den verschiedenen Phasen in den Mittelpunkt – allerdings nicht im Sinne einer strikten Linearität. Hierzu zählen die Positions-und Zielbestimmung, die Problemaktualisierung der Partner, die aktive Problembewältigung, die Klärung der Beziehung sowie die Prozesssteuerung in der mittleren und späteren Phase der Therapie mit den damit verknüpften Phänomenen von Veränderung und Stagnation.

Insgesamt sind es sieben Landkarten, die der Prozesssteuerung zugrunde liegen. Vergleichbar mit 'Landmarken' ergeben sie gut begründbare Leitregeln für die Steuerung und Reflexion des therapeutischen Prozesses mit Paaren. In ihrer Abfolge geben sie die Hauptphasen längerer paartherapeutischer Therapieprozesse wieder.

Pendeln und Driften zwischen Polaritäten
Der Prozess des Steuerns und Beisteuerns ist äußerst komplex und vielschichtig, explizit und implizit zugleich, bewusst und unbewusst, spontan und geplant. Die Kunst des Navigierens hat sowohl linearen als auch zirkulären Charakter: Es wird auf ein Ziel zugegangen, aber diesem Ziel kann sich die Therapie nur in immer wiederkehrenden Schleifen und kreisförmigen Prozessen annähern. Hierbei pendelt und driftet der Therapeut aktiv zwischen widersprüchlichen Polen, wobei er sich mal mehr auf den einen, mal mehr auf den anderen Pol zubewegt. Hierbei steuert er und wird gesteuert. Seine Entscheidungsprozesse laufen sowohl bewusst als auch unbewusst ab.

Eines der wichtigsten Spannungsfelder ist das zwischen Planbarkeit und Unvorhersehbarkeit – mithin auch der Kreativität. Dem sehr nahe liegt das Spannungsfeld zwischen rationalen und intuitiven Entscheidungen – allgemein als Bauchentscheidungen bezeichnet. Andere Spannungsfelder bewegen sich zwischen mitfühlender Verbundenheit und sachlicher Nüchternheit oder zwischen Komplexität und Einfachheit.

Wer diese und andere Pole eher als Gegensätze versteht, wird sich ständig fragen müssen, ob die Erhöhung von Komplexität nicht zu Lasten der Einfachheit geht oder ob mitfühlende Verbundenheit die notwendige Distanz verhindert oder diese umgekehrt der Verbundenheit schadet.

Das Plädoyer dieses Buches ist, dass die Verbindung der jeweiligen Pole möglich – ja sogar erforderlich ist und zu einer höheren Intensität und Effektivität führt. So bedarf es, um überhaupt Planung betreiben zu können, der Kreativität, und um Kreativität an den Tag zu legen, muss ein therapeutisch fester Rahmen geplant werden. Wer Therapieprozesse kreativ steuert, tut dies sowohl geplant als auch spontan.

Gliederung
Das Buch ist in drei Teile gegliedert. Im ersten Teil gehe ich der Frage nach der Wirksamkeit von Paartherapie und Paarberatung nach. Hierbei beziehe ich neue Forschungsergebnisse aus dem Bereich der institutionellen Paarberatung ein sowie Ergebnisse einer eigenen Befragung von Klienten einer Paartherapie. Im Anschluss daran beschäftige ich mich mit einigen ausgewählten Prozessmodellen paartherapeutischen Handelns, um so die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu meinem Ansatz deutlich zu machen. Im zweiten und umfangreichsten Teil stelle ich sieben Landkarten der therapeutischen Prozesssteuerung für die Paartherapie vor und erläutere diese anhand von konkreten eigenen Fallbeispielen. Sie basieren sowohl auf meinen eigenen beruflichen Erfahrungen als auch auf bestehenden paartherapeutischen Ansätzen und Modellen.

Der vorliegende Ansatz versteht sich als Weiterentwicklung meines vor einigen Jahren erschienenen Buches 'Paare in Therapie', das insbesondere vom Einsatz erlebnisaktivierender Methoden in der Paartherapie handelt. Mein Interesse gilt in den letzten Jahren verstärkt der metamethodologischen Ebene der Paartherapie.

Ich verwende zwar meist den Begriff Paartherapie, vieles lässt sich auf die Paarberatung übertragen, da die Übergänge ohnehin fließend sind.

Paartherapie findet nicht im luftleeren Raum statt, verändert sich und wird dies hoffentlich weiterhin tun. Im dritten Teil gehe ich auf die Herausforderungen an die Paartherapie ein, wie sie durch die gesellschaftliche Entwicklung der letzten 40 Jahre entstanden sind, und zeige einige Trends auf, wohin die Entwicklung gehen könnte. Damit möchte ich dem gesellschaftlichen Kontext der Paartherapie Rechnung tragen und Therapeuten für diese Herausforderungen sensibilisieren.

Dank
Zahlreiche Segelurlaube mit unseren Kindern haben offensichtlich schon früher unbewusst den Grundstein für mein Interesse an nautischen Metaphern gelegt. Erst beim Schreiben sind mir dieser Zusammenhang und meine Begeisterung für diese Metapher bewusst geworden. Danke, an euch Jungs und an dich, Paula. Mein weiterer Dank geht an meine Sekretärin Christel Baumhauer, die das Manuskript geschrieben und geduldig die Korrekturen eingearbeitet hat, sowie auch an meine Lektorin von Klett-Cotta, Frau Dr. Christine Treml, mit der die Zusammenarbeit wie immer problemlos war. Außerdem danke ich meinem Kollegen Peter Katzenberger für seine kritische Lektüre meines Manuskripts und seine Hinweise und Axel Bengsch für die Illustrationen.

Wenn dieses Buch zum einen dazu beiträgt, dass das Thema der Prozesssteuerung mehr in den Blick rückt, als dies bisher der Fall ist, und zum anderen die Lust und das Interesse an strukturierter und kreativer Paartherapie weckt, hätte es seinen Zweck erfüllt.

Ascona, August 2011

I. TEIL Paartherapie und Paarberatung sind wirksam
'Der Weg, der zum Wissen führt, ist Tätigkeit' George Bernard Shaw

1. Stand der Ergebnis- und Prozessforschung zur Paartherapie und Paarberatung Bis vor wenigen Jahren wurde die Paartherapie meist in Kombination mit der Familientherapie abgehandelt. Autoren wie J. Haley lehnten gar eine eigenständige Behandlung der Paarbeziehung ab. Erst in jüngerer Zeit wurde Paartherapie zu einem eigenständigen Ansatz. Schaut man sich die Metastudien und Primäranalysen an, so zeigt sich, dass die bedeutendsten Übersichtsarbeiten über Effektivität und Effizienz der Paartherapie aus dem angloamerikanischen Sprachraum kommen. An neuen deutschsprachigen Studien ist die Studie von Klann, Hahlweg, Baucom und Kroeger (2011) zu erwähnen. In Anlehnung an den aktuellen und umfassenden Überblick zur systemisch-familientherapeutischen Psychotherapieforschung von Sydow, Beher, Retzlaff und Schweizer (2007) und den von A. Riehl-Emde (2006) zusammengestellten aktuellen Forschungsstand zur Paartherapie lassen sich folgende Aussagen zur Effektivität und Effizienz der Paartherapie machen:

Paartherapie ist global gesehen wirksam. Sie ist sowohl in statistischer als auch in klinischer Hinsicht effektiver als keine The rapie.
In zwei Drittel der Fälle bewirkt Paartherapie positive Ergebnisse in den Bereichen eheliche Zufriedenheit und Reduktion von negativem ehelichen Stress.
Die feststellbaren Veränderungen treten in Kurzzeitsettings von 12 bis 20 Sitzungen auf.
Bei Ehe- und Beziehungsproblemen erweist sich Paartherapie wirksamer als Einzeltherapie.
Paartherapie erweist sich als hilfreich in der Behandlung psychischer Störungen sowohl allein als auch in Kombination mit anderen Therapieformen.
Die Wirkung der Paartherapie verstärkt sich bei schweren Störungen, wenn sie mit anderen Interventionen kombiniert wird.
In 10 % der Fälle kommt es zu negativen Effekten bzw. zu Verschlechterungen. Dies scheint vor allem dann der Fall zu sein, wenn frühzeitig in der Therapie emotional aufgeladene Themen konfrontiert werden und gleichzeitig wenig Struktur und Unterstützung angeboten wird.
Cotherapie ist nicht wirksamer als das Setting mit einem Therapeuten.
Es liegen auch keine Hinweise vor, dass eine Form der Paartherapie einer anderen überlegen ist.
Was die Vorhersagbarkeit des Therapieerfolges anbelangt, scheinen zwei methodenunabhängige Faktoren bedeutsam zu sein: Jüngere Paare scheinen mehr von der Paartherapie zu profitieren, kooperative Paare profitieren ebenfalls mehr.

Das heißt, bei aller Heterogenität in der Theoriebildung paartherapeutischer Konzepte und Handlungsmodelle kann generell von der Effektivität und der Effizienz der Paartherapie ausgegangen werden.

Dass Paartherapie auch bei verschiedenen Störungen wirksam ist, ist ebenfalls gut belegt:

Bei Frauen mit depressiven Störungen und chronischen Partnerschaftskonflikten ist Paartherapie wirksam, die auf die Bewältigung der Krankheit ausgerichtet ist.

Bei erwachsenen Patienten mit krankheitswertigen Alkoholproblemen führt Paartherapie zur Einschränkung des Trinkens und zu höherer Zufriedenheit in der Paarbeziehung. Empirische Befunde weisen auf Behandlungsvorteile durch lösungsorientierte Vorgehensweisen hin.
Bei Erwachsenen führt die Einbeziehung des Partners des Patienten in die Therapie der Angststörungen zur Verbesserung des Behandlungserfolgs. Verhaltensnahe Vorgehensweisen führen zu einer Verbesserung der partnerschaftlichen Kommunikation, was sich positiv auf die Symptomatik auswirkt.
Bei der Behandlung von Sexualstörungen sind paarbezogene sexualtherapeutische Behandlungsprogramme wirksam.
Obwohl Ehekonflikte im Sinne des medizinischen Krankheitsbegriffs keine Störungen sind, belegt eine ganze Reihe von Stu dien die Wirksamkeit der Paartherapie bei chronischen Partnerschafts- und Ehekonflikten. Eheliche Konflikte, insbesondere, wenn sie über einen längeren Zeitraum fortbestehen, sind oft Grundlagen und Folge unterschiedlichster psychischer und auch körperlicher Störungen. Erfolgt eine Verbesserung des partnerschaftlichen Klimas, so hat dies vielfältige günstige Auswirkungen auf die Gesundheit der Betroffenen. So kann Paartherapie sehr wirksam zur Erhöhung der allgemeinen Zufriedenheit beitragen. Nach APA- und EBM-Kriterien kann hier von einer empirisch gut belegten Wirksamkeit aus gegangen werden (vgl. Scheib u. Wirsching, 2004).

Notker Klann und Kurt Hahlweg (1995) untersuchten die Wirksamkeit von Eheberatung und Ehetherapie in einer breit angelegten Studie zur Qualität der Arbeit von katholischen Ehe-, Familien- und Lebensberatungsstellen und konnten bezüglich der Wirksamkeit von Eheberatung und Ehetherapie eine mittlere Effektstärke nachweisen. Dies veranlasst sie zu dem Schluss, dass die Beratungen und Therapien zu klinisch relevanten Verbesserungen der Problemlagen der Klienten führten. Im Einzelnen ergaben sich folgende Verbesserungen:

Im Vergleich zur Anfangssituation hatten Paare nach Beendigung der Beratung im Durchschnitt weniger Probleme, waren mit ihrer Beziehung insgesamt zufriedener, konnten sich im affektiven Bereich besser austauschen und gaben auch an, ihre Probleme besser bewältigen zu können. Paartherapie hat damit signifikant positiven Einfluss auf die folgenden Bereiche: generelles Stressempfinden, affektive Kommunikation und Problemlösung.

Paartherapie führte zu einer höheren Zufriedenheit bezüglich der gemeinsam verbrachten Zeit.
Paartherapie führte zu einer Verbesserung der sexuellen Zufriedenheit und der elterlichen Kooperation, auch wenn die Änderungen in diesen Bereichen geringer ausfielen.
Paartherapie beeinflusste die persönliche Unzufriedenheit und negativen Stress positiv.
Keine signifikanten Veränderungen fanden sich in den nicht sonderlich belasteten Bereichen Finanzplanung, Rollenverständnis und Unzufriedenheit mit den Kindern.

Diese Ergebnisse konnten durch eine Replikationsstudie (Klann, Hahlweg, Baucom, Kroeger, 2011) bestätigt werden, was den Ergebnissen eine größere Aussagekraft verleiht und für die interne Konsistenz der Ergebnisse spricht. In einer weiteren Studie neueren Datums (Ditzen, Hahlweg, Fehm-Wolfsdorf, Baucom, 2011) konnte nachgewiesen werden, dass sich bereits durch Teilnahme an partnerbezogenen Übungsprogrammen der Cortisol-Level während der Paarkonflikts-Diskussionen signifikant reduzierte. Die Senkung des Stresshormons Cortisol ging einher mit einer subjektiv gemessenen Verbesserung der Beziehungsqualität im Anschluss an die Teilnahme an den Übungsprogrammen.

Stellt man sich in diesem Zusammenhang die Frage nach den wirksamen Erfolgsfaktoren, so kommen die beiden Studien von Klann et al. zu dem Ergebnis, dass die Anzahl der Sitzungen und auch die Dauer der Sitzungen nur wenig bedeutsame Zusammenhänge mit den Erfolgsvariablen aufweisen. Paare, die nur wenige Beratungsstunden erhalten haben, profitieren nach den Ergebnissen mehr von der Beratung als diejenigen Paare, die zwischen sechs und fünfzehn Beratungsstunden in Anspruch genommen hatten. Dies ist allerdings auch schon der einzige Hinweis in der gesamten Studie auf mögliche prozessuale Wirkfaktoren. D. h.: Zwar ist die generelle Wirksamkeit der Eheberatung und Ehetherapie auch in dieser Studie gut belegt, offen ist aber, welche Wirkfaktoren zum Erfolg beitragen. Darin spiegelt sich auch die Vielfalt von therapeutischen Schwerpunktsetzungen wider, die eine differenzierte Analyse der Wirkungen verschiedener methodischer Zugänge bei unterschiedlichen Problemlagen nicht möglich machen.

Als Nebeneffekt dieser Studie konnte festgestellt werden, dass zusätzlich zu den erwarteten starken Belastungen im partnerschaftlichen Bereich ca. 45 % der Frauen und 30 % der Männer klinisch depressiv waren und über erhebliche körperliche Beschwerden klagten. Diese Ergebnisse zeigen deutlich, dass in der Beratungsarbeit mit Paaren auch mit einem hohen Prozentsatz von Patienten mit behandlungsbedürftigen Störungen zu rechnen ist. Eine klare Abgrenzung von Beratung und Therapie scheint daher kaum möglich, verlangen allerdings ihre Berücksichtigung in der Ausbildung von Paarberatern.

In einer eigenen Befragung von Nutzern einer Paartherapie konnten anhand der schriftlichen Rückmeldungen folgende subjektiv gemessenen positiven Effekte festgestellt werden:

Das Verständnis der Partner füreinander hat zugenommen. Die Partner gehen offener miteinander um.
Die Partner drücken ihre Gefühle häufiger und klarer aus.
Die Partner reden öfter miteinander als vor der Therapie.
Die Partner vertrauen sich wieder stärker.
Die Partner lösen Konflikte besser.
Die Partner halten Vereinbarungen verbindlicher ein.

Diese subjektiv positiv erlebten Veränderungen entsprechen weitgehend den Ergebnissen der Replikationsstudie von Klann et al. Als Ursachen für die hohe Zufriedenheit wurden mehrheitlich folgende Gründe genannt, die sich sowohl auf die Ergebnisqualität als auch auf die Prozessqualität der durchgeführten Paartherapien beziehen:

Die anfängliche Problematik hat sich mehrheitlich positiv verändert oder aufgelöst.
Die Häufigkeit der Gespräche wurde als angemessen empfunden.
Der Therapeut wurde als positiver Faktor erlebt. Geschätzt wurden Humor, Fachkompetenz, Geduld, Verständnis, gute Fragen und klare Worte.
Die offene Atmosphäre in den Gesprächen sowie die allparteiliche Haltung und moderierende Rolle des Therapeuten wurden positiv hervorgehoben.
Körperübungen und Methoden der Veranschaulichung und des Erlebens wurden als besonders hilfreich erlebt und blieben am besten im Gedächtnis haften.

In einer Metaanalyse zur Wirksamkeit spezifischer systemischer Interventionen (vgl. von Sydow et al., 2007) konnte nachgewiesen werden, dass positive Umdeutung eine besonders hohe therapeutische Wirksamkeit hat. Auch die Ressourcenorientierung, die zunächst weniger eine Technik als eine Haltung darstellt, zeigt eine hohe Wirksamkeit.

Trotz der gut belegten Tatsache, dass Paartherapie und Paarberatung sowohl generell als auch spezifisch wirksam sind, bleiben viele Fragen offen. So ist nach wie vor unklar, was für wen in welcher Weise wirkt (Riehl-Emde). Auch die Bedeutung der therapeutischen Beziehung in der systemischen Therapie ist bislang wenig geklärt und bedarf dringend der stärkeren Auseinandersetzung.

Völlig offen ist zudem die Frage nach einer eigenen Metamethodologie der Paarberatung und Paartherapie. Zwar ist es heute kein Thema mehr, dass Beratung und Therapie in erster Linie als prozessuales Geschehen stattfindet. Wie jedoch ein Handlungsansatz zur Prozesssteuerung aussehen könnte und welche metaperspektivischen Überlegungen diesem Ansatz zugrunde liegen, ist bislang nur in Ansätzen thematisiert. Dies schließt die Frage ein, welche Rolle der Therapeut in einem solchen Modell innehat.

Paartherapie stand lange im Schatten der Familientherapie, was zur Folge hatte, dass es kaum eigene konzeptionelle Bemühungen gab. Dies ist vermutlich ein Grund, warum es so wenig paartherapeutische Modelle gibt, die das Vorgehen des Therapeuten begründen helfen. Der andere Grund sind die vielfältigen forschungsmethodischen Probleme, die sich durch die Heterogenität der Ansätze ergeben.

Im folgenden Kapitel werden solche Paarmodelle vorgestellt, die Aussagen über das therapeutische Vorgehen beziehungsweise den therapeutischen Prozess beinhalten. Damit möchte ich Unterschiede und Gemeinsamkeiten zu dem von mir entwickelten Ansatz deutlich machen und dem Leser auf diesem Weg eine erste Standortbestimmung ermöglichen. Die Zusammenstellung paartherapeutischer Prozessmodelle erhebt keinen Anspruch auf deren vollständige Wiedergabe, sondern verweist hierfür auf die Originalliteratur.


Weber, Roland
Dr. Roland Weber (1950-2014) war systemischer Paar- und Familientherapeut; Weiterbildung auch in Hypnotherapie. Über 30 Jahre beriet er Einzelne, Paare und Familien in seiner psychotherapeutischen Praxis. Er leitete viele Jahre eine psychologische Beratungstelle in Stuttgart.

Dr. Roland Weber (1950-2014) war systemischer Paar- und Familientherapeut; Weiterbildung auch in Hypnotherapie. Über 30 Jahre beriet er Einzelne, Paare und Familien in seiner psychotherapeutischen Praxis. Er leitete viele Jahre eine psychologische Beratungstelle in Stuttgart.


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