Weiß | Der Chirurg und die Spielfrau | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 590 Seiten

Weiß Der Chirurg und die Spielfrau

Historischer Roman

E-Book, Deutsch, 590 Seiten

ISBN: 978-3-7325-7821-4
Verlag: Bastei Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: Kein



Von Bremen und Mallorca in den Süden Frankreichs und den Norden Italiens - eine spannende Reise durch die mittelalterliche Medizin und die Geschichte der Kreuzzüge



1217. Weil sein Vater ihn ins Kloster geben möchte, flieht der junge Bremer Adlige Thonis und schließt sich einem Kreuzzugsheer an. Doch er kommt nicht weit: Schon auf dem Weg ins Heilige Land erblindet er, wird zum Sterben zurückgelassen. Dass er gesundet, verdankt er allein dem betörenden Gesang einer Spielfrau, der ihn im Leben hält, und der Kunst des Chirurgen Wilhelm. Fasziniert lässt sich Thonis selbst zum Chirurgen ausbilden und spürt die Frau auf, die ihn einst rettete: Elena, eine Sklavin. Beide wollen sie den Menschen helfen - und geraten in einer Zeit der Kreuzzüge und Ketzerverfolgung in tödliche Gefahr ...
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Prolog
Toulouse, Okzitanien, August 1222 Der Wagen rumpelte in ein Schlagloch und geriet in gefährliche Schieflage. Elena umklammerte ihre Laute, mit der anderen Hand hielt sie sich am Gestänge fest. Das Seidenkleid klebte an ihrem Leib. Ihre Lippen spannten, sodass sie sie anfeuchten musste, damit sie nicht einrissen. Ihr Herr hatte die Plane fest verschlossen, weshalb sie seit Tagen in stickiger Hitze und erzwungener Blindheit dahinfuhr. Jetzt aber öffnete sich das Leinen im heißen Fahrtwind einen Spalt weit. Die Sommerhitze lag über den kargen Feldern wie ein Leichentuch. Der Landstrich war ausgeblutet. Brandruinen von Höfen, ja ganzen Dörfern. Weinstöcke wucherten unbeschnitten, Vieh war kaum zu sehen. Sie kannte diese Gegend nicht. Wo waren sie? Wohin reisten sie? Hungerleider rannten zu dem Frachtwagen und versuchten, ihn aus dem Loch zu schieben. Ein dürrer Junge riss an der Plane und spähte in den Wagen hinein. Als er Elena bemerkte, schob er ihr die geöffnete Handmuschel entgegen. »Bona Domna, bitte, ein paar Münzen nur! Ich flehe …« Er brach ab, als sie ruckartig anfuhren. Draußen gingen Bettelrufe durcheinander. »Bitte, Ser, ein Dank für unsere Hilfe!« »Ein paar Almosen für uns!« Der Hänfling klammerte sich an den Wagen. »Helft! Ich flehe Euch an!« Er streckte sich, beinahe bekam er ihren Schleier aus venezianischer Seide zu fassen. Elena wich zurück. Wenn er den Schleier zerriss, würde ihr Herr sie schlagen. Dabei wünschte sie sich, sie könnte dem Jungen etwas geben. Er war fünf, sechs Jahre jünger als sie, vielleicht vierzehn, und auch wenn es für ihn anders aussehen musste, war sie genauso bettelarm wie er. Das Seidenkleid, das ihre hohe, etwas zu kräftige Figur umschloss, der Schleier über ihren schwarzen langen Locken, die feinen Schuhe – nichts davon gehörte ihr. »Es tut mir leid, ich habe selbst nichts«, wisperte sie. Die Peitsche zischte hell. Der Wagen fuhr schneller, sodass Elena auf die Bank gedrückt wurde. Der Junge stürzte auf die Straße. »Bagasa!«, beschimpfte er sie als Dirne. Auch die anderen Helfer riefen ihnen Flüche hinterher. Wie beißender Rauch umwehten die Verwünschungen sie. Nicht lange nachdem Stimmen und Schritte verklungen waren, hielten sie an. Ihr Herr öffnete den Wagenverschlag. Seine Kleidung und seine Haare waren vom Straßendreck bestäubt. Auf seine gefurchte Stirn hatten Schweiß und Staub tiefe Linien gezeichnet. Er funkelte sie wütend an. »Ich habe dir doch gesagt, dass du mit niemandem reden sollst«, fauchte er. »Hast du ihm etwa verraten, wer wir sind und woher wir kommen?« Trotzig schwieg sie. Glaubte er wirklich, sie habe mit dem Betteljungen geplaudert? Unvermittelt schlug er ihr die Faust in den Leib. »Antworte gefälligst!« Elena krümmte sich keuchend. Dann zwang sie sich, gegen den Schmerz anzuatmen. Mit Bauchkrämpfen würde sie nach den Strapazen der Reise ihre Aufgabe nicht erfüllen können. »Ich habe ihm nur gesagt … dass ich ihm nichts geben kann, Ser«, presste sie hervor. Nun strich der Herr ihr über die Wange, was sie erschaudern ließ. Gönnerhaft hielt er ihr einen Lederschlauch hin. Nur kurz konnte sie sich die Kehle mit dem mit Wasser und Honig versetzten Wein netzen, ehe er ihr den Behälter wieder abnahm. »Das reicht. Du brauchst einen klaren Kopf.« Die Kontrolle am Stadttor war langwierig. Immerhin hatten ihre Schmerzen nachgelassen. Ihr Herr wusste genau, wie er sie schlagen konnte, ohne sie ernsthaft zu verletzen; er wollte seinen kostbaren Besitz ja nicht beschädigen. Elena lauschte dem Gespräch mit dem Zöllner. Schließlich schnappte sie den Namen der Stadt auf: Toulouse. Sie erstarrte. Deshalb also waren sie so lange unterwegs gewesen! Deshalb hatte ihr Herr darauf bestanden, unauffällig zu reisen. Todfeinde der Christenheit hatten sich in Südfrankreich ausgebreitet: die Katharer. Sie selbst behaupteten, den reinen Glauben zu vertreten, aber ihre Gegner waren davon überzeugt, dass sie dem Teufel, der sich oft in der Gestalt der Katze zeigte, den Hintern küssten. Der Papst hatte bereits vor etlichen Jahren zu einem heiligen Krieg gegen diese sogenannten Armen Christi aufgerufen, doch diese hatten offenbar Rückhalt in Adel und Bauernstand. In der Grafschaft Toulouse tobte der Kampf zwischen den Katholiken und den als Ketzer verfolgten Katharern noch immer erbittert. Es sah aus, als hätten dreizehn Jahre Kreuzzug das einst reiche Okzitanien in ein Armenhaus verwandelt. Kreuzritter, Häretiker, Aufständische und skrupellose Profiteure hatten Land und Leute zwischen sich zermahlen. Warum brachte ihr Herr sie in diese tödliche Gefahr? Endlich durften sie passieren. Selbst durch den schmalen Spalt in der Wagenplane waren die Folgen der Belagerungen, der Überfälle und Plünderungen unverkennbar. Etliche Häuser waren zerstört, andere wirkten verlassen. Eine angespannte Stille lag über der Stadt. Nichts war von dem Trubel zu spüren, der diese reiche Handelsstadt vermutlich sonst prägte. Die gewaltige Basilika aus rosafarbenen Steinen war von unzähligen Bettlern umlagert. Da erregte ein Tumult ihre Aufmerksamkeit: Auf einem Platz beschimpften sich Menschen, als hinge ihr Leben davon ab. Der Wagen hielt. Besitzergreifend legte ihr Herr seinen Arm um ihre Taille, als er ihr beim Aussteigen half. Vor ihnen erhob sich ein imposantes, schwer bewachtes Steinhaus, dessen Fensterläden verschlossen und gesichert waren. Ein mulmiges Gefühl schnürte Elena den Hals zu. Ein Diener nahm sie in Empfang. Im Dämmerlicht war Elena beinahe blind. Die gespenstische Stille im Haus verursachte ihr ein unangenehmes Zusammenziehen der Kopfhaut. Ein Adeliger begrüßte sie und flüsterte ihrem Herrn zu, dass sich die Situation, seitdem er die Nachricht geschickt hatte, dramatisch verschlechtert hatte. Graf Raymond habe einen Unfall gehabt. Jetzt gehe es um Leben oder Tod. Als sie ins Obergeschoss geführt wurden, hörte Elena mit Verzweiflung und Hass gemurmelte Gebete. Das Kribbeln breitete sich aus und zog den Nacken hinunter. So unwohl fühlte sie sich, dass sie sich wünschte, mit den kostbaren Tapisserien an den Wänden verschmelzen zu können. Beruhigend war nur die Laute in ihren Händen, birnenbauchig, poliert und mit frischen Saiten versehen, das Beständigste in ihrem Leben. Ihr Herr sah sie warnend an, als er sie in eine große Schlafkammer schob. »Du weißt, was du zu tun hast. Verdirb es nicht«, raunte er. Durch das Gespinst ihres Schleiers nahm Elena die Umgebung in sich auf. Es war ein düsterer und stickiger Raum, in dessen Mittelpunkt ein großes Himmelbett mit Vorhängen aus feinstem Damast stand. Eine Dame kniete neben dem Bett und betete. Der Duft der wohlriechenden Kräuter, die in mehreren Schalen verbrannt wurden, konnte den Gestank der Krankheit nicht überdecken. Männer standen in Grüppchen in der Nähe des Betts und diskutierten erregt. Es waren Adelige, Bürger, Geistliche und Kreuzritter verschiedener Orden. Ein junger Ritter lief unruhig vor den verrammelten Fenstern auf und ab. Und da war der Kranke. Sein Körper war von Pelzen bedeckt, sein Schädel von Seide. Dazwischen ein eingefallenes Gesicht mit blutunterlaufenen Augenhöhlen. Ein gestandener Ritter, das verriet seine Statur. Ein Mann, der das Leben ausgekostet hatte, das verriet sein Gesicht. Ein Sterbender, das verriet seine Stimme. Sein Stöhnen trieb Elena den Geschmack von Asche in den Mund. Die Männer wandten sich ihnen zu. Die fein geschnittenen Züge eines Mönchs verwandelten sich bei ihrem Anblick in eine angewiderte Grimasse. »Was hat das Weib hier zu suchen?«, zischte er. Seinem schwarz-weißen Habit nach zu urteilen, gehörte er dem strengen Predigerorden an. »Ihre Künste sind mir ans Herz gelegt worden. Wir müssen alles Menschenmögliche versuchen, um meinen Vater zu retten. Die Heiltränke dieses Herrn sind berühmt. Außerdem hat Graf Raymond die Musik immer geliebt«, sagte der junge Ritter, der sich mit diesen Worten als Raymond der Jüngere zu erkennen gab. »Auf Gott sollte der Graf vertrauen! Sein Leben liegt in der Hand des Allmächtigen. Wenigstens im Tode sollte er sich angemessen verhalten«, brach es aus dem Mönch heraus. Nun mischte sich ein Greis ein, der sein dunkles, schlichtes Gewand mit einem einfachen Seil gegürtet trug. »Der Graf ist ein guter Christ und möchte auch im Tode so behandelt werden. Lasst mich diesem Freund Gottes die Hand auflegen und sein Leben zu einem guten Ende führen.« Elena erstarrte bei diesem Ansinnen. Der Greis musste ein Perfectus sein, einer der geistlichen Anführer der Katharer. Warum wurde er hier geduldet? Ihren Herrn schien diese Diskussion nicht zu kümmern. Mit großer Geste flößte er dem Kranken einen Heiltrank ein. Die Reaktion des Predigermönchs ließ nicht auf sich warten. »Schweigt, verketzerte Brut!«, schrie der Mönch den Perfectus an. »Mäßigt Euch!«, ging nun einer der Kreuzritter in scharfem Ton dazwischen. »Ich lasse mir nicht den Mund verbieten. Extra ecclesiam nulla salus, heißt es. Auch Ihr solltet wissen, dass es außerhalb der Kirche kein Heil gibt. Brennen soll dieser häretische Greis auf dem Scheiterhaufen, wie so viele seiner Glaubensgenossen vor ihm.« »Ich fürchte das Feuer nicht. Es wird meine Seele befreien!«, verkündete der Perfectus. »Damit sie in ein anderes Wesen einfahren kann, wie der Teufel? Macht endlich dieser Häresie ein Ende! Es ist eure Aufgabe, die Kirche mit euren Waffen zu verteidigen!«, fuhr der Mönch die Kreuzritter an. Nun wandte sich einer der...


Sabine Weiß arbeitete nach ihrem Germanistik- und Geschichtsstudium als Journalistin. Seit 2007 veröffentlicht sie erfolgreich Historische Romane, seit 2016 auch Kriminalromane um die junge Kommissarin Liv Lammers. Wenn sie nicht gerade mit ihrem Camper auf den Spuren ihrer Figuren reist und recherchiert, lebt Sabine Weiß mit ihrem Mann und ihrem Sohn in der Nähe von Hamburg.


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