Aktionsbündnis Patientensicherheit e.V. / Strametz | Mitarbeitersicherheit ist Patientensicherheit | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 158 Seiten

Aktionsbündnis Patientensicherheit e.V. / Strametz Mitarbeitersicherheit ist Patientensicherheit

Psychosoziale Unterstützung von Behandelnden im Krankenhaus

E-Book, Deutsch, 158 Seiten

ISBN: 978-3-17-039972-3
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Unter dem Motto "Mitarbeitersicherheit ist Patientensicherheit" widmet sich das Werk der psychosozialen Unterstützung von Behandelnden, und zwar vornehmlich aus der Perspektive der Patientensicherheit: Fehler und andere kritische Situationen können nicht nur Patienten und Angehörige schädigen, sondern auch die Behandelnden. In diesem Kontext spricht man vom Second Victim, also dem "zweiten Opfer". Aus Sicht der Patientensicherheit ist hierbei besonders kritisch, dass durch die Traumatisierung von Behandelnden auch weitere Patienten geschädigt werden, sei es durch die psychische Beeinträchtigung der Behandelnden (teilweise über Jahre erhöhte Fehleranfälligkeit) oder auch durch defensiv-absicherndes Verhalten mit daraus folgender Überdiagnostik und Entscheidungsschwäche. Die COVID-19-Pandemie demaskierte dieses seit jeher vorhandene Problem, da die akuten Belastungen (auch ohne de facto Fehler begangen zu haben) nun nahezu alle zu spüren bekamen.
Das Werk wurde vom Gesundheitswirtschaftskongress als Buchtipp 2021 ausgezeichnet.
Aktionsbündnis Patientensicherheit e.V. / Strametz Mitarbeitersicherheit ist Patientensicherheit jetzt bestellen!

Weitere Infos & Material


2          Konzepte und Rahmenbedingungen psychosozialer Unterstützung
Marion Koll-Krüsmann
2.1         Was ist psychosoziale Unterstützung?
2.1.1     Einführung
Aufgrund der hohen Arbeitsbelastung in der Patientenversorgung bei regelmäßiger Konfrontation mit existenziellen Situationen sind Mitarbeitende im Gesundheitswesen eine wichtige Zielgruppe für psychosoziale Unterstützung (PSU). Diese sollte in der Regel kollegial erfolgen, also durch sogenannte Peers, und sowohl regelmäßige, ereignisunabhängige Maßnahmen zur Förderung von Bewältigungskompetenzen und Robustheit beinhalten (primäre Prävention), als auch Gesprächsangebote und spezifische Unterstützung nach potentiell traumatisierenden Ereignissen (sekundäre Prävention). Voraussetzung für ein funktionierendes Unterstützungssystem ist zum einen ein Vertrauensverhältnis zwischen Peers und Belegschaft und zum anderen eine diesbezüglich förderliche Unternehmenskultur. Deshalb sind Führungskräfte durch entsprechende Fortbildung in die PSU einzubinden, die außerdem mit den weiteren Maßnahmen des betrieblichen Gesundheitsmanagements abzustimmen sind. Für die Peers ist eine vertiefte Ausbildung und fachliche Leitung sowie Supervision zu gewährleisten. Die psychische Sicherheit und Stabilität von Mitarbeitenden im Gesundheitswesen überträgt sich auf das Sicherheitsgefühl der Patientinnen und Patienten. Schaut man auf Befunde bezüglich der Auftretenswahrscheinlichkeit von psychischen Störungen und Erkrankungen bei Ärzten und Ärztinnen sowie dem Pflegepersonal, zeigt sich ein alarmierendes Bild (Hinzmann u. a. 2019). Mitarbeitende im Gesundheitswesen sind, wie auch die Einsatzkräfte in der polizeilichen und nicht-polizeilichen Gefahrenabwehr, zu einer Risikopopulation hinsichtlich der Entwicklung einer Traumafolgestörung zu zählen. Tatsächlich sind die medizinischen Bereiche – zeitlich gesehen – eine der letzten betroffenen Berufsgruppen, die sich systematisch mit der Problematik von tätigkeitsbedingten Traumatisierungen beschäftigen. Dabei ist es von Vorteil, dass es für die Implementierung von Konzepten zur psychosozialen Prävention im Gesundheitswesen möglich ist, auf bereits bewährte Konzepte aufzubauen. So wurden in den letzten zehn Jahren in Deutschland einige Ansätze entwickelt, die den Gedanken einer niederschwelligen kollegialen Unterstützung für das medizinische Personal in Kliniken und Praxen, wie es schon seit Jahrzehnten in Feuerwehr und Rettungsdienst durch sogenannten Peer-Support üblich ist, aufgreifen. Psychosoziale Unterstützung (PSU) für Mitarbeitende im Gesundheitswesen ist eine Modifikation von etablierten Konzepten zur psychosozialen Notfallversorgung für Einsatzkräfte (PSNV-E) aus dem Bereich des Katastrophenschutzes und der Präklinik. Kernelement der psychosozialen Unterstützung sind Angebote kollegialer Unterstützung durch Peers. Psychosoziale Unterstützung konzentriert sich dabei nicht nur auf eine Versorgung nach kritischen Ereignissen. Denn schwerwiegende und/oder kritische Vorfälle gehören mehr oder weniger zum klinischen Alltag. Daher beinhaltet PSU nicht nur die Begleitung nach einem potentiell traumatisierenden Ereignis (im Sinne von sekundärer Prävention). Genauso zielführend sind Maßnahmen, die ereignisunabhängig Kompetenz, Robustheit und Kohärenzerleben fördern (primäre Prävention). Ein Peer kann so als Multiplikator dienen und in den Unternehmen das Wissen über Auswirkung und Bewältigung von massiven Stressoren am Arbeitsplatz (z. B. als »Second Victim«) erhöhen. Eine Studie der Ludwig-Maximilians-Universität München (Krüsmann u. a. 2006) konnte zeigen, dass traumabelastete Mitglieder der Freiwilligen Feuerwehren im Durchschnitt seit sechs Jahren unter ihren einsatzbezogenen Symptomen litten. Dies zeigt, dass selbst bei deutlicher Notwendigkeit die Vermittlung in eine weiterführende Behandlung oft nicht gelingt. Daher ist es eine weitere substantielle Aufgabe von Peers, Schnittstellenarbeit zu leisten. Gerade wenn es sich um einen Arbeitsunfall handelt, halten die Unfallversicherer mit dem sogenannten Psychotherapeutenverfahren (DGUV o. J.) ein bewährtes und hervorragendes Instrument vor. Effektive psychosoziale Unterstützung, die zu einem angemessenen Umgang mit entsprechenden Belastungen führen soll, verlangt ein Vorgehen mit einem Bündel an Maßnahmen auf unterschiedlichen Ebenen und zu verschiedenen Zeitpunkten, d. h. ein modulares System auf der Basis kollegialer Unterstützung durch Peers. 2.1.2     Die Entwicklung von psychosozialen Präventionskonzepten in Deutschland
Das Erleben von traumatischen Situationen, also Erfahrungen, bei denen es um Leben und Tod geht, führt bei den meisten Menschen zu schweren akuten Stressreaktionen. In den allermeisten Fällen werden die betroffenen Personen in der präklinischen Versorgung sichtbar, entweder selbst als Patienten oder Patientinnen oder als betroffene Angehörige oder zufällige Bystander. So ist es nicht verwunderlich, dass es Einsatzkräfte der Rettungsdienste waren, die den Bedarf an niederschwelliger Unterstützung unmittelbar am Ereignisort erkannt haben und erste Ansätze psychosozialer Begleitung entwickelten. Diese Strukturen, die Angebote für die Allgemeinbevölkerung nach traumatischen Erfahrungen vorhalten, existieren in Deutschland seit den frühen 1990er Jahren. Ein 1994 aufgebautes Kriseninterventionsteam (KIT-München) bot in Bayern – als erste Einrichtung dieser Art – präklinische Notfallversorgung als integralen Bestandteil der Rettungsdienste an (Krüsmann und Müller-Cyran 2005). Ob ein Mensch, der ein Trauma erleben musste (bezeichnet wird dies als primäre, also unmittelbare Traumatisierung), an einer Traumafolgestörung erkrankt, hängt von einer Vielzahl von Faktoren ab. Über alle Traumata hinweg entwickeln etwa 8 % der Betroffenen eine posttraumatische Belastungsstörung. Entscheidend für den Verarbeitungsprozess sind neben den individuellen Bewältigungsmöglichkeiten der Betroffenen sowie der Schwere der traumatischen Erfahrung auch Ausmaß und Form der erfahrenen sozialen Unterstützung. Krisenintervention im Rettungsdienst sowie Notfallseelsorge und notfallpsychologische Konzepte sind als eine Form von sozialer Unterstützung zu sehen, die den Betroffenen dazu verhelfen, die peritraumatische Situation bestmöglich gestalten zu können. Als Beispiele wären hier das Ermöglichen eines würdevollen Abschiedes von Verstorbenen, die Vermittlung von Sicherheit und Orientierung oder die Aktivierung des sozialen Netzes von Betroffen zu nennen. Wie aber verkraften die Einsatzkräfte, die als Helfende (dies wird als sekundäre Traumatisierung bezeichnet, in der Medizin als »Second Victims« bezeichnet, Kap. 1.1.) mit den Folgen der traumatischen Situationen konfrontiert werden, ihre Erfahrungen? Dass das Miterleben der Folgen von »alltäglichen« traumatischen Ereignissen bei Einsatzkräften zu einer Vielzahl unterschiedlicher somatischer und psychischer Beschwerden sowie zu der Entwicklung von Traumafolgestörungen führen kann, wurde durch eine Vielzahl von Untersuchungen belegt (Teegen u. a. 1997). Blickt man auf die Folgen von Einsätzen nach Großschadenslagen und Katastrophen, wird noch deutlicher, dass Einsatzkräfte zu einer Hochrisikogruppe hinsichtlich der Entwicklung ernsthafter psychischer Erkrankungen zu zählen sind (Krüsmann und Karl 2012). Folgerichtig entstanden Konzepte, die zum Ziel hatten, die negativen Effekte sekundärer Traumatisierung durch eine strukturierte Notfallversorgung zu minimieren. Anzuführen sind das CISD-Konzept (Critical Incident Stress Debriefing) von Mitchell und Everly (1995) sowie das in Deutschland entwickelte Nachsorgekonzept der Bundesvereinigung zur Stressbearbeitung nach belastenden Ereignissen (SbE e. V.). Da die Wirksamkeit von Interventionen in der peritraumatischen Phase zu der Zeit nicht eindeutig belegt war, rückte in Deutschland zunehmend die Frage nach Qualitätsstandards in den Vordergrund. Die unterschiedlichen Begrifflichkeiten für Krisenintervention und Einsatznachsorge wurden zunächst unter dem Überbegriff PSNV (Psychosoziale Notfallversorgung) zusammengefasst, ein dringender Forschungsbedarf wurde formuliert. Ausgehend von drei bundesweiten Studien zur Prävention im Einsatzwesen (Krüsmann 2003) und der Entwicklung von Standards in der psychosozialen Notfallversorgung (Beerlage u. a. 2004) wurden 2011 im Rahmen einer Konsensuskonferenz im Bundesamt für Bevölkerungsschutz und...


Prof. Dr. med. Dipl.-Kfm. Reinhard Strametz ist Professor an der Hochschule RheinMain und Generalsekretär des Aktionsbündnisses Patientensicherheit e.V.

Das Aktionsbündnis Patientensicherheit e.V. setzt sich für eine sichere Gesundheitsversorgung ein und widmet sich der Erforschung, Entwicklung und Verbreitung dazu geeigneter Methoden.

Mit Beiträgen von:
Miriam Ablöscher, Peter Dieckmann, Brigitte Ettl, Ruth Hecker, Dominik Hinzmann, Wolfgang Huf, Johann-Moritz Hüsken, Heike A. Kahla-Witzsch, Marion Koll-Krüsmann, Andreas Müller-Cyran, Andreas Pitz, Marcus Rall, Matthias Raspe, Hannah Rösner, Andreas Schießl, Reinhard Strametz, Felix Walcher, Albert Wu und Max Zilezinski.


Ihre Fragen, Wünsche oder Anmerkungen
Vorname*
Nachname*
Ihre E-Mail-Adresse*
Kundennr.
Ihre Nachricht*
Lediglich mit * gekennzeichnete Felder sind Pflichtfelder.
Wenn Sie die im Kontaktformular eingegebenen Daten durch Klick auf den nachfolgenden Button übersenden, erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Ihr Angaben für die Beantwortung Ihrer Anfrage verwenden. Selbstverständlich werden Ihre Daten vertraulich behandelt und nicht an Dritte weitergegeben. Sie können der Verwendung Ihrer Daten jederzeit widersprechen. Das Datenhandling bei Sack Fachmedien erklären wir Ihnen in unserer Datenschutzerklärung.