Angerer / Glaser / Gündel Psychische und psychosomatische Gesundheit in der Arbeit

Wissenschaft, Erfahrungen und Lösungen aus Arbeitsmedizin, Arbeitspsychologie und Psychosomatischer Medizin

E-Book, Deutsch, 600 Seiten

Reihe: Schwerpunktthema Jahrestagung DGAUM

ISBN: 978-3-609-10027-2
Verlag: ecomed
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Psychisch und psychosomatisch bedingte Krankschreibungen nehmen rapide zu.
Was können Arbeitsmediziner, Betriebsärzte, Betriebe und Kostenträger dagegen tun, wo können sie ansetzen?
Für den Umgang mit psychischen Problemen sind sie ja nicht primär ausgebildet.
Die Beiträge im Buch schließen diese Lücke und sind ganz auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten. Es sorgt auf der einen Seite für ein „solides wissenschaftliches Fundament“ und versorgt sie auf der anderen Seite mit praktischen Lösungskonzepten für die betriebliche Praxis.

Teil 1 skizziert und diskutiert den wissenschaftlichen Kenntnisstand:
arbeitsbedingte psychosoziale Einflüsse, Arbeitsstressmodelle, Methoden zur Untersuchung der Zusammenhänge mit der psychischen Gesundheit der Beschäftigten. Dabei geht es unter anderem um das Abschätzen von Erkrankungsrisiken, Berufsgruppen mit erhöhten Risiken sowie die bio-psycho-sozialen Zusammenhänge und Entstehungsmechanismen von Krankheiten wie Herzinfarkt, Depression oder chronischen Schmerzen.

Teil 2 widmet sich der betrieblichen Prävention.
Dabei wird zwischen der Primärprävention (Vorbeugen der Krankheitsentstehung), Sekundärprävention (betriebliche Früherkennung psychischer Erkrankungen) und Tertiärprävention (bessere Versorgung und Reintegration von Beschäftigten mit psychischen Erkrankungen) unterschieden.

Teil 3 liefert das „Handwerkszeug“ für die betriebliche psychosomatische Grundversorgung von Beschäftigten.
Hier finden sich Bausteine, Konzepte und Tipps für den Umgang mit psychischen Problemlagen (Burnout, Sucht, Depressionen …) im Betrieb: Gesprächsführung, therapeutische Verfahren, Unterstützungsmöglichkeiten durch psychosomatische Experten. Dazu kommen praktische Kriterien für die Wahl, welche Methode für die psychische Gefährdungsbeurteilung im Betrieb geeignet ist.
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1.2 Arbeitsbezogene psychosoziale Determinanten von Gesundheit 1.2.1 Arbeitshandeln, Arbeitsbelastung, Arbeitsorganisation J. Glaser und Ch. Seubert Modelle des Arbeitshandelns Arbeit nimmt in unserer Gesellschaft einen zentralen Stellenwert ein. Neben dem Einkommen als einer manifesten Funktion erfüllt Arbeit wichtige latente Funktionen wie beispielsweise Aktivität und Zeitstrukturierung, gesellschaftlicher Status und soziale Einbindung (Jahoda 1995), die im Falle des Verlusts (v.a. bei Arbeitslosigkeit) auch in psychische Erkrankungen münden können (Paul u. Moser 2009). Aus psychologischer Sicht ist Arbeitstätigkeit (wie andere Tätigkeiten des Lernens, Spiels und Sports) zielgerichtet und zudem durch gesellschaftliche Arbeitsteilung bedingt (Hacker u. Sachse 2014). Sie befriedigt direkt (z.B. durch Anerkennung) oder indirekt (v.a. durch Geld) individuelle Bedürfnisse. Als Bestandteil des Arbeitsprozesses hat die Arbeitstätigkeit wichtige psychologisch relevante Eigenschaften (vgl. Hacker u. Sachse 2014, S. 33f.): Sie ist bewusst auf die im Ziel vorweggenommenen Ergebnisse gerichtet und damit willensmäßig reguliert. Im Vollzug der Arbeitstätigkeit formen sich auch Qualifikationen, Einstellungen und Handlungsweisen der Beschäftigten. Gerade durch ihre Einbettung in gesellschaftliche Zusammenhänge erhält sie für das Individuum ein sinnstiftendes Moment. Bevor hier näher auf psychisch relevante Tätigkeitsmerkmale in ihrer Einbettung in arbeitsorganisatorische Bezüge eingegangen wird, sollen grundlegende Vorstellungen zum Arbeitshandeln skizziert werden, die Implikationen für die Analyse, Bewertung und Gestaltung von Arbeit haben. Verhaltenstheoretisches Modell des Arbeitshandelns Basierend auf behavioristischen Lerntheorien der klassischen und operanten Konditionierung gehen verhaltenstheoretische Modelle des Arbeitshandelns von Reiz-Reaktions-Beziehungen aus. Hierbei wird angenommen, dass Verhalten (als Reaktion, engl. Response [R]) von Reizen (Stimuli [S]) der Umgebung ausgelöst wird und somit durch entsprechende Stimuli (z.B. Arbeitsumgebung, Arbeitsgegenstände, Arbeitsmittel) gesteuert werden kann. Jedoch selbst bei einfach strukturierten Arbeitshandlungen greift ein solches Stimulus-Response-Modell (S-R-Modell als „black box“-Modell) viel zu kurz, denn es sind stets auch aktive innere Prozesse der arbeitenden Menschen, die das Arbeitsverhalten beeinflussen – seien es Sinnesleistungen und Informationsverarbeitung, Motive, Einstellungen oder Gefühle. Mit der Erweiterung zum S-O-R-Modell wird solchen Einflussfaktoren des Organismus (O) zwar Rechnung getragen, jedoch lässt sich auch mit diesem Modell nur passives Verhalten (als Reaktion auf Stimuli), nicht jedoch aktives, zielgerichtetes Arbeitshandeln erklären. Die von Bandura (1976) angestoßene Entwicklung der sozial-kognitiven Lerntheorie betont die einsichtsvolle Beobachtung und Nachahmung von Verhaltensweisen anderer Personen und kann u.a. die Bedeutung des Rollenverhaltens von Vorgesetzten erklären. Basierend auf solchen verhaltenstheoretischen Annahmen wurden Belastungen als objektive, von außen einwirkende Faktoren der Umgebung und Situation, Beanspruchungen als Auswirkungen dieser Belastungen auf den Menschen definiert (Rohmert u. Rutenfranz 1975). Der für den Arbeitsschutz einschlägigen Norm DIN EN ISO 10075 (Deutsches Institut für Normung 2000) liegt das S-R-basierte Belastungs-Beanspruchungs-Konzept bezogen auf psychische Belastungen (als äußere, psychisch einwirkende Einflüsse) und psychische Beanspruchung (als zeitlich unmittelbare individuelle Auswirkung) zugrunde. Den objektiven Belastungen folgt also subjektives Beanspruchungserleben, das je nach individuellen Leistungsvoraussetzungen (z.B. Befähigung, Gesundheitszustand, Alter) unterschiedlich ausfällt. Auch hier vernachlässigt die unterstellte unidirektionale Kausalität die aktive Auseinandersetzung des Menschen mit seiner Arbeitsumwelt. Wenn auch die theoretische Konzeption des Belastungs-Beanspruchungs-Konzepts unbefriedigend ist, so überwiegt dennoch der praktische Nutzen einer interdisziplinären Begriffsklarheit (Ulich u. Wülser 2012). Informationsverarbeitungsmodell des Arbeitshandelns Mit den Funktionsweisen der Verarbeitung von Umweltinformationen im Arbeitshandeln befasst sich der kognitionspsychologische Informationsverarbeitungsansatz, der sich dazu der „Computermetapher“ menschlicher Kognition bedient. Vereinfacht dargestellt, werden Informationen sensorisch aufgenommen und in kognitive Repräsentationen der Umwelt enkodiert, die mit den aktuellen Zielen, unter Rückgriff auf Kurz- und Langzeitgedächtnisinhalte, abgeglichen werden. Auf Basis dieses Rückkoppelungsprozesses wird das Verhalten bzw. Arbeitshandeln fortlaufend angepasst. Rasmussen (1986) betont, dass nicht nur passiv auf Informationen reagiert wird, sondern auch aktiv auf ziel- und bedürfnisrelevante Informationen zugegriffen wird. Demgemäß werden kognitive Prozesse der primären, unbewussten Informationsverarbeitung und der sekundären, bewussten Informationsverarbeitung unterschieden. Die stark begrenzte, bewusste Informationsverarbeitungskapazität wird etwa durch Einüben von Handlungsroutinen entlastet, z.B. wenn wir Texte am Computer ohne bewusste Verarbeitung der notwendigen Informationen zur Bedienung einer Tastatur verfassen. Mit dem Informationsverarbeitungsmodell werden elementare kognitive Vorgänge erklärt, ohne jedoch die Einheit von kognitiven und motivationalen (einschließlich emotionalen) Vorgängen, die zentrale Rolle von aktiven Zielfindungs- und Problemlösungsprozessen bei der Regulation des Arbeitshandelns oder die Entstehung von Motiven in der Arbeitstätigkeit zu berücksichtigen (Hacker u. Sachse 2014). Komplexere Strukturen der Handlungsplanung und Handlungsausführung mit über- und untergeordneten (Teil-)Zielen und Prozessen der Rückkoppelung werden hier vernachlässigt. Psychische Regulation des Arbeitshandelns Die Theorie der Handlungsregulation wurde auf Basis tätigkeitstheoretischer und allgemeinpsychologischer Grundlagen insbesondere von Hacker (1973) ausgearbeitet. Zentrale Elemente dieser Theorie sollen hier skizziert werden. Im Mittelpunkt stehen die hierarchisch-sequenzielle Organisation des Arbeitshandelns und die Funktion von Zielen im Handlungsprozess. In prozessual-sequenzieller Hinsicht sind Arbeitshandlungen nach Hacker u. Sachse (2014) durch Schritte der Zielbildung und Orientierung, der Handlungsplanung mit Entscheidung über die Ausführung, der Durchführung und Überwachung der Handlungsausführung sowie der Feedbackverarbeitung gekennzeichnet. Die Schritte sind auf die Erreichung eines bewusst gebildeten Zieles ausgerichtet, das sowohl eine antriebsregulatorische (die Intention, das Ziel zu erreichen) als auch eine ausführungsregulatorische Funktion (fortlaufende Steuerung und Kontrolle des Arbeitshandelns) besitzt. Neben dieser prozessualen Betrachtung des Arbeitshandelns befasst sich die Handlungsregulationstheorie auch mit der kognitiven Strukturierung des Arbeitshandelns. Die Organisation des Handelns setzt sich aus zyklischen Einheiten zusammen, die aus Zwischenzielen und Transformationen bestehen und hierarchisch miteinander vernetzt sind. Beim Verfassen eines Manuskripts sind beispielhafte Einheiten das Tippen auf der Tastatur, die Ausformulierung von Sätzen oder Abschnitten, die Strukturierung eines Kapitels. Die psychische Regulation des Handelns erfolgt durch fortwährenden Abgleich der Resultate mit den antizipierten Zielen. Nach Hacker u. Sachse (2014) lassen sich diese Regulationsvorgänge nach dem Grad ihrer Bewusstheit unterscheiden: Die sensumotorische Regulation (Routinen) läuft weitgehend ohne bewusste Zuwendung ab, die perzeptiv-begriffliche Regulation (wissensbasierte Steuerung mithilfe vertrauter Handlungsschemata) ist grundsätzlich bewusstseinsfähig und die intellektuelle Regulation (planvoll-zielgerichtetes Entwerfen und Kontrollieren von Strategien und Handlungsplänen) in jedem Fall bewusstseinspflichtig. Eine vollständige Tätigkeit als Ideal einer lern- und persönlichkeitsförderlichen Arbeitsgestaltung bedeutet nach Hacker u. Sachse (2014), dass das Arbeitshandeln sowohl in sequenzieller Hinsicht planende, ausführende und kontrollierende Elemente enthält, als auch Regulationsanforderungen auf mehreren hierarchischen Ebenen (intellektuelle, perzeptiv-begriffliche, sensumotorische Regulation) stellt. Als Kriterien einer vollständigen Tätigkeit (Hacker u. Sachse 2014, S. 178) gelten: • Ausreichende Tätigkeitserfordernisse • Mögliche Kooperationen • Selbständige Zielbildungs- und Entscheidungsmöglichkeiten • Denkanforderungen • Lern- und Übertragungsmöglichkeiten auf andere Tätigkeiten Zum normativen Konzept werden vollständige Tätigkeiten durch ihre Verankerung in internationalen Normen (Deutsches Institut für Normung 1993, 2008). Darüber hinaus greift eine Reihe bedeutsamer Analyseinstrumente die Konzepte und Folgerungen der Handlungsregulationstheorie auf (Dunckel 1999), wodurch sie sich als außerordentlich fruchtbares Konzept für eine gesundheitsförderliche Arbeitsgestaltung erwiesen hat. Arbeitsbelastungen Der Übergang zur Wissens- und Dienstleistungsarbeit hat sich für große Teile der Erwerbstätigen bereits vollzogen. Mit dem Wandel der Arbeit ging auch eine Veränderung der Arbeitsbelastungsprofile einher. Während bei der industriellen Produktionsarbeit die Belastungen aus körperlicher Arbeit und aus der Arbeitsumgebung im Fokus standen, richtet sich...


Prof. Dr. med. Peter Angerer, Direktor des Instituts für Arbeitsmedizin und Sozialmedizin, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf


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