Angetter-Pfeiffer | Als die Dummheit die Forschung erschlug | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 256 Seiten

Angetter-Pfeiffer Als die Dummheit die Forschung erschlug

Die schwierige Erfolgsgeschichte der österreichischen Medizin

E-Book, Deutsch, 256 Seiten

ISBN: 978-3-903441-10-1
Verlag: Amalthea Signum
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Von Meilensteinen und Stolpersteinen Seit Jahrhunderten findet sich die österreichische Medizin im internationalen Spitzenfeld: mit weltbekannten Ärzten und Ärztinnen, innovativen Behandlungsmethoden oder der frühen Gründung von Spezialkliniken. Doch viele dieser bahnbrechenden Leistungen scheiterten zunächst: am Kollegenneid, am Unverständnis der Politik oder an fehlendem Geld. Mobbing und Vertreibung von Ärztinnen und Ärzten machten selbst vor Nobelpreisträgern wie Robert Bárány oder Karl Landsteiner nicht halt. Und auch die öffentliche Meinung tat oft ihr Übriges, wie im Fall der Doppelhandtransplantation für Briefbombenopfer Theo Kelz, die als »medizinisch initiierte Oper« scharf kritisiert wurde. Im Spannungsfeld zwischen Pioniergeist und konservativer Ignoranz erzählt Daniela Angetter-Pfeiffer ein lebendiges und informatives Stück Wissenschaftsgeschichte. Aus dem Inhalt: Der Reformer Gerard van Swieten: von Pocken, Syphilis und Vampirismus Anatomie als Schauspiel Wien als Vorreiter für Spezialkliniken Von der Kunst, die Krummen gerade und die Lahmen gehend zu machen: die Orthopädie Ignaz Semmelweis - »Retter der Mütter« Radium: Teufelszeug oder Wunderheilmittel? Sigmund Freud - Ikone und Antiheld Verschmähte Stars und ihre Entdeckungen Die psychosoziale Versorgung von morgen und vieles mehr Mit einem Vorwort von Ernst Wolner Chirurg der ersten Herztransplantation Wiens

Daniela Angetter-Pfeiffer, Dr., geboren in Wien, studierte Geschichte und Germanistik und ist am Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage der Österreichischen Akademie der Wissenschaften tätig. Die aktive Notfallsanitäterin befasst sich intensiv mit Medizin-, Militär-, (Natur-) und Wissenschaftsgeschichte, Notfall- und Katastrophenmedizin.
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Einleitung:
Schatten und Licht in der österreichischen Medizingeschichte
In den 1990er-Jahren flimmerte über unsere Fernsehschirme eine Ärztin, die ihre Familie in Boston verlassen hatte, um im Städtchen Colorado Springs inmitten der Berge eine Praxis zu eröffnen. Als Frau milde belächelt, erwarb sich Michaela »Mike« Quinn aus der Serie Dr. Quinn – Ärztin aus Leidenschaft mit viel Geduld das Vertrauen der Bewohner. Das männliche Pendant ist wohl Österreichs beliebter Bergdoktor Martin Gruber, der sich hingebungsvoll um seine Patienten, die an seltenen oder ungewöhnlichen Erkrankungen leiden, kümmert und heldenhaft die Wunder der Medizin aufdeckt. Geballte Aktion in der Notaufnahme, Rettungshubschrauber, die Schwerstverletzte und lebensbedrohlich Erkrankte bringen, hektischer Krankenhausbetrieb und das Finden einer Diagnose, das oft so kompliziert ist wie das Lösen eines Kriminalfalls, und doch kommt es im Alltag der Götter in Weiß zumeist zum Happy End. Das vermitteln jedenfalls Serien wie Grey’s Anatomy, Dr. House oder Emergency Room. Und weil jedes Leben zählt, ist die Notarzt-Crew von Medicopter 117 stets bereit, Patienten aus den gefährlichsten Situationen zu retten. Action pur und zum bejubelten Star zu werden, eigentlich ein traumhaftes, erstrebenswertes Berufsbild. Passt aber gar nicht zusammen mit der Schlagzeile aus praktischArzt vom 14. April 2022: »Jeder dritte Medizinabsolvent übt Arztberuf nicht aus«. Warum ist das so? Werfen wir einen Blick in die Realität des österreichischen Arztalltags: überfüllte Spitalsambulanzen, Reduzierung von Bettenkapazitäten und Spitalsabteilungen, überlaufene Praxen, weil aufgrund des akuten Ärztemangels viele Stellen vor allem im ländlichen Bereich offen sind und Fachärzte fehlen. Unzufriedene Patienten, da es oft Wochen und in nicht dringenden Fällen sogar Monate dauern kann, bis man einen Termin für eine Untersuchung oder eine Operation erhält. Dazu kommen Sprachbarrieren und kulturelle Unterschiede, die die Arbeit nicht gerade erleichtern, und immer mehr ältere Menschen, die das Gesundheitssystem naturgemäß in einem höheren Maß benötigen. So bleibt in vielen Fällen nur wenige Minuten Zeit für einen Patienten. Und das bei einem für die Verantwortung vergleichsweise oft geringen Verdienst. »Ich wechsle aus dem Allgemeinen Krankenhaus in ein Landspital, denn dafür, dass ich als Oberarzt weniger verdiene als die alteingesessene Haushaltshilfe, tue ich mir den Stress und die tägliche Fahrerei von einer Stunde und mehr nicht mehr an«, erzählte mir ein frustrierter Arzt vor wenigen Jahren. Das Bild für die Bevölkerung erweitert sich noch durch Diskussionen in den Medien, wo es um Zwei-, Drei-, manchmal sogar Vierklassenmedizin geht, um Medikamentenengpässe in Apotheken, um Überlegungen, ob der beliebte Hausarzt überhaupt noch zeitgemäß ist oder man nicht besser auf Gruppenpraxen umsteigen soll, um Reformbedarf bei den Krankenkassen, um Ethik und Datenschutz – und das sind nur ein paar Beispiele. Schwierige Arbeitsbedingungen, fehlendes Geld, zu wenig Akzeptanz seitens Behörden, Politik und Gesellschaft, Intrigen, Freunderlwirtschaft, keine Zeit für die Wissenschaft und der Kampf gegen etablierte Institutionen, Religion und die Kultur sind keine Erscheinungen des 21. Jahrhunderts, sondern begleiteten Ärzte über Jahrhunderte. Gerard van Swieten (1700–1772), Carl von Rokitansky (1804–1878), Theodor Billroth (1829–1894), Lorenz Böhler (1885–1973), Erwin Ringel (1921–1994), Ernst Wolner oder Siegfried Meryn sind nur einige wenige klingende Namen, die unweigerlich mit der Wiener Medizin in Verbindung gebracht werden. Sie schafften es wie viele andere auch in dieses Buch, weil sie sich von Behauptungen wie »Kein Arzt ist seinen Kollegen wohlgesinnt« oder »in Österreich herrsche ein empörendes Günstlingswesen; es gäbe unfähige Professoren und Primarärzte, welche ihre Stellung dem Patronate vornehmer Schürzen und einflußreichen Kutten verdankten« (so der deutsche Internist Adolf Kußmaul in seinem Buch Jugenderinnerungen eines alten Arztes, 1899) ebenso wenig wie von abwertenden Aussagen über neue Entdeckungen und Erfindungen abschrecken ließen, weil sie wegen ihrer Erkenntnisse oder aus »rassischen« Gründen aus dem Heimatland vertrieben wurden oder einfach, weil sie nicht schwiegen, sondern für die Medizin und die Patienten ihre Stimme erhoben. Medizin ist mehr als die Wissenschaft zur Gesunderhaltung, Heilung und Linderung von Krankheiten, sie hat gesellschaftspolitische Verantwortung. Um das in die Köpfe der Kollegen und der Bevölkerung zu bringen, brauchte Johann Peter Frank (1745–1821) bereits im 18. Jahrhundert viel Geduld. Es bedarf ständiger Innovationen und Investitionen, um in der Spitzenmedizin mitzumischen. Dass Österreich die Fähigkeit dazu hat, beweisen viele Beispiele aus den letzten drei Jahrhunderten. Dazu war nicht nur Engagement nötig, sondern auch unzählige Kämpfe: gegen Zurückweisung, Unverständnis, Ignoranz, Neid und Widerstand. Mobbing, Vertreibung, Disziplinar- oder Gerichtsverfahren gehörten praktisch zum Alltag der Mediziner und machten nicht einmal vor Nobelpreisträgern wie Robert Bárány (1876–1936), Karl Landsteiner (1868–1943) oder Julius Wagner-Jauregg (1857–1940) halt. Zum »Mobbing-Kaiser« in Österreich krönte sich Andreas von Stifft (1760–1836), der Leibarzt von Kaiser Franz II. (I.) (1768–1835). Er vertrieb Johann Peter Frank ins russische Zarenreich, erwirkte Johann Lukas Boërs (1751–1835) Rücktritt, feindete Georg Joseph Beer (1763–1821) an, ließ Joseph Gall (1758–1828) scheitern und die Homöopathie verbieten. Gerard van Swieten musste sich erst mühsam gegen die verstaubten Lehrmethoden der Jesuiten durchsetzen und den Wiener Ärzten klar machen, dass es den Studenten nicht schadete, wenn sie in der Ausbildung schon Kranke zu Gesicht bekamen und sie unter Anleitung und Aufsicht untersuchten und behandelten. Auf Unverständnis stieß er auch, als er verbot, bei Geburten im Herrscherhaus zuzusehen und diese zur Sache zwischen der werdenden Mutter, dem Arzt und der Hebamme erklärte. Aber auch seine Nachfolger beflegelten sich untereinander heftig. Dabei ging es um Medikamentenanwendungen, Naturheilverfahren oder Postenbesetzungen. In den Anfängen der Etablierung des heute üblichen Vorgehens bei der Behandlung eines Patienten, nämlich von der Anamnese über die Diagnose zur Therapie zu gelangen, hatte es Carl von Rokitansky in Wien nicht immer leicht. Vor allem gegen den deutschen Pathologen Rudolf Virchow (1821–1902) brauchte er eine dicke Haut. Die Dermatologie wollte man überhaupt ins »Aussätzigenzimmer« verbannen, und Josef von Škoda (1805–1881) drohte sogar die Aberkennung seines Doktordiploms, weil er einen Pockenkranken ohne Einwilligung des Primararztes therapiert hatte. Dass die Wiener Augenheilkunde heute auf eine lange Tradition zurückblicken kann, verdankt sie Georg Joseph Beer, der Anfang des 19. Jahrhunderts alle Steine, die ihm von Kollegen und der Bürokratie in den Weg gelegt worden waren, überwand, um eine Augenklinik zu gründen. Dass Wien zur Wiege des Kehlkopfspiegels wurde, resultierte aus dem »Türckenkrieg« zwischen Johann Nepomuk Czermak (1828–1873) und Ludwig Türck (1810–1868). War Robert Bárány mit seinen bahnbrechenden Erkenntnissen an der Taubheit der Wiener Medizinischen Fakultät gescheitert, so stellten sich sein Lehrer Adam Politzer (1835–1920) und der Ohrenarzt Josef Gruber (1827–1900) taub gegen alle Argumentationen, in der Ohrenheilkunde zusammenzuarbeiten. Der wissenschaftliche Wettstreit, wer nun der Pionier der Ohrenheilkunde sei, war wichtiger. Auch in der Urologie war es im wahrsten Sinne des Wortes ein steiniger Weg, bis man sich von der Harnschau über die Blasensteinzertrümmerung zur Diagnose mittels Endoskopie durchringen konnte. Die Görgengasse, die Leidesdorfgasse oder die Obersteinergasse im 19. Bezirk erinnern heute an die Wegbereiter der Neurologie. Doch es bedurfte einer ausländischen Initiative, um anstatt des Narrenturms menschenwürdige Versorgungseinrichtungen für Patienten mit psychischen Erkrankungen in Wien zu etablieren. An der heutigen Universitätsklinik für Neurologie im Allgemeinen Krankenhaus kann man sich wohl kaum vorstellen, dass man in den Anfängen bloß einen »Kasten« zur Verfügung gestellt bekam. Ein Pferd musste her, um das Blutdruckmessgerät zu entwickeln. Hermann Nothnagel (1866–1898) fühlte geschätzt 300 000 Pulse für Diagnosen. Die Anästhesie brauchte »Koks« und »Lachgas«. Hundegebell ließ den Anatomen Joseph Hyrtl (1810–1894) und den...


Daniela Angetter-Pfeiffer, Dr., geboren in Wien, studierte Geschichte und Germanistik und ist am Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage der Österreichischen Akademie der Wissenschaften tätig. Die aktive Notfallsanitäterin befasst sich intensiv mit Medizin-, Militär-, (Natur-) und Wissenschaftsgeschichte, Notfall- und Katastrophenmedizin.


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