Ani / Clark / Förg | Tatort Oberbayern (eBook) | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 220 Seiten

Ani / Clark / Förg Tatort Oberbayern (eBook)

12 Kriminalgeschichten

E-Book, Deutsch, 220 Seiten

ISBN: 978-3-86913-568-7
Verlag: ars vivendi
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Münchens pulsierendes Leben, die geheimnisvolle Welt der Berge, die idyllischen Ufer der Donau und die verwunschenen Tiefen der Wälder - Oberbayern hat viele Gesichter, doch diese sind bei Weitem nicht immer so friedfertig, wie die Tourismusbroschüren glauben lassen. Denn 12 renommierte und deutschlandweit beliebte Krimiautoren aus der Region zeigen in ihren geistreichen und unterhaltsamen Kriminalerzählungen, dass sich unter der beschaulichen Oberfläche zwischen Garmisch, Eichstätt, Altötting und dem Berchtesgadener Land unerwartete Abgründe auftun. Jede Menge Lokalkolorit und Hochspannung für Einheimische, Zugereiste, aber auch Urlauber sind garantiert - so sicher wie die Weißwurst auf dem Oktoberfest!
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Friedrich Ani · Die Geburt des Herrn J. »Das musste jetzt mal sein«, sagte Carl Jeckel am Tresen der Gaststätte Postgarten in Maibach, einem Dreitausend-Einwohner-Ort im Schatten der Voralpen. Am Stammtisch brannten die vier roten Kerzen des Adventskranzes. Der Wirt, Leonhard »Hardy« Beck, blickte weniger gästeverachtend als gewöhnlich drein, und Monika, die mit ihren ständigen Hektikattacken auch den geduldigsten Gast brutal nervende Bedienung, hatte heute ihren freien Tag. Das Leben aus der Sicht von Carl Jeckel hätte an diesem vierten Advent kaum besser sein können. »Musste sein«, wiederholte Jeckel. Hardy nickte. Er war dreiundsechzig, seit mehr als dreißig Jahren Wirt und konnte sich nicht erinnern, jemals einem seiner Gäste mehr als fünf Sätze lang zugehört zu haben, inklusive seiner Stammgäste, wie dem Jeckel Charly, dessen Redseligkeit nach Überzeugung des Wirts eine einzige Redunseligkeit war, besonders an Sonntagen. Heute war Sonntag und Jeckel seit halb elf auf seinem Platz, und nichts deutete darauf hin, dass er seinen Hocker vor acht Uhr abends verlassen würde. »Du kennst ja meinen Vater«, sagte er zum Wirt, zum Tresen, zu der Ansammlung von Gläsern auf dem abgeschabten Holzregal, zu seinem Weißbierglas. Weder Mensch noch Ding hörte ihm zu. »Er redet nicht viel, hockt beim Essen, schaufelt in sich rein, und meine Mama verzweifelt an ihm. Seit fünfundzwanzig Jahren. War übrigens nett, die Feier, die du zu ihrer Goldenen Hochzeit ausgerichtet hast, hab ich dir das schon gesagt? Hab ich mich schon bedankt, die Zeit vergeht so schnell. War wirklich nett bei dir, war ja zu erwarten.« Der Wirt nickte, die Gläser im Regal standen kopf vor Begeisterung, das Weißbierglas salutierte. »Schon wieder zwei Wochen her, der zweite Advent.« Er trank einen Schluck, und die Wahrheit schäumte ihm über die Lippen. »Jedenfalls, du kennst ja die Geschichte, er beschwert sich ständig über die Arbeit vom Paul, und der Paul lädt seinen Frust bei mir ab und wirft mir vor, ich würde meinen Laden schlecht führen und mich nicht kümmern. Mich nicht kümmern! Sepp-da-Depp. Wenn sich einer kümmert, dann ich. Ist das nicht so? Ich hab extra sonntags geöffnet, damit die Leute, die auf den Friedhof gehen, frische Blumen mitbringen können. Ist das nicht so? Seit wie lang hab ich mein Geschäft am Sonntag auf? Sag’s mir, Hardy. Sag auch mal was, los.« Hardy sagte: »So ist das.« »Und das ist die Wahrheit, Herr Barheit. Aber bei uns lädt jeder seinen Müll beim anderen ab. Das war früher schon so, in der Kindheit, du weißt das, du kennst unsere Familie, deine Frau hat bei uns in der Gärtnerei eingekauft, später auch in meinem Laden noch. Die Gärtnerei hatte ihre kritischen Phasen. War das nicht so? Was sagst du? War das nicht so?« Hardy sagte: »So war das.« »So und nicht anders. Sepp-da-Depp. Und ich sitz am Tisch, zwischen meiner Mama und meinem Vater und hör mir das Gezeter an. Gezeter ist gut gesagt. Gebrüll und Gemüll.« Jeckel lachte, allerdings so kurz, dass weder der Wirt noch die Männer am Fensterplatz einstimmen konnten. Jeder der beiden Gäste saß am eigenen Tisch, Wilhelm »Bremser« Bertold und Roland Fuchs kannten sich gut, aber wenn sie in den Postgarten gingen, vermieden sie übertriebene Gesten der Freundschaft. Bremser war Frührentner, früher bei der Berufsfeuerwehr in München gewesen, Fuchs arbeitete seit knapp vierzig Jahren auf dem Postamt, höhere Ziele hatte er nie gehabt, irgendwann wäre er beinah Dienststellenleiter geworden, und die Gründe, die seinen Karrieresprung verhindert hatten, lagen im Dunklen, und dort sollten sie auch bleiben. »Was für eine Kindheit, oder, Hardy? Ich hasse Maibach. Hab ich dir das schon mal so deutlich gesagt? Ja? Nein? Ich hasse Maibach, seit ich geboren bin. Ich war ein lausiger Skifahrer, erinnerst dich? Schuss runter, fertig. Im Sommer Schwimmen in diesem verseuchten See. Damals hatten wir noch keine Ringkanalisation, das waren noch Zeiten. Und was mach ich heut? Verkauf Blumen. Und wenn ich tot bin, bin ich immer noch umzingelt von Blumen. Dann ist’s aus mit dem Blumeneinkauf am Sonntag, so blöd wie ich ist niemand. Abgesehen davon, dass mein Laden dann nicht mehr existiert. Darf ich dir ein Geheimnis anvertrauen? Ich wollte zusperren. Die Sache hat sich dann erledigt. Vor drei Jahren war das. Und dann? Was dann? Sag was. Dann war ich so blöde, mit meinem Bruder darüber zu reden. Und du kennst den Paul, du kennst diese Arschgeige von Bruder. Der hat sich seit seinem elften Lebensjahr nicht verändert, auch im Hirn nicht. Besonders im Hirn nicht. Im Hirn hat der einen Fußball ohne Luft. Da bewegt sich nichts. Und ich geh auch noch zu dem hin und sag: Ich muss mit dir reden. Bin ich irre geworden? Was meinst du, Hardy? Ende der Fahnenstange? Die Maibach-Pest? Das Dorftrottel-Syndrom. Sepp-da-Depp. Geh ich zu meinem Bruder und will mit dem ein ernsthaftes Gespräch führen. Wer ist jetzt der Debilere von uns zwei? Wer ist in dieser Runde der Mega-Debili? Sag mir das, sag’s mir.« Hardy sagte: »Schwer zu sagen.« Zwischendurch brachte er dem Bremser ein frisches Dunkles und Fuchs eine Rotweinschorle. »Wir sind zu dir gekommen, weißt noch, oder? Saßen da bei der Tür, denkwürdiger Abend. Paul hörte mir zu, dann grinste er mich an, wie als Elfjähriger, schlug mir auf die Schulter, bestellte zwei Enzian, grinste weiter, als hätte er eine Gesichtslähmung, schob mir den Schnaps hin, trank seinen aus und sagte: ›Träum weiter, Bruderherz.‹ Soll ich dir verraten, seit wann ich diesen Spruch kenne? ›Träum weiter, Bruderherz.‹ Den hat der zu mir gesagt, da war er elf und ich acht. Ich schwör’s dir, Hardy.« Hardy stellte ein weiteres Weißbier vor Jeckel auf den Tresen und sagte, als meinte er es ernst: »Zum Wohl.« Augenblicklich tunkte Jeckel seinen Mund in den Schaum, hob dann das Glas und kippte es. Erfüllt von nährstoffreicher Hefe, setzte er seine Ansprache fort, fast beschwingt, mit gelegentlich von der Theke froschartig weghüpfenden Händen, die er danach wieder um das Glas legte, wie zur Beruhigung des Weißbiers. »Dieser Mann ist ein angepasster Wurm, der ist innerlich aus seiner Muttererde nie rausgekommen. Begreifst du mich? Das ist mir plötzlich klargeworden, da hinten bei der Tür. Kannst du dir so was Ungeheuerliches vorstellen? Ich sitze bei dir an einem Montagabend, gemeinsam mit meinem hirnverwesten Bruder, trinke Schnaps und habe eine Erkenntnis. Und die Erkenntnis lautet: er der Wurm, ich der Schmetterling.« Er senkte den Kopf. Dann machte er eine schnelle ausholende Handbewegung, verharrte, riss den Kopf in die Höhe. »Ich wiederhole das jetzt nicht. Damit du nicht denkst, ich schnapp über oder mach mich wichtig. War nur ein Gedanke. Aber eine Erkenntnis schon auch. Mein Bruder hat mit fünfzehn beschlossen, ich werde Gärtner wie mein Vater und ich werde die Gärtnerei übernehmen, im Dorf bleiben, heiraten, Kinder kriegen, mich im Einheimischenmodell einkaufen und ein schönes Leben haben, arbeitsam, aber schön. Wie ist’s gekommen? Genau so. Er hat’s hingekriegt, hat seine Lehre gemacht, stieg in den Betrieb ein, expandierte, belieferte irgendwann sämtliche Pfarreien im Landkreis, vielleicht nicht alle, aber die meisten, freundet sich mit Bürgermeistern an, wickelt Geschäfte mit Rathäusern und Standesämtern ab, cleverer Bursche, der Paule. Und ich? Was mach ich? Ich geh zur Polizei. Du weißt das, große Sache: Der Charly trägt jetzt eine Uniform, war schon was. Polizeiobermeister. Ich wollt nach München, zur Kripo. Da schaust du. Das habe ich für mich behalten. Hab eh das meiste im Leben für mich behalten, was geht das die Arschgeigen an. Was? Sag’s mir. Sag was.« Hardy sagte nichts, legte dafür viel Ausdruck in seinen Blick. Jeckel empfand Zufriedenheit und Geborgenheit. »Das war der Plan. Gehobener Dienst, raus aus Maibach und nie mehr zurück. Was erleben. Ist das verboten? Wie hört sich das in deinen Ohren an? Gut hört sich das an, selbstverständlich gut. Sepp-da-Depp. Sagt der zu mir: Träum weiter, Bruderherz. Ich hab zu ihm gesagt, zu meinem Fünfzigsten ist Schluss mit dem Laden in der Bahnhofstraße, soll ihn die Evelin übernehmen, hab ich zu ihm gesagt, die Evelin und ihr Mann, die kriegen das hin, das wird sich für die beiden lohnen. Und ich bin weg. Er fragt mich, was ich vorhabe, und ich sage: Berlin. Schaut er mich dermaßen blöde an, dass ich dachte, er brunzt gleich aus der Nase. Berlin. Als hätte ich einen Fluch ausgesprochen, verstehst du? Was ist schlimm an Berlin? Ich geh in die Hauptstadt, sage ich zu ihm, und dann schauen wir mal. Er fragt mich, ob ich spinne, ich sag zu ihm: Wenn hier einer spinnt, dann du, und zwar seit der Kindheit. Er wurde langsam wütend. Erinnerst du dich? Da hinten saß er, an der Wand, mit dem Gesicht zu dir, sensationell verwirrt. Auf meinem Konto sind achtunddreißigtausend Euro, die haben sich angesammelt im Lauf der Jahrhunderte, die ich jetzt hier leb. Die reichen eine Zeit lang, was meinst du? In Berlin kann man billig durch den Alltag kommen, davon hat der Gärtner natürlich keine Ahnung, dem mangelt’s vollständig an Vorstellungskraft. Der Paul hat die Fantasie eines Aschenbechers. Das weißt du so gut wie ich. Der Paul hat seine Birgit zu Haus sitzen, die kocht und hält das Haus in Ordnung, und seine zwei Buben schrei­ben gute Noten und fahren Ski im Winter und gehen im Sommer tauchen oben im Kolbsee. Mehr braucht er sich nicht vorzustellen. Sagt er zu mir, was das werden soll, ich hätte ja schon als Polizist auf ganzer Linie versagt. So reden die über mich, seit jeher. Ich hab...


Angela Eßer wurde in Krefeld geboren, studierte Theaterwissenschaft und war am Theater tätig. Unter dem Titel "Mordshunger" gibt sie "mörderische" Kochseminare. Sie ist Organisatorin von Krimifestivals, Autorin diverser Kurzkrimis sowie Herausgeberin von Krimianthologien. Mit ihrer Kurzgeschichte 6 Uhr 23 - Guten Morgen München war sie für den renommierten Friedrich-Glauser-Preis nominiert. Angela Eßer ist Mitglied im SYNDIKAT, für das sie auch sieben Jahre als Sprecherin fungierte.


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