Babb | Namen unbekannt. Roman | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 280 Seiten

Babb Namen unbekannt. Roman

Damals – heute – morgen: Reclams Klassikerinnen

E-Book, Deutsch, 280 Seiten

ISBN: 978-3-15-962225-5
Verlag: Reclam Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Sanora Babbs einfühlsamer Roman über eine vor Dürre und Armut fliehende Farmerfamilie im Südwesten der USA und das Schicksal der Wanderarbeiter hätte bereits in den 1930er Jahren ein Bestseller werden sollen. Doch ihr Verleger zog seine Publikationszusage zurück: Ein gewisser John Steinbeck war ihr mit 'Die Früchte des Zorns', einem Buch zum selben Thema, knapp zuvorgekommen. Mittlerweile ist bekannt, dass Steinbeck beim Schreiben sogar Notizen Babbs ohne ihr Wissen verwertete. 2004 wurde Babbs Roman nach 65 Jahren in der Schublade endlich in den Vereinigten Staaten veröffentlicht, nun liegt die deutsche Übersetzung vor. Ein liebevolles, detailreiches Porträt einer Familie, die sich selbst von Armut und Dürre nicht unterkriegen lässt - und zugleich ein Werk von bestürzender Aktualität.

Sanora Babb (1907-2005), US-amerikanische Schriftstellerin und Journalistin. Sie wuchs selbst in Armut auf und kümmerte sich während der Großen Depression als Sozialarbeiterin um in Not geratene Farmer. Ab den 1950er Jahren veröffentlichte sie auch Romane. Sabine Reinhardus, geb. 1958, ist Übersetzerin aus dem Englischen, Französischen und Niederländischen. Zuletzt hat sie Michelle Obamas Bestseller Das Licht in uns mitübersetzt. Mareike Fallwickl, geb. 1983, ist Schriftstellerin und Literaturvermittlerin. 2022 erschien ihr Roman 'Die Wut, die bleibt', der 2023 bei den Salzburger Festspielen inszeniert wurde.
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Drei
In der Spätsommerdämmerung war das Geräusch des Motors lange zu hören, bevor der Wagen den Zaun um die Farm der Dunnes erreichte. Myra und Lonnie standen auf einer Kiste am Fenster und sahen zu, wie der Lastwagen heranfuhr. Er kam ihnen wie ein Freund vor, und Aufregung und Vorfreude stiegen in ihnen auf, als die lärmende Maschine die Straße entlangrumpelte. Plötzlich leuchteten die Scheinwerfer auf, als würde das Ding sie ansehen, und sie erschraken ein wenig, bevor sie doch wieder neugierig hinausblickten. Der Scheinwerferstrahl näherte sich, so dass das Land ringsum noch dunkler und einsamer wirkte. Dann bog der Lastwagen in den Hof ein. Mit einem erschrockenen Aufschrei sprangen die Mädchen von der Kiste. »Mama, er ist zu uns reingefahren!« Sie drückten sich beide ängstlich an die Wand, so dass Julia zwischen ihnen und der Eingangstür stand. Sie kochte einen Kessel voll Kartoffeln und Zwiebeln zum Abendessen. »Die fressen euch schon nicht, wer auch immer das ist«, sagte sie und lächelte ihnen zu, aber die Gesichter der Mädchen blieben angespannt und neugierig, als sie wieder hinausschauten und warteten. In den einsamen Jahren auf der Farm waren sie scheu wie Rehe geworden. Sie musterte ihre Töchter im aufsteigenden Dampf des Kochtopfes. Beide waren gewachsen, aber dünn, flink und braungebrannt. Seit der Weizenernte waren zwei Jahre vergangen, zwei Sommer voller Staub. Die beiden waren beinahe acht und zehn Jahre alt, sahen jedoch jünger aus. Draußen hörten sie Stimmen, die sich mit den Stimmen von Milt und dem alten Mann in der Scheune vermischten. Kurz darauf überquerten Schritte die festgetretene Erde des kahlen Hofes und dann öffnete sich das Fliegengitter an der Tür. Alle kamen die Stufen herunter und drängten sich in den kleinen Raum. Der alte Mann steckte zuerst den Kopf herein und sagte: »Die Brownell-Jungs.« »Hallo Max, hallo Pete«, grüßte Julia. Sie freute sich über den Besuch. Der alte Mann ging zu den Mädchen hinüber und piekte sie mit seinen langen, knochigen Fingern. »Seht euch meine Enkelinnen an«, sagte er, als seien sie vollwertige Personen, und sie wären liebend gern vorgetreten und hätten etwas gesagt, um Großvater Konkies Kompliment gerecht zu werden. »Ihr wachst ja wie Unkraut!« Die beiden Jungen schüttelten die Hände der Mädchen, die kurz aufsahen und dann wieder den Blick senkten. Ihre Hände zitterten und fühlten sich in den großen Pranken der Jungen kalt an. Myra sagte hallo; Lonnie zog ihre Hand höflich zurück und brachte vor Halsschmerzen kein einziges Wort heraus. Sie setzte sich auf die Kiste neben dem Herd. Beide Mädchen sahen todunglücklich zu, wie die netten jungen Männer sich mit den anderen unterhielten und hofften, dass die beiden bleiben, und wünschten sich zugleich, dass sie verschwinden würden. Myra warf Konkie einen Blick zu, um herauszufinden, ob sie etwas Verkehrtes getan hatten, aber er sah freundlich, ja sogar stolz aus, und sie seufzte leise und ließ sich neben ihrer Schwester nieder. Als Myra noch klein war und nicht richtig sprechen konnte, hatte sie ihren Großvater immer Konkie genannt, und der Name war haften geblieben. »Wie haben eure Bäume den Staub in diesem Sommer überstanden?«, fragte Julia. »Ich sag ja schon immer, dass ich eure Bäume am liebsten stehlen würde.« »Wenn ihr jetzt Bäume pflanzt und dann so lange hier lebt wie Mutter und Vater, könnt ihr auch welche haben. Sie haben sie damals am Fluss ausgegraben und rund ums Haus gepflanzt«, sagte Pete. »Und sie gewässert und verwöhnt wie verwaiste Kälber«, fügte Max hinzu. »Mutter meint, ohne Bäume würde sie’s hier nicht aushalten. Sie meint, als sie das Land hier zum ersten Mal gesehen hat und kein Baum weit und breit, da hat sie gedacht, das ist das Ende der Welt. Sie macht sich Sorgen, weil der Staub ihnen schadet, aber noch sind sie am Leben.« »Wenn der Staub aufhört, jetzt, wo wir einen Brunnen haben …«, sagte Julia, ohne den Satz zu beenden, denn sie träumte bereits von hohen Pappeln mit silbrigen Blättern, die im Wind zitterten. »Hat Spaß gemacht, euch mit dem Brunnen zu helfen, stimmt’s?«, sagte Pete. »Drüben bei den Starwoods bohren sie jetzt auch einen Brunnen. Der alte Brennermann musste endlich nachgeben. Starwoods haben die Farm schon vor Jahren gemietet und mussten das Wasser aus über acht Kilometern Entfernung herschleppen. Zwischen Mrs Starwoods und Brennermann kam’s dann schließlich zu einem Zweikampf. Sie hat nicht lockergelassen, bis sie den Brunnen bekommen hat.« »Sie ist eben eine Marke«, sagte Julia und lachte. »Ich wollte seit Jahren einen Brunnen«, sagte der alte Mann, »und jetzt haben wir’s endlich geschafft. Als nächstes bauen wir ein richtiges Haus, falls der verdammte Staub nächsten Sommer nicht wiederkommt. Mein Dugout ist das letzte in der Gegend, alle anderen haben inzwischen ein Haus aus Lehm oder Stein. Wenn ich ein Haus aus Stein baue, nehme ich dafür vielleicht Zement. Davon sprechen alle in letzter Zeit. Der ist gar nicht übel.« »Als wir überlegt haben, ob wir einen Brunnen oder ein Haus bauen«, sagte Julia, »haben wir uns für den Brunnen entschieden, damit wir einen Garten anlegen können. Und wir haben auch gedacht, wenn wir’s so lange in der Hütte ausgehalten haben, schaffen wir’s auch noch ein Jahr länger, aber dann ist alles ganz anders gekommen. In diesem Jahr war es nichts mit dem Garten, wegen dem Staub, obwohl wir Wasser haben. Aber der kleine Fluss trocknet so langsam aus, und wir sind froh, dass wir den Brunnen haben.« »Eine gute Weizenernte noch und wir können das Haus bauen«, sagte Milt. »Aber um alles zu kriegen, was wir brauchen, müsste unser Acker so groß sein wie der ganze Bundesstaat.« Er lachte gutgelaunt. Es roch gut nach gekochten Zwiebeln, er fühlte sich wohl und freute sich, mit den Freunden zu reden. »Warum bleibt ihr Jungs nicht zum Abendessen?«, fragte er und blickte zu Julia hinüber, damit sie die Einladung bekräftigte. Sie freute sich über seine Gastfreundschaft und das Lachen im Zimmer, hatte aber wie stets mit der Angst zu kämpfen, dass sie zu wenig anzubieten hatte. Es gab für sie selbst ja nur Kartoffeln und Zwiebeln, sonst nichts, sofern sie nicht noch schnell ein paar Kekse buk. Sie lächelte rasch und bat die beiden, zum Essen zu bleiben. Doch bevor sie antworten konnten, war Milt schon auf dem Weg zur Tür. »Ich schlachte ein Huhn. Wenn wir eins im Überfluss haben, ist es ein Haufen Hühner.« Die kleinen Mädchen verspürten leise Panik. Etwas flatterte in ihrer Brust, genau wie die Flügel der Hühner, die sie liebten. Jedes hatte einen Namen, jedes war ein Freund. Sie trauerten, wenn eines geschlachtet wurde. Lachend hielten ihn die beiden Jungen zurück. »Nein, wirklich nicht, wir müssen zum Abendessen nach Hause. Das nächste Mal bleiben wir, aber heute kocht Mutter für uns.« »Wenn wir Sie nicht stören, Mrs Dunne«, sagte sein Bruder, »bleiben wir noch ein bisschen und quatschen einfach. Wir sind nämlich vor allem hier auf dem Rückweg von der Stadt vorbeigekommen, weil wir euch nächsten Sonntag zum Abendessen einladen sollen. Mutter sagt, sie vermisst euch sehr.« Julia lief vor Freude rot an. »Wir kommen, sag ihr danke schön, wenn sie sich nicht zu viel Umstände macht.« »Abgemacht«, gab Pete zurück. Max stand an der Tür, von der Stufen in den Eingangsbereich, die sogenannte »Hundehütte«, hinunterführten. Die Regale an den Seiten dienten als Vorratskammer für Julia, und hier bewahrte auch der alte Mann seine Besitztümer auf, die niemand anzufassen wagte, weil er sich dann »anstellte«. Sie bestanden aus einem bunten Durcheinander selbstgebastelter, mit Klemmen zusammengefügter Kisten sowie drei dicken Büchern in einer dunklen Ecke. Max hielt eins davon ins Licht und versuchte den Titel zu lesen, konnte ihn auf dem verschlissenen Einband aber nicht entziffern. Der alte Mann beobachtete ihn verstohlen, und als Max den Buchdeckel aufschlug, erhob er sich, nahm ihm das kostbare Gut aus der Hand und stellte es an seinen Platz zurück. Niemand achtete auf die beiden. Max war ein wenig gekränkt. Der alte Mann sah ihn direkt an, schloss alle anderen aus, und zum ersten Mal bemerkte der junge Mann, wie lebendig und leidenschaftlich seine schwarzen Augen wirkten. Sie waren so jung wie seine eigenen, nur die Haut ringsum war alt und er dachte, dass der alte Mann diesen Blick zu verbergen schien. »Ein anderes Mal«, sagte der alte Mann wie im Vertrauen zu ihm, und Max war ihm nicht mehr böse. Pete war aufgestanden und stellte sich vor Lonnie und Myra. Er zupfte sanft an Lonnies weißblondem Haar, und sie blickte schüchtern zu ihm auf. »Geht ihr Mädchen gern in die Schule?« Sie blickten tödlich verlegen zu Boden und brachten wieder kein Wort heraus. »Die zwei nehmen Privatstunden beim alten Professor Dunne«, sagte der alte Mann, um ihnen beizuspringen, und zwinkerte. »Drum haben wir auch das Zeug zum Lesen an der Wand«, sagte Milt und deutete auf die Zeitungen. »Sehr praktisch. Myra hat schon Zeitung gelesen, ehe sie was von Märchen wusste.« Die kleinen Mädchen hoben ihre roten Gesichter und boten sie wie hübsche Äpfel den Freunden dar. »Ich kann lesen und buchstabieren und schreiben und rechnen und ein bisschen zeichnen«, sagte Myra. »Ich kann lesen und buchstabiern, aber Rechnen mag ich nicht«, sagte Lonnie und lief rasch zu Milt hinüber, versteckte das Gesicht an seinem Bein, dabei lachte sie leise und süß. »Es heißt, dass es in diesem Jahr vielleicht ’ne Bezirksschule geben soll, wenn Geld dafür da ist. Wahrscheinlich bauen sie eine Schule mit einem...


Sanora Babb (1907–2005), US-amerikanische Schriftstellerin und Journalistin. Sie wuchs selbst in Armut auf und kümmerte sich während der Großen Depression als Sozialarbeiterin um in Not geratene Farmer. Ab den 1950er Jahren veröffentlichte sie auch Romane.
Sabine Reinhardus, geb. 1958, ist Übersetzerin aus dem Englischen, Französischen und Niederländischen. Zuletzt hat sie Michelle Obamas Bestseller Das Licht in uns mitübersetzt.
Mareike Fallwickl, geb. 1983, ist Schriftstellerin und Literaturvermittlerin. 2022 erschien ihr Roman "Die Wut, die bleibt", der 2023 bei den Salzburger Festspielen inszeniert wurde.


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