Bachmann / Wandruszka | Das Buch Goldmann | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 464 Seiten

Bachmann / Wandruszka Das Buch Goldmann

Werke

E-Book, Deutsch, 464 Seiten

ISBN: 978-3-492-99607-5
Verlag: Piper eBooks
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



»Nun startet sie, die große Ingeborg-Bachmann-Gesamtausgabe: eine Schatztruhe für Bachmann-Süchtige.« Deutschlandfunk Kultur
Die Hauptfigur: Fanny Goldmann. Ihr Mann Harry Goldmann, österreichischer Jude, kehrt 1945 aus dem Exil nach Wien zurück. Doch die Heimkehr ist zum Scheitern verurteilt: Dieses Österreich ist nicht mehr wiederzuerkennen. Schonungslos brechen soziale Gewalt und die moralischen Verbrechen innerhalb der Gesellschaft über Fanny und Harry herein.Voll trauriger Komik und analytischer Schärfe porträtiert Ingeborg Bachmann in diesem herausragenden Roman ein jüdisches Paar im Wien der Nachkriegszeit.
Das Buch Goldmann, der Titel des hier neu editierten Romans von Ingeborg Bachmann, taucht zum ersten Mal in einem Reisebericht des Verlegers und Freunds Siegfried Unseld aus Rom auf. Dieses Vorhaben hat sie von 1964 bis über den Roman Malina (1971) hinaus beschäftigt. Durch den Unfalltod der Schriftstellerin im Otober 1973 ist es Fragment geblieben.
Die Darstellung im Buch Goldmann wird geprägt von einer Österreich-Sehsnucht, deren Intensität sich aus der Zeit nach dem Krieg und nach der Shoah erklärt, aus der Zeit »nach 1945«, der dem Schreiben Ingeborg Bachmanns zugrunde liegenden Zeitrechnung. 
Ingeborg Bachmann schreibt auf diese Weise dem Zeitroman eine kritische Dimension ein, es sind die Fragmente einer Prosa, die Gerechtigkeit herstellen will, die geläufigen geschichtlichen Verstehensmuster nicht übernimmt und die in der Beziehung von Fanny und Harry Goldmann paradigmatisch die Geschichte einer gescheiterten Rückkehr nach Österreich zeichnet.
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[62]\ Phase 2
Fanny Fanny hat sich ausgedacht, daß zwei von ihr bezahlte Burschen Marek zu ihr bringen, ihn fesseln, ohne ihm Schmerzen zu verursachen[63], aber so stark, daß er weiß, daß es ernst geworden ist und daß er ihr ausgeliefert ist. Marek sitzt in ihrem steifen Ohrensessel, sie lockert die Stricke um seine Hände und gibt ihm das Buch in die Hand. »Lies das vor«, sagt Fanny und schlägt die Seite 58 auf, »lies das vor, aber mit lauter Stimme, flüstre nicht«, sagt sie, »lies es laut vor und ruhig, wenn Du kannst«. Sie weiß, daß Marek die Zähne zusammenbeißen und sich weigern wird zu lesen. Sie läßt die beiden Burschen, die Masken tragen, ihm mit der Faust ins Gesicht schlagen. Fanny ist eiskalt und beherrscht, sie will nichts, nur daß er vorliest, was er geschrieben hat. Marek fängt zu lesen an und bricht nach einem Satz ab. Fanny muß sich eine andre Methode ausdenken, weil sie nicht sicher ist, ob die beiden Burschen, die sie bezahlt hat, dicht halten werden. Es muß ohne Zeugen geschehen. Auf einer Reise nach Graz kauft Fanny dort eine Pistole. Sie bestellt Marek in ihre Wohnung, sie sperrt die Tür zu, läßt ihn die Pistole sehen und zwingt ihn, vorzulesen. Marek aber läßt sich von der Pistole nicht einschüchtern, sondern redet auf Fanny ein, höhnisch, er weiß, daß sie nicht abdrücken wird, daß sie ihn nicht in Schach halten kann, solange sie nicht entschlossen ist, abzudrücken. Fanny als Furie, als Rächerin ihrer Ehre, sie geht zu Marek in die Wohnung, sie sagt in drei Sätzen, warum sie gekommen ist, nicht in hundert und tausend Sätzen wie an ihren Abenden allein, sie ist plötzlich fähig, in wenigen Worten zu sagen, ja was, ist fähig, in wenigen Worten, was sind wenige Worte, wozu sind wenige Worte. Fanny drückt ab, sie schießt, aber sie weiß nicht, wo sie ihn treffen will, sie versucht, auf seinen Unterleib zu zielen, aber das erscheint ihr unmöglich, auf den Kopf, das ist noch unmöglicher, sie fürchtet, seinen Kopf nicht mehr ganz zu sehen, erinnert sich an Kriminalromane, an furchtbare Entstellungen, sie kann nicht, sie zielt auf seine Brust, aber das scheint ihr zu weich, zu geschmackvoll, sie will nicht auf sein Herz zielen, nein, sie will auf all das nicht zielen, was seinen Körper [64]\ meint, sie möchte ihn anders töten, aber sie weiß nicht wie. »Entseelt«. Marek entseelt. Sie will Marek auch nicht vor Schreck tot umfallen sehen, auch nicht verwundet. Dann schießt sie plötzlich, sie knallt ziellos auf ihn hinüber, bis dieses Ding leer ist, wie heißt es doch, Patrone, und Hülsen, und wie soll sich einer auskennen, der schießen will und nicht schießen kann.   Als sich für Fanny herausstellte, daß sie nicht imstande war zu schießen (und etwas andres kam nicht in Frage, wegen der Größe des Verbrechens[65], Fanny richtet ein Verbrechen, für das es vor Gericht keinen Namen gibt und gegen das nur sie allein Anklage erheben konnte), begann sie, zur Furie zu werden. Sie beschimpfte Marek, und wenn sie ihn sah, vor sich, dann fielen ihr Worte ein[66], die sie kaum je gehört haben konnte, weder von Pingeles[34], der ein so vornehmer Mensch war, noch von Marek selber, sie spuckte vor Marek aus, sie schrie stundenlang ein auf einen stummen Marek, der ihr den Rücken kehrte und wie gewöhnlich in ihrem Kasten kramte, um eine Sicherung zu suchen, weil die Sicherung durchgebrannt war und Fanny sich nie entschließen konnte, wegen einer durchgebrannten Sicherung eine Dauersicherung zu kaufen. Fanny warf alle Teller vom Küchentisch, um Marek aufzuscheuchen aus seiner Lethargie, sie schrie und schmiß dazu Gegenstände auf den Boden, bis es Marek zu dumm wurde und er sie bei den Händen packte und sie festhielt, bis sie ganz heiß um die Handgelenke war und einen roten Kopf bekam, am Ersticken war. Jetzt wartete sie darauf, daß Marek sie ermordete, ja, das war es vor allem, was sie wünschte, er sollte sie ermorden und es sollte auch offenkundig werden, daß er ihr Mörder war. Es war die einzige Weise, auf die sie ihn ermorden konnte. Er sollte sie ermorden, jetzt und hier, sie würde solange auf ihn einreden und ihm solange sein Verbrechen vor Augen halten, bis er nicht mehr aus und ein wußte und sich selber dazu verurteilte, nun auch wirklich und sichtbar und nachweisbar den Mord an ihr zu begehen, der für sie anders und früher in der Tat begangen worden war. [67]\ Der junge Marek hatte damals mit Frau von Pfaudler einen Briefwechsel angefangen, zu dem er sich auch Notizen machte, einige Briefe lagen sogar unabgeschickt da, da Frau von Pfaudler damals nach Marokko gereist war, um die Trennung zu überwinden. Barbara, mia Barbara, schrieb er, die Fanny S. (so nannte er sie tatsächlich in seinen Briefen, während er ihr von Ehe und ewiger Liebe sprach) ist natürlich nicht im entferntesten, was Du bist. Sie hat, z. B., einen unschönen Hals, der ihre fünfunddreißig Jahre beweist, auch wenn sie manchmal ganz reizend aussieht, am besten in rot. Muß ich Dir sagen, daß ich immerzu an unsre Inselferien denke? Oder muß ich Dir sagen, daß ich seither nie mehr glücklich war. Diese Fanny S. hat zum Beispiel eine derart gierige Art zu küssen, daß mir manchmal ganz schlecht ist, einen Augenblick lang jedenfalls, und mir fällt auf, daß alles, was Du tust, das richtige Maß hat, daß Du eben das Vollkommenste für mich bleiben wirst, im Bett, in Gesellschaft, auf Inseln, in meiner Bude und in Deinem herrlichen Haus. Die Fanny S., um Dir zu berichten – da tust Du ihr unrecht – kauft sich ihre Sachen selbst. Ich habe Dein Geld nicht angerührt für sie, sondern habe mir nichts weiter als zwei Hemden gekauft, ich setze Dein Einverständnis voraus. Ich habe jetzt wirklich mit dem Roman angefangen. Fritzl läßt mich bei sich wohnen in Fuschl[35], ich hoffe, er kommt nicht selber hin. Die Fanny S. nehme ich nicht mit. Sie muß schon sehen, wo sie bleibt in den zwei Monaten. Ich werde es ihr morgen klar machen. Mir ist eine schöne Szene für den Anfang eingefallen, die Fanny S., die ich um fünf Jahre älter mache … (Ende des Briefs).   Meine Barbarische, Du bist krank, Du leidest, ich küsse Dich auf alle wehen Stellen. Die Fanny S. hat gestern zum erstenmal geweint. Mich interessiert es immer, wann eine Frau, wie eine Frau zum erstenmal weint. Erinnerst Du Dich, wie Du nach dem Konzert ganz plötzlich und ohne wirklich zu weinen und eigentlich lachend im Caféhaus gesessen bist, Mischa links, ich rechts, weil Dir einfiel, daß Deine Mutter zuletzt die Partita[36] hören wollte. Immer diese Musikwünsche am Ende, fällt Dir was auf, Barbarische? Après tout la musique[37], was hörst Du jetzt, würdest Du hören, wenn Du nicht in dem Mena House[38] mit Fieber liegen würdest. Für unser langes après, unser so freundschaftliches, meine Lehrmeisterin. Die Fanny S. fragt immer liebevoll nach Dir. Sie hat jetzt oft ein schlechtes Gewissen, fürchtet Deinen Schmerz, und ja, gestern weinte sie also. Ordinär, [68]\ würdest Du sagen. Ich habe sie bei der üblen Eigenschaft Besitzgier ertappt. Wird notiert. Sie weinte, weil ich sagte, ich reise in zwei Tagen nach Fuschl, dann noch einiges mehr, am Ende meinte ich plötzlich, weil ihre Reaktion mich störte, es sei besser ihr zu sagen, daß sie sich keine Hoffnungen mache.   Barbara, ich reise Dir entgegen, wir haben dann zwei Tage für uns, wenn Mischa weg ist. Die Fanny S., es geht, beinahe bin ich manchmal verliebt, mit Maßen, anders ginge es ja nicht. Die zwei Monate haben ihr gut getan. Sie ist völlig gewandelt, sie frißt mir aus der Hand, ich habe ihr drei Wochen nicht geschrieben, dann ein Telegramm geschickt und sie nach Salzburg befohlen, und sie war zur Stunde dort. Gestern hatten wir eine Auseinandersetzung wegen Fuschl, nachdem ich mir zehn Sätze angehört hatte, ersuchte ich Frau Strotzka[39], das Zimmer zu verlassen. Heute kommt ein Telegramm, sie bittet um Verzeihung. Es war ein Experiment, weiter nichts. Barbarische, und Du läßt mich warten, warten, ich habe seit Dienstag keinen Brief.   Meine Barbara, Du machst mir Vorwürfe, die ungerecht sind. Du sagst, ich liebe Fanny und verschweige es Dir. Bist Du wahnsinnig oder schreibst Du mir mit Absicht derartig beleidigende Dinge. Fanny ist jeden Tag bei mir, wozu es leugnen, ich habe nicht zu klagen, ich sollte auch Deine Dir unwürdigen Sticheleien nicht so gelassen hinnehmen. Ich brauche Fanny, ich fühle mich wohl, ich fürchte zwar manchmal einen niewiedergutzumachenden Fehler gemacht zu haben, ich hätte damals, von Fuschl aus, ein Ende machen sollen. Aber sag mir, mit welchen Hoffnungen auf Dich? Hat sich denn je etwas geändert? Hast Du je dran gedacht, Mischa und die Kinder wirklich aufzugeben. Nein, ich mache Dir keine Vorwürfe, wozu solltest Dus auch tun, und wir haben unsre Jahre gehabt, das war doch ein langsames von Dir gewünschtes Absterben, und Du wolltest mich älter, reifer, Du wolltest mich gehen lassen, Du hast es wunderbar gemacht. Wozu jetzt diese Bitterkeiten. Bleib wunderbar. In zwei Tagen werde ich fünfundzwanzig. Die Frau von dem Hubertusmantel[40], Du weißt, wen ich meine, hat sich in mich verliebt, sie kommt manchmal, sie zeigt ihrem Mann Gedichte von mir, er wird sie vielleicht senden. Die Fanny S. lacht dazu und ärgert sich darüber, sie will sich selber um meine Angelegenheit kümmern, tut es auch. [69]\ Aber sie ist unerträglich langsam. Einen französischen Brief, um den ich sie bitte, übersetzt sie acht Tage lang, dann stellt sich heraus, ihr Französisch ist miserabler als meines. So ists ein wenig mit allem. Sie kocht gut, aber sie verspricht mir dreimal ein Abendessen und...


Wandruszka, Marie Luise
Marie Luise Wandruszka lehrte von 1981 bis 2012 Deutsche Litaeratur an der Universität Bologna.

Bachmann, Ingeborg
Ingeborg Bachmann gilt als eine der bedeutendsten deutschsprachigen Lyrikerinnen und Schriftstellerinnen des 20. Jahrhunderts. 
Sie wurde am 25. Juni 1926 in Klagenfurt, Österreich geboren.
Bachmanns Karriere als Schriftstellerin
Nach ihrem ersten Studienjahr in Innsbruck und Graz (1945/46) gelang ihr mit der Erzählung »Die Fähre« die erste Veröffentlichung. Sie setzte ihr Studium der Philosophie, Germanistik und Psychologie in Wien fort, wo sie unter anderen Paul Celan, Hans Weigel, Ilse Aichinger und Victor Kraft traf.
Nach ihrer Promotion mit einer Dissertation über »Die kritische Aufnahme der Existentialphilosophie Martin Heideggers« im Jahr 1949 veröffentlichte sie erste Gedichte in der Zeitschrift Lynkeus und Erzählungen in der Wiener Tageszeitung. Bachmann arbeitete auch an einem ersten, unveröffentlichten und verschollenen Roman »Stadt ohne Namen«.
Nach ihrem Studium arbeitete sie für den amerikanischen Sender Rot-Weiß-Rot und schrieb Dramen, Rundfunkessays und Hörspiele, darunter »Ein Geschäft mit Träumen« (1952), »Die Zikaden«(1955) und»Der gute Gott von Manhattan« (1958).
Bachmanns Überzeugung, dass nur Literatur und Kunst die existenziellen Grunderlebnisse des modernen Menschen ausdrücken können, entstand aus der Perspektive der Wiener Schule, der neopositivistischen Wissenschaftstheorie ihres Doktorvaters Victor Kraft und der Sprachkritik Ludwig Wittgensteins. Ihre Beschäftigung mit Viktor E. Frankls psychotherapeutischer Forschung und ihrer Freundschaft mit dem Dichter Paul Celan, dessen Familie zu den Opfern des Holocaust gehörte, führten zu einer »tiefgreifenden Verwandlung ihres Denkens und Schreibens« im Sinne eines kritischen Ethos.
Lyrik und Musik
Bachmanns erster Lyrikband »Die gestundete Zeit« (1953), für den sie den renommierten Preis der Gruppe 47 erhielt, appellierte an das kritische Gewissen der Zeitgenossen angesichts des Kalten Krieges und der gesellschaftlichen Restauration. In ihrem zweiten Gedichtband »Anrufung des Großen Bären«(1956) kehrte sie zu traditionelleren lyrischen Formen zurück. Bachmanns Synthese von Zeitkritik, literarischer Moderne und lyrischer Tradition bildete die Grundlage ihres raschen Aufstiegs zur wichtigsten deutschsprachigen Dichterin der Nachkriegszeit.
Auf Einladung des Komponisten Hans Werner Henze brach Bachmann im Sommer 1953 nach Italien auf, um dort eine Existenz als freie Schriftstellerin zu begründen. Die Freundschaft und Zusammenarbeit mit Henze, der sie insbesondere in die Welt der Oper einführt, schlägt sich u.a. in den Opernlibretti »Der Prinz von Homburg« (1958) und »Der junge Lord« (1965) sowie in theoretischen Überlegungen zum Verhältnis von Musik und Dichtung nieder.
Die Rolle der Literatur in der Nachkriegszeit
In den zehn Jahren nach dem Aufbruch aus Wien lebte sie in Rom, München, Neapel und Zürich und eröffnete im Wintersemester 1959/60 die Frankfurter Vorlesungen zur Problematik zeitgenössischer Dichtung. Dabei fasste sie ihre poetologischen Überlegungen erstmals systematisch zusammen und verortete sie im Prozess der Moderne literarhistorisch.
Bachmann vertraute der Fähigkeit der Literatur, angesichts der verzweiflungsvollen »Dunkelhaft der Welt« unsere Möglichkeiten zu erweitern. Diese Haltung spiegelt sich in ihren Erzählungen des Bandes »Das dreißigste Jahr« wider.
Beziehung mit Max Frisch
Zwischen 1958 und 1962 waren sie das Traumpaar der deutschen Literatur. Die Trennung von Max Frisch 1962 fiel mit einer Lebenskrise zusammen, die den Ausgangspunkt für einen literarischen Neuansatz bildete. Die Erfahrungen von Schmerz und existenziellen Krisen fanden sich u.a. in ihrem »Todesarten«-Projekt.
Am 17. Oktober 1973 starb Ingeborg Bachmann im Alter von 47 Jahren in Rom an den Folgen eines Brandunfalls.

Ingeborg Bachmann wurde am 25. Juni 1926 als erstes von drei Kindern des Volksschullehrers Matthias Bachmann (1895-1973) und seiner Frau Olga (geb. Haas, 1901-1998) in Klagenfurt (Österreich) geboren. Ihre Mutter stammt aus dem an ›Böhmen‹ und Ungarn grenzenden Niederösterreich, ihr Vater aus Obervellach bei Hermagor im Kärntner Gailtal, wo die Familie in Ingeborg Bachmanns Kindheit oft Ferien verbrachte. Dieser Kärntner Grenzraum im Dreiländereck Österreich-Italien-Slowenien repräsentiert für die Autorin später "ein Stück wenig realisiertes Österreich (...), eine Welt, in der viele Sprachen gesprochen werden und viele Grenzen verlaufen" (WIV, 302), und damit die Utopie eines gewaltfreien Miteinanders der Völker, die bereits der ebenfalls in Klagenfurt geborene Autor Robert Musil (1880-1942), Bachmanns wohl wichtigster Bezugspunkt in der literarischen Moderne Österreichs, mythisierend auf das Kaiserreich Österreich-Ungarn als Vielvölkerstaat projiziert hatte. Noch in dem Roman Malina steht dieses "Haus Österreich" als literarische Utopie für eine "geistige Formation", die kritisch gegen die Verkrustungen der österreichischen Nachkriegsgesellschaft und gegen die Verdrängung des österreichischen Anteils an der Katastrophe des Nationalsozialismus gewendet wird, um zugleich gegen die wachsende kulturelle Dominanz Westdeutschlands einen spezifisch österreichischen "Erfahrungsfundus, Empfindungsfundus" zu behaupten. 
Rückblickend nach dem Erscheinen des Romans Malina (1971) hat die Autorin den "Einmarsch von Hitlers Truppen in Klagenfurt" (im Rahmen des ›Anschlusses‹ Österreichs an das Deutsche Reich am 12.  März 1938) symbolisch zum biographischen Ausgangspunkt ihres Schreibens erklärt und als "einen zu frühen Schmerz" bezeichnet, mit dem ihre "Erinnerung" anfange. Mit dieser Pointierung unterstreicht sie die moralische Verpflichtung und zeitkritische Ausrichtung ihres literarischen Werks als ein "Schreiben gegen den Krieg" (Höller 2004), das seine "Problemkonstanten" in der Auseinandersetzung mit den Verflechtungen von ›kleiner‹ und "großer GESCHICHTE" (TKA 1, 53), Individual- und Zeitgeschichte im Zeichen gesellschaftlicher Gewalt findet. 
Bachmann beginnt schon als Schülerin in Klagenfurt zu schreiben, bis ihr nach ihrem ersten, in Innsbruck und Graz verbrachten Studienjahr (1945/46) mit der Erzählung Die Fähre schließlich die erste Veröffentlichung gelingt. Im September 1946 vollzieht sie den eigentlichen Aufbruch aus der Provinz, indem sie ihr Studium der Philosophie (mit den Nebenfächern Germanistik und Psychologie) in Wien fortsetzt, wo sie zugleich den Kontakt zur Wiener Literaturszene sucht. Aufgrund der offiziellen Anerkennung Österreichs durch die Alliierten als das ›erste Opfer Hitler-Deutschlands‹ konnte das literarische Leben in Wien nach 1945 unmittelbarer als in Deutschland an die Vorkriegszeit anknüpfen, und so haben Repräsentanten der älteren Autorengeneration wie Heimito von Doderer (1896-1966) und jüdische Remigranten wie Hermann Hakel (1911-1987) und Hans Weigel (1908-1991) an Bachmanns literarischem Debüt in den Publikationsorganen der Wiener Nachkriegsliteratur wesentlichen Anteil. Das Jahr 1949 markiert mit Bachmanns Dissertation über Die kritische Aufnahme der Existentialphilosophie Martin Heideggers nicht nur den Abschluss des Studiums, sondern auch die Professionalisierung ihrer schriftstellerischen Arbeit durch die Veröffentlichung erster Gedichte in der Zeitschrift Lynkeus und einer Reihe von Erzählungen in der Wiener Tageszeitung.


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